Antisemitische Straftaten in NRW im Jahr 2020

Kleine Anfrage
vom 12.01.2021

Kleine Anfrage 4812der Abgeordneten Gabriele Walger-Demolsky und Markus Wagner vom 12.01.2021

 

Antisemitische Straftaten in NRW im Jahr 2020

Die Kleine Anfrage 1991 zum Themenkomplex „Antisemitische Straftaten“ hat ergeben, dass es im Jahre 2018 in diesem Bereich insgesamt 350 Straftaten gegeben hat, davon 16 Gewaltdelikte.1 Bei der Zuordnung dieser Taten zu den Phänomen-bereichen der politischen Kriminalität ergab sich folgendes Bild:

  • PMK Ausländer: 29 Fälle (davon 19 geklärt)
  • PMK Links: 2 Fälle (davon 2 geklärt)
  • PMK Rechts: 311 Fälle (davon 151 geklärt)
  • PMK Religiös: 5 Fälle (davon 3 geklärt)
  • Sonstige: 3 Fälle (davon 1 geklärt)

Mit insgesamt 262 von 350 Straftaten fallen die Delikte „Propagandadelikte“ und „Volksverhetzung“ zahlenmäßig am meisten ins Gewicht. Auffällig an den Zahlen für das Berichtsjahr 2018 war, dass in 109 Fällen kein Täter ermittelt werden konnte, auf der anderen Seite aber nur 3 Straftaten in den Phänomenbereich „Sonstiges“ fielen.

Im Berichtsjahr 2019 reduzierte sich die Anzahl der Straftaten auf 310.2 Nur 147 Tatverdächtige konnten ermittelt werden. Insgesamt kam es zu drei Festnahmen. In 184 Fällen konnte kein Tatverdächtiger ermittelt werden. Trotzdem kam es in 170 dieser Fälle zu einer Einstufung in den Phänomenbereich PMK-Rechts. In 569 Fällen kam es zur Einleitung von Ermittlungsverfahren, in 74 Fällen zur Erhebung einer öffentlichen Klage bzw. zur Beantragung eines Strafbefehls, in 35 Fällen zu einer Verurteilung und in 349 Fällen zur Einstellung von Ermittlungsverfahren. Auch im Berichtsjahr 2019 handelte es sich überwiegend um „Propagandadelikte“ und um den Straftatbestand der „Volksverhetzung“. Die Anzahl der Gewaltdelikte war (im Verhältnis) erfreulicherweise sehr gering.

Ziel dieser Anfrage ist es, mit den Zahlen für das Berichtsjahr 2020 die Entwicklung auch weiterhin zu beleuchten.

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Wie viele Straftaten mit antisemitischem Hintergrund wurden im Jahre 2020 in Nordrhein-Westfalen verübt? (Bitte nach Ort, Deliktsgruppe und Anzahl der verletzten Personen auflisten)
  2. Bei wie vielen der unter Frage 1 erfragten Straftaten konnte ein Täter ermittelt bzw. festgenommen werden? (Bitte einzeln nach Straftatbestand, Nationalität, Alter und Geschlecht auflisten)
  3. Welchem Phänomenbereich der politisch motivierten Kriminalität wurden die unter Frage 1 erfragten Straftaten zugeordnet, wenn ein Tatverdächtiger bzw. Täter ermittelt werden konnte, wenn kein Tatverdächtiger bzw. Täter ermittelt werden konnte sowie dann, wenn es sich um säkularen auslandsbezogenen Extremismus handelte? (Bitte auflisten nach Anzahl der Fälle, Phänomenbereich und Straftatbestand)
  4. Wie viele eingeleitete Ermittlungsverfahren, Anklagen, Verurteilungen und Einstellungen von Ermittlungen bzw. von Verfahren (bitte jeweils mit Begründung) gab es im Jahre 2020 im Zusammenhang mit antisemitischen Straftaten?
  5. Welche Anstrengungen hat die Landesregierung im Jahre 2020 auf Bundesebene unternommen, damit zukünftig politische Straftaten, bei denen weder Tatverdächtige noch Täter ermittelt werden können, korrekt unter „PMK-Nicht zuzuordnen“ eingestuft werden?

Gabriele Walger-Demolsky
Markus Wagner

 

Anfrage als PDF

 

1 Vgl. Lt.-Drucksache 17/5338

2 Vgl. Lt.-Drucksache 17/8677


Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 4812 mit Schreiben vom 15. Februar 2021 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Justiz beantwortet.

Vorbemerkung der Landesregierung

Die statistische Erfassung „Politisch motivierter Kriminalität“ (PMK) erfolgt bundesweit einheitlich auf der Grundlage des im Jahr 2001 von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder beschlossenen Definitionssystems „Politisch motivierte Kriminalität“.

Der PMK werden demnach Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie

  • den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richten;
  • sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesensmerkmale, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben;
  • durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden;
  • gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status gerichtet sind und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet.

Darüber hinaus gehören Straftaten gemäß §§ 80a-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102-104a, 105­108e, 109-109h, 129a, 129b, 130, 234a oder 241a StGB als Staatsschutzdelikte zur PMK, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festgestellt werden kann.

Politisch motivierte Straftaten werden hinsichtlich des Begründungszusammenhangs (Motiv) einem oder mehreren Themenfeldern zugeordnet.

