Kleine Anfrage 2247
des Abgeordneten Markus Wagner AfD
Brutale Straßenkämpfe zwischen Großfamilien – Wird die deutsche Justiz untergraben?
Vorbemerkung der Kleinen Anfrage
Im Ruhrgebiet spielten sich im Juni schockierende Szenen eines Machtkampfes zwischen Libanesen und Syrern ab. Ein Video zeigte einen vermummten Mann, der mit einem Schlagstock in der Nähe des Essener Rathauses herumlief und scheinbar syrische Landsleute zu Angriffen auf Libanesen animiert. Dabei soll er unter anderem von Rache gesprochen haben, die er einzufordern versucht.1 Ein Islamwissenschaftler und Clan-Experte geht von ungefähr 18 Tausend Syrern und 7 Tausend Libanesen aus. Die Syrer seien insbesondere in der Flüchtlingskrise 2015 aus der Bürgerkriegsregion Deir ez-Zor nach Deutschland gekommen.2 Durch die Möglichkeit der Familienzusammenführung sollen sie sich hier als Großfamilie neu formiert haben können. Aus diesem Grund stehen sich nun die Mitglieder libanesischer und syrischer Clans gegenüber und wollen beide ihre Macht und Reichweite mit Gewalt sichern. In Folge der Massenschlägerei wurden in Castrop-Rauxel 150 Personalien von Clan-Mitgliedern aufgenommen. In Essen waren es bereits über 200 Mitglieder, die am Wochenende auffällig wurden. Des Weiteren wird nach den Ausschreitungen in Castrop-Rauxel gegen 52 Beschuldigte ein Ermittlungsverfahren unter anderem wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung durch die Staatsanwaltschaft Dortmund geführt.3 Allerdings scheinen die Ermittlungen nur schwer voranzuschreiten, da „nur wenige Leute bereit sind, überhaupt auszusagen und Angaben zu machen“.4 Zu den Zahlen der Ermittlungsverfahren in Essen konnten noch keine Aussage gemacht werden, die Auswertung der Videos dauere aber noch weiter an. Außerdem machte die Polizei nach „Bild“-Anfrage keinerlei Angaben zu den gesamten Einsatzstunden. Da insgesamt um die 450 Polizisten zu den Straßenkämpfen anrückten, belaufen sich Hochrechnungen der Kosten auf knapp 1,5 Millionen Euro. Überdies konnten die Einsatzkräfte ein großes Repertoire an Waffen und gefährlichen Gegenständen konfiszieren. So wurden diverse Messer, Schlagwerkzeuge, Reizstoffsprühgeräte aber auch eine Maschinenpistole und Schreckschusswaffen sichergestellt. Aus diesem Grund wurden auch Verfahren wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz initiiert.5
Eine weitere Aktion, die in diesem Zusammenhang für Aufsehen sorgte, war der Aufruf eines Imams, der sich für Versöhnung aussprach. Nach „Bild“-Informationen kam es am Essener Stadtrand in der Salahuddin-Moschee zu einem Vorabgespräch. Zeugenaussagen zufolge würden die Syrer den Friedensverhandlungen nur dann zustimmen, wenn ihr Landsmann, der während der Ausschreitungen so schwer verletzt wurde, dass er auf der Intensivstation um sein Leben kämpfte, überlebt. Ansonsten „gehe der Krieg noch brutaler weiter“.6 Die Polizei in Essen machte deutlich, dass sie „solche Formen einer Paralleljustiz“7 nicht dulden werde.
Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 2247 mit Schreiben vom 11. September 2023 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration sowie dem Minister der Justiz beantwortet.
- Wie ist der aktuelle Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu dem oben genannten Vorfall? (Bitte Tathergang, Vorstrafen der Tatverdächtigen, mögliche Hintergründe zur Tat und sonstige polizeiliche Erkenntnisse nennen sowie nach Alter, Geschlecht und Nationalität aufschlüsseln und bei deutschen Personen die Mehrfachstaatsangehörigkeit extra ausweisen.)
Zu dem Sachstand der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen bezüglich des Geschehens in der Nacht vom 16. auf den 17.06.2023 wird zunächst auf die Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1995 vom 01.08.2023 (LT-Drs. 18/5222) verwiesen.
Die Leitende Oberstaatsanwältin in Essen hat dem Ministerium der Justiz ergänzend unter dem 08.08.2023 im Wesentlichen berichtet, dass inzwischen ein Beschuldigter habe ermittelt werden können, der als Täter für den Angriff mit einem Reizstoffsprühgerät auf die Polizeibeamten in Betracht komme. Ein DNA-Abgleich mit den Spuren des sichergestellten Reiz-stoffsprühgerätes habe jedoch ergeben, dass sich keine Anhaftungen seiner DNA an diesem Gerät befunden hätten. Eine Überprüfung eines Mobiltelefons des Beschuldigten habe ergeben, dass dieses sich in der Tatnacht nicht in der fraglichen Funkzelle befunden habe. Der Beschuldigte gehöre auch nicht zu den nahe der Tatörtlichkeit angetroffenen und identifizierten 169 Personen.
Von der Mitteilung personenbezogener Angaben zu dem Beschuldigten wird unter Abwägung des parlamentarischen Informationsinteresses mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten sowie der Unschuldsvermutung abgesehen. Wegen der zeitlichen und örtlichen Eingrenzung der Tat und weiterer Angaben wäre der Beschuldigte identifizierbar bzw. würde die Gefahr der Identifizierbarkeit erheblich erhöht. Dem parlamentarischen Informationsinteresse wird durch die weiteren Angaben zum Sachstand entsprochen.
Die Ermittlungen zum Sachverhalt und zu den Hintergründen dauern an.
- Wie viele gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Clans bzw. Großfamilien gab es seit 2015 in NRW? (Bitte nach Jahr, Ort und Anzahl der Tatverdächtigen sowie nach Alter, Geschlecht und Nationalität aufschlüsseln und bei deutschen Personen die Mehrfachstaatsangehörigkeit extra ausweisen.)
Der Polizei Nordrhein-Westfalen liegen zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Clans bzw. Großfamilien keine automatisiert auswertbaren Daten vor.
Eine vollumfängliche Beantwortung dieser Frage wäre nur im Rahmen einer händischen Einzelauswertung im Vorgangsbearbeitungssystem möglich. Dies ist im Rahmen der für die Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht möglich.
- Wie viele Einsatzkosten bzw. Kosten durch daraus resultierende Schäden sind durch die in Frage 2 angesprochenen Auseinandersetzungen entstanden? (Bitte nach Jahr und Einsatzort aufschlüsseln.)
Durch die Polizei Nordrhein-Westfalen werden Gesamtkosten, die im Zusammenhang mit polizeilichen Einsätzen in Nordrhein-Westfalen entstehen, grundsätzlich nicht erhoben.
- Wie oft kam es seit 2015 in NRW zum Einsatz von Imamen als sogenannte „Friedensrichter“? (Bitte nach Ort, Jahr und Art des Vorfalls aufschlüsseln.)
Eine Beantwortung ist auf Grund fehlender Erhebungen im Sinne der Fragestellung nicht möglich.
5. Was plant die Landesregierung konkret, um insbesondere Straßenkämpfe zwischen Mitgliedern verschiedener Clans zu reduzieren und so auch die Anzahl der Einsätze von „Friedensrichtern“ zu verringern?
Die Polizei Nordrhein-Westfalen hält an der erfolgreichen ganzheitlichen Bekämpfung der Clankriminalität und ihrer Drei-Säulen-Strategie fest, welche die Strategie der „1000 Nadelstiche“ durch konzertierte Einsatz- und Präsenzmaßnahmen, intensive Strukturermittlungen insbesondere unter Verfolgung des Ansatzes „follow the money“ sowie Präventionsmaßnahmen beinhaltet. Nur durch die fortgesetzte konsequente Umsetzung der erfolgreich implementierten polizeilichen Strategie zur Bekämpfung der Clankriminalität kann auch den Problemstellungen der rechtsstaatwidrigen, paralleljustiziellen Konfliktbeilegung unter Zuhilfenahme von sog. Friedensrichtern begegnet werden. Die Effektivität dieser Bekämpfungsstrategie wird u.a. durch den starken Rückgang der Tumultlagen in Nordrhein-Westfalen von insgesamt 179 Einsatzanlässen dieser Art im Jahr 2018, auf lediglich 37 im Jahr 2022 belegt. Auf aktuelle Tumultlagen reagiert die Polizei Nordrhein-Westfalen sofort mit starken Polizeikräften und konsequentem Handeln.
Sogenannte Friedensrichter sind im deutschen Rechtssystem grundsätzlich nicht legitimiert. Bei rechtsstaatwidriger Einflussnahme von Friedensrichtern im Kontext von Ermittlungs- und Strafverfahren können diese sich selbst strafbar machen. In diesen Fällen ist in Nordrhein-Westfalen eine konsequente Strafverfolgung gewährleistet.
Die Verhinderung und Eindämmung von rechtsstaatswidriger Paralleljustiz stellt eine gesamtgesellschaftliche und ressortübergreifende Aufgabe dar.
Die Landesregierung selbst hat zur Umsetzung ihres Ziels, Paralleljustiz in Nordrhein-Westfalen wirksam zu verhindern, bereits eine große Bandbreite von Maßnahmen im präventiven und repressiven Bereich ergriffen.
2 Ebenda.
3 Ebenda.
4 Ebenda.
5 Ebenda.
6 Ebenda.
7 https://www.derwesten.de/region/clan-ruhrgebiet-essen-castrop-rauxel-syrer-libanesen-frieden-a-id300578538.html.