Demonstrationen und Spaziergänge gegen staatliche Corona-Maßnahmen – Sind „Verfassungsschutz“ und Co. involviert?

Kleine Anfrage
vom 22.02.2022

Kleine Anfrage 6444der Abgeordneten Sven W. Tritschler und Andreas Keith vom 22.02.2022

 

Demonstrationen und Spaziergänge gegen staatliche Corona-Maßnahmen – Sind „Verfassungsschutz“ und Co. involviert?

In der Debatte zu TOP 5 (Antrag der AfD-Fraktion „Demonstranten und Spaziergänger nicht gängeln und verteufeln, sondern ernst nehmen. – Versammlungsfreiheit achten!“ – Drs. 17/16474) erklärte der Minister des Innern, dass an verschiedenen Demonstrationen und Spaziergängen, die sich gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen richten, „Verfassungsfeinde“ beteiligt seien:

„Die Damen und Herren, die da reden – nicht alle, aber einige – und diejenigen, die dabei sind, sind ja bekannt, nicht bei jeder Demonstration und nicht alle – das hat auch nie einer behauptet -, aber sie sind dabei.“

In seiner anschließenden Kurzintervention fragte der Abgeordnete Tritschler, ob unter den beteiligten „Verfassungsfeinden“ möglicherweise V-Leute oder andere Personen sind, die Beziehungen zum „Verfassungsschutz“ unterhielten, bzw. wie der Minister dies ausschließen könne. Der Minister ließ die Frage unbeantwortet.

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Zu welchen Versammlungen, die sich inhaltlich kritisch mit den staatlichen Corona-Maßnahmen auseinandersetzen, liegen der Landesregierung Erkennt-nisse über die Beteiligung von „Verfassungsfeinden“ vor? (Bitte aufschlüsseln nach Zeit und Ort der Veranstaltung, Anmelder, Thema, Anzahl der Teil-nehmer und Anzahl der Teilnehmer, die als „Verfassungsfeinde“ bewertet werden)
  2. Mit welchen Organisationen (Parteien, etc.) stehen die Personen, die der Minister als „Verfassungsfeinde“ bezeichnete, in Verbindung?
  3. Wie bewertet der Verfassungsschutz diese Organisationen jeweils?
  4. Inwieweit kann die Landesregierung ausschließen, dass Personen in diesen Organisationen tätig sind, die in Verbindung mit staatlichen Sicherheitsbehörden, namentlich mit der Landesbehörde für „Verfassungsschutz“, stehen, bzw. für diese tätig sind (z.B. Gewährspersonen, Informanten, Vertrauensleute, verdeckte Ermittler, verdeckte Mitarbeiter)?
  5. Inwieweit kann die Landesregierung ausschließen, dass sich unter den vom Minister so bezeichneten „Verfassungsfeinden“, die an den unter Ziffer 1 genannten Versammlungen teilnehmen, Personen befinden, die in Verbindung mit staatlichen Sicherheitsbehörden, namentlich mit der Landesbehörde für „Verfassungsschutz“, stehen, bzw. für diese tätig sind (z.B. Gewährspersonen, Informanten, Vertrauensleute, verdeckte Ermittler, verdeckte Mitarbeiter)?

Sven W. Tritschler
Andreas Keith

 

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Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 6444 mit Schreiben vom 24. März 2022 na­mens der Landesregierung beantwortet.

  1. Zu welchen Versammlungen, die sich inhaltlich kritisch mit den staatlichen Corona-Maßnahmen auseinandersetzen, liegen der Landesregierung Erkennt­nisse über die Beteiligung von „Verfassungsfeinden“ vor? (Bitte aufschlüsseln nach Zeit und Ort der Veranstaltung, Anmelder, Thema, Anzahl der Teilnehmer und Anzahl der Teilnehmer, die als „Verfassungsfeinde“ bewertet werden)
  2. Mit welchen Organisationen (Parteien, etc.) stehen die Personen, die der Minister als „Verfassungsfeinde“ bezeichnete, in Verbindung?
  3. Wie bewertet der Verfassungsschutz diese Organisationen jeweils?

Die Fragen 1 bis 3 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.

Die Rückschau auf die vergangenen Monate zeigt, dass unter den Teilnehmenden an den nahezu täglich stattfindenden Protestveranstaltungen gegen staatliche Corona-Be-schränkungsmaßnahmen immer wieder Anhänger der Querdenken-Bewegung oder von Verschwörungsmythen sowie Rechtsextremisten, „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ vertreten sind.

