Plant die Landesregierung Sonderregelungen bei der Einbürgerung von türkischen Gastarbeitern der ersten Generation?

Kleine Anfrage
vom 19.12.2019

Kleine Anfrage 3270der Abgeordneten Gabriele Walger-Demolsky vom 19.12.2019

 

Plant die Landesregierung Sonderregelungen bei der Einbürgerung von türkischen Gastarbeitern der ersten Generation?

Einem Interview mit der Tageszeitung „WAZ“ vom 09.12.2019 ist zu entnehmen, dass es von Seiten der Landesregierung Bestrebungen gibt, die Hürden für eine Einbürgerung abzusenken.1 Angesprochen auf die erste (türkische) Gastarbeitergeneration, bezeichnete eine Vertreterin der Landesregierung den türkischen Pass, und damit verbunden indirekt auch die türkische Staatsangehörigkeit abwertend als ein „Stück Papier“. So führe eine Aufgabe der bisherigen türkischen Staatsangehörigkeit gerade nicht zu einer Aufgabe von Herkunft, Kultur und Sprache. Den Ausführungen weiter folgend, besteht auf Seiten der Landesregierung die Bereitschaft, bei der ersten Gastarbeitergeneration Ausnahmen bei der Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit zu machen. Zudem tritt die Landesregierung dafür ein, in diesen Fällen auf den obligatorischen Einbürgerungstest zu verzichten, da wir das „den Menschen einfach schuldig seien“. Dabei wendet sich die Vertreterin der Landesregierung explizit nur an die türkischstämmigen Gastarbeiter der ersten Generation. Wie es in einem weiteren WAZ-Artikel heißt, will sich NRW in diesem Zusammenhang beim Bund für Ausnahmeregelungen stark machen.2

Die Voraussetzungen für eine Anspruchseinbürgerung nach 8 Jahren sind geregelt unter § 10 ff. Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG). Dazu gehören u.a.:

  • ein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung
  • die Fähigkeit den Lebensunterhalt für sich und unterhaltsberechtigte Familienangehörige ohne Inanspruchnahme von Leistungen gemäß SGB II oder SGB XII decken zu können
  • die Aufgabe bzw. der Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit
  • ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache
  • Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland

Ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache sind dabei bereits dann gegeben, wenn die Anforderungen der Sprachprüfung zum Zertifikat Deutsch B1 erfüllt sind. Das Sprachniveau B1 wird wie folgt definiert:3

„Kann die Hauptpunkte verstehen, wenn klare Standardsprache verwendet wird und wenn es um vertraute Dinge aus Arbeit, Schule, Freizeit usw. geht. Kann die meisten Situationen bewältigen, denen man auf Reisen im Sprachgebiet begegnet. Kann sich einfach und zusammenhängend über vertraute Themen und persönliche Interessengebiete äußern. Kann über Erfahrungen und Ereignisse berichten, Träume, Hoffnungen und Ziele beschreiben und zu Plänen und Ansichten kurze Begründungen oder Erklärungen geben.“

Wenn diese Kriterien, mit derart geringen Hürden, nicht erfüllbar sind, kann man nach so langer Zeit grundsätzlich nicht von gelungener Integration sprechen.

Zum Nachweis der Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland ist ein erfolgreicher Einbürgerungstest nachzuweisen. Hierbei müssen in 60 Minuten von 33 Fragen (mit jeweils 4 Lösungsmöglichkeiten) 17 richtig beantwortet werden.4 Die Fragen sind sehr allgemein gehalten und sollten nach Jahrzehnten in Deutschland ebenfalls nur eine minimale Hürde darstellen.

Die doppelte Staatsbürgerschaft ist nur in begründeten Ausnahmefällen vorgesehen, wenn z.B. das Recht des ausländischen Staates ein Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit nicht vorsieht oder die Aufgabe nur unter „besonders schwierigen Bedingungen“ möglich wäre. Dieses gilt im Falle der Türkei nicht.

Ich frage daher die Landesregierung:

1. Die erste türkische Gastarbeitergeneration wurde ab 1961 angeworben. Es gibt für diese Menschen folglich bereits seit Jahrzehnten die Möglichkeit der Einbürgerung. Warum plant die Landesregierung die Einbürgerung für diesen Personenkreis deutlich zu erleichtern – inkl. einer Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft –, obwohl das eindeutige Bekenntnis zu unserem Land (durch die Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit) bisher ausgeblieben ist?

2. Wie begründet die Landesregierung ein weiteres Absenken der ohnehin schon sehr geringen Voraussetzungen zur Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft (Sprachniveau geringer als B1, Verzicht auf den Einbürgerungstest) und die Beschränkung der angeregten Ausnahmeregelungen explizit für die türkischstämmigen Gastarbeiter, was gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß GG Art. 3 verstoßen würde?

3. Sollten auch weitere Voraussetzungen wie die Fähigkeit den Lebensunterhalt für sich und unterhaltsberechtigte Familienangehörige ohne Inanspruchnahme von Leistungen gemäß SGB II oder XII decken zu können reduziert werden?

4. Wie viele Personen der ersten Gastarbeitergeneration kommen nach Ansicht der Landesregierung für diese Ausnahmeregelung in NRW in Betracht?

