Wird der Waschbär zur Gefahr für unsere heimische Fauna?

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 905
der Abgeordneten Zacharias Schalley und Andreas Keith vom 19.12.2022

Wird der Waschbär zur Gefahr für unsere heimische Fauna?

Der Waschbär ist eine invasive Tierart und fest in NRW etabliert. Insbesondere in Ostwestfalen-Lippe, im Sauerland und Siegerland ist das Neozoon schon seit Jahrzehnten weit verbreitet.

Es ist mittlerweile unumstritten, dass der Nesträuber häufig in Horste bzw. Baumhöhlen von Uhus, Rotmilanen sowie Schwarzstörchen eindringt und die dort anwesenden Tiere gewaltsam vertreibt. Sogar eine mühsam an der Ruhr angesiedelte Graureiherkolonie wurde 2019 von Waschbären restlos zerstört.1 Ebenso geht vom Waschbären eine Gefahr für die vom Aussterben bedrohte Europäische Sumpfschildkröte aus – der Waschbär kann den Panzer der Tiere knacken und sie dann fressen.2

Zu allem Übel häufen sich Berichte darüber, dass der Waschbär in menschliche Siedlungsgebiete vordringt, dort Müllcontainer durchwühlt, Gärten plündert oder gar Haustiere angreift.3 Es ist nicht auszuschließen, dass dabei vom Waschbären eine erhöhte Infektionsgefahr für Haustiere ausgeht – etwa durch die für Hunde lebensbedrohliche Staupe.4

Als Nesträuber steht dem Waschbären hierzulande kein natürlicher Feind gegenüber, der ihn an der Ausbreitung hindern kann. Folgerichtig erachtet der Landesjagdverband NRW die Jagd der Tiere schon seit langer Zeit als notwendig, damit die Population nicht außer Kontrolle gerät.5 Allerdings sind Informationen über den genauen Waschbärenbestand nur schwerlich zu eruieren und lediglich anhand der Zahl gejagter Tiere zu schätzen.

Während 2009 in NRW noch 9.000 Exemplare erlegt wurden, sind es 2019 rund 23.000 gewesen – ein erheblicher Anstieg von über 150% in nur 10 Jahren.6 Erschwerend kommt hinzu, dass die Jagd in Siedlungsgebieten – die der Waschbär als Lebensraum für sich beansprucht – verboten ist und die Schonzeitregelung das Erlegen dieser invasiven Art außerhalb des Zeitraumes März–Juli untersagt.7

Vor diesem Hintergrund fragen wir:

  1. Welche Kenntnisse liegen der Landesregierung zur Populationsentwicklung des Waschbären in NRW vor? (bitte Differenzierung nach Regionen, sofern möglich)
  2. Welche Kenntnisse liegen der Landesregierung zu den Auswirkungen der Ausbreitung des Waschbären auf NRWs autochthone Arten vor, insbesondere mit Hinblick auf gefährdete Arten? (bitte Differenzierung nach Art und Regionen, sofern möglich)
  3. Welche Kenntnisse liegen der Landesregierung zum Gefahrenpotential hinsichtlich der Übertragung von Krankheitserregern durch in Wohngebiete eindringende Waschbären vor? (bitte Differenzierung nach Menschen und Haustieren, sofern möglich)
  4. Welche Maßnahmen hat die Landesregierung abgesehen von der bestehenden Jagdgenehmigung in den letzten 10 Jahren ergriffen, um die Waschbärenpopulation in NRW reduzieren?
  5. Zieht die Landesregierung zur Förderung der Waschbärjagd jagdrechtliche Maßnahmen in Anbetracht, wie z.B. die Lockerung der Schonzeit oder private Jagdprämien?

Zacharias Schalley
Andreas Keith

 

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1    Https: / /www. L o k a l k o m p a s s .de/muelheim/c-n a t u r-garten/der-alles fresser-hat-abgeraeumt_ a 15 08 41 5

2    Https : / / www.lokal k o m p a s s.de/essen-west/c-natur-garten/der-d r e i s t e-neubuerger-m i t-der-zorro maske-mit-u p d a t e_a1648651

3    Https : / /www.w p.de/staedte/k r e i s-o l p e/olpe-wilde-wasch baeren-p l u e n d e r n-haeuser-eine-echte-p l a g e-id235897135.html

4    Https : / / regional heute.de/seuche-g r a s s i e r t-unter-wasch baeren-virus-kann-fuer-h u n d e-toedlich-sein-braunschweig-gifhorn-goslar-harz-helm stedt-peine-s a l z g i t t e r-wolfenbuettel-wolfsburg- 16 28 85 78 16 /

5    Https : / /www. R e p o r t-k.de/der-wasch baer-breitet-sich-in-n r w-aus-13 0 93 /

6    Https : / / www1. W d r .de/nachrichten/wasch baer-s a s s e n d o r f-staupe-100.h t m l

7 https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_bes_text?anw_nr=2&gld_nr=7&ugl_nr=792&bes_id=30604&aufgeh oben=N&menu=0&sg=


Der Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr hat die Kleine Anfrage 905 mit Schrei­ben vom 17. Januar 2023 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz beantwortet.

