Dortmund: Obdachloser durch 13-Jährigen mit Messer getötet – Indiz für eine Senkung der Strafmündigkeit?

Kleine Anfrage
vom 16.05.2024

Kleine Anfrage 3833

des Abgeordneten Markus Wagner AfD

Dortmund: Obdachloser durch 13-Jährigen mit Messer getötet Indiz für eine Senkung der Strafmündigkeit?

Am Donnerstagabend, den 4. April 2024, kam es im Dortmunder Hafen zu einer Auseinandersetzung, in dessen Verlauf ein 31-jähriger obdachloser Mann tödlich mit einem Messer verletzt wurde. Dabei wurde mehrfach auf das Opfer eingestochen. Ruderer sollen den Streit, welcher mit verbalen Beleidigungen begonnen haben soll, beobachtet und kurz darauf die Polizei alarmiert haben. Durch die Attacke soll der Mann in das Hafenbecken gefallen sein, er konnte sich aber noch mit Hilfe einer Leiter zurück nach oben retten, wo er dann aufgrund der Schwere der Verletzungen zusammenbrach.1 Im Anschluss an die Eskalation flüchteten vier jugendliche Beteiligte, welche allerdings kurz darauf vorläufig festgenommen wurden. Von diesen Jugendlichen seien zwei noch in einem strafunmündigen Alter und die beiden anderen im Alter von 14 und 15 Jahren. Nach der Vernehmung wurden alle festgenommenen Jugendlichen wieder aus dem Polizeigewahrsam entlassen. Nach Aussagen der zuständigen Staatsanwaltschaft soll es sich bei dem Vorfall um eine zufällige Begegnung der Beteiligten gehandelt haben. Das spätere Opfer habe sich demzufolge öfter im Hafenbereich aufgehalten, während die Jugendlichen dort gewesen seien, um sich mit Mädchen zu treffen und Lachgas zu konsumieren. Die Auswertung einer Videoaufzeichnung der Tat soll zeigen, wie einer der 13-jährigen Jugendlichen den Obdachlosen mit dem Messer niederstach.2

Mittlerweile soll der 13-jährige Haupttatverdächtige mit Einverständnis seiner Mutter in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht worden sein. Auch das Jugendamt wurde eingeschaltet. Die Familie sei dem Jugendamt vor der Inobhutnahme nicht bekannt gewesen. Derzeit sei eine Mordkommission aktiv, die ein potentielles „strafrechtlich relevantes Verhalten“3 der beiden strafmündigen Jugendlichen prüfe. An der Tat an sich sollen sie nach bisherigem Erkenntnisstand nicht beteiligt gewesen sein. Da der mutmaßliche Täter aufgrund seines Alters nicht strafrechtlich belangt werden kann, wird derzeit nicht gegen ihn ermittelt. Außerdem müsse der „Gesamtsachverhalt“ ermittelt werden. So stehe eine Spurenauswertung der in einem Gebüsch gefundenen Tatwaffe noch aus. Speziell in Bezug auf den 13-jährigen Täter teilte die Stadt Dortmund mit, dass das Jugendamt das Familiengericht durch Empfehlungen zu ambulanten oder stationären psychiatrischen Maßnahmen berate. So arbeite in diesem Fall die Kinder- und Jugendpsychiatrie mit dem Jugendamt zusammen, um möglichst „angemessene und individuelle Hilfsmaßnahmen zu ermitteln“4.

Durch den aktuellen Fall wird auch die Debatte um eine Senkung der Strafmündigkeit neu befeuert. NRW-Justizminister Limbach beharrt darauf, dass sich die Strafmündigkeitsgrenze von 14 Jahren seit mehr als 100 Jahren bewährt habe. Weiter hält er eine Reaktion mit „anderen Mitteln […] als mit Strafe“ für wichtiger, da die Bestrafung von Personen unter 14 Jahren kein gesellschaftliches Problem lösen würde. Innenminister Reul erkennt hingegen an, dass die Kriminalität von strafunmündigen Jugendlichen ein Problem darstellt, ist sich jedoch keinerlei Lösungsansätze bewusst. Auch die Gewerkschaft der Polizei hält eine Senkung der Strafmündigkeit für nicht zielführend, da sie solche Taten nicht verhindern würde. So spreche der Fakt, dass die Tat in Dortmund von anderen Jugendlichen gefilmt wurde, nach Einschätzung des Landesvorsitzenden der Polizeigewerkschaft dafür, dass sich die Jugendlichen des Ausmaßes ihrer Handlungen nicht bewusst seien und ihnen so eine „charakterliche Reife“ fehle. Aus diesem Grund fordert er die Motive der Täter genauer zu untersuchen und solchen Taten präventiv entgegenwirken zu können.5

