Zahlenraten beim Verfassungsschutz

Kleine Anfrage
vom 25.02.2021

Kleine Anfrage 5045des Abgeordneten Markus Wagner 25.02.2021

 

Zahlenraten beim Verfassungsschutz

Die Landesregierung teilt in ihrer Antwort auf die Große Anfrage 29 der Fraktion der AfD, Drs. 17/12264, auf die Fragen 24 und 25 mit:

„Wie bereits in der Sitzung des Innenausschusses vom 19.03.2020 vor-getragen (sic!), ist erster Ausgangspunkt für eine Zuordnung die Unterzeichnung der „Erfurter Resolution“. Darüber hinaus werden andere öffentliche Erkenntnisse und beobachtete Aktivitäten zugrunde gelegt, die eine Zuordnung zum „Flügel“ ermöglichen. Ausschlaggebend ist dabei primär ein Bekenntnis zum „Flügel“ durch ausdrückliche Unterstützung in Form von Redebeiträgen, Verfassen von Manuskripten, Unterzeichnung von Aufrufen sowie durch Beiträge und Kommentare in Internet-Publikationen.

(…)

Unabhängig von der durch den „Flügel“ artikulierten Selbstauflösung bestehen bei einem fortgesetzt agierenden Zusammenschluss von Personen aus dem ehemaligen „Flügel“ weiterhin tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht auf Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des § 3 Absatz 1 VSG NRW.“

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Welche Aussagen der „Erfurter Resolution“ verstoßen nach Auffassung des Verfassungsschutzes gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung? (Bitte etwaige Aussagen explizieren und die vermeintlichen Verstöße herleiten.)
  2. Ist der Akt des Unterzeichnens der Erfurter Resolution an sich nach Auffassung des Verfassungsschutzes eine extremistische Handlung bzw. ein Hinweis auf eine extremistische Gesinnung?
  3. Haben 1000 personenscharf identifizierte Mitglieder der AfD NRW ein Bekenntnis zum „Flügel“ durch ausdrückliche Unterstützung in Form von Redebeiträgen, Verfassen von Manuskripten, Unterzeichnung von Aufrufen sowie durch Beiträge und Kommentare in Internet-Publikationen abgelegt? (Bitte jedes Mitglied in anonymisierter Form auflisten.)
  4. Woher weiß der Verfassungsschutz, dass Personen, die ein Bekenntnis zum „Flügel“ durch ausdrückliche Unterstützung in Form von Redebeiträgen, Verfassen von Manuskripten, Unterzeichnung von Aufrufen sowie durch Beiträge und Kommentare in Internet-Publikationen abgelegt haben, zugleich (noch oder jemals) Mitglieder der AfD NRW (gewesen) sind?
  5. Wie äußern sich die vermeintlichen gemeinschaftlichen Bestrebungen der dem aufgelösten Zusammenschluss „Flügel“ zugerechneten Mitglieder der AfD NRW gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung konkret in der Gegenwart nach der Auflösung des „Flügels“?

Markus Wagner

 

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Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 5045 mit Schreiben vom 30. März 2021 namens der Landesregierung beantwortet.

  1. Welche Aussagen der „Erfurter Resolution“ verstoßen nach Auffassung des Verfassungsschutzes gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung? (Bitte etwaige Aussagen explizieren und die vermeintlichen Verstöße herleiten.)

Die „Erfurter Resolution“ enthält für sich genommen keine Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.

  1. Ist der Akt des Unterzeichnens der Erfurter Resolution an sich nach Auffassung des Verfassungsschutzes eine extremistische Handlung bzw. ein Hinweis auf eine extremistische Gesinnung?

Die „Erfurter Resolution“ ist das zentrale Gründungsdokument des rechtsextremistischen Personenzusammenschlusses „Der Flügel“. Insofern stellt eine Unterzeichnung einen Hinweis dar, dass der Unterzeichnende sich dem rechtsextremistischen Personenzusammenschluss zugehörig fühlt.

  1. Haben 1000 personenscharf identifizierte Mitglieder der AfD NRW ein Bekenntnis zum „Flügel“ durch ausdrückliche Unterstützung in Form von Redebeiträgen, Verfassen von Manuskripten, Unterzeichnung von Aufrufen sowie durch Beiträge und Kommentare in Internet-Publikationen abgelegt? (Bitte jedes Mitglied in anonymisierter Form auflisten.)

