Kleine Anfrage 4735des Abgeordneten Andreas Keith vom 10.12.2020
Unfälle durch Nutzung mobiler Endgeräte – „Handy-Blitzer“
Laut Berichterstattung des Verkehrsclubs ADAC e.V. wurde Mitte November 2020 in den Niederlanden ein neues System zur Überführung von sogenannten „Handy-Sündern“ regulär in Betrieb genommen. Auf Grundlage künstlicher Intelligenz kann der neue Blitzer einen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung im Sinne einer Ordnungswidrigkeit „als Kraftfahrer das Handy am Steuer zu nutzen“ identifizieren.1
Nach Angaben des ADACs ist der Einsatz eines solchen Systems in Deutschland aus rechtlichen Gründen nicht möglich.
Im Zusammenhang mit der Einführung wird dargelegt, dass jeder dritte Unfall in den Niederlanden auf Handy-Nutzung am Steuer zurückzuführen ist.
In einer Pressemitteilung vom 25. Februar 2020 lässt Minister Reul wissen, dass im vergangenen Jahr 2019 ein Mensch „wegen der Benutzung des Handys am Steuer“ ums Leben kam.2 Darüber hinaus wird die Ablenkung, unter anderem durch mobile Endgeräte, in der Unfallstatistik der Polizeibehörde NRWs bislang noch gar nicht explizit als Unfallursache erfasst.3
Daher frage ich die Landesregierung:
- Aus welchen rechtlichen oder anderen Gründen ist ein Einsatz von „Handy-Blitzern“ in Deutschland gesetzlich nicht möglich?
- Wie viele Unfälle wurden in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen drei Jahren 2017, 2018 und 2019 außerhalb geschlossener Ortschaften „wegen der Benutzung des Handys am Steuer“ erfasst?
- Wie viele der in Frage 2 genannten Unfälle endeten tödlich?
- Wie viele Fälle der Ordnungswidrigkeit durch Nutzung des Handys am Steuer wurden in den vergangenen drei Jahren 2017, 2018 und 2019 außerhalb geschlossener Ortschaften erfasst?
- Weshalb wird die Ablenkung durch die Nutzung mobiler Endgeräte bislang nicht als Unfallursache in der Unfallstatistik der Polizeibehörde NRWs erfasst?
Andreas Keith
1 Vgl. https://www.adac.de/news/handy-blitzer-niederlande/
2 Vgl. https://polizei.nrw/presse/unfallstatistik-so-wenig-verkehrstote-wie-noch-nie
3 Vgl. https://www1.wdr.de/verkehr/nrw/verkehrsthemen/handy-am-steuer102.html
Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 4735 mit Schreiben vom 5. Januar 2021 namens der Landesregierung beantwortet.
- Aus welchen rechtlichen oder anderen Gründen ist ein Einsatz von „Handy-Blit-zern“ in Deutschland gesetzlich nicht möglich?
Ein Einsatz von sog. Handy-Blitzern ist in Deutschland nicht möglich, da es an einer gesetzlichen Ermächtigungsbefugnis zum Einsatz entsprechender Geräte mangelt.
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung bereits dann vorliegt, wenn ein automatisiertes System eine unbestimmte Zahl von personenbezogenen Daten erfasst, selbst wenn diese nach einem Nichttreffer sogleich gelöscht werden (BVerfG, Beschlüsse vom 18. Dezember 2018 – 1 BvR 142/15 – und 1 BvR 2795/09).
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist der Einschränkung im überwiegenden Allgemeininteresse zugänglich. Diese bedarf jedoch einer gesetzlichen Grundlage, die dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht und verhältnismäßig ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Februar 2007 -1 BvR 2368/06 -, juris Rn. 41). Die konkreten Anforderungen an die Bestimmtheit und Klarheit der Ermächtigung richten sich nach der Art und Schwere des Eingriffs (BVerfG, Urteil vom 11. März 2008 – 1 BvR 2074/05 -).
Vorbehaltlich der konkreten technischen Ausgestaltung sog. Handy-Blitzer dürften diese Ausführungen des BVerfG grundsätzlich auch auf sog. Handy-Blitzer übertragbar sein. Eine diesen Anforderungen genügende Rechtsgrundlage besteht jedoch nicht.
Zudem weist die in den Niederlanden eingesetzte Technik eine nicht näher verifizierbare Fehlerquote auf, da sie die technisch anspruchsvolle Entscheidung treffen muss, ob das fragliche Gerät dem Fahrer zugeordnet werden kann und ob es sich dabei überhaupt um ein elektronisches Gerät (oder etwa ein Getränk/ Nahrungsmittel) handelt.
- Wie viele Unfälle wurden in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen drei Jahren 2017, 2018 und 2019 außerhalb geschlossener Ortschaften „wegen der Benutzung des Handys am Steuer“ erfasst?
- Wie viele der in Frage 2 genannten Unfälle endeten tödlich?
Die Fragen 2 und 3 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.
Die Benutzung von elektronischen Geräten am Steuer ist bislang bundesweit statistisch nicht als Unfallursache definiert. Eine Auswertung für die Jahre 2017 bis 2019 ist demnach in den polizeilichen Auswertesystemen des Landes Nordrhein-Westfalen nicht möglich.
- Wie viele Fälle der Ordnungswidrigkeit durch Nutzung des Handys am Steuer wurden in den vergangenen drei Jahren 2017, 2018 und 2019 außerhalb geschlossener Ortschaften erfasst?
Durch die Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen wurden
im Jahr 2017: 135.037
im Jahr 2018: 142.143 und
im Jahr 2019: 139.602
Verstöße wegen der missbräuchlichen Nutzung eines elektronischen Gerätes beim Führen von Kraftfahrzeugen festgestellt. Eine Differenzierung nach Mobiltelefonen oder anderem elektronischen Gerät erfolgt nicht. Eine Erfassung der Verstöße nach Ortslage ist nicht vorgesehen.
- Weshalb wird die Ablenkung durch die Nutzung mobiler Endgeräte bislang nicht als Unfallursache in der Unfallstatistik der Polizeibehörde NRWs erfasst?
Die Ergänzung des bundeseinheitlichen Unfallursachenkataloges wurde bereits initiiert. Eine Kataloganpassung bedarf bundesweiter Abstimmungsprozesse.
Für Verkehrsunfälle ab dem 01.01.2021 wird es zwei neue Unfallursachen geben:
05 – Ablenkung im Sinne des § 23 Abs. 1a StVO (elektronisches Gerät)
06 – Ablenkung in anderen Fällen.