5. Welche Kosten entstehen einem Ausländer im Rahmen der Einbürgerung?

Gabriele Walger-Demolsky

 

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1 Vgl. WAZ, Ausgabe Essen-Werden vom 09.12.2019, „Doppelpass für erste Gastarbeiter“

2 Vgl. https://www.waz.de/politik/landespolitik/nrw-will-doppelpass-fuer-erste-gastarbeiter-generation-id227857569.html

3 Vgl. http://www.europaeischer-referenzrahmen.de/sprachniveau.php

4 Vgl. https://www.bamf.de/DE/Themen/Integration/ZugewanderteTeilnehmende/Einbuergerung/einbuergerung-node.html


Nachfolgend die Antwort der Landesregierung, verfasst am 16.01.2020

 

Der Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration hat die Kleine Anfrage 3270 mit Schreiben vom 16. Januar 2020 namens der Landesregierung beantwortet.

Vorbemerkung der Landesregierung

Die Landesregierung beabsichtigt nicht, Sonderregelungen für die Einbürgerung der Personengruppe der ersten türkischen Gastarbeitergeneration zu schaffen, sondern die Einbürgerung aller Angehörigen der sog. ersten Einwanderergeneration zu erleichtern. Hiervon erfasst sind die sog. Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter in der Bundesrepublik Deutschland sowie die Vertragsarbeitnehmerinnen und Vertragsarbeitnehmer aus Angola, Mosambik und Vietnam in der ehemaligen DDR. Unter den Personen, welche aufgrund der Anwerbeabkommen in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind, bilden türkische Staatsangehörige zwar prozentual die größte Gruppe. Daneben wurden jedoch auch Personen aus den Ländern Italien, Spanien, Griechenland, Marokko, Südkorea, Portugal, Tunesien und Jugoslawien vermittelt. Auf diese sollen die geplanten Neuregelungen ebenso Anwendung finden.

Da das Staatsangehörigkeitsrecht in der Zuständigkeit des Bundes liegt, erfolgte im angesprochenen Interview auch der Hinweis darauf, dass sich die Landesregierung auf Bundesebene für Erleichterungen bei der Einbürgerung der sog. ersten Einwanderergeneration einsetzt.

1. Die erste türkische Gastarbeitergeneration wurde ab 1961 angeworben. Es gibt für diese Menschen folglich bereits seit Jahrzehnten die Möglichkeit der Einbürgerung. Warum plant die Landesregierung die Einbürgerung für diesen Personenkreis deutlich zu erleichtern einer Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft , obwohl das eindeutige Bekenntnis zu unserem Land (durch die Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit) bisher ausgeblieben ist?

2. Wie begründet die Landesregierung ein weiteres Absenken der ohnehin schon sehr geringen Voraussetzungen zur Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft (Sprachniveau geringer als B1, Verzicht auf den Einbürgerungstest) und die Beschränkung der angeregten Ausnahmeregelungen explizit für die türkischstämmigen Gastarbeiter, was gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß GG Art. 3 verstoßen würde?

Aufgrund des inhaltlichen Zusammenhangs werden die Fragen 1 und 2 gemeinsam beantwortet:

Wie bereits in der Vorbemerkung klargestellt, sollen sich die Neuregelungen nicht explizit auf türkischstämmige Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter, sondern auf alle Angehörigen der ersten Einwanderergeneration beziehen.

Der Grund für die Forderung nach einer Absenkung der rechtlichen Einbürgerungshürden liegt in der Anerkennung der Lebensleistung und Wertschätzung der ersten Einwanderergeneration.

Mit ihrer besonderen Lebensleistung haben die Angehörigen der ersten Einwanderergeneration einen wesentlichen Beitrag zur positiven Entwicklung Deutschlands erbracht, was im Einbürgerungsrecht bisher nicht ausreichend honoriert wurde. Sie haben ihre Arbeitskraft zur Verfügung gestellt, Kinder erzogen, die heute zu einem großen Teil deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sind, und insbesondere durch Unternehmens- und Existenzgründungen die Wirtschaftskraft gesteigert. Ihre Integrationsleistungen in Form ehrenamtlicher Tätigkeiten in mi-grantischen Vereinen/Verbänden sind auch im Hinblick auf den sozialen Zusammenhalt und politische sowie gesellschaftliche Partizipation zu würdigen.

3. Sollten auch weitere Voraussetzungen wie die Fähigkeit den Lebensunterhalt für sich und unterhaltsberechtigte Familienangehörige ohne Inanspruchnahme von Leistungen gemäß SGB II oder XII decken zu können reduziert werden?

Nein.

4. Wie viele Personen der ersten Gastarbeitergeneration kommen nach Ansicht der Landesregierung für diese Ausnahmeregelung in NRW in Betracht?

Hierzu liegen keine Daten vor.

5. Welche Kosten entstehen einem Ausländer im Rahmen der Einbürgerung?

Nach § 38 Absatz 2 des Staatsangehörigkeitsgesetzes beträgt die Gebühr für eine Einbürgerung grundsätzlich 255,- Euro. In den in dieser Vorschrift besonders geregelten Fällen kann hiervon abgewichen werden.

Im Rahmen des Einbürgerungsverfahrens können zudem weitere Gebühren und Auslagen entstehen (z.B. Beglaubigungs- und Übersetzungskosten sowie Entlassungsgebühren), die einzelfallabhängig sind und daher nicht näher beziffert werden können.

 

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