Da mit Beginn der pandemischen Lage insbesondere demokratische Entscheidungspro­zesse und staatliche Institutionen in sicherheitsgefährdender Art und Weise delegitimiert wurden, hat der Verfassungsschutzverbund im Frühjahr 2021 den Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ eingerichtet. Diese Fall­gruppe bezeichnet extremistische Bestrebungen, die den bislang bekannten Klassifizie­rungen nicht adäquat zuordenbar sind. Die Abgrenzung zu reiner Kritik an Regierungs­handeln oder -mitgliedern kommt durch das qualifizierende Adjektiv „verfassungsschutz­relevant“ zum Ausdruck. Phänomenologisch werden damit solche Bestrebungen erfasst, die durch die systematische Verunglimpfung und Verächtlichmachung des auf der frei­heitlichen demokratischen Grundordnung basierenden Staates und seiner Institutionen bzw. Repräsentanten geeignet sind, das Vertrauen der Bevölkerung in diese Grundord­nung zu erschüttern.

Mit Einrichtung des neuen Phänomenbereichs beobachtet der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz Teile der sogenannten „Querdenker-Szene“ sowie die Gruppierung „Corona Rebellen Düsseldorf“, da bei ihnen hinreichend gewichtige tatsächliche Anhalts­punkte für den Verdacht der demokratiefeindlichen und sicherheitsgefährdenden Delegi-timierung des Staates vorliegen. Insbesondere die Telegram-Kanäle der Organisationen tragen zur Vernetzung der Szene, der Verbreitung von angemeldeten und/oder unange­meldeten Protestversammlungen sowie zur Verbreitung von Inhalten bei, die den Staat delegitimieren. Im Fokus stehen einzelne, besonders relevante Protagonisten der Quer­denken-Bewegung. Weder die Querdenken-Bewegung in Gänze noch die Protestszene allgemein sind Beobachtungsobjekte des Verfassungsschutzes.

Bemerkenswert ist, dass auch wenn angemeldete Themen der Demonstrationen vorder­gründig im demokratischen Diskurs zu verorten sind, die Versammlungen in der Praxis immer wieder dazu genutzt werden, um verfassungsfeindlich delegitimierend zu agitie­ren. Häufig wird auf das Narrativ der „Verhinderung einer Diktatur durch die Regierung“ zurückgegriffen und der Umgang mit Impfgegnern mit der Verfolgung von Juden im Drit­ten Reich gleichgesetzt.

Der Anteil von Rechtsextremisten und Reichsbürgern unter den Versammlungsteilneh­mern bewegt sich weiterhin in Teilen bei bis zu zehn Prozent. Die gesamte rechtsextre­mistische Szene mobilisiert im Jahr 2022 zur Teilnahme an Protestveranstaltungen ge­gen die Corona-Schutzmaßnahmen. Insbesondere sind die rechtsextremistischen Par­teien „Die RECHTE“, „Der III. Weg“ sowie „NPD“ in Nordrhein-Westfalen diesbezüglich aktiv. Beispielhaft nahmen Anhänger der Partei „Die RECHTE“ im Jahr 2022 unter ande­rem an folgenden Protestveranstaltungen teil: am 24.01.2022 in Duisburg und Köln, am 31.01.2022 in Köln, Duisburg und Dortmund, am 04.02.2022 im Rhein-Erft-Kreis, am 07.02.2022 in Dortmund, Duisburg und Köln, am 14.02.2022 in Köln, Duisburg und Dort­mund und am 21.02.2022 in Dortmund. In Dortmund formierten die Rechtsextremisten am 21.02.2022 einen eigenen Block und zeigten ein Banner, das sich inhaltlich mit den aktuellen Corona-Schutzmaßnahmen der Bundesregierung befasste („Deutschland ge­gen den Corona-Wahnsinn – Zwangsmaßnahmen beenden – Normalität herstellen!“). Zu­letzt nahmen Anhänger der Partei am 07.03.2022 an einem „Montagsspaziergang“ in Lünen teil. Der Landesvorsitzende der NPD in Nordrhein-Westfalen nahm am 07.02.2022 in Duisburg an einer Protestversammlung teil und verglich in seinem Beitrag in den sozialen Medien die Schutzmaßnahmen mit „Maßnahmenterror“.

Seit vielen Monaten propagiert die Partei „Der III. Weg“, dass Parteimitglieder sich an verschiedenen Protestversammlungen in Nordrhein-Westfalen beteiligen sollen. Insbe­sondere mit dem auf der Internetseite der Partei und in sozialen Medien verbreiteten Slogan „Das System ist gefährlicher als Corona“, versucht die rechtsextremistische Par­tei, den Protest in Richtung Demokratiefeindlichkeit zu radikalisieren. Zudem werden auf der Internetseite weiterhin bundesweit die Termine von zahlreichen Protestversammlun­gen veröffentlicht und zur Teilnahme aufgerufen.

