Opferentschädigung wegen sexuellen Missbrauchs

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 894
der Abgeordneten Zacharias Schalley, Markus Wagner und Klaus Esser vom 14.12.2022

Opferentschädigung wegen sexuellen Missbrauchs

Der Missbrauchsskandal auf einem Campingplatz in Lügde hatte in ganz Deutschland für Aufsehen gesorgt. Die beiden Haupttäter sind zu hohen Haftstrafen mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Den Missbrauchsopfern von Lügde könnten Ansprüche auf Entschädigungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) zustehen. Die Durchsetzung der Ansprüche soll nur zögerlich vorangehen.1

Wir fragen die Landesregierung:

  1. Wie hat sich die durchschnittliche Bearbeitungszeit eines Antrags nach dem Opferentschädigungsgesetz im Falle des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen seit dem Jahr 2015 bis heute entwickelt? (Bitte nach Jahr, Entscheidungsträger, Bearbeitungsdauer und den einzelnen Entschädigungsleistungen aufschlüsseln)
  2. Wie viele Anträge auf Opferentschädigung im Falle des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen sind seit dem Jahr 2015 bis heute bewilligt, abgelehnt oder auf sonstige Art erledigt worden? (Bitte nach Jahr, Entscheidungsträger, den einzelnen Entschädigungsleistungen bei Bewilligung und den Gründen der Ablehnung bzw. Erledigung aufschlüsseln)
  3. Wie hat sich die Personalsituation bei den jeweiligen Entscheidungsträgern seit dem Jahr 2015 bis heute entwickelt? (Bitte nach Jahr, Entscheidungsträger sowie Stellen-Soll und Stellen-Ist aufschlüsseln)
  4. Wie bewertet die Landesregierung die Bearbeitungszeit, insbesondere in Relation zum Personalbestand, für die betreffenden Anträge?
  5. Unter welchen Voraussetzungen können zur Klärung der medizinischen Bewertung der Schädigungsfolgen Mehrfachbegutachtungen nach einem längeren Zeitraum erfolgen?

Zacharias Schalley
Markus Wagner
Klaus Esser

 

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Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 894 mit Schreiben vom 10. Januar 2023 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration beantwortet.

Vorbemerkung der Landesregierung

Das Opferentschädigungsgesetz (OEG) ist neben dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und weiteren Nebengesetzen wesentlicher Bestandteil des Sozialen Entschädigungsrechts. Durchführungsverantwortlich sind in Nordrhein-Westfalen die beiden Landschaftsverbände Rheinland (LVR) und Westfalen-Lippe (LWL).

Das BVG, auf welches das OEG nach Feststellung des Grundanspruchs in der Rechtsfolge verweist, kennt einen umfassenden Katalog an Einzelleistungen. Ob und in welcher Höhe Ein­zelleistungen erbracht werden können, entscheidet sich nach den Umständen des Einzelfalls und/oder dem persönlichen Bedarf der Berechtigten. Die Beantwortung der Fragen in dieser Kleinen Anfrage bezieht sich ausschließlich auf die Feststellung des Grundanspruchs nach dem OEG.

Mit dem am 19. Dezember 2019 verkündeten Gesetz zur Regelung des Sozialen Entschädi­gungsrechts (BGBl. I S. 2652) wurde als dessen Artikel 1 das Sozialgesetzbuch Vierzehntes Buch – Soziale Entschädigung – (SGB XIV) erlassen. Hierdurch wird bis zum 1. Januar 2024 schrittweise das Recht der Sozialen Entschädigung von Grund auf neu geregelt. Zum 1. Ja­nuar 2024 werden die bisherigen Gesetze des Sozialen Entschädigungsrechts aufgehoben, und das SGB XIV wird gleichzeitig die alleinige anspruchs- und leistungsrechtliche Grundlage für alle Ansprüche der Sozialen Entschädigung. Insbesondere sollen erstmals Opfer von psy­chischer Gewalt (z.B. Opfer von schwerem Stalking und von Menschenhandel) einen An­spruch auf Leistungen nach dem Sozialen Entschädigungsrecht erhalten.

  1. Wie hat sich die durchschnittliche Bearbeitungszeit eines Antrags nach dem Op­ferentschädigungsgesetz im Falle des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen seit dem Jahr 2015 bis heute entwickelt? (Bitte nach Jahr, Entschei­dungsträger, Bearbeitungsdauer und den einzelnen Entschädigungsleistungen aufschlüsseln)

Wesentlich entscheidend für die Bearbeitungszeit eines Antrages nach dem Opferentschädi­gungsgesetz ist der dem Antrag zugrundeliegende Lebenssachverhalt. Insbesondere die Sachverhaltsaufklärung in Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen erfordert wegen der damit häufig verbundenen komplexen psychischen Erkrankungen einen deutlich höheren zeitlichen Aufwand als andere Fälle.

Seit dem Jahr 2010 besteht ein signifikanter Anstieg der zur Anzeige gebrachten Sexualde­likte, der z.B. in der jährlich veröffentlichten Polizeilichen Kriminalstatistik der Bundesregierung (vgl. w w w . b u n d e s r e g ie r u n g . d e /breg-de/aktuelles/kriminalstatistik-2016154) dokumentiert ist. Parallel hierzu nimmt die Anzahl von einfachen Körperverletzungsdelikten stetig ab. Dies hat etwa mit Beginn der 2010er Jahre dazu geführt, dass der Anteil der mit OEG-Anträgen geltend gemachten Sexualdelikte kontinuierlich angewachsen ist (vgl. z.B. Op­ferberichte des WEISSEN RINGS, w w w . w e i ss e r – ri n g .de).

