Kleine Anfrage 66
der Abgeordneten Markus Wagner und Prof. Dr. Daniel Zerbin vom 30.06.2022
Massenschlägerei in Essen zwischen Clanmitgliedern
Am Samstagabend des 25. Juni 2022 kam es in Essen-Altendorf vor dem türkischen Restaurant „Tava“ zu einer Massenschlägerei zwischen zwei rivalisierenden Familienclans. Daran waren mutmaßlich Clan-Kriminelle arabischer, türkischer und syrischer Nationalität beteiligt. Die Polizei war mit einem Großaufgebot vor Ort, um die Eskalation, an der mehrere hundert Personen beteiligt waren, zu beenden. Ein 30-jähriger türkisch-syrisch-stämmiger Essener wurde laut Bild-Zeitung mit einem Messer lebensgefährlich am Hals verletzt. Gegen einen ebenfalls 30-jährigen mit bisher unklarer Staatsangehörigkeit lag ein Haftbefehl wegen Raubes vor.
Am darauf folgenden Sonntag gab es über den Tag verteilt weitere Ansammlungen von rund 30 Personen. Gegen Abend sei die Menge auf circa 100 Personen angewachsen und es kam erneut zu einer Schlägerei.1
Wir fragen die Landesregierung:
- Wie ist der Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu dem oben genannten Vorfall? (Bitte Tatverdächtige, Tathergang, Vorstrafen der Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften der Tatverdächtigen, Vornamen deutscher Tatverdächtiger und sonstige polizeilichen Erkenntnisse über die Tatverdächtigen nennen)
- Warum wurde der gegen den 30-jährigen türkisch-syrisch-stämmigen Essener ausgestellte Haftbefehl wegen Raubes bisher noch nicht vollstreckt?
- Wie hoch ist das Personenpotential, welches den unterschiedlichen Clans in Essen zugerechnet werden kann? (Bitte nach Clannamen oder -bezeichnung aufschlüsseln)
- Inwieweit wurde oder wird das türkische Restaurant „Tava“ beziehungsweise dessen räumliches Umfeld als „gefährlicher“ respektive „verrufener“ Ort durch die Kreispolizeibehörde eingestuft?
- Bei wie vielen Clankriminellen aus Essen wurden in den letzten fünf Jahren aufenthaltsbeendende Maßnahmen eingeleitet? (Bitte die Einzelfälle aufschlüsseln.)
Markus Wagner
Prof. Dr. Daniel Zerbin
Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 66 mit Schreiben vom 27. Juli 2022 im Einvernehmen mit der Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration sowie dem Minister der Justiz namens der Landesregierung beantwortet.
- Wie ist der Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu dem oben genannten Vorfall? (Bitte Tatverdächtige, Tathergang, Vorstrafen der Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften der Tatverdächtigen, Vornamen deutscher Tatverdächtiger und sonstige polizeilichen Erkenntnisse über die Tatverdächtigen nennen)
- Warum wurde der gegen den 30-jährigen türkisch-syrisch-stämmigen Essener ausgestellte Haftbefehl wegen Raubes bisher noch nicht vollstreckt?
Die Fragen 1 und 2 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.
Zur Beantwortung der Fragen hat mir das Ministerium der Justiz mit Schreiben vom 12.07.2022 folgende Informationen zur Verfügung gestellt:
„I.
Die Leitende Oberstaatsanwältin in Essen hat dem Ministerium der Justiz unter dem 08.07.2022 zu den Fragen 1 und 2, soweit der justizielle Geschäftsbereich berührt ist, wie folgt berichtet [Personenbezeichnungen wurden anonymisiert]:
‚Dem hier u. a. wegen gefährlicher Körperverletzung vom 25.06.2022 geführten Ermittlungsverfahren, welches auf einer Tumultlage im Essener Stadtteil Altendorf beruht, liegt im Wesentlichen der folgende Sachverhalt zugrunde:
Der Auslöser der Tumultlage ist noch nicht abschließend geklärt. Die bisherigen Ermittlungen bieten Anlass zu der Annahme, dass Ausgangspunkt ein Streit zwischen libanesisch-arabischen Familienangehörigen am späten Nachmittag des 25.06.2022 wegen einer Parkplatzsituation war, an der zunächst nur fünf Personen beteiligt waren. Im Anschluss an diesen Streit soll es zu einem Raubdelikt gekommen sein. Beschuldigt wird der 30-jährige B 1 (Staatsangehörigkeit ungeklärt, mehrfach wegen Eigentums- und Körperverletzungsdelikten vorbestraft), welcher sich aufgrund des Tatvorwurfs des schweren Raubes vom 26.06.2022 bis zum 05.07.2022 in Untersuchungshaft befand. Der Haftbefehl ist mit Beschluss vom 05.07.2022 durch das Amtsgericht Essen mangels dringenden Tatverdachts aufgehoben worden.
