Kriminelle Strukturen von Zuwanderergruppen

Kleine Anfrage
vom 26.01.2021

Kleine Anfrage 4908des Abgeordneten Markus Wagner vom 26.01.2021

 

Kriminelle Strukturen von Zuwanderergruppen

In der Vorlage 17/4484 A 09 beschreibt die Landesregierung die festgestellte Kriminalität von Personen syrischer, irakischer und nigerianischer Herkunft, die insbesondere im Rahmen von Grenzöffnung und Massenzuwanderung ab dem Jahre 2015 nach Deutschland gekommen sind, wie folgt:

„Die insbesondere ab 2015 erfolgte Zuwanderung syrischer, irakischer und nigerianischer Menschen nach Deutschland und die bislang festgestellte Kriminalität von Angehörigen dieser Gruppen lassen keinen nachhaltigen Verdrängungseffekt in Bezug auf den Handel mit Kokain erkennen.

Beim Einfuhrschmuggel und dem Handel mit Heroin jedoch kann inzwischen von einem bedeutenden Anteil von Zuwanderungsgruppen ausgegangen werden. Diese Deliktsform wird von kriminellen Clanangehörigen, Rockergruppierungen sowie der italienischen Organisierten Kriminalität kaum bedient und ist bislang ein Tätigkeitsfeld türkischer, kurdischer und albanischer Gruppen.

Nigerianische Gruppierungen traten in Nordrhein-Westfalen in der Hauptsache im Zusammenhang mit Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung zum Nachteil nigerianischer Opfer und begleitenden Schleusungsdelikten in Erscheinung. Aus Italien liegen Informationen vor, dass solche Gruppierungen dort im lokalen Rauschgift- und Menschenhandel in Konkurrenz stehen und mit gewalttätigen Konflikten gegen die örtlichen „Mafia Gruppierungen Machtansprüche durchgesetzt werden. Ähnliche Tendenzen konnten in Nordrhein-Westfalen bislang nicht nachvollzogen werden. Gleichwohl beobachtet die Polizei Nordrhein-Westfalen die Situation sehr genau.“1

Bereits im ersten Landesbild zur Clankriminalität in Nordrhein-Westfalen prognostizierte das Landeskriminalamt ein solches Erstarken bestimmter Gruppierungen und den Aufbau neuer Strukturen durch Zuwanderer in bekannten kriminellen Milieus:

„Die kriminellen Angehörigen türkisch-arabischstämmiger Familienverbände sehen sich in den letzten Monaten einem Verdrängungswettbewerb um kriminelle Märkte ausgesetzt, der durch Personen mit Herkunft aus Syrien bzw. dem Irak forciert scheint. Diese konkurrierenden Gruppierungen werden – auch vor dem Hintergrund teilweise aktueller Kriegserfahrungen – im Milieu als besonders durchsetzungsstark und gewalttätig wahrgenommen.“2

Ich frage die Landesregierung:

  1. Wie haben sich die im Lagebild 2018 vom LKA skizzierten Verdrängungswettbewerbe um kriminelle Märkte zwischen kriminellen Angehörigen türkisch-arabischstämmiger Familienverbände und Personen syrischer und irakischer Herkunft bis zum Zeitpunkt dieser Anfrage gestaltet? (Bitte dabei auf die umkämpften kriminellen Märkte im Detail eingehen.)
  2. Kann die Landesregierung derartige Verdrängungswettbewerbe und/oder gewalttätige Konflikte zwischen neuen Zuwanderergruppen einerseits und türkischen, kurdischen und albanischen Gruppen andererseits auf dem kriminellen Markt des Heroinhandels beobachten?
  3. Über welches (geschätzte) Personenpotenzial verfügen jene kriminellen Gruppierungen, die sich insbesondere aus Zuwanderern syrischer, irakischer und nigerianischer Herkunft rekrutieren?
  4. Über welchen Organisationsgrad verfügen inzwischen jene kriminellen Gruppierungen, die sich insbesondere aus Zuwanderern syrischer, irakischer und nigerianischer Herkunft rekrutieren? (Bitte dabei Gruppenanzahl bzw. Bandenanzahl bzw. Clananzahl, Vernetzungsgrad, Hierarchien und internationale Beziehungen dar-stellen.)
  5. Wie viele Straftäter, die jenen kriminellen Gruppierungen entstammen, die sich insbesondere aus Zuwanderern syrischer, irakischer und nigerianischer Herkunft rekrutieren, sind bis zum Zeitpunkt der Anfrage zurückgeführt worden?

Markus Wagner

 

Anfrage als PDF

 

1 Vorlage 17/4484 A 09, S. 2f..

2 Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) (2019): Clankriminalität – Lagebild NRW 2018, Düsseldorf, S. 24.


Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 4908 mit Schreiben vom 2. März 2021 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration beantwortet.

Vorbemerkung der Landesregierung

Der Begriff „Zuwanderer“ ist im Kontext polizeilicher Lageübersichten seit dem 01. Juni 2016 durch die Bund-Länder Projektgruppe „Zuwanderung“ auf Bundesebene abgestimmt und fest definiert. Danach umfasst der Status „Zuwanderer“ alle Personen, die

–  nicht die deutsche Staatsangehörigkeit und einen aufenthaltsrechtlichen Status als

– Asylbewerber

–  International/national Schutz- und Asylberechtigte

– Duldung

– Kontingentflüchtling

besitzen oder sich unerlaubt in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Der Zeitpunkt der Ersteinreise ist dabei nicht Gegenstand der polizeilichen Auswertung.

