Agrobiodiversität und Identität stärken – heimische und alte Nutztierrassen erhalten – lokale Kulturlandschaften pflegen

Antrag
vom 17.10.2023

Antrag

der Fraktion der AfD

Agrobiodiversität und Identität stärken heimische und alte Nutztierrassen erhalten lokale Kulturlandschaften pflegen

I. Problembeschreibung

Über Jahrhunderte hat die deutsche Landwirtschaft zur Landschafts- und Artenvielfalt beige­tragen, die Ernährungssicherheit gewährleistet und eine unverwechselbare Kulturlandschaft geschaffen. Dabei waren regionstypische Nutztierrassen nicht nur optisch prägender Teil die­ser Kulturlandschaften, sondern auch maßgeblich an deren Gestaltung und Pflege beteiligt. Durch die identischer werdenden Konsumgewohnheiten und den Rückgang regionsspezifi-scher Anbaukulturen sinkt jedoch die Agrobiodiversität und damit einhergehend die Fähigkeit, spezifische, für den normalen Ackerbau oder die Viehzucht schwierige Anbaugebiete nutzen zu können.

Entsprechend besteht in der kommerziellen Tierzucht ein bedenklicher Trend zur Monopoli­sierung. Bei der Zucht von Masthähnchen halten 4 Konzerne einen weltweiten Marktanteil von 99%. Der überwältigende Anteil der Legehennenzucht liegt bei drei Unternehmen. Nur noch je zwei Unternehmen verkaufen weltweit Puten und Enten.1

Damit nimmt auch die Agrobiodiversität rapide ab und der anhaltende Trend hin zu wenigen Hochleistungsrassen in der Intensivtierhaltung wird noch beschleunigt. Ein damit einherge­hender Nebeneffekt zeigt sich in ausgeräumten Agrarlandschaften und artenarmen Monokul­turen. Laut der Viehbestandserhebung des Statistischen Bundesamtes gehörten im Mai 2023 85 % der Milchkühe nur einer Rasse an. Auch in der Doppelnutzung gehören knapp 70 % der Rinder nur einer Rasse an. Bei der Fleischerzeugung bