Kleine Anfrage 6093des Abgeordneten Sven Tritschler vom 03.11.2021
§ 218 StGB und die Verfassung
In der Vergangenheit haben sich einzelne Strafgerichte immer wieder mit der Frage befasst, ob die Forderung nach einer Abschaffung des § 218 StGB verfassungskonform ist. Das Bundesverfassungsgericht kam dabei am 28. Mai 1993 zu dem folgenden Schluss:
„Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, menschliches Leben, auch das ungeborene, zu schützen. Diese Schutzpflicht hat ihren Grund in Art. 1 Abs. 1 GG; ihr Gegenstand und – von ihm her – ihr Maß werden durch Art. 2 Abs. 2 GG näher bestimmt. Menschenwürde kommt schon dem ungeborenen menschlichen Leben zu. Die Rechtsordnung muß die rechtlichen Voraussetzungen seiner Entfaltung im Sinne eines eigenen Lebensrechts des Ungeborenen gewährleisten. Dieses Lebensrecht wird nicht erst durch die Annahme seitens der Mutter begründet.“1
Das BVerfG stellte somit fest, dass der Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich gegen die Menschenwürde verstößt, nach § 218 StGB strafbar ist und lediglich in dem engen Rahmen des § 218a StGB straffrei bleibt. Bei einer Abschaffung des § 218 StGB würde demnach der „Menschenwürdegrundsatz“ verletzt.
Die Sicherung der Menschenwürde ist dabei einer der zentralen Grundsätze der fdGO. Greift eine Partei die Grundsätze der fdGO an, ist sie damit verfassungsfeindlich:
„Die besondere Bedeutung der Parteien im demokratischen Staat rechtfertigt ihre Ausschaltung aus dem politischen Leben nicht schon dann, wenn sie einzelne Vorschriften, ja selbst ganze Institutionen der Verfassung mit legalen Mitteln bekämpfen, sondern erst dann, wenn sie oberste Grundwerte des freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaates erschüttern wollen. Diese Grundwerte bilden die freiheitliche demokratische Grundordnung, die das Grundgesetz innerhalb der staatlichen Gesamtordnung der ‚verfassungsmäßigen Ordnung‘ als fundamental ansieht.“
Die Personenzusammenschlüsse der Partei Die Linke und mehrere Verbände der Grünen Jugend fordern die Abschaffung des § 218 StGB. Das tun sie aktiv kämpferisch, z.B. durch Demonstrationen und ständige Wiederholung.2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17
Im Sinn des § 3 Abs. 5 Buchstabe c, Abs. 6 Buchstabe g VSG NRW liegt darin eine „Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“, indem die Menschenwürdegarantie als Bestandteil der im „Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte“ angegriffen werde.
Ich stelle der Landesregierung folgende Fragen:
- Inwieweit sind die Forderungen von Schwangerschaftsabbrüchen der vorgenannten Gruppierungen bzw. Parteien der Landesregierung bekannt?
- Wie beurteilt die Landesregierung die Forderungen der vorgenannten Gruppierungen bezüglich des Urteils des Bundesverfassungsgerichts18 im Hinblick auf die fdGO?
- Sieht die Landesregierung in solchen Äußerungen eine aggressiv-kämpferische Betätigung gegen die fdGO?
- Inwieweit ist die Forderung der Abschaffung des § 218 StGB dazu geeignet, um im Bericht des Verfassungsschutzes Erwähnung zu finden?
Sven Tritschler
1 BVerfG, 28.05.1993 – 2 BvF 2/90.
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17 https://www.gruene-kvwuppertal.de/bundesweiter-aktionstag-gegen-%C2%A7218/
18 BVerfG, 28.05.1993 – 2 BvF 2/90
Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 6093 mit Schreiben vom 29. November 2021 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie dem Minister der Justiz beantwortet.
- Inwieweit sind die Forderungen von Schwangerschaftsabbrüchen der vorgenannten Gruppierungen bzw. Parteien der Landesregierung bekannt?
Die Forderungen der genannten Gruppierungen nach einer Aufhebung des § 218 StGB sind der Landesregierung bekannt.
- Wie beurteilt die Landesregierung die Forderungen der vorgenannten Gruppierungen bezüglich des Urteils des Bundesverfassungsgerichts im Hinblick auf die fdGO?
- Sieht die Landesregierung in solchen Äußerungen eine aggressiv-kämpferische Betätigung gegen die fdGO?
- Inwieweit ist die Forderung der Abschaffung des § 218 StGB dazu geeignet, um im Bericht des Verfassungsschutzes Erwähnung zu finden?
Die Fragen 2 bis 4 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet:
Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz hat die Aufgabe, verfassungsfeindliche Bestrebungen zu beobachten und ggf. darüber zu berichten, soweit tatsächliche Anhaltspunkte einen Verdacht darauf begründen (§ 3 Abs. 1, Abs. 3, § 5 Abs. 7 VSG NRW). Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sind dabei politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der tragenden Grundsätze des Grundgesetzes – zu denen insbesondere die Menschenwürde gehört – zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen (§ 3 Abs. 5 S. 1 lit. c) VSG NRW). Hierfür genügt es nicht, dass einzelne Äußerungen oder Verhaltensweisen im Widerspruch zu verfassungsrechtlichen Vorgaben stehen oder deren Reichweite verkennen. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob solche Äußerungen oder Handlungen erkennen lassen, dass die Existenzberechtigung eines zentralen verfassungsrechtlichen Grundwertes als solche angegriffen werden soll.
Dafür bestehen mit Blick auf die hier thematisierten Forderungen nach Abschaffung der Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs nach § 218 StGB keine Anhaltspunkte.
Daher besteht kein Anlass für eine Beobachtung bzw. Berichterstattung durch den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz.