Flüchtlingsfeindliche Straftaten in NRW im Jahre 2020

Kleine Anfrage
vom 12.01.2021

Kleine Anfrage 4811der Abgeordneten Gabriele Walger-Demolsky und Markus Wagner vom 12.01.2021

 

Flüchtlingsfeindliche Straftaten in NRW im Jahre 2020

Eine Anfrage zum Themenkomplex „Flüchtlingsfeindliche Straftaten“ ergab, dass es im Jahre 2018 insgesamt 154 entsprechende Straftaten gegeben hat, davon 27 Gewaltdelikte.1 Hierbei ist zu bedenken, dass die Einstufung als „flüchtlingsfeindliche Straftat“ zum damaligen Zeitpunkt sehr weitreichend ausgelegt wurde. So zählten dazu auch Straftaten gegen geplante oder im Bau befindliche Einrichtungen, die der Unterbringung von Flüchtlingen dienen sollten, sowie solche, die sich gegen Organisationen richteten, welche sich unmittelbar für die Belange von Flüchtlingen ein-setzen.

In 150 dieser Fälle wurden diese Straftaten dem Phänomenbereich PMK-Rechts zugeordnet. Allerdings konnten nur 80 Tatverdächtige ermittelt werden.

Eine Kleine Anfrage für das Berichtsjahr 2019 hat ergeben, dass sich die Anzahl entsprechender Straftaten auf 223 Fälle erhöht hat. Dabei konnten 142 Tatverdächtige ermittelt werden. Bei 100 Straftaten konnte kein Täter eruiert werden.2

Ziel der Anfrage für das Berichtsjahr 2020 ist es, eine differenziertere Aufschlüsselung der Straftaten zu erhalten als sie für das Berichtsjahr 2019 vorliegt. So gilt es, die Anzahl der eingeleiteten Ermittlungsverfahren, der Anklagen, der Verurteilungen und der Einstellungen von Ermittlungen bzw. von Verfahren darzulegen. Zu diesen unterschiedlichen Bereichen konnte die Landesregierung für das Berichtsjahr 2019 – anders als z.B. bei antisemitischen Straftaten – keine weitergehenden Angaben machen.3 Auch die wichtige Frage, ob im konkreten Fall Menschen direkt angegriffen wurden und zu Schaden kamen oder ob beispielsweise die Straftat gegen eine im Bau befindliche Unterkunftseinrichtung gerichtet war, konnte die Landesregierung nicht beantworten. Eine genaue Lagebeurteilung wird so zumindest erschwert.4

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Wie viele Straftaten wurden im Jahre 2020 gegen Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen verzeichnet? (bitte jeweils nach (a) gegen Flüchtlingsunterkünfte bzw. von Flüchtlingen bewohnte Wohnungen, (b) gegen geplante bzw. im Bau befindliche Flüchtlingsunterkünfte, (c) gegen Flüchtlinge bzw. Asylsuchende außerhalb ihrer Unterkunft bzw. Wohnung und (d) gegen Einrichtungen, die sich unmittelbar für die Belange von Flüchtlingen einsetzen, sowie Anzahl der verletzten Personen, Ort und Datum aufschlüsseln)
  2. Bei wie vielen der unter Frage 1 erfragten Straftaten konnte ein Täter ermittelt bzw. festgenommen werden? (Bitte einzeln nach Straftatbestand, Nationalität, Alter und Geschlecht auflisten)
  3. In welche Phänomenbereiche der politisch motivierten Kriminalität fallen die unter Frage 1 erfragten Straftaten in Fällen, in denen ein Täter ermittelt werden konnte, sowie in Fällen, in denen kein Täter ermittelt werden konnte?
  4. Auf welcher Erkenntnisgrundlage erfolgte im letzteren Fall die konkrete Zuordnung? (Bitte einzeln auflisten)
  5. Wie viele eingeleitete Ermittlungsverfahren, Anklagen, Verurteilungen und Einstellungen von Ermittlungen bzw. von Verfahren (bitte jeweils mit Begründung) gab es im Jahre 2020 im Zusammenhang mit flüchtlingsfeindlichen Straftaten?

Gabriele Walger-Demolsky
Markus Wagner

 

Anfrage als PDF

 

1 Vgl. Lt.-Drucksache 17/5341

2 Vgl. Lt.-Drucksache 17/8691

3 Vgl. Lt.-Drucksache 17/8691; Frage 5

4 Vgl. Lt.-Drucksache 17/8691; Frage 1


Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 4811 mit Schreiben vom 16. Februar 2021 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Justiz beantwortet.

Vorbemerkung der Landesregierung

Die statistische Erfassung „Politisch motivierter Kriminalität“ (PMK) erfolgt bundesweit einheitlich auf der Grundlage des im Jahr 2001 von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder beschlossenen Definitionssystems „Politisch motivierte Kriminalität“.

Der PMK werden demnach Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie

  • den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richten.
  • sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesensmerkmale, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben.
  • durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden.
  • gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status gerichtet sind und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet.

