Antragder Fraktion der AfD vom 12.03.2019
Keine Sonderregelungen durch einen „Spurwechsel-Erlass“ des Integrationsministers in Nordrhein-Westfalen.
I. Ausgangslage
Gemäß übereinstimmenden Berichten des Kölner Stadtanzeigers und der WAZ vom 06.03.2019 sollen per Erlass an die Ausländerbehörden durch den Integrationsminister Joachim Stamp zukünftig Abweichungen vom Aufenthaltsgesetz angeordnet werden.1,2 Gemäß § 60 sowie § 60 a des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) sind Gründe festgelegt, die ein Verbot der Abschiebung bzw. eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) begründen. Abweichend von dieser per Definition bundesweit gültigen Gesetzesregelung, sind gemäß der Ankündigung des Integrationsministers Sonderregelungen für das Land Nordrhein-Westfalen vorgesehen. Ein entsprechender Erlass solle in Kürze vorgestellt werden.
Gegenüber dem Kölner Stadtanzeiger führte der Minister aus:
„Wer seit drei Jahren bei uns lebt, am Arbeitsmarkt Fuß gefasst hat, unsere Sprache lernt und straffrei geblieben ist, soll einen Aufenthaltsstatus auf Probe erhalten, der nach zwei weiteren Jahren in einen unbefristeten Aufenthaltsstatus münden könnte und die Einbürgerung ermöglicht […], „Menschen, die sehr gut integriert sind, weiter im Schwebezustand zu halten oder abzuschieben, ist menschlich nicht in Ordnung und volkswirtschaftlich falsch.“
Dem letzten „Sachstandsbericht staatliches Asylsystem“ vom 01.12.20183 folgend halten sich in Nordrhein-Westfalen aktuell 70.856 ausreisepflichtige Personen auf – davon 54.307 Personen mit einer Duldung.
Der geplante Erlass zeigt erneut deutlich die fatalen Folgen der Asyl- und Flüchtlingspolitik der Bundes- und der Landesregierung auf. Offene Grenzen, ein Ignorieren der Dublin III-Verordnung bis zum heutigen Tag, eine auf europäischer Ebene sehr großzügige Versorgung durch den Sozialstaat, insbesondere beim Kindergeld und ein weltweit einzigartiger individueller Anspruch auf Asyl verbunden mit einem umfangreichen Klagerecht haben Deutschland in eine missliche Lage manövriert. Wer Deutschland erst einmal erreicht hat – was das Ziel ist fast aller „Flüchtlinge, die europäischen Boden betreten –, wird, bedingt durch die deutsche und speziell europäische Gesetzgebung und Rechtsprechung, das Land tendenziell kaum mehr verlassen.
Unter diesen Gesichtspunkten wirkt ein „Spurwechsel“ wie ein Eingeständnis des Scheiterns. Schlimmer noch, wird auch aktuell wenig unternommen die Probleme zu lösen. Noch immer kommen monatlich ca. 15.000 Asylbewerber nach Deutschland – fast allesamt eingereist über sichere Drittstaaten, was gemäß Dublin-III-Verordnung nicht vorgesehen ist. Aktuelle Zahlen des BAMF belegen, dass Deutschland auch 2018 ähnlich viele Asylbewerberzugänge zu verzeichnen hatte wie Australien, Neuseeland, Kanada und die Vereinigten Staaten zusammen. Beim Vergleich der EU-Staaten sollten gemäß Dublin-III-Verordnung in dieser Statistik die Erstzutrittsstaaten eindeutig an der Spitze liegen. Das Gegenteil ist der Fall. Griechenland, Italien und Spanien haben zusammen weniger Asylbewerberzugänge als Deutschland.4
Mit dem geplanten Erlass soll zukünftig nachträglich die staatlicherseits geduldete illegale Einreise in Nordrhein-Westfalen legalisiert werden. Zuwanderung und Asyl werden noch weiter vermischt, was zusätzliche Anreize schaffen wird nach Deutschland zu kommen – teilweise auch unter Einsatz des Lebens. Zu befürchten steht eine weitere generelle Aufweichung des Aufenthaltsrechts, u.a. weil der Begriff „am Arbeitsmarkt Fuß gefasst“ schwammig und im Sinne der Betroffenen dehnbar sowie durch weitere Erlasse veränderbar ist. Es ist rätselhaft, warum der Integrationsminister die Gesetzgebungsverfahren im Bund zum „Gesetz über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung“ sowie zum „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ nicht abwarten kann und im Gegenteil gleichzeitig Sonderregelungen für Nordrhein-Westfalen schaffen muss – verbunden mit der Aushebelung eines Bundesgesetzes. Es ist auf Bundesebene vorgesehen, dass die beiden Gesetzentwürfe am 01.01.2020 in Kraft treten.
II. Der Landtag stellt fest:
1. Durch den geplanten Erlass des Integrationsministers wird die Zuständigkeit des Bundes in dieser Frage ausgehebelt und eine unterschiedliche Rechtslage innerhalb Deutschlands geschaffen.
2. Der geplante Erlass hat eine erhebliche Tragweite auf Bundesebene und führt zu Implikationen in anderen Bundesländern.
3. Der geplante Erlass ist durch seine Einmischung in Bundesrecht geeignet, das Verhältnis zu anderen Bundesländern negativ zu beeinträchtigen.
4. Der Begriff „am Arbeitsmarkt Fuß gefasst“ ist – bezüglich der Art des Arbeitsverhältnisses, der Wochenarbeitszeit sowie des versicherungspflichtigen Jahreseinkommens – sehr ungenau formuliert.
5. Der geplante Erlass greift zudem in das Staatsbürgerschaftsrecht ein. Auch hierbei handelt es sich um eine Einmischung in Bundesangelegenheiten.
6. Unabhängig von einem Beschäftigungsverhältnis und einer Straffreiheit werden keine Voraussetzungen zur Erlangung der Staatsbürgerschaft genannt. Das ist als Grundlage nicht ausreichend.
7. Der durch diesen Erlass anvisierte „Spurwechsel“ ist gleichbedeutend mit einem Eingeständnis, dass die Landesregierung im Bereich der Abschiebungen – trotz Abschiebezahlen über dem Bundesdurchschnitt – gescheitert ist.
8. Durch eine Sonderregelung in Nordrhein-Westfalen besteht die Gefahr, dass eigentlich ausreisepflichtige, aber geduldete Personen, innerhalb Deutschlands ihren Wohnsitz nach Nordrhein-Westfalen verlegen, um einer potentiellen Abschiebung zu entgehen.
III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
1. die Gesetzgebungsverfahren im Bund zum „Gesetz über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung“ sowie zum „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ abzuwarten und nicht mit Sonderregelungen für Nordrhein-Westfalen diese Gesetzgebungsverfahren zu konterkarieren;
2. sich aktiv am Gesetzgebungsverfahren über Initiativen im Bundesrat zu beteiligen;
3. sich in diesem Zusammenhang für eine strikte Trennung von qualifizierter Zuwanderung und einem – in der Regel temporär angelegten – humanitären Schutz einzusetzen;
4. sich auf allen Ebenen dafür einzusetzen, die Anzahl der Rückführungen von Ausreisepflichtigen aber geduldeten Personen deutlich zu erhöhen.
Markus Wagner
Gabriele Walger-Demolsky
Andreas Keith
und Fraktion
3 Vgl. Vorlage 17/1480