Kleine Anfrage 6374des Abgeordneten Markus Wagner vom 31.01.2022
Antisemitische Straftaten in NRW im Jahre 2021
Die Kleine Anfrage 4812 zum Themenkomplex „Antisemitische Straftaten“ hat ergeben, dass im Jahre 2020 in diesem Bereich insgesamt 276 Straftaten verübt wurden. Dabei wurden zwei Personen verletzt.1 Bei der Zuordnung zu den Phänomenbereichen der politischen Kriminalität ergab sich folgendes Bild:
In den Fällen, in denen ein Tatverdächtiger ermittelt werden konnte, wurden die Straftaten den folgenden Phänomenbereichen zugeordnet:
- PMK-Rechts: 114 Straftaten
- PMK-nicht zuzuordnen: 1 Straftat
- PMK-Links: 1 Straftat
- PMK-Religiöse Ideologie: 3 Straftaten
- PMK-Ausländische Ideologie: 4 Straftaten.
In den Fällen, in denen kein Tatverdächtigter ermittelt werden konnte, wurden die Straftaten den folgenden Phänomenbereichen zugeordnet:
- PMK-Rechts: 142 Straftaten
- PMK-Nicht zuzuordnen: 4 Straftaten
- PMK-Links: 3 Straftaten
- PMK-Religiöse Ideologie: keine Straftat
- PMK-Ausländische Ideologie: 4 Straftaten.
Wie bereits in den Vorjahren handelte es sich bei den Straftaten überwiegend um Volksverhetzungsdelikte und Verstöße gemäß §§ 86, 86a StGB (Propagandadelikte).
Wie das Innenministerium am 9. Juni 2021 berichtete, wurden für den Zeitraum vom 10. Mai 2021 bis einschließlich 21. Mai 2021 dem LKA NRW insgesamt 90 mutmaßlich antisemitische bzw. antiisraelische „Sachverhalte“ gemeldet.2 Diese standen vorgeblich im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt, richteten sich aber in Wahrheit gegen die jüdische Bevölkerung in NRW.
Ziel dieser Anfrage ist es, mit den Zahlen für das Jahr 2021 die Entwicklung auch weiterhin zu beleuchten.
Ich frage daher die Landesregierung:
- Wie viele Straftaten mit antisemitischem Hintergrund wurden in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2021 verübt? (Bitte nach Ort, Straftatbestand und Anzahl der verletzten Personen auflisten)
- Bei wie vielen der unter Frage 1 erfragten Straftaten konnte ein Täter ermittelt bzw. festgenommen werden? (Bitte einzeln nach Straftatbestand, Nationalität [bei deutschen Tätern bitte zusätzlich den jeweiligen Vornamen angeben], Alter und Geschlecht auflisten)
- In welchen Phänomenbereich der politisch motivierten Kriminalität wurden die unter Frage 1 erfragten Straftaten jeweils eingeordnet? (bitte nach folgenden Fallgruppen aufschlüsseln: a) wenn ein Tatverdächtiger bzw. Täter ermittelt werden konnte, b) wenn kein Tatverdächtiger bzw. Täter ermittelt werden konnte; bitte auflisten nach Anzahl der Fälle, Phänomenbereich und Straftatbestand
- Wie viele eingeleitete Ermittlungsverfahren, Anklagen, Verurteilungen bzw. Einstellungen von Ermittlungen bzw. von Verfahren (bitte jeweils mit Begründung) gab es im Jahre 2021 im Zusammenhang mit antisemitischen Straftaten?
- Das Innenministerium berichtete von 90 mutmaßlich antisemitischen bzw. antiisraelischen „Sachverhalten“ für den Zeitraum vom 10. Mai 2021 bis einschließlich 21. Mai 2021. Welche Erkenntnisse (ermittelte Tatverdächtige, Nationalität der Tatverdächtigen, eingeleitete Ermittlungsverfahren, Anklagen, Verurteilungen und Einstellungen von Ermittlungen bzw. von Verfahren (bitte jeweils mit Begründung)) haben sich seit unserer letzten diesbezüglichen Anfrage vom 30.06.20213 ergeben?
Markus Wagner
1 Vgl. Lt.-Drucksache 17/12639
2 Vgl. Lt.-Drucksache 17/13806
3 Vgl Lt.-Drucksache 17/14394
Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 6374 mit Schreiben vom 1. März 2022 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Justiz beantwortet.
Vorbemerkung der Landesregierung
Die statistische Erfassung „Politisch motivierter Kriminalität“ (PMK) erfolgt bundesweit einheitlich auf der Grundlage des im Jahr 2001 von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder beschlossenen Definitionssystems „Politisch motivierte Kriminalität“.
Der PMK werden demnach Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie
- den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richten;
- sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesensmerkmale, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben;
- durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden;
- gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status gerichtet sind und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet.
Darüber hinaus gehören Straftaten gemäß §§ 80a-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102-104a, 105108e, 109-109h, 129a, 129b, 192a, 130, 234a oder 241a StGB als Staatsschutzdelikte zur PMK, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festgestellt werden kann.
Politisch motivierte Straftaten werden hinsichtlich des Begründungszusammenhangs (Motiv) einem oder mehreren Themenfeldern zugeordnet.
Datenquelle zur Beantwortung der Fragen ist der Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen der Politisch motivierten Kriminalität (KPMD-PMK).
Der Fallzahlenabgleich mit dem Bundeskriminalamt (BKA) ist für das Jahr 2021 zwar abgeschlossen, die endgültige Bestätigung des Abschlusses seitens des BKA steht aber noch aus. Die nachfolgend angegebenen Fallzahlen sind trotzdem als vorläufige Zahlen zu betrachten, wenngleich Veränderungen nicht zu erwarten sind.
- Wie viele Straftaten mit antisemitischem Hintergrund wurden in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2021 verübt? (Bitte nach Ort, Straftatbestand und Anzahl der verletzten Personen auflisten)
Im Jahr 2021 wurden im KPMD-PMK in Nordrhein-Westfalen bislang 437 Straftaten dem Unterbegriff „antisemitisch“ zugeordnet. Vier Personen wurden verletzt.
Weitergehende Daten bitte ich der Anlage 1 zu entnehmen.
- Bei wie vielen der unter Frage 1 erfragten Straftaten konnte ein Täter ermittelt bzw. festgenommen werden? (Bitte einzeln nach Straftatbestand, Nationalität [bei deutschen Tätern bitte zusätzlich den jeweiligen Vornamen angeben], Alter und Geschlecht auflisten)
Im KPMD-PMK werden als Festnahme statistisch alle bekanntgewordenen polizeilichen Maßnahmen gemäß §§ 127, 127b StPO gezählt (keine Ingewahrsamnahmen nach dem Polizeigesetz NRW).
Im Jahr 2021 wurden in 147 Fällen antisemitischer Straftaten 162 Tatverdächtige ermittelt. Es wurde kein Tatverdächtiger festgenommen.
Eine Erhebung der Vornamen erfordert eine manuelle Auswertung jedes einzelnen Verfahrens und ist in dem für die Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeitraum nicht möglich.
Weitergehende Daten bitte ich der Anlage 2 zu entnehmen.