  1. Wie haben sich die im Lagebild 2018 vom LKA skizzierten Verdrängungswettbewerbe um kriminelle Märkte zwischen kriminellen Angehörigen türkisch-arabischstämmiger Familienverbände und Personen syrischer und irakischer Herkunft bis zum Zeitpunkt dieser Anfrage gestaltet? (Bitte dabei auf die umkämpften kriminellen Märkte im Detail eingehen.)

Die Kreispolizeibehörden Essen, Dortmund und Duisburg berichten als Ergebnis von Auswertungen und Ermittlungen über regionale Verteilungskonflikte im kriminellen Milieu zwischen türkisch-arabischen Clans und konkurrierenden Gruppen, unter anderem aus Syrien oder dem Irak, hauptsächlich im Bereich der Rauschgiftkriminalität. Diese zeigten sich in Form von tumultartigen Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern türkisch-arabischer Clanfamilien und Personen mit Herkunft aus Syrien oder dem Irak. Die konkurrierenden Gruppierungen werden im Milieu als besonders durchsetzungsstark und gewalttätig wahrgenommen.

  1. Kann die Landesregierung derartige Verdrängungswettbewerbe und/oder gewalttätige Konflikte zwischen neuen Zuwanderergruppen einerseits und türkischen, kurdischen und albanischen Gruppen andererseits auf dem kriminellen Markt des Heroinhandels beobachten?

Auch wenn beim Einfuhrschmuggel und dem Handel mit Heroin inzwischen von einem bedeutenden Anteil von Tatverdächtigen mit Zuwanderungsstatus ausgegangen werden muss, liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse über Verdrängungswettbewerbe und/oder gewaltsame Auseinandersetzungen konkret oder ausschließlich im Zusammenhang mit Heroinhandel vor.

  1. Über welches (geschätzte) Personenpotenzial verfügen jene kriminellen Gruppierungen, die sich insbesondere aus Zuwanderern syrischer, irakischer und nigerianischer Herkunft rekrutieren?
  2. Über welchen Organisationsgrad verfügen inzwischen jene kriminellen Gruppierungen, die sich insbesondere aus Zuwanderern syrischer, irakischer und nigerianischer Herkunft rekrutieren? (Bitte dabei Gruppenanzahl bzw. Bandenanzahl bzw. Clananzahl, Vernetzungsgrad, Hierarchien und internationale Beziehungen darstellen.)

Die Fragen 3 und 4 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.

Die Mitgliederanzahl der drei polizeilich bekannt gewordenen syrisch dominierten Gruppierungen der Organisierten Kriminalität (OK) umfasst in Gänze 189 Personen (8 / 84 / 97). Die Gruppierungen sind zwar äußerst heterogen, d.h. multinational besetzt, sie zeichnen sich jedoch aufgrund familiär begründeter Strukturen durch eine ethnische Geschlossenheit nach außen aus. Der soziale Zusammenhalt ist durch eine übersteigerte Loyalität der Familie gegenüber geprägt und auch die arbeitsteilige Zusammenarbeit der Tatverdächtigen orientiert sich an diesen sozialen Bindungen. Entsprechend der vertretenen Familiengenerationen sind die Gruppen stark hierarchisch organisiert und zudem durch ein gemeinsames Normen- und Werteverständnis geprägt. Aufgrund des Schwerpunkts der kriminellen Aktivitäten im Einfuhrschmuggel und regional ausgerichteten Handel mit Betäubungsmitteln ergeben sich durch internationale Schmuggelrouten Verbindungen nach Brasilien und in die Niederlande.

Gruppierungen, die von irakischen Tatverdächtigen dominiert werden, sind im Lagebild OK bisher nicht erfasst worden, da hierzu bisher keine Erkenntnisse im Rahmen von Ermittlungen erlangt wurden.

Bei den sechs nigerianisch dominierten OK-Gruppierungen handelt es sich um in Deutschland ansässige Kleingruppen zwischen 5 und 14 Personen, deren kriminelle Handlungen in ein transnationales, nigerianisches Netzwerk im Heimatland und mit Stationen in Ländern wie Niger, Libyen, Türkei, Spanien, Frankreich und Italien eingebettet sind. So werden im Kontext von internationalem Menschenhandel nigerianische Frauen zur Zwangsprostitution über verschiedene Wege nach Deutschland geschleust und inkriminierte, durch Kokainhandel, Internetbetrug und Betrug im digitalen Zahlungsverkehr erlangte Gelder zur Verschleierung der Finanzwege nach Nigeria transferiert. Die nigerianischen Haupttäter der Kleingruppen machen sich diese kriminellen Netzwerke zu Nutze, agieren aber eigenverantwortlich und für den eigenen Profit. Etwaige Tatbeteiligte anderer Nationalitäten werden lediglich für kriminelle Dienstleistungen herangezogen.

  1. Wie viele Straftäter, die jenen kriminellen Gruppierungen entstammen, die sich insbesondere aus Zuwanderern syrischer, irakischer und nigerianischer Herkunft rekrutieren, sind bis zum Zeitpunkt der Anfrage zurückgeführt worden?

Statistische Erhebungen im Sinne der Fragestellung liegen der Landesregierung nicht vor.

 

Antwort als PDF

Beteiligte:
Markus Wagner