Antragder AfD-Fraktion vom 16.03.2021
Wissenschaftsfreiheit zurückgewinnen – Cancel Culture entgegen treten
I. Ausgangslage
Ein Bündnis namhafter Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus dem deutschsprachigen Raum und aus unterschiedlichen Fachbereichen hat sich zu einem „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ zusammengeschlossen. Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen warnen vor einem steigenden Konformitätsdruck innerhalb der Wissenschaftsgemeinde, der die wissenschaftliche Arbeit in ihren Möglichkeiten beschneidet und Erkenntnisoffenheit verhindert. Sie lehnen jegliche Einengung wissenschaftlicher Fragestellungen ab und fordern vehement die Öffnung des wissenschaftlichen Diskurses bei allen Sachverhalten, die wissenschaftlich untersucht und betrachtet werden.1
Die in diesem Netzwerk zusammengeschlossenen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen eint das gemeinsame Anliegen: „ … die Freiheit von Forschung und Lehre gegen ideologisch motivierte Einschränkungen zu verteidigen und zur Stärkung eines freiheitlichen Wissenschaftsklimas beizutragen“.2 200 Professoren und Professorinnen deutscher Hochschulen sind in diesem Netzwerk organisiert, 27 davon in NRW. 3
Cancel Culture und Political Correctness haben eine freie und kontroverse Debatte widerstreitender Positionen auch an Universitäten eingeschränkt oder zum Verschwinden gebracht, so die Feststellung in einer Pressemitteilung vom 03.02.2021.4
Bereits vor dem Ausbruch von Covid-19 wurde eine heftige Debatte darüber geführt, ob es überhaupt eine Verengung der Rede- und Forschungsfreiheit gebe. Die Anzahl der Fälle, bei denen Redner angefeindet, ausgeladen oder niedergeschrien wurden, nahm allerdings immer weiter zu. Schon im Vorfeld einer beabsichtigten Debatte fühlen sich Diskurswächter dazu berufen, zu bestimmen, was an einer Hochschule von wem wie geäußert werden darf und was nicht. Diese „Berufung“ setzen ihre Vertreter in Teilen sogar mit körperlicher Gewalt um und untermauern damit ihren Herrschaftsanspruch.
Diese Formen der Auseinandersetzung waren im universitären Bereich bisher weitgehend ungebräuchlich und wurden – wenn sie in früheren Zeiten von einer sich progressiv dünkenden akademischen Jugend doch eingesetzt wurden – weitgehend missbilligt oder im Nachhinein als gefährliche Verirrung betrachtet. Wenn die Freiheitsgegner heutzutage die Öffentlichkeit nicht scheuen, steht zu befürchten, dass diese plakativen, gewaltsamen Einschüchterungsversuche nur die Spitze des Eisbergs darstellen und eine neue universitäre Denkkultur des Einschüchterns und des Sich-Weg-Duckens widerspiegeln. Diese wenig erfreuliche Entwicklung ist besonders auch deshalb zu befürchten, weil eine eigentlich zu erwartende Solidarisierung wissenschaftlicher Kollegen und Hochschulleitungen mit den Angegriffenen in der Mehrzahl der Fälle bisher ausgeblieben ist. Beklagt wird von den Forschern ein hoher Konformitätsdruck vor allem bei gesellschaftlich strittigen Themen wie Geschlecht, Religion und Migration.
Dabei sind die Methoden der Ausgrenzung vielfältig. Der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Reinhard Merkel sprach in einem Artikel der FAZ von einer „latenten Drohung einer informellen Sanktion“.5 Wer islamkritische oder zuwanderungskritische Positionen äußere, werde als Rassist abgekanzelt. Man wird gecancelt als „unmoralische“ Person. „Davor darf man Angst haben“ so Merkel. Über bestimmte Themen dürften nur Vertreter ebenso bestimmter Gruppen reden, und der Wert einer Aussage werde an der Herkunft des Sprechers und nicht an der Plausibilität der Argumente gemessen.
Der Historiker Prof. Dr. Andreas Rödder verweist auf subtile Methoden der Ausgrenzung. Publikationen oder Drittmittel werden für die Forschung zu Themen verweigert, die nicht in den moralischen Korridor einer verstärkt politisierten Gesellschaftswissenschaft passen.6
Dem Problem der schweigenden Masse wendet sich die Soziologin Dr. S. K. zu. Benenne man die Tabuisierung bestimmter Standpunkte öffentlich, erfahre man hohe Zustimmung im persönlichen Gespräch. Gelobt werde der Mut, sich öffentlich zu äußern. Dies sei mit der Bitte verbunden, den Zuspruch vertraulich zu behandeln – man müsse an die eigene Karriere denken.7
Das „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ richtet sich auch gegen eine Schweigespirale an deutschen Universitäten: „Dort herrsche ein Klima, das geprägt sei von der Angst, wegen der falschen Meinung geächtet zu werden. Ein Klima, in dem es Mut brauche, unbequeme Fragen zu stellen – …“ 8 Dagegen steht der erklärte Wille: „die Freiheit der Lehre gegen – insbesondere ideologisch motivierte – Einschränkungen zu verteidigen“. Damit verfolgt das Netzwerk selbst weder politische noch weltanschauliche Ziele. Schon die Bezeichnung von Wissenschaftlern als „umstritten“ stellt eine unzulässige Ausgrenzung dar.