- In welchen Phänomenbereich der politisch motivierten Kriminalität wurden die unter Frage 1 erfragten Straftaten jeweils eingeordnet? (bitte nach Fallgruppen aufschlüsseln: a) wenn ein Tatverdächtiger bzw. Täter ermittelt werden konnte, b) wenn kein Tatverdächtiger bzw. Täter ermittelt werden konnte, bitte auflisten nach Anzahl der Fälle, Phänomenbereich und Straftatbestand)
In den Fällen, in denen ein Tatverdächtiger ermittelt werden konnte, wurden die Straftaten den folgenden Phänomenbereichen zugeordnet:
· | PMK-Rechts: | 115 Straftaten |
· | PMK-nicht zuzuordnen: | 3 Straftaten |
· | PMK-Links: | 1 Straftat |
· | PMK-Religiöse Ideologie: | 3 Straftaten |
· | PMK-Ausländische Ideologie: | 25 Straftaten. |
In den Fällen in denen kein Tatverdächtigter ermittelt werden konnte, wurden die Straftaten den folgenden Phänomenbereichen zugeordnet:
· | PMK-Rechts: | 253 Straftaten |
· | PMK-Nicht zuzuordnen: | 16 Straftaten |
· | PMK-Links: | 1 Straftat |
· | PMK-Ausländische Ideologie: | 20 Straftaten. |
Weitergehende Daten bitte ich der Anlage 3 zu entnehmen.
- Wie viele eingeleitete Ermittlungsverfahren, Anklagen, Verurteilungen bzw. Einstellungen von Ermittlungen bzw. von Verfahren (bitte jeweils mit Begründung) gab es im Jahre 2021 im Zusammenhang mit antisemitischen Straftaten?
Durch die Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen wurde in allen in der Antwort zu Frage 1 aufgezählten Fällen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Im Jahr 2021 kam es bei nordrhein-westfälischen Staatsanwaltschaften – den Berichten der Generalstaatsanwältin und der Generalstaatsanwälte des Landes zufolge – in 997 Fällen wegen antisemitischer Straftaten zur Einleitung von Ermittlungsverfahren, in 129 Fällen zur Erhebung der öffentlichen Klage durch Einreichung einer Anklageschrift bzw. Beantragung eines Strafbefehls und in 665 Fällen zur Einstellung der Ermittlungen. Grund für die Einstellung des Verfahrens war in 262 Fällen, dass ein Tatverdächtiger nicht ermittelt werden konnte. In 58 Fällen erfolgte eine Verurteilung.
Die Differenz zu den polizeilich eingeleiteten Ermittlungsverfahren erklärt sich durch ein anderes Erfassungssystem der Landesjustiz.
- Das Innenministerium berichtete von 90 mutmaßlich antisemitischen bzw. antiisraelischen „Sachverhalten“ für den Zeitraum vom 10. Mai 2021 bis einschließlich 21. Mai 2021. Welche Erkenntnisse (ermittelte Tatverdächtige, Nationalität der Tatverdächtigen, eingeleitete Ermittlungsverfahren, Anklagen, Verurteilungen und Einstellungen von Ermittlungen bzw. von Verfahren (bitte jeweils mit Begründung)) haben sich seit unserer letzten diesbezüglichen Anfrage vom 30.06.2021 ergeben?
Bezüglich der Erhebung der 90 mutmaßlich antisemitischen bzw. antiisraelischen Sachverhalte verweise ich auf meine Antwort auf die Kleine Anfrage 5645 (LT-Drs. 17/14394) vom 03.08.2021.
Für den genannten Tatzeitraum 10.05.2021 bis einschließlich 21.05.2021 wurden bislang insgesamt 108 antisemitische und/oder antiisraelische Straftaten im Zusammenhang mit dem Is-rael/Palästina-Konflikt im KPMD-PMK erfasst. In 69 Fällen wurden Tatverdächtige ermittelt. Durch die Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen wurde in allen Fällen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Die zur Beantwortung der Frage erforderlichen belastbaren landesweiten Fallzahlen liegen dem Ministerium der Justiz nicht vor und können mit einem für die Strafrechtspflege vertretbaren Aufwand nicht erlangt werden. Eine Erhebung der Daten würde eine Einzelauswertung der Akten aller in Betracht kommenden Verfahren erfordern.
Die weiteren Informationen bitte ich der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen.
=> siehe PDF