Kleine Anfrage 1120
des Abgeordneten Markus Wagner vom 20.01.2023
Aachen: Geschäftsstelle der Grünen angegriffen – Wie viele Angriffe gab es auf politisch aktive Personen in 2022?
„Grüße aus Lützi“1
Mit dieser Nachricht unterstrich ein Unbekannter in Aachen seine Straftat, nachdem er zuvor in der Nacht zu Donnerstag, den 12. Januar 2023, gegen 2:30 Uhr die Glasfronten am Grünen Zentrum zerstörte. Alle Scheiben der Grünen-Geschäftsstelle in der Franzstraße sowie die Tür weisen große Löcher auf. Ein Zusammenhang mit der angelaufenen Räumung des Braunkohleweilers Lützerath und der Kritik an den Grünen, die als Regierungspartei auf Landesebene den Kompromiss zum Kohleausstieg mittragen, liegt also nahe. Ein Zeuge konnte noch erkennen, wie vermutlich ein Mann vom Tatort flüchtete. Der verursachte Schaden liegt nach ersten Erkenntnissen bei mehreren Tausend Euro.2
Astrid Vogelheim, Landtagsabgeordnete und Grünen-Sprecherin in Aachen, traf noch in der Nacht am Tatort ein, um sich einen Überblick über das Ausmaß der Schäden machen. „Erschreckend“ findet sie den Angriff auf die Geschäftsstelle. „Das ist eine Dimension, die lässt einen innehalten. Was passiert da gerade?“3 Nach Auskunft der Grünen-Geschäftsführerin habe es bereits Tage vorher Pöbeleien vor der Tür gegeben, die vermuten ließen, dass irgendwas geschehen werde.
Aber auch die CDU-Geschäftsstelle in der Martinstraße sei in derselben Nacht Ziel von Farbschmierereien geworden. Demnach entdeckte der CDU-Kreisgeschäftsführer Schmierereien am Donnerstagmorgen. Rollläden, Fassade und Garageneinfahrt seien mit blauer Farbe beschmiert und auch hier lautete eine der Parolen: „Lützi bleibt“4
Ich frage daher die Landesregierung:
- Welche Kenntnisse haben die Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden des Landes NRW über die Anzahl von Angriffen auf Büros bzw. Räumlichkeiten von Parteien, die im nordrhein-westfälischen Landtag, im Deutschen Bundestag respektive im Europaparlament vertreten sind, seit dem 1. Januar 2022 in Nordrhein-Westfalen? (Bitte nach Tatort, Tatzeitpunkt, Tathergang, Delikt, Partei und ggf. Abgeordneten aufschlüsseln.)
- Welche Erkenntnisse haben die Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden des Landes NRW über die Anzahl von Angriffen auf Privatwohnungen und Kfz von Abgeordneten des nordrhein-westfälischen Landtags bzw. deren Mitarbeitern seit dem 1. Januar 2022? (Bitte nach Tatort, Tatdatum, Tathergang, Delikt, Partei, Abgeordneten und Parteizugehörigkeit aufschlüsseln.)
- Wie viele Angriffe auf Landtagsabgeordnete, deren Mitarbeiter, Wahlkreisbüros, Dienstoder Privatwagen sowie private Immobilien sind seit 2022 in NRW registriert worden? (Bitte nach Datum, Art des Angriffs unter Nennung der Straftatbestände bzw. Ordnungswidrigkeiten sowie der geschädigten Partei bzw. Parteizugehörigkeit des Geschädigten aufgliedern.)
- Zu welchen der in den Fragen 1 – 3 aufgeführten Taten konnten nach Kenntnis der Landesregierung Täter bzw. Tatverdächtige ermittelt werden respektive welchen politischen Hintergrund weisen diese Täter/Tatverdächtigen auf?
- In wie vielen Fällen führten staatsanwaltschaftliche Ermittlungen zu einem Gerichtsverfahren?
Markus Wagner
1 Htt p s : / /www. A a c hen er -z ei t u n g.de/lokales/aachen/unbekannte-greifen-geschaefts stelle-der-gruenen-in-a a c h e n-an_aid-8 28 34 52 5.
