Inobhutnahmen von Kindern und Jugendlichen in NRW

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 301
des Abgeordneten Zacharias Schalley vom 09.08.2022

 

Inobhutnahmen von Kindern und Jugendlichen in NRW

Kinder sind in NRW in den vergangenen Jahren potenziell häufiger gefährdet, als es noch vor einigen Jahren der Fall war. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Sie fangen bei der Vernach­lässigung an und reichen bis zur sexualisierten, psychischen oder körperlichen Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Besonders in den vergangenen zwei Jahren hat die Gewalt innerhalb der Familie stark zugenommen, was durch Isolation und Lockdowns, Homeschooling und Homeoffice aufgrund der Corona-Politik zusätzlich befördert wurde.

Vor diesem Hintergrund überraschen die neuen Zahlen des Landesamtes für Datenverar­beitung und Statistik NRW (IT.NRW) über sogenannte Inobhutnahmen von Kindern und Jugendlichen durch die kommunalen Behörden.1 Denn die Jugendämter in NRW haben im vergangenen Jahr weniger Kinder und Jugendliche in Obhut genommen, als es noch im Vorjahr der Fall war. So ist die Zahl solcher Schutzmaßnahmen von 12.308 im Jahr 2020 auf 12.193 im Jahr 2021 gesunken. In manchen Orten wiesen über die Hälfte der in Obhut genommenen Kinder und Jugendliche einen Migrationshintergrund auf.2

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Wie viele Inobhutnahmen von Kindern und Jugendlichen gab es in den Jahren von 2011 bis 2021 durch die Jugendämter in NRW? (Bitte nach Jahr, Alter, Geschlecht, Verwaltungsbezirk und Grund der Inobhutnahme aufschlüsseln)
  2. Wie viele Kinder und Jugendliche, die in den Jahren zwischen 2011 und 2021 durch ein Jugendamt in NRW in Obhut genommen wurden, wiesen einen Migrationshintergrund auf? (Bitte nach Jahr, Herkunftsland der Eltern, Anzahl der Inobhutnahmen und Grund der Inobhutnahme aufschlüsseln)
  3. Wie viele Familien in NRW haben in den Jahren zwischen 2011 und 2021 anderweitige Hilfsangebote durch das Jugendamt in Anspruch genommen? (Bitte nach Jahr und Art der Hilfe aufschlüsseln)
  4. Wie viele Familien in NRW, die in den Jahren zwischen 2011 und 2021 anderweitige Hilfsangebote durch das Jugendamt in Anspruch genommen haben, wiesen einen Migrationshintergrund auf? (Bitte Jahr, Herkunftsland der Eltern und Art der Beratung aufschlüsseln)
  5. Worin liegen nach Auffassung der Landesregierung die Gründe für die sinkenden Fälle von Inobhutnahme bei gleichzeitigem Anstieg von Verdachtsfällen häuslicher Gewalt an Kindern und Jugendlichen?

Zacharias Schalley

 

Anfrage als PDF

 

1 https://rp-online.de/nrw/staedte/krefeld/krefeld-trotz-corona-weniger-gewalt-gegen-kinder-als-im-land-nrw_aid-73015987#successLogin (abgerufen am 4. August 2022)

2 https://rp-online.de/nrw/staedte/moenchengladbach/moenchengladbach-zahlen-zu-inobhutnahmen-wegen-kindeswohlgefaehrdung-in-moenchengladbach_aid-72740871 (abgerufen am 4. August 2022)


Die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration hat die Kleine Anfrage 301 mit Schreiben vom 13. September 20222 namens der Landesregierung beantwortet.

  1. Wie viele Inobhutnahmen von Kindern und Jugendlichen gab es in den Jahren von 2011 bis 2021 durch die Jugendämter in NRW? (Bitte nach Jahr, Alter, Geschlecht, Verwaltungsbezirk und Grund der Inobhutnahme aufschlüsseln)

Zur Beantwortung der Frage verweist die Landesregierung auf die Veröffentlichung von IT.NRW vom 11. Juli 2022 (Anlage 1). Die Daten liegen hier nur auf Kreisebene für die Jahre seit 2013 vor. Die Daten auf Ebene der Jugendamtsbezirke zu ermitteln war in der für die Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich.