Auf der Basis einer am 1. März 2021 veröffentlichten Studie des CSPI9 – stellt der Autor Prof. Dr. Eric Kaufmann für die USA, Kanada und Großbritannien in einem Artikel: „Akademische Freiheit in der Krise“ folgende Befunde fest:10
a) Konservative Wissenschaftler werden vornehmlich von jüngeren Kollegen über vielfältige Kanäle angegriffen und diskreditiert mit dem Ziel, eine Person letztlich „auszulöschen“, was bedeutet, sie aus ihrer Stellung zu entfernen, ihren Ruf zu zerstören oder ihren Zugang zu sozialen Medien, zu Werbung oder sogar zu Zahlungsdienstleistern zu unterbinden“. Zur quantitativen Frage dieser Vorkommnisse stellt der Autor fest: „In meinen Untersuchungen fand ich unter den Sozial- und Geisteswissenschaftlern der amerikanischen und kanadischen Top-Universitäten ein Verhältnis von 14 zu 1 zwischen Linken und Rechten. In Großbritannien lag es bei 9 zu 1.“ Kaufmann fordert politische Richtlinien und einen gesetzlichen Rahmen, um die sinkende Meinungsvielfalt wieder zu erhöhen und generell zu verhindern, daß Universitäten die Freiheitsrechte von Mitarbeitern und Studenten verletzen.
b) 34 Prozent derjenigen, die sich als „eher rechts“ einschätzen und 18 Prozent der Liberalen sind der Auffassung, ihre Ansichten ständen einer akademischen Karriere im Wege, die halten einen universitären Berufsweg für sich daher ausgeschlossen. Konservative Akademiker geben zudem eher an, wegen ihrer öffentlichen Äußerungen, ihrer Forschung oder ihrer Lehre Disziplinarmaßnahmen ausgesetzt gewesen zu sein. „Politische Diskriminierung und Selbstzensur unter Konservativen ist an den Universitäten der drei anglophonen Länder inzwischen die Regel, nicht die Ausnahme.“11
c) Der Illiberalismus ist bei jungen Akademikern im Alter von unter 35 Jahren, die sich „sehr links“ verorten, mit 20 bis 25 Prozent stärker ausgeprägt als bei älteren Kollegen. Jüngere geben offen zu, eine Entlassungskampagne gegen vermeintlich unliebsame Kollegen zu befürworten. Ein Wissenschaftler, der Diversität nicht für positiv, das traditionelle Elternmodell für das beste hält oder Einwanderung beschränken möchte, steht – unabhängig von der Stichhaltigkeit seiner Argumente – schnell am akademischen Pranger. Gehen ältere Akademiker in den Ruhestand, nimmt die akademische Freiheit zwangsläufig weiteren Schaden.
II. Der Landtag stellt fest:
- Gedanken- und Meinungsfreiheit, intellektuelle Neugier und Erkenntnisoffenheit sind unabdingbare Voraussetzungen für eine Wissenschaft, die sich den Idealen des Aufklärungsgedankens und dem technischen Fortschritt verschrieben hat.
- Eine ideologische Fremdbestimmung von Forschungsthemen oder Erkenntniszielen im Bereich der Forschung und Lehre führt zur Abschaffung wissenschaftlichen Forschens und zur Verzerrung von Erkenntnissen.
- Die Unfreiheit von Forschung und Lehre durch eine ideologische Lenkung führt zum Niedergang der auf objektiven Erkenntnissen beruhenden Zivilisation moderner Industriestaaten.
III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf:
- Hochschulleitungen und Hochschulangehörige zu verpflichten, Wissenschaftsfreiheit sachgerecht zu schützen und damit GG Artikel 5, Satz 3 wieder uneingeschränkt Geltung zu verschaffen;
- Hochschulleitungen und Hochschulangehörige zu verpflichten und dabei zu unterstützen, Gewaltanwendungen gegen die Freiheit von Forschung und Lehre sowie gegen universitäre Veranstaltungen zu verhindern und zu ahnden;
- die Deutsche Forschungsgemeinschaft zu verpflichten, ihr Vergabeverfahren von Drittmitteln transparent zu gestalten und die Ablehnung von Forschungsprojekten umfassend zu begründen;
- in einer wissenschaftlichen Untersuchung zu klären, wie sehr die von Netzwerk Wissenschaftsfreiheit formulierten Feststellungen Forschung und Lehre beeinflussen und die Aufklärungsziele universitären Wirkens gefährden.
Helmut Seifen
Markus Wagner
Andreas Keith
und Fraktion
1 Meinungsklima: Wissenschaftler gründen „Netzwerk Wissenschafts-freiheit“ – Forschung & Lehre (forschung-und-lehre.de), abgerufen am 04.02.2021.
2 Manifest – Netzwerk-Wissenschaftsfreiheit (netzwerk-wissenschaftsfreiheit.de), abgerufen am 18.03.2021.
3 Mitglieder – Netzwerk-Wissenschaftsfreiheit (netzwerk-wissenschaftsfreiheit.de), abgerufen am 09.03.2021.
4 Pressemitteilungen – Netzwerk-Wissenschaftsfreiheit (netzwerk-wissenschaftsfreiheit.de), abgerufen am 09.03.2021.
5 Cancel Culture in der Wissenschaft: Ausbruch aus der Tabuzone (faz.net), abgerufen am 09.03.2021.
6 Vgl. Fußnote 5.
7 Vgl. Fußnote 5.
8 Konservative Professoren beklagen angebliche Cancel Culture. – Kultur – SZ.de (sueddeutsche.de), abgerufen am 09.03.2021.
9 Academic Freedom in Crisis: Punishment, Political Discrimination, and Self-Censorship – CSPI Center, abgerufen am 18.03.2021.
10 Es gibt noch Hoffnung für unsere Unis (jungefreiheit.de), abgerufen am 09.03.2021.
11 Angriff auf die freie Wissenschaft (jungefreiheit.de), abgerufen am 09.03.2021.