Darüber hinaus gehören Straftaten gemäß §§ 80a-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102-104a, 105­108e, 109-109h, 129a, 129b, 130, 234a oder 241a StGB als Staatsschutzdelikte zur PMK, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festgestellt werden kann.

Politisch motivierte Straftaten werden hinsichtlich des Begründungszusammenhangs (Motiv) einem oder mehreren Themenfeldern zugeordnet.

Datenquelle zur Beantwortung der Fragen ist der Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen der Politisch motivierten Kriminalität (KPMD-PMK).

Der Fallzahlenabgleich mit dem Bundeskriminalamt ist für das Jahr 2020 noch nicht abgeschlossen. Der Abschluss erfolgt grundsätzlich jährlich zum Ende des Monats Februar. Demnach kann es noch zu geringfügigen Abweichungen kommen, weshalb die nachfolgend angegebenen Fallzahlen für das Jahr 2020 als vorläufige Zahlen zu betrachten sind.

  1. Wie viele Straftaten wurden im Jahre 2020 gegen Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen verzeichnet? (bitte jeweils nach (a) gegen Flüchtlingsunterkünfte bzw. von Flüchtlingen bewohnte Wohnungen, (b) gegen geplante bzw. im Bau befindliche Flüchtlingsunterkünfte, (c) gegen Flüchtlinge bzw. Asylsuchende außerhalb ihrer Unterkunft bzw. Wohnung und (d) gegen Einrichtungen, die sich unmittelbar für die Belange von Flüchtlingen einsetzen, sowie Anzahl der verletzten Personen, Ort und Datum aufschlüsseln)

Im Jahr 2020 wurden im KPMD-PMK 284 flüchtlingsfeindliche Straftaten erfasst. Dabei wurden 16 Personen verletzt.

Weitergehende Daten bitte ich der Anlage zu entnehmen.

Eine Erhebung zu den weiteren konkret nachgefragten Daten erfordert eine manuelle Auswertung jedes einzelnen Verfahrens und ist in dem für die Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeitraum nicht möglich.

  1. Bei wie vielen der unter Frage 1 erfragten Straftaten konnte ein Täter ermittelt bzw. festgenommen werden? (Bitte einzeln nach Straftatbestand, Nationalität, Alter und Geschlecht auflisten)

Im Jahr 2020 wurden zu den in der Antwort auf Frage 1 dargestellten Fällen insgesamt 183 Tatverdächtige erfasst.

Weitergehende Daten bitte ich der Anlage zu entnehmen.

  1. In welche Phänomenbereiche der politisch motivierten Kriminalität fallen die unter Frage 1 erfragten Straftaten in Fällen, in denen ein Täter ermittelt werden konnte, sowie in Fällen, in denen kein Täter ermittelt werden konnte?

In den 157 Fällen, in denen ein Tatverdächtiger ermittelt werden konnte, wurden die Straftaten den folgenden Phänomenbereichen zugeordnet:

  • PMK-Rechts: 151 Straftaten
  • PMK-Nicht zuzuordnen: 3 Straftaten
  • PMK-Religiöse Ideologie: 1Straftat
  • PMK-Ausländische Ideologie: 2 Straftaten.

In den Fällen, in denen kein Tatverdächtigter ermittelt werden konnte, wurden die Straftaten den folgenden Phänomenbereichen zugeordnet:

  • PMK-Rechts: 120 Straftaten
  • PMK-Nicht zuzuordnen: 5 Straftaten
  • PMK-Religiöse Ideologie: 1 Straftat
  • PMK-Ausländische Ideologie: 1 Straftat.

Weitergehende Daten bitte ich der Anlage zu entnehmen.

  1. Auf welcher Erkenntnisgrundlage erfolgte im letzteren Fall die konkrete Zuordnung? (Bitte einzeln auflisten)

Die Zuordnung jeder einzelnen Straftat als „flüchtlingsfeindlich“ erfolgt, wenn für die Sachbearbeiterin/den Sachbearbeiter nach Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen eine Person wegen ihrer/ihres zugeschriebenen oder tatsächlichen Aufenthaltsstatus (Asylbewerber/Flüchtling) gerichtet ist und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet.

  1. Wie viele eingeleitete Ermittlungsverfahren, Anklagen, Verurteilungen und Einstellungen von Ermittlungen bzw. von Verfahren (bitte jeweils mit Begründung) gab es im Jahre 2020 im Zusammenhang mit flüchtlingsfeindlichen Straftaten?

Durch die Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen wurde in allen in der Antwort zu Frage 1 aufgezählten Straftaten ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Soweit es den Bereich der Justiz betrifft, liegen die zur Beantwortung erforderlichen zahlen nicht vor und können innerhalb der Frist zur Beantwortung einer Kleinen Anfrage auch nicht mit vertretbarem Aufwand beschafft werden. Ermittlungsverfahren wegen flüchtlingsfeindlicher Straftaten werden in den Statistiken und Datenbanken der Justiz nicht gesondert erfasst. Eine Erhebung der Daten würde daher eine Einzelauswertung der Akten aller in Betracht kommenden Verfahren erfordern.

 

Antwort samt Anlagen als PDF