Der Landesregierung liegen keine Informationen hinsichtlich der konkreten Bearbeitungszei­ten im Falle des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen vor, da es hierzu aktuell noch keine Statistiken bzw. entsprechende Vorgaben gibt. Eine entsprechende Auswertung wird jedoch zukünftig auf Grundlage des SGB XIV ab dem Jahr 2024 erfolgen.

  1. Wie viele Anträge auf Opferentschädigung im Falle des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen sind seit dem Jahr 2015 bis heute bewilligt, abge­lehnt oder auf sonstige Art erledigt worden? (Bitte nach Jahr, Entscheidungsträ­ger, den einzelnen Entschädigungsleistungen bei Bewilligung und den Gründen der Ablehnung bzw. Erledigung aufschlüsseln)

Eine entsprechende Statistik liegt, wie oben bereits erwähnt, nicht vor.

Eine Ablehnung im Rahmen der Grundentscheidung nach dem Opferentschädigungsgesetz muss erfolgen, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Absatz 1 OEG nicht vorliegen. Dies hat in der Regel folgende Gründe:

Der erforderliche vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriff kann nicht nachgewiesen werden (z.B. bei ausschließlich psychischen Gewalttaten ohne Körperkontakt). Eine aus dem Ereignis resultierende Gesundheitsstörung, die länger als 6 Monate anhält, kann nicht nachgewiesen werden, oder der erforderliche kausale Zusammenhang zwischen Tatereignis und Gesund­heitsstörung kann nicht nachgewiesen werden.

  1. Wie hat sich die Personalsituation bei den jeweiligen Entscheidungsträgern seit dem Jahr 2015 bis heute entwickelt? (Bitte nach Jahr, Entscheidungsträger sowie Stellen-Soll und Stellen-Ist aufschlüsseln)

Über den Personaleinsatz entscheiden die durchführungsverantwortlichen Landschaftsver­bände in eigener Zuständigkeit. Der Landesregierung liegen diesbezüglich zum Stichtag 20.12.2022 folgende Informationen vor:

Der LVR verzeichnet derzeit im Bereich der Prüfung des Grundanspruchs über alle Leistungs­gesetze ein Stellen-Soll von 44 Vollzeitäquivalent (VZÄ), von denen 36,5 VZÄ besetzt sind. Hinzu kommen 10,5 VZÄ im Medizinischen Dienst (Gutachterinnen und Gutachter), von denen 9,2 VZÄ besetzt sind.

Der LWL verzeichnet im gleichen Bereich ein Stellen-Soll von 41,0 VZÄ, von denen 35,5 be­setzt sind. Hinzu kommen 9,0 VZÄ im Medizinischen Dienst, von denen 8,89 VZÄ besetzt sind.

  1. Wie bewertet die Landesregierung die Bearbeitungszeit, insbesondere in Relation zum Personalbestand, für die betreffenden Anträge?

Im Hinblick auf die Bedürfnisse der Antragstellerinnen und Antragsteller sind möglichst kurze Bearbeitungszeiten der Anträge nach dem Opferentschädigungsgesetz anzustreben, insbe­sondere um oftmals vorhandene Ängste oder mögliche Retraumatisierungen zu verhindern. Auf Grund der Besonderheiten des Verwaltungsverfahrens nach dem Opferentschädigungs­gesetz kann nicht ohne Weiteres von dem vorhandenen Personalbestand auf die Länge der Bearbeitung im Einzelfall geschlossen werden.

Auf Grund der Zunahme von psychischen Schädigungsfolgen und Sexualdelikten (s.o.) in den vergangenen Jahren, ist die Bearbeitung der Anträge insgesamt deutlich anspruchsvoller ge­worden. Die fachaufsichtliche Praxis der vergangenen Jahre zeigt, dass auch in mehrere Jahre andauernden Verfahren weit überwiegend sehr geringe Wartezeiten zu verzeichnen sind, so­fern der Sachbearbeitung die für den jeweiligen nächsten Bearbeitungsschritt notwendigen Informationen vorliegen.

  1. Unter welchen Voraussetzungen können zur Klärung der medizinischen Bewer­tung der Schädigungsfolgen Mehrfachbegutachtungen nach einem längeren Zeit­raum erfolgen?

Ob bzw. in welchem Umfang – zusätzlich zu der in jedem Einzelfall zur Bestimmung des Gra­des der Schädigungsfolgen notwendigen versorgungsmedizinischen Stellungnahme – weitere medizinische Begutachtungen durch Ärztinnen und Ärzte mit besonderen Kenntnissen erfor­derlich sind, entscheiden die sachbearbeitenden Personen abhängig von den Umständen des Einzelfalls nach Einbeziehung des versorgungsmedizinischen Dienstes der Landschaftsver­bände.

Das zentrale Entscheidungskriterium ist, ob bereits durch die im Rahmen der vorherigen Sach­verhaltsaufklärung von den Antragstellenden eingereichten bzw. von den behandelnden Ärz­tinnen und Ärzten, Therapeutinnen und Therapeuten angeforderten Unterlagen eine abschlie­ßende Beurteilung des Gesundheitszustands sowie des erforderlichen Kausalzusammen­hangs nach Aktenlage möglich ist.

Begutachtungen in Einzelfällen erfolgen nach dem Grundsatz, dass die Anzahl einerseits auf das unbedingt notwendige Maß begrenzt wird, um Belastungen der Betroffenen zu vermeiden. Andererseits soll und wird aber stets so ausführlich (ggfls. auch mehrfach) wie nötig begutach­tet, um sicherzustellen, dass alle von den Betroffenen geltend gemachten Gesundheitsstörun­gen erfasst und bewertet sind und die Betroffenen somit alle Leistungen erhalten können, die ihnen zustehen.

 

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