  1. Wie viele Kinder und Jugendliche, die in den Jahren zwischen 2011 und 2021 durch ein Jugendamt in NRW in Obhut genommen wurden, wiesen einen Migrationshin-tergrund auf? (Bitte nach Jahr, Herkunftsland der Eltern, Anzahl der Inobhutnah-men und Grund der Inobhutnahme aufschlüsseln)

Die Frage wird mit der Tabelle in Anlage 2 beantwortet.

Statistisch wird der Migrationshintergrund (ausländische Herkunft mindestens eines Elternteils) erst seit 2014 erfasst. Für 2014 und 2015 sind die Daten zu diesem Merkmal aufgrund von Schwierigkeiten bei der Erfassung möglicherweise zudem nur eingeschränkt aussagekräftig. Ab dem Berichtjahr 2017 werden in der Statistik vorläufige Inobhutnahmen (§ 42a SGB VIII) und regulären Inobhutnahmen (§ 42 Absatz 1 Nummer 3 SGB VIII) erfasst. Daraus ergeben sich Doppelzählungen, da in der Regel bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen im An­schluss an die vorläufige noch eine reguläre Inobhutnahme folgt. Auch ist es möglich, dass ein Kind mehrmals pro Jahr in Obhut genommen wird. Die Zahl der betroffenen Individuen wird nicht erfasst und ist nicht bekannt.

  1. Wie viele Familien in NRW haben in den Jahren zwischen 2011 und 2021 anderwei­tige Hilfsangebote durch das Jugendamt in Anspruch genommen? (Bitte nach Jahr und Art der Hilfe aufschlüsseln)
  2. Wie viele Familien in NRW, die in den Jahren zwischen 2011 und 2021 anderweitige Hilfsangebote durch das Jugendamt in Anspruch genommen haben, wiesen einen Migrationshintergrund auf? (Bitte Jahr, Herkunftsland der Eltern und Art der Bera­tung aufschlüsseln)

Die Fragen 3 und 4 werden aufgrund ihres Sachzusammenhangs zusammen in Anlage 3 be­antwortet. Die detaillierten Daten für das Berichtsjahr 2021 liegen noch nicht vor.

  1. Worin liegen nach Auffassung der Landesregierung die Gründe für die sinkenden Fälle von Inobhutnahme bei gleichzeitigem Anstieg von Verdachtsfällen häusli­cher Gewalt an Kindern und Jugendlichen?

Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist eine erschreckende gesellschaftliche Realität. Die Aufdeckung von Fällen akuter Kindeswohlgefährdung (insbesondere im Bereich der sexuali­sierten Gewalt gegen Kinder und Jugendliche) und die damit einhergehende öffentliche Be­richterstattung, sowie die Schaffung von vielfältigen Maßnahmen zum verbesserten Schutz von Kindern durch Land und Kommunen, haben die Gesellschaft für das Thema Kinderschutz sensibilisiert.

Nicht jeder Verdachtsfall einer Kindeswohlgefährdung führt zu einer Inobhutnahme. Einerseits hat die Zahl der durchgeführten Gefährdungseinschätzungen nach § 8a SGB VIII gegenüber den Vorjahren zugenommen, andererseits bleibt die Zahl der Fälle, in denen eine latente oder akute Kindeswohlgefährdung festgestellt wurde, im gleichen Zeitraum unter den Vorjahres­werten. Auch der Anteil aller Gefährdungseinschätzungen, in denen weder eine Kindeswohl-gefährdung noch ein Hilfebedarf festgestellt worden sind, hat sich gegenüber den Vorjahren erhöht.

Schon bei Verdachtsfällen gilt es darum, genau hinzusehen und fachlich angemessen zu han­deln. Für die Landesregierung ist und bleibt das Thema Prävention von zentraler Bedeutung. Nordrhein-Westfalen setzt hier bundesweit Standards, unter anderem mit dem Kinderschutz-gesetz und dem Handlungs- und Maßnahmenkonzept für den Bereich „Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche – Prävention, Intervention, Hilfen“.

 

Antwort als PDF