Vermutlich aufgrund dieses Vorfalls am Nachmittag kamen am Abend des 25.06.2022 Mitglieder der Familien … in einer Lokalität an der Altendorfer Straße in Essen zusammen. Diese wurden hier von einer größtenteils bislang nicht namentlich bekannten Gruppe [einer weiteren] Familie aufgesucht, wobei der weitere Verlauf des Treffens und der konkrete Beginn der folgenden Auseinandersetzung noch aufzuklären sind.
Fest steht, dass sich im Verlauf des abendlichen Treffens eine körperliche Auseinandersetzung entwickelte, an der nunmehr eine deutlich größere Personenzahl als am Nachmittag beteiligt war (ca. 200 bis 400 [T]eilnehmende …).
Im Rahmen dieser tumultartigen Schlägerei, bei der eine Vielzahl von Messern und Schlagwerkzeugen – wie Baseballschläger, aber auch Tische und Stühle – benutzt worden sein sollen, kam es zu einigen Körperverletzungsdelikten. Herausragend erscheint hierbei die Verletzung des 30-jährigen Geschädigten B 2 (syrische und türkische Staatsangehörigkeit, keine Vorstrafen bekannt), der durch einen Messerstich bzw. -schnitt lebensgefährlich am Hals verletzt wurde. Er wurde im Universitätsklinikum Essen notfallmäßig operiert und konnte am 30.06.2022 wieder entlassen werden. Die Ermittlungen konnten insoweit einen Tatverdacht gegen den 26-jährigen Beschuldigten B 3 (Staatsangehörigkeit ungeklärt, mehrfach wegen Eigentums- und Körperverletzungsdelikten vorbestraft) begründen.
Der B 2 seinerseits wird beschuldigt, den Geschädigten G mit einem Messer am Bauch verletzt zu haben. Auch insoweit dauern die Ermittlungen an. Die Ermittlungen richten sich auch auf den Vorwurf des Landfriedensbruchs, wobei bislang – mit Ausnahme des B 3 – keine Beschuldigten namhaft gemacht werden konnten. Die Auswertung des Videomaterials dauert an.
Soweit es in den folgenden Tagen zu weiteren, deutlich kleineren Tumultlagen kam, sind diesbezüglich bis auf ein Verfahren, welches einen Verstoß gegen das Waffengesetz zum Gegenstand hat (beschuldigt wird insoweit der 25-jährige B 4, deutscher Staatsangehöriger, keine Vorstrafen), bislang keine weiteren Verfahren bei der Staatsanwaltschaft Essen anhängig.‘
II.
Die Generalstaatsanwältin in Hamm hat ihrem Randbericht vom 11.07.2022 zufolge gegen die Sachbehandlung der Leitenden Oberstaatsanwältin keine Bedenken.“
- Wie hoch ist das Personenpotential, welches den unter schiedlichen Clans in Essen zugerechnet werden kann? (Bitte nach Clannamen oder -bezeichnung aufschlüsseln)
Ausweislich des Lagebildes Clankriminalität Nordrhein-Westfalen 2021 erfasste das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen 458 Tatverdächtige, die im Zuständigkeitsbereich der Kreispolizeibehörde Essen wohnhaft sind.
- Inwieweit wurde oder wird das türkische Restaurant „Tava“ beziehungsweise dessen räumliches Umfeld als „gefährlicher“ respektive „verrufener“ Ort durch die Kreispolizeibehörde eingestuft?
Die Frage bezieht sich auf die polizeiliche Befugnisnorm des § 12 Abs. 1 Nr. 2 Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen (PolG NRW). Danach kann die Polizei die zur Feststellung der Identität einer Person erforderlichen Maßnahmen treffen, wenn sich diese an einem Ort aufhält, bei dem Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort Personen Straftaten von erheblicher Bedeutung verabreden, vorbereiten oder verüben, sich dort Personen treffen, die gegen aufenthaltsrechtliche Strafvorschriften verstoßen oder sich dort gesuchte Straftäter verbergen.
Eine Einstufung als Örtlichkeit nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW ist durch das Polizeipräsidium Essen nicht erfolgt. Vielmehr wurden zum Zwecke der erleichterten Identitätsfeststellung im Zeitraum vom 05. bis zum 11.07.2022 für Teilbereiche des Stadtteils Essen-Altendorf Personenkontrollen auf der Grundlage des § 12a Abs. 1 und 2 PolG NRW (sog. Strategische Fahndung) durchgeführt. Außerdem wurden zum Zwecke der Gefahrenabwehr in dem betroffenen Bereich Aufklärungs- und Raumschutzmaßnahmen durchgeführt sowie eine Mobile Wache aufgestellt.
- Bei wie vielen Clankriminellen aus Essen wurden in den letzten fünf Jahren aufenthaltsbeendende Maßnahmen eingeleitet? (Bitte die Einzelfälle aufschlüsseln.)
Zur Beantwortung hat mir das Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration folgenden Beitrag übersandt:
„Eine statistische Erfassung im Sinne der Fragestellung erfolgt nicht.“