Aktuelle Stunde
auf Antrag der Fraktion der AfD
NRW in Rechtsnot: Aktenberge und über 400 fehlende Staatsanwälte entlarven die Justizkrise – Stopft der Justizminister ein Loch, indem er an anderer Stelle ein neues reißt, und ist die Decke bildlich gesprochen einfach zu kurz?
Der Bund der Richter und Staatsanwälte in Nordrhein-Westfalen hat in einem offenen Brief an den Ministerpräsidenten vom 7. Mai 2024 auf akute Gefahren für die Demokratie und den Rechtsstaat in unserem Land hingewiesen. Nach dem Hinweis, dass eine starke dritte Staatsgewalt erforderlich sei, heißt es in dem Brief wörtlich: „Im Moment kann die Justiz aufgrund mangelnder Rahmenbedingungen durch den Gesetzgeber ihre Aufgaben insbesondere im Bereich der Strafverfolgung nicht zeitnah und angemessen erfüllen. Die Stimmung in der Justiz, insbesondere im Bereich der Staatsanwaltschaften, hat einen Tiefpunkt erreicht.“1
Betont wird unter anderem eine Unterbesetzung und finanzielle Unattraktivität der Staatsanwaltschaften, was die ordnungsgemäße Strafverfolgung gefährdet. Der Minister der Justiz plane Maßnahmen, die neue Probleme schaffen könnten, wie die Umwandlung von Richterstellen in Staatsanwaltsstellen und die Senkung der Einstellungsvoraussetzungen für Staatsanwälte. Der Bund der Richter und Staatsanwälte fordert den Ministerpräsidenten auf, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, darunter die Schaffung weiterer Staatsanwaltsstellen, eine deutliche Gehaltserhöhung für Richter und Staatsanwälte sowie die Beibehaltung der Mittel für die Digitalisierung der Justiz. Die Interessensvereinigung warnt davor, dass eine schwache Justiz ihre Aufgaben nicht angemessen erfüllen kann und dass die öffentliche Wahrnehmung der Justiz bereits gelitten hat.
Tatsächlich gibt die derzeitige Situation in den Staatsanwaltschaften unseres Landes Anlass zur Besorgnis. Wie Justizminister Dr. Benjamin Limbach anlässlich einer Pressekonferenz am 26. April 2024 berichtete, seien von den erforderlichen 1.818 Stellen für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte lediglich 1.528 im Haushalt vorgesehen, von denen wiederum nur 1.415 besetzt seien. Das bedeutet laut Bund der Richter und Staatsanwälte, dass 403 Stellen unbesetzt sind (eine Lücke von 113 Personen plus 290 fehlende Stellen), was sich negativ auf die ordnungsgemäße Strafverfolgung auswirkt.2
Wegen der Zunahme der Fallzahlen ist die Belastungsquote der Staatsanwälte bei einem Zielwert von 100 von 109,25 im Jahr 2019 auf 123,75 im vergangenen Jahr gestiegen.3
Zu Mehrarbeit bei den Staatsanwaltschaften führte auch das verabschiedete Cannabisgesetz. 86.000 Vorgänge mussten darauf überprüft werden, ob mittlerweile eine Straffreiheit eingetreten ist. „Der Mehraufwand durch das Cannabisgesetz wird die Justiz des Landes NRW noch über einen längeren Zeitraum begleiten“, so der Justizminister.4
Der Landesverband Nordrhein-Westfalen des Bundes der Richter und Staatanwälte ist mit mehr als 4.100 Mitgliedern die mit Abstand zahlenmäßig größte Interessenvertretung des Berufsstandes auf Landesebene 5 und genießt ein hohes Ansehen in Justizkreisen.
In einer Situation der Rechtsnot können Bürger Schwierigkeiten haben, ihre Rechte durchzusetzen oder Gerechtigkeit zu erfahren. Eine solche Entwicklung untergräbt das Vertrauen in das Rechtssystem.
Die von der Landesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen zur Behebung der personellen Engpässe in der Justiz bleiben größtenteils unklar, und die Pläne des Justizministers, 120 Richterstellen in Staatsanwaltsstellen umzuwandeln, sowie die Überlegung, die Einstellungsvoraussetzungen zu senken, sind umstritten.
In Anbetracht der dargelegten schwerwiegenden Probleme und der offensichtlichen Dringlichkeit, mit der unsere Justiz unter akutem Personal- und Ressourcenmangel leidet, ist es unabdingbar, dass der Landtag Nordrhein-Westfalen sich umgehend in einer Aktuellen Stunde mit dieser Krisensituation auseinandersetzt. Die vom Justizminister angekündigten Maßnahmen bleiben in ihrer Wirksamkeit fraglich, da sie nicht klar darlegen, wie sie die erheblichen personellen Engpässe angehen und gleichzeitig neuen Herausforderungen wie der Umsetzung des Cannabisgesetzes gerecht werden. Diese Debatte bietet die Gelegenheit, die tiefgreifenden Probleme unserer Justiz umfassend zu beleuchten, zu diskutieren und notwendige Lösungsansätze zu entwickeln. Wir müssen sicherstellen, dass das Vertrauen in unsere Rechtsstaatlichkeit und die Effektivität unserer Justiz nicht weiter erodiert.
Dr. Hartmut Beucker
Dr. Martin Vincentz
Andreas Keith
und Fraktion
1 https://www.drb-nrw.de/fileadmin/Landesverband-Nordrhein-Westfalen/Dokumente/Appinhalte/2024-05-07_Offener_Brief_MP.pdf (abgerufen am 13.05.2024).
2 Ebd.
3 https://www.ksta.de/politik/nrw-politik/nrw-justizminister-juristen-sollen-mit-durchschnittsnoten-staatsanwaelte-werden-783456 (abgerufen am 13.05.2024).
4 Ebd.
5 https://www.drb-nrw.de/drb-nrw/wir-ueber-uns (abgerufen am 13.05.2024).