Datenquelle zur Beantwortung der Fragen ist der Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen der Politisch motivierten Kriminalität (KPMD-PMK).

Der Fallzahlenabgleich mit dem Bundeskriminalamt ist für das Jahr 2020 noch nicht abgeschlossen. Der Abschluss erfolgt grundsätzlich jährlich zum Ende des Monats Februar. Demnach kann es noch zu geringfügigen Abweichungen kommen, weshalb die nachfolgend angegebenen Fallzahlen für das Jahr 2020 als vorläufige Zahlen zu betrachten sind.

  1. Wie viele Straftaten mit antisemitischem Hintergrund wurden im Jahre 2020 in Nordrhein-Westfalen verübt? (Bitte nach Ort, Deliktsgruppe und Anzahl der verletzten Personen auflisten)

Im Jahr 2020 wurden im KPMD-PMK in Nordrhein-Westfalen 276 Straftaten dem Unterbegriff „antisemitisch“ zugeordnet. Zwei Personen wurden verletzt.

Weitergehende Daten bitte ich der Anlage zu entnehmen.

  1. Bei wie vielen der unter Frage 1 erfragten Straftaten konnte ein Täter ermittelt bzw. festgenommen werden? (Bitte einzeln nach Straftatbestand, Nationalität, Alter und Geschlecht auflisten)

Im Jahr 2020 wurden in 123 Fällen antisemitischer Straftaten 142 Tatverdächtige ermittelt.

Weitergehende Daten bitte ich der Anlage zu entnehmen.

Im KPMD-PMK werden als Festnahme statistisch alle bekanntgewordenen polizeilichen Maßnahmen gemäß §§ 127, 127b StPO gezählt (keine Ingewahrsamnahmen nach dem Polizeigesetz NRW).

Im Jahr 2020 wurden in Nordrhein-Westfalen zwei männliche Personen (32 und 37 Jahre) in Düsseldorf und Essen wegen einer antisemitischen Straftat festgenommen (siehe Nrn. 129 und 168 der Anlage).

  1. Welchem Phänomenbereich der politisch motivierten Kriminalität wurden die unter Frage 1 erfragten Straftaten zugeordnet, wenn ein Tatverdächtiger bzw. Täter ermittelt werden konnte, wenn kein Tatverdächtiger bzw. Täter ermittelt werden konnte sowie dann, wenn es sich um säkularen auslandsbezogenen Extremismus handelte? (Bitte auflisten nach Anzahl der Fälle, Phänomenbereich und Straftatbestand)

In den Fällen, in denen ein Tatverdächtiger ermittelt werden konnte, wurden die Straftaten den folgenden Phänomenbereichen zugeordnet:

 

PMK-Rechts: 114 Straftaten
PMK-nicht zuzuordnen: 1 Straftat
PMK-Links: 1 Straftat
PMK-Religiöse Ideologie: 3 Straftaten
PMK-Ausländische Ideologie: 4 Straftaten.

 

In den Fällen in denen kein Tatverdächtigter ermittelt werden konnte, wurden die Straftaten den folgenden Phänomenbereichen zugeordnet:

 

PMK-Rechts: 142 Straftaten
PMK-Nicht zuzuordnen: 4 Straftaten
PMK-Links: 3 Straftaten
PMK-Religiöse Ideologie: keine Straftat
PMK-Ausländische Ideologie: 4 Straftaten.

 

Weitergehende Daten bitte ich der Anlage zu entnehmen.

  1. Wie viele eingeleitete Ermittlungsverfahren, Anklagen, Verurteilungen und Einstellungen von Ermittlungen bzw. von Verfahren (bitte jeweils mit Begründung) gab es im Jahre 2020 im Zusammenhang mit antisemitischen Straftaten?

Durch die Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen wurde in allen in der Antwort zu Frage 1 aufgezählten Fällen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Wegen antisemitischer Straftaten kam es im Jahr 2020 bei nordrhein-westfälischen Staatsanwaltschaften in 580 Fällen zur Einleitung von Ermittlungsverfahren, in 106 Fällen zur Erhebung der öffentlichen Klage bzw. Beantragung eines Strafbefehls, in 48 Fällen zu einer Verurteilung und in 401 Fällen zur Einstellung von Ermittlungsverfahren. Grund für die Einstellung war in 140 Fällen, dass ein Tatverdächtiger nicht ermittelt werden konnte. Die Differenz zu den polizeilich eingeleiteten Ermittlungsverfahren erklärt sich durch ein anderes Erfassungssystem der Landesjustiz.

  1. Welche Anstrengungen hat die Landesregierung 2020 auf Bundesebene unternommen, damit zukünftig politische Straftaten, bei denen weder Tatverdächtige noch Täter ermittelt werden können, korrekt unter „PMK-Nicht zuzuordnen“ eingestuft werden?

Die statistische Erfassung „politisch motivierter Kriminalität“ (PMK) erfolgt bundesweit einheitlich auf der Grundlage des im Jahr 2001 von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder beschlossenen Definitionssystems „Politisch motivierte Kriminalität“. Die aktuellen Bewertungskriterien über die Zuordnung von Straftaten zu Phänomenbereichen der PMK werden als sach- und fachgerecht angesehen.

 

Antwort samt Anlagen als PDF