Vorbemerkung der Landesregierung

Unter Neobiota versteht man gebietsfremde Arten, die durch menschliche Einwirkung unter Überwindung natürlicher Ausbreitungsbarrieren eingeschleppt oder eingeführt werden. Rund 1% dieser Arten werden als „invasiv“ bezeichnet. Den Umgang mit ihnen regelt die EU-Ver­ordnung Nr. 1143/2014 über die Prävention und das Management der Einbringung und Aus­breitung invasiver gebietsfremder Arten. Hierunter fällt auch der Waschbär (Procyon lotor).

Waschbären sind 40 bis knapp 70 cm große, nachtaktive Allesfresser, die aufgrund ihrer An­passungsfähigkeit sowohl naturnahe Wälder mit höhlenreichen Altholzbeständen als auch ur­bane Räume mit Parks, Friedhöfen, Gärten und anderen Grünflächen besiedeln. Die heutigen Vorkommen gehen auf eine Ansiedlung im Jahr 1934 im nordhessischen Edersee-Gebiet zu­rück. Heute sind Waschbären über ganz Deutschland verbreitet.

Neben Infektionskrankheiten gelten in Europa Luchse, Wölfe und Bären als Feinde des Waschbären. Jungtiere fallen zudem Füchsen und Uhus zum Opfer. Als häufigste Todesursa­che gilt jedoch der Verkehr.

  1. Welche Kenntnisse liegen der Landesregierung zur Populationsentwicklung des Waschbären in NRW vor? (bitte Differenzierung nach Regionen, sofern möglich)

Der Waschbär hat Nordrhein-Westfalen vollständig besiedelt. Die Waschbärdichte zeigt einen Gradienten von Ost nach West. Fallwildstrecken legen nahe, dass die Waschbärbestände wei­ter zunehmen.

  1. Welche Kenntnisse liegen der Landesregierung zu den Auswirkungen der Aus­breitung des Waschbären auf NRWs autochthone Arten vor, insbesondere mit Hin­blick auf gefährdete Arten? (Bitte Differenzierung nach Art und Regionen, sofern möglich)

Das Nahrungsspektrum umfasst pflanzliche Kost, Abfälle und tierische Nahrung, v.a. Insek­ten, Amphibien und Vögel.

Aus Nordrhein-Westfalen werden insbesondere aus dem Kreis Höxter in verschiedenen Na­turschutzgebieten signifikante Rückgänge von Grasfröschen, Kreuzkröten und Erdkröten so­wie Gelegeverluste von Wendehals und Flussregenpfeifer dem Einfluss von Waschbären zu­geschrieben. Wie freilaufende Hunde, Katzen, sowie Füchse, Marder oder bestimmte Raben-und Greifvögel gehören auch Waschbären zu den Arten, die zu Gelegeverlusten von bedroh­ten Bodenbrütern führen. Aufgrund ihrer guten Kletterfähigkeit können Waschbären sowohl zu Gelegeverlusten bei Greifvögeln oder z.B. dem Schwarzstorch als auch zur Auflösung von Graureiher- oder Kormorankolonien führen.

  1. Welche Kenntnisse liegen der Landesregierung zum Gefahrenpotential hinsicht­lich der Übertragung von Krankheitserregern durch in Wohngebiete eindringende Waschbären vor? (Bitte Differenzierung nach Menschen und Haustieren, sofern möglich)

In den Waschbärenpopulationen Nordrhein-Westfalens ist der für die Art spezifische Spulwurm Baylisascaris procyonis verbreitet. Die Infektion erfolgt über Eier, v.a. aus dem Kot. Jedoch ist das Risiko, sich zu infizieren nach Meinung von Fachexperten relativ gering.

Grundsätzlich können Waschbären wie viele andere Wildtiere (z.B. Steinmarder, Fuchs, Wild­schwein) und Haustiere (z.B. “Freigänger-Katzen“) Krankheiten wie z.B. Staupe oder auch Leptospirose auf andere Wildtiere, Haustiere oder dem Menschen übertragen.

  1. Welche Maßnahmen hat die Landesregierung abgesehen von der bestehenden Jagdgenehmigung in den letzten 10 Jahren ergriffen, um die Waschbärenpopulation in NRW reduzieren?

Neben der landesweiten Jagd wird auf punktuelle Maßnahmen in Schutzgebieten zurückge­griffen, Anlass ist der Schutz gefährdeter Arten (Auswahl):

  • Naturschutzgebiet (NSG) Nieheimer Tongrube: Reduktion der Waschbärbestände durch intensive Fallenjagd an Amphibien-Laichgewässern . Die Amphibienpopulation erholte sich danach.
  • NSG Versmolder Bruch, Kreis Güterloh: Schutz von Wiesenvogelgelegen mit Elektro­zäunen vor Prädation durch Fuchs und Waschbär u.a.
  • LIFE-Projekt Wiesenvögel in Nordrhein-Westfalen: Errichtung von Elektrozäunen in den Wiesenbrüter-Kerngebieten von acht Vogelschutzgebieten. Außerdem Prädato-ren-Management durch Berufsjäger in Zusammenarbeit mit der örtlichen Jägerschaft (im Aufbau).
  1. Zieht die Landesregierung zur Förderung der Waschbärenjagd jagdrechtliche Maßnahmen in Betracht, wie z.B. die Lockerung der Schonzeit oder private Jagd­prämien?

Nein.

 

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