Bei der Zahl 1.000 handelt es sich um das Personenpotenzial, das der Verfassungsschutz dem „Flügel“ in Nordrhein-Westfalen zuordnet. Wie bei anderen rechtsextremistischen Gruppierungen auch, z. B. der Neonaziszene, handelt es sich nicht zwangsläufig um personenscharf identifizierte Mitglieder, sondern um ein Potenzial, das mit Hilfe verschiedener Indikatoren ermittelt wird.

Das Verwaltungsgericht Berlin hat in seiner Entscheidung über die Eilanträge der AfD gegen den Verfassungsschutzbericht des Bundes über das Jahr 2019 deutlich gemacht, dass die dort veröffentlichten Zahlen zu Mitgliedern des „Flügels“ auf Äußerungen von AfD- und „Flügel“-Funktionären selbst beruhen (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 28.05.2020, Az. VG 1 L 97/20, bestätigt durch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.06.2020, Az. OVG 1 S 56/20). Diese lassen den Schluss zu, dass bundesweit mindestens 20% der AfD-Mitglieder dem „Flügel“ zugerechnet werden. Wie das Bundesamt für Verfassungsschutz geht auch der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz von einem Anteil von 20 Prozent aus. Für Nordrhein-Westfalen hat beispielsweise eine Durchsicht der öffentlich bekannten AfD-Kreisvorstände ergeben, dass im Jahr 2020 20% dem „Flügel“ zugerechnet werden. Auch anhand dieser Anhaltspunkte geht der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz davon aus, dass 20% der Mitglieder des AfD-Landesverbandes in Nordrhein-Westfalen dem „Flügel“ zuzurechnen sind. Ausgehend von den vorliegenden Erkenntnissen, nach denen die AfD in Nordrhein-Westfalen etwa 5.000 Mitglieder hat, entspricht dies einer Zahl von etwa 1.000 „Flügel“-Anhängern.

  1. Woher weiß der Verfassungsschutz, dass Personen, die ein Bekenntnis zum „Flügel“ durch ausdrückliche Unterstützung in Form von Redebeiträgen, Verfassen von Manuskripten, Unterzeichnung von Aufrufen sowie durch Beiträge und Kommentare in Internet-Publikationen abgelegt haben, zugleich (noch oder jemals) Mitglieder der AfD NRW (gewesen) sind?

Der Verfassungsschutz nutzt öffentlich verfügbare Erkenntnisse. Dazu zählen beispielsweise die von AfD-Kreisverbänden im Internet veröffentlichten Kreisvorstände.

  1. Wie äußern sich die vermeintlichen gemeinschaftlichen Bestrebungen der dem aufgelösten Zusammenschluss „Flügel“ zugerechneten Mitglieder der AfD NRW gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung konkret in der Gegenwart nach der Auflösung des „Flügels“?

Nachdem „Der Flügel“ im März 2020 bundesweit durch den Verfassungsschutz als extremistische Bestrebung eingestuft wurde, forderte der AfD-Bundesvorstand, dass sich „Der Flügel“ bis Ende April 2020 auflösen solle. Dem kamen die Führungsleute des Flügels scheinbar nach und stellten sämtliche öffentlichkeitswirksame Aktivitäten des Personenzusammenschlusses zum 30. April 2020 ein. Insbesondere wurde deren Webseite vom Netz genommen. Zugleich erklärte jedoch die Führungsperson des Flügels, Björn Höcke, in einem Interview mit der rechtsextremistischen Zeitschrift Sezession am 21. März 2020 die „Historisierung“ der Gruppierung, da diese inzwischen integraler Bestandteil der Partei sei und ihre Agenda innerhalb der AfD weiterverfolgen werde: „Unsere Arbeit weist über den Flügel hinaus, Andreas Kalbitz, ich selbst und alle anderen politikfähigen „Flügler“ werden ihren politischen Kurs im Sinne der AfD weiterführen.“ Tatsächlich hat sich „Der Flügel“ in geschlossene Gruppen sozialer Netzwerke verlagert.

 

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Beteiligte:
Markus Wagner