Aus dem Spektrum der „Identitären Bewegung“ beteiligen sich die Abspaltungen bezie­hungsweise Nachfolgeorganisationen „Lukreta“ und „Revolte Rheinland“ weiterhin an den Protestversammlungen. Am 23.02.2022 führten Anhänger der „Revolte Rheinland“ in Siegen eine Flyer-Verteilaktion durch. Auf den Flyern war das Motto „Jugend gegen Impfzwang“ abgedruckt. Auch wurden Aufkleber mit dem Motto „Impfzwang stoppen!“ im öffentlichen Raum angebracht.

Ein Führungsaktivist von „Neue Stärke Westfalen“ besucht zahlreiche Corona-Protestver-sammlungen in Nordrhein-Westfalen und vereinzelt sogar im benachbarten Ausland, filmt diese und veröffentlicht anschließend die Videos bei YouTube. Am 13.02.2022 wurde ein über zwei Stunden langes Video von Protestversammlungen in Den Haag veröffentlicht. Auf dem seit Mai 2021 bestehenden You-Tube-Account wurden seitdem über 160 Videos von Corona-Protestversammlungen veröffentlicht.

Bei wenigen Versammlungen wirken Rechtsextremisten auch in steuernder Funktion mit. So setzt beispielsweise „Aufbruch Leverkusen e.V.“ seine Corona-Protestversammlungen fort. Zuletzt fand am 17.02.2022 die fünfte Veranstaltung „Gemeinsam überparteilich für unsere Grundrechte, Menschenrechte und Freiheit! – Leverkusen sagt Nein zur Impf-Apartheid und zum Ausschluss von zigtausend gesunden Ungeimpften aus dem öffentli­chen Leben“ von „Leverkusener für die Freiheit“ in Leverkusen statt. Auch für diese Ver­anstaltung wurde erneut mit Flyern geworben. Die Hauptakteure von „Aufbruch Lever­kusen e.V.“ fungieren als Redner und Versammlungsleiter oder auch als Ordner.

Ein auf YouTube reichweitenstarker Rechtsextremist veröffentlicht fortlaufend Videos, in denen er sich gegen die Corona-Schutzmaßnahmen positioniert. Dabei nutzt er seine Reichweite auch, um unterschwellige Aufrufe zu Störaktionen bei impfenden Ärztinnen und Ärzten durchzuführen. Zuletzt nahm die Person am 21.02.2022 mit „Vertretern deut­scher Veteranenverbände“ an einer Protestveranstaltung in Lippstadt teil und verbreitete die Teilnahme in den sozialen Medien.

Im Übrigen wird im Sonderbericht des Ministeriums des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen zu Verschwörungsmythen und „Corona-Leugnern“ aus Mai 2021 bereits aus­führlich berichtet. Zur weiteren Bewertung der genannten Parteien und Gruppierungen wird darüber hinaus auf den aktuellen Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen (Vorlage 17/5372 – insb. S. 102 ff des Sonderberichts – Bezüge der „Corona-Leugner“ zu extremistischen Organisationen) sowie den schriftlichen Bericht zum TOP „Gefährdungslage durch das Spektrum der Gegner*innen der Corona-Schutzmaßnah-men“ zur Sitzung des Innenausschusses am 03.02.2022 verwiesen (Vorlage 17/6376).

  1. Inwieweit kann die Landesregierung ausschließen, dass Personen in diesen Orga­nisationen tätig sind, die in Verbindung mit staatlichen Sicherheitsbehörden, na­mentlich mit der Landesbehörde für „Verfassungsschutz“, stehen, bzw. für diese tätig sind (z.B. Gewährspersonen, Informanten, Vertrauensleute, verdeckte Ermitt­ler, verdeckte Mitarbeiter)?
  2. Inwieweit kann die Landesregierung ausschließen, dass sich unter den vom Mi­nister so bezeichneten „Verfassungsfeinden“, die an den unter Ziffer 1 genannten Versammlungen teilnehmen, Personen befinden, die in Verbindung mit staatlichen Sicherheitsbehörden, namentlich mit der Landesbehörde für „Verfassungs­schutz“, stehen, bzw. für diese tätig sind (z.B. Gewährspersonen, Informanten, Vertrauensleute, verdeckte Ermittler, verdeckte Mitarbeiter)?

Die Fragen 4 und 5 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.

Die Landesregierung gibt im Rahmen einer Kleinen Anfrage keine Auskunft zu Personen im Sinne der Frage. Eine Aussage zur Teilnahme oder Tätigkeit im Sinne der Fragestellungen ist damit nicht verbunden. Der Informationsanspruch des Landtages findet eine Grenze, wenn das Bekanntwerden geheimhaltungsbedürftiger Informationen das Wohl des Bundes oder ei­nes Landes gefährden kann. Zum Staatswohl gehört der Schutz der Arbeitsfähigkeit und die Funktionsfähigkeit der Sicherheitsbehörden, insbesondere der Nachrichtendienste. Informati­onen zur Tätigkeit von Personen im Sinne der Frage sind besonders schutzwürdig.

 

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