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Wie ist der aktuelle Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu dem oben beschriebenen Vorfall? (Bitte Tathergang, Vorstrafen der Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften der Tatverdächtigen, seit wann die Tatverdächtigen im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft sind, Vornamen und Mehrfachstaatsangehörigkeit bei einem deutschen Tatverdächtigen und sonstige polizeiliche Erkenntnisse über die Tatverdächtigen nennen.)
  2. Wie wird der 13-jährige Tatverdächtige sanktioniert?
  3. Wie viele strafunmündige Täter wurden seit 2015 bis heute pro Jahr in NRW aufgrund eines Gewaltdelikts in eine psychiatrische Einrichtung untergebracht? (Bitte nach Jahr, Ort, Delikt sowie Tätermerkmalen wie Alter, Geschlecht und Nationalität aufschlüsseln und bei Deutschen eine Mehrfachstaatsangehörigkeit extra ausweisen.)
  4. Was ist die Einschätzung der Landesregierung bezüglich der Effektivität einer Senkung des Alters der Strafmündigkeit?
  5. Was plant die Landesregierung konkret, um Gewaltdelikten, die von strafunmündigen Jugendlichen ausgehen, präventiv entgegenzuwirken?

Markus Wagner

 

MMD18-9269

 

1 https://www1.wdr.de/nachrichten/dortmund-toetungsdelikt-hafen-100.html.

2 Ebenda.

3 https://rp-online.de/nrw/panorama/dortmund-13-jaehriger-soll-obdachlosen-getoetet-haben-geschlossene-einrichtung_aid-110307203.

4 Ebenda.

5 Ebenda.


Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 3833 mit Schreiben vom 27. Juni 2024 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration, dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie dem Minister der Justiz beantwortet.

  1. Wie ist der aktuelle Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Er­mittlungen zu dem oben beschriebenen Vorfall? (Bitte Tathergang, Vorstrafen der Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften der Tatverdächtigen, seit wann die Tatverdächtigen im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft sind, Vornamen und Mehrfachstaatsangehörigkeit bei einem deutschen Tatverdächti­gen und sonstige polizeiliche Erkenntnisse über die Tatverdächtigen nennen.)

Es wird zunächst auf die LT-Vorlage 18/2497 Bezug genommen.

Der Leitende Oberstaatsanwalt in Dortmund hat dem Ministerium der Justiz unter dem 26.05.2024 berichtet, die Ermittlungen gegen die nicht vorbestraften Jugendlichen wegen des Verdachts der Körperverletzung mit Todesfolge, der gemeinschaftlich gefährlichen Körperver­letzung und der unterlassenen Hilfeleistung dauerten weiter an.

  1. Wie wird der 13-jährige Tatverdächtige sanktioniert?

Der mutmaßliche Täter kann aufgrund seines Alters strafrechtlich nicht belangt werden.

  1. Wie viele strafunmündige Täter wurden seit 2015 bis heute pro Jahr in NRW auf­grund eines Gewaltdelikts in eine psychiatrische Einrichtung untergebracht? (Bitte nach Jahr, Ort, Delikt sowie Tätermerkmalen wie Alter, Geschlecht und Na­tionalität aufschlüsseln und bei Deutschen eine Mehrfachstaatsangehörigkeit extra ausweisen.)

Die zur Beantwortung der Frage 3 erforderlichen Daten werden nicht systematisch erfasst. Der Landesregierung liegen hierzu insoweit keine entsprechenden Erkenntnisse vor.

  1. Was ist die Einschätzung der Landesregierung bezüglich der Effektivität einer Senkung des Alters der Strafmündigkeit?

Die gegenwärtige Regelung zur Strafmündigkeit sieht ein Alter von vierzehn Jahren vor und hat sich bislang bewährt. Unabhängig von strafrechtlichen Sanktionen bestehen im Familien­recht geeignete Regelungen, um auf kriminelles Verhalten von Kindern zu reagieren. Das Kin­der- und Jugendhilferecht sieht zudem präventive und unterstützende Angebote sowie indivi­duelle Hilfen, gerade auch für schwierige Situationen und besonders intensive pädagogische Bedarfe, vor.

Gewalt im Kindes- und Jugendalter, insbesondere unter Gleichaltrigen, ist eine gesamtgesell­schaftliche Realität, die von der Landesregierung sehr ernst genommen wird. Die Gründe und Ursachen für den aktuell deutlichen Anstieg von Kinder- und Jugendkriminalität sind nicht hin­reichend untersucht. Den breiten öffentlichen Diskurs, in dessen Rahmen eine Vielzahl von Überlegungen verhandelt werden und an dem ich mich – als Minister des Innern – mit dem möglichen Ansatzpunkt einer Herabsenkung der Strafmündigkeitsgrenze beteiligt habe, ver­folgt die Landesregierung intensiv. Weitere Handlungsoptionen in Bezug auf den gestiegenen Umfang von Kinder- und Jugendkriminalität müssen letztlich aber auf Basis von wissenschaft­lich belastbaren Erkenntnissen zu ihren Gründen und Ursachen auf den Weg gebracht wer­den. Die Landesregierung hat daher auf einen entsprechenden, mit den Stimmen aller Frakti­onen beschlossenen Auftrag des Landtags eine Studie in Auftrag gegeben, die Erkenntnisse zu den Gründen und Ursachen für den Anstieg der aktuellen Fallzahlen der Kinder- und Ju­gendkriminalität und auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse ressortübergreifende Hand­lungsempfehlungen erarbeiten soll.

  1. Was plant die Landesregierung konkret, um Gewaltdelikten, die von strafunmün­digen Jugendlichen ausgehen, präventiv entgegenzuwirken?

Jugendliche sind strafmündig. Bei Personen hingegen, die bei der Begehung der Tat noch nicht vierzehn Jahre alt sind, handelt es sich gem. § 19 Strafgesetzbuch (StGB) um Kinder, die schuldunfähig und nicht strafmündig sind.

Der Landesregierung ist es ein wichtiges Anliegen, den Risiken, die den Prozess des Auf-wachsens und der Persönlichkeitsentwicklung gefährden können, präventiv zu begegnen. Die Kinder- und Jugendhilfe stellt die Unterstützung und Förderung junger Menschen in den Mit­telpunkt. Sie bietet individuelle erzieherische Hilfen, gerade auch für schwierige Situationen und besonders intensive pädagogische Bedarfe. Dabei spielt die Zusammenarbeit mit den El­tern und dem gesamten Familiensystem eine wichtige Rolle.

Mit dem Kinder- und Jugendförderplan NRW (KJFP) fördert das Land Maßnahmen und Ange­bote, die das Ziel verfolgen, die Entwicklung junger Menschen zu einer selbstbestimmten, ei­genverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu fördern.

Die aus Mitteln des KJFP institutionell geförderte Arbeitsgemeinschaft „Kinder und Jugend­schutz Nordrhein-Westfalen“ (AJS NRW) ist die Landesfach- und Servicestelle für den gesetzlichen und erzieherischen Kinder- und Jugendschutz. Sie bietet im Rahmen des Fach­bereichs „Gewaltprävention“ den Fachkräften von Jugendhilfe, Schulen, Polizei, Beratungs­stellen etc. praxisorientierte Fortbildungen, u.a. zu den Themen Deeskalation, Mobbing/Cyber-Mobbing, Mädchengewalt, Umgang mit verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen und Gewaltprävention im Grundschulalter, an.

Weitere Unterstützung der AJS NRW erhalten Fachkräfte bei:

  • allen Fragen rund um das Thema Gewaltprävention und Jugendkriminalität,
  • der Konzeptentwicklung von Gewaltpräventionsprogrammen und
  • der Suche nach spezialisierten Fachberatungsstellen, Referentinnen und Referenten für Projekte, pädagogischen Theaterstücken zur Gewaltprävention, Fachliteratur sowie eva­luierten Präventionsprogrammen.

Um Gewaltdelikten von Kindern und Jugendlichen präventiv zu begegnen, bedarf es insbe­sondere einer interdisziplinären und kontinuierlichen Befassung mit dem Phänomenbereich sowie der Zielgruppe, um den Anforderungen bestmöglich gerecht zu werden. Das Landeskri­minalamt Nordrhein-Westfalen (LKA) führt hierfür alle relevanten Informationen über Erschei­nungsformen und Entwicklungen, Projekte, Ergebnisse wissenschaftlicher Grundlagenarbeit und eigener Forschung, Erfahrungen der Praxis sowie sonstige präventionsrelevante Erkennt­nisse zusammen und bezieht dabei insbesondere Ergebnisse der Evaluation kriminalpräven­tiver Projekte und Maßnahmen ein. Zu spezifischen Erscheinungsformen von Kriminalität er­stellt das LKA zudem Kriminalitätsanalysen, wirkt in landesweiten Präventionsnetzwerken mit sowie initiiert und unterstützt darin Präventionsmaßnahmen anderer Präventionsträger.

Zudem verfügen alle nordrhein-westfälischen Kreispolizeibehörden über eine Organisations­einheit für Kriminalprävention und Opferschutz. Die dort verortete kriminalpräventive Fachbe­ratung umfasst u. a. den Themenkomplex „Kinder- und Jugendkriminalität“ sowie „Gewalt-/Ju­gendgewalt“. Speziell geschulte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen den mit Kindern und Jugendlichen betrauten Personen (Eltern, Lehrkräfte, Trainerinnen und Trainer, Mitarbeiterin­nen und Mitarbeiter der Jugendhilfe, etc.) als Ansprechpartner und Kooperationspartner zur Verfügung.

Zukünftig plant das LKA darüber hinaus eine Veranstaltungsreihe aus dem Digitalen Bera-tungs- und Präventionszentrum der Polizei NRW in Köln für alle Schulen der Sekundarstufen I und II im dritten und vierten Quartal 2024 durchzuführen, um zielgerichtete Kernbotschaften der Kriminalprävention an die Multiplikatorengruppe der Schulleitungen und Lehrkräfte zu ad­ressieren.

 

MMD18-9765

Beteiligte:
Markus Wagner