2 Ebenda.
3 Ebenda.
4 Ebenda.
Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 1120 mit Schreiben vom 21. Februar 2023 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Justiz beantwortet.
Vorbemerkung der Landesregierung
Die statistische Erfassung „Politisch motivierter Kriminalität (PMK) erfolgt bundesweit einheitlich auf der Grundlage des im Jahr 2001 von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -Senatoren der Länder beschlossenen Definitionssystems „Politisch motivierte Kriminalität.
Der PMK werden demnach Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie
- den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richten.
- sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesensmerkmale, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben.
- durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden.
- gegen eine Person wegen der ihr zugeschriebenen oder tatsächlichen politischen Haltung, Einstellung und/oder ihres Engagements gerichtet sind bzw. aufgrund von Vorurteilen des Täters bezogen auf Nationalität, ethnische Zugehörigkeit, Hautfarbe, Religionszugehörigkeit, Weltanschauung, sozialen Status, physische und/oder psychische Behinderung oder Beeinträchtigung, Geschlecht/geschlechtliche Identität, sexuelle Orientierung oder äußeres Erscheinungsbild begangen werden.
Diese Straftaten können sich unmittelbar gegen eine Person oder Personengruppe, eine Institution oder ein Objekt/eine Sache richten, welche(s) seitens des Täters einer der o. g. gesellschaftlichen Gruppen zugerechnet wird (tatsächliche oder zugeschriebene Zugehörigkeit) oder sich im Zusammenhang mit den vorgenannten Vorurteilen des Täters gegen ein beliebiges Ziel richten.
Darüber hinaus werden Tatbestände gemäß §§ 80a-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102, 104, 105-108e, 109-109h, 129a, 129b, 130, 192a, 234a oder 241a Strafgesetzbuch (StGB) sowie Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch erfasst, weil sie Staatsschutzdelikte sind, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festgestellt werden kann.
Politisch motivierte Straftaten werden hinsichtlich des Begründungszusammenhangs (Motiv) einem oder mehreren Themenfeldern zugeordnet.
Datenquelle zur Beantwortung der Fragen ist der Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen der Politisch motivierten Kriminalität (KPMD-PMK).
Der Fallzahlenabgleich mit dem Bundeskriminalamt (BKA) ist für das Jahr 2022 noch nicht abgeschlossen. Die in diesem Bericht angegebenen Fallzahlen mit Stand vom 8. Februar 2023 sind insofern als vorläufig zu betrachten.
Die Fallzahlen des Jahres 2023 können zum jetzigen Zeitpunkt bislang nicht valide erhoben werden. Für den Fallzahlenabgleich mit dem BKA werden zuerst alle noch zu erfassenden PMK-Straftaten aus dem vergangenen Kalenderjahr durch das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen qualitätsgeprüft und statistisch erfasst. Etwaige Zulieferungen aus den Kriminalhauptstellen für das Jahr 2023 werden gesichert und es wird nach statistischem Abschluss des zurückliegenden Kalenderjahres unmittelbar mit der Prüfung und Erfassung der Fallzahlen des aktuellen Kalenderjahres begonnen.
- Welche Kenntnisse haben die Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden des Landes NRW über die Anzahl von Angriffen auf Büros bzw. Räumlichkeiten von Parteien, die im nordrhein-westfälischen Landtag, im Deutschen Bundestag respektive im Europaparlament vertreten sind, seit dem 1. Januar 2022 in Nordrhein-Westfalen? (Bitte nach Tatort, Tatzeitpunkt, Tathergang, Delikt, Partei und ggf. Abgeordneten aufschlüsseln.)
Im Jahr 2022 wurden im KPMD-PMK in Nordrhein-Westfalen bislang 39 Straftaten mit dem Unterangriffsziel Parteigebäude/Parteieinrichtung im Sinne der Fragestellung erfasst In der Vorbemerkung der Kleinen Anfrage wird Bezug auf die Ereignisse an den Geschäftsstellen der Parteien BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU im Januar 2023 in Aachen genommen. Diese Sachverhalte sind dem Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen bekannt. Eine Erhebung und Auswertung valider Daten ist im Rahmen des KPMD-PMK aufgrund den in der Vorbemerkung dargestellten Gründen aktuell nicht möglich. Weitere Angaben bitte ich der Anlage 1 zu entnehmen.
- Welche Erkenntnisse haben die Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden des Landes NRW über die Anzahl von Angriffen auf Privatwohnungen und Kfz von Abgeordneten des nordrhein-westfälischen Landtags bzw. deren Mitarbeitern seit dem 1. Januar 2022? (Bitte nach Tatort, Tatdatum, Tathergang, Delikt, Partei, Abgeordneten und Parteizugehörigkeit aufschlüsseln.)
- Wie viele Angriffe auf Landtagsabgeordnete, deren Mitarbeiter, Wahlkreisbüros, Dienst- oder Privatwagen sowie private Immobilien sind seit 2022 in NRW registriert worden? (Bitte nach Datum, Art des Angriffs unter Nennung der Straftatbestände bzw. Ordnungswidrigkeiten sowie der geschädigten Partei bzw. Parteizugehörigkeit des Geschädigten aufgliedern.)
Die Fragen 2 und 3 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.
Im Jahr 2022 wurden im KPMD-PMK in Nordrhein-Westfalen bislang 15 Straftaten erfasst, bei denen eine Person wegen ihres aktiven Landtagsmandates Ziel einer Straftat wurde.
Eine automatisierte Auswertung von Straftaten gegen Mitarbeiter von Landtagsabgeordneten ist im Rahmen des KPMD-PMK nicht möglich.
Eine Einzelfallauswertung würde eine manuelle Sichtung von über 2.700 Vorgängen erfordern. Dies ist innerhalb der zur Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit und mit vertretbarem Aufwand nicht möglich. Weitere Angaben bitte ich der Anlage 2 zu entnehmen. In Bezug auf den Tathergang wird auf die Ausführungen zu Frage 1 verwiesen.
- Zu welchen der in den Fragen 1-3 aufgeführten Taten konnten nach Kenntnis der Landesregierung Täter bzw. Tatverdächtige ermittelt werden respektive welchen politischen Hintergrund weisen diese Täter/Tatverdächtigen auf?
- In wie vielen Fällen führten staatsanwaltschaftliche Ermittlungen zu einem Gerichtsverfahren?
Die Frage 4 und 5 werden aufgrund des Sachzusammenhangs zusammen beantwortet.
Zu den in der Antwort auf Frage 1 aufgelisteten Straftaten konnten bislang keine Tatverdächtigen ermittelt werden. Zu den in der Antwort auf die Fragen 2 und 3 aufgeführten Straftaten konnten in bislang sechs Fällen je ein Tatverdächtiger ermittelt werden. Angaben zum jeweiligen Phänomenbereich bitte ich der Anlage 2 zu entnehmen.
Die Fragen 4 und 5 wurden durch das Ministerium der Justiz auf Grundlage von Berichten der Generalstaatsanwältin und der Generalstaatsanwälte des Landes Nordrhein-Westfalen beantwortet, die ihrerseits zur Identifizierung einschlägiger Verfahren auf die aus den Anlagen zu den Antworten auf die Fragen 1 bis 3 ersichtlichen Daten sowie teilweise auch auf die Erinnerung der zuständigen Dezernentinnen und Dezernenten zurückgegriffen haben. Verfahren wegen Straftaten zum Nachteil von politisch aktiven Personen oder gegen politische Einrichtungen werden im Geschäftsbereich des Ministeriums der Justiz nicht gesondert statistisch erfasst. Eine händische Auswertung aller etwaig in Betracht kommender Vorgänge ist mit einem für die Strafrechtspflege vertretbaren Aufwand demzufolge nicht möglich.
Nach der Berichtslage konnte in vier Fällen jeweils eine tatverdächtige Person ermittelt werden. In einem Fall war sie dem erweiterten Kreis der „Querdenkerszene zuzuordnen. In einem weiteren Fall gehörte der Tatverdächtige der „Reichsbürgerszene an. Im Übrigen liegen Erkenntnisse zum politischen Hintergrund der tatverdächtigen Personen nicht vor. In einem Fall führten staatsanwaltschaftliche Ermittlungen zu einem Gerichtsverfahren.