Entschließungsantragder AfD-Fraktion vom 15.03.2021
Deutschland. Aber normal.
Grundrechte und Föderalismus bewahren, Viertes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite ablehnen
zur Unterrichtung durch die Landesregierung am 15. April 2021
I. Ausgangslage
Dem Bundesrat wird mit hoher Wahrscheinlichkeit in Kürze der Entwurf des Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (Viertes Bevölkerungsschutzgesetz) zur Beratung und Beschlussfassung vorgelegt werden. Das am 13. April 2021 von der Bundesregierung gebilligte Gesetz, das in einem Eilverfahren bereits am 16. April 2021 das erste Mal vom Deutschen Bundestag beraten werden wird, sieht umfangreiche Änderungen des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) vor, darunter:
- In Landkreisen und Städten mit einer „Sieben-Tage-Inzidenz“ von mehr als 100 gilt bundesweit eine nächtliche Ausgangssperre von 21 Uhr bis 5 Uhr.
- In Landkreisen und Städten mit einer „Sieben-Tage-Inzidenz“ von mehr als 100 gilt bundesweit ein allgemeines Kontaktverbot im privaten wie öffentlichen Raum; es sind nur noch private Zusammenkünfte eines Haushalts mit höchstens einer weiteren Person gestattet.
- In Landkreisen und Städten mit einer „Sieben-Tage-Inzidenz“ von mehr als 100 werden bundesweit Freizeit-, Kultur- und Sporteinrichtungen sowie Gastronomie, Hotellerie und Einzelhandel weitestgehend geschlossen. Insbesondere für Modellversuche zur Öffnung (z.B. durch die Ausweitung von Tests), so wie sie auch in NRW geplant sind, sieht das Gesetz keine Ausnahmeregelung vor, sodass diese Modellversuche eingestellt werden müssten.
- In Landkreisen und Städten mit einer „Sieben-Tage-Inzidenz“ von mehr als 100 wird bundesweit der Friseurbesuch davon abhängig gemacht, dass Kunden ein negatives Corona-Testergebnis vorlegen, das nicht älter als 24 Stunden ist.
- Schüler und Lehrer müssen unabhängig von der „Sieben-Tage-Inzidenz“ zwei Mal wöchentlich auf das Coronavirus getestet werden, ehe sie am Präsenzunterricht teilnehmen dürfen. In Landkreisen und Städten mit einer „Sieben-Tage-Inzidenz“ von mehr als 200 wird bundesweit der Präsenzunterricht an Schulen untersagt.
- Die Bundesregierung wird pauschal ermächtigt, durch Rechtsverordnung weitergehende Maßnahmen zu erlassen, wenn die „Sieben-Tage-Inzidenz“ den Wert von 100 überschreitet. Es ist hierbei ausdrücklich vorgesehen, dass die Bundesregierung auch eine Ungleichbehandlung von Geimpften und Ungeimpften durch Erleichterungen für die erstere Gruppe einführen kann. Die Ermächtigung der Regierung wird von einer Zustimmung durch Bundesrat und Bundestag abhängig gemacht, allerdings gilt die Zustimmung des Bundestages als erteilt, wenn dieser nicht innerhalb von sieben Tagen nach Vorlage einer Rechtsverordnung widerspricht.
- Verstöße gegen diese Maßnahmen (mit Ausnahme des Testzwangs für Schüler und Lehrer) werden zu bußgeldbewehrten Ordnungswidrigkeiten erklärt.
- Sämtliche dieser Maßnahmen gelten für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Deutschen Bundestag. Insbesondere werden diese Änderungen, anders als bei den bisherigen Corona-Rechtsverordnun-gen der Landesregierungen, nicht mit einem konkreten Enddatum zeitlich befristet.
Im Vierten Bevölkerungsschutzgesetz sind für das gesamte Bundesgebiet massive Grundrechtseinschränkungen vorgesehen. Insbesondere die Ermächtigung der Bundesregierung zu äußerst weitgehenden Infektionsschutzmaßnahmen eliminiert mit Ausnahme der noch vorgesehenen Zustimmungspflicht für den Bundesrat in der Corona-Politik in Zukunft den Föderalismus weitgehend. Besorgniserregend ist auch die fehlende konkrete zeitliche Befristung des vorgeschlagenen Gesetzes.
Die derzeitige Lage rechtfertigt eine solche Vorgehensweise in keiner Weise. Die Bundesregierung knüpft nicht nur sachwidrig an eine „Sieben-Tage-Inzidenz“ als alleiniges Kriterium für die Auslösung von Maßnahmen an, sondern stellt für diese auch willkürliche Grenzen auf. Es gibt keine wissenschaftliche Basis, aufgrund derer man die Überschreitung eines Schwellenwertes von 100 oder 200 als abrupten Eintritt einer katastrophalen Notlage einstufen könnte. Im Gegenteil: An der „Sieben-Tage-Inzidenz“ lässt sich gar nicht ablesen, wie viele Menschen tatsächlich an Covid-19 erkrankt sind. Nach wie vor verlaufen die meisten Fälle leicht oder sogar symptomfrei. Ebenfalls wird die Aussagekraft der Sieben-Tage-Inzidenz dadurch reduziert, dass es vereinzelt zu falsch-positiven Testungen kommt. Der Direktor des Instituts für Epidemiologie an der Charité Berlin, Professor Dr. Stefan Willich, kritisiert an der Sieben-Tage-Inzidenz daher auch, dass ein „vernünftiger Bezugsrahmen“ fehlt . Trotzdem erhebt die Bundesregierung diese Kennziffer zur einzig relevanten Bezugsgröße für die Vornahme massiver Grundrechtseingriffe.
Hinzu kommt, dass nach wie vor keine Überlastung des Gesundheitssystems droht. Mit Stand vom 13. April 2021 gab es in Nordrhein-Westfalen insgesamt 487 intensivmedizinisch behandelte Covid-19-Fälle. Dem gegenüber steht eine freie Bettenkapazität von 638 sowie eine Not-fallreserve von 2.414. Selbst wenn sich die Zahl der intensivmedizinisch zu behandelnden Covid-19-Fälle versechsfachen würde, wären die zur Verfügung stehenden oder kurzfristig aktivierbaren Bettenkapazitäten also nicht ausgeschöpft. Die Fallsterblichkeitsrate beim Coronavirus liegt in Deutschland noch immer bei rund zwei Prozent.
Nach mehr als fünf Monaten Lockdown ist eine derartige Selbstermächtigung des Bundes eine weitere unerträgliche Zumutung für die Grundrechte der Bürger und das föderale System Deutschlands. Dies sehen nicht nur die Antragsteller so: Beispielsweise kritisierte Christian Rickens im Handelsblatt, dass nächtliche Ausgangssperren „ein Schritt zurück in den Obrigkeitsstaat“ seien und die Bundesregierung das rechtsstaatliche Maß verliere. Ob Maßnahmen wie nächtliche Ausgangssperren überhaupt dem Infektionsschutz zuträglich sind, wird auch in der Wissenschaft bezweifelt: Insbesondere die damit einhergehende Verkürzung von Einkaufs- und Reisezeiten kann beispielsweise dazu führen, dass sich mehr Menschen in kürzeren Zeiträumen in Supermärkten oder öffentlichen Verkehrsmitteln zusammendrängen.
Das Vierte Bevölkerungsschutzgesetz erlaubt keine landesspezifischen Differenzierungen mehr und beseitigt jeglichen Wettbewerb der Länder, wenn es darum geht, das beste Konzept in der Corona-Politik zu finden. Modellversuche zur Wiederaufnahme des normalen gesellschaftlichen Lebens im Rahmen einer Teststrategie werden durch das Gesetz ab Überschreiten entsprechender Inzidenzzahlen beendet; im Falle des Saarlandes wird hierbei sogar der ausdrückliche Wille eines ganzen Bundeslandes missachtet.
Dabei hat gerade der Bund völlig bei der bisherigen Bekämpfung des Coronavirus versagt. Die Tatsache, dass den Bürgern in Deutschland nur im Schneckentempo ein Angebot zur Impfung unterbreitet werden kann, ist maßgeblich darauf zurückzuführen, dass die Bundesregierung die Impfstoffbeschaffung in den Händen der Europäischen Union gelassen hat. Außer einem nicht enden wollenden Lockdown gibt es aus dem Bundeskanzleramt eben keine „Brücke für mehr Perspektive“.
Das Vierte Bevölkerungsschutzgesetz stellt einen weiteren Schritt Richtung Autoritarismus dar und zentralisiert diesen auch noch bundesweit. Das Land Nordrhein-Westfalen muss sich diesem Vorhaben entgegenstellen und seinen Beitrag dazu leisten, dass der Bundesrat Einspruch gegen das Vierte Bevölkerungsschutzgesetz erhebt.
II. Der Landtag stellt fest:
- Die Ernsthaftigkeit des derzeitigen Corona-Infektionsgeschehens lässt sich nicht isoliert anhand der „Sieben-Tage-Inzidenz“ und arbiträr gewählter Schwellenwerte beurteilen. Nach wie vor droht keine Überlastung der Kapazitäten des Gesundheitssystems.
- Deutschland und Nordrhein-Westfalen sind Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten verpflichtet. Zentraler Bestandteil von Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten ist das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Die durch das Vierte Bevölkerungsschutzgesetz vorgeschlagenen bundesweiten Grundrechtseingriffe sind unverhältnismäßig. Eine Bekämpfung des Coronavirus um jeden Preis darf es nicht geben. Insbesondere kann nicht einfach jeder Bürger ohne Beweis wie ein potenzieller Gefährder der Gesundheit Anderer behandelt und ihm seine Autonomie und Fähigkeit zur Eigenverantwortung abgesprochen werden.
- Die im Vierten Bevölkerungsschutzgesetz vorgesehenen Maßnahmen sind auch im Hinblick auf den Infektionsschutz fragwürdig. Nächtliche Ausgangssperren könnten das Infektionsgeschehen sogar noch verschärfen.
- Durch das Vierte Bevölkerungsschutzgesetz wird der seit über fünf Monaten andauernde Lockdown weiter zementiert. Die verheerenden Folgen für die Wirtschaft und das Wohlergehen der Bürger, die mit dem Lockdown verbunden sind, überschreiten zunehmend die Schmerzgrenzen der Bürger. Die Antwort auf eine gescheiterte Lockdown-Politik darf nicht noch mehr Autoritarismus sein, sondern gefordert sind die Herstellung einer Öff-nungs- und Normalisierungsperspektive durch Stärkung der Eigenverantwortung und die Ausweitung von Kapazitäten im Gesundheitssystem.
- Die weitgehende Beseitigung des Föderalismus in der Corona-Politik, die mit dem Vierten Bevölkerungsschutzgesetz angestrebt wird, ist strikt abzulehnen. Nach dem Versagen der Zentralregierung in Berlin wäre es richtig, einen stärkeren Wettbewerb zwischen den Ländern auf dem Gebiet der Corona-Politik zuzulassen, um das beste Konzept zur Beendigung der Corona-Krise zu finden. Dies würde auch im demokratischen Rechtsstaat den Druck auf die Länder erhöhen, überfällige Lockerungsschritte vorzunehmen.
III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
alles Erforderliche zu unternehmen, um gegen das Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite den Einspruch des Bundesrates zu erwirken.
Andreas Keith
Sven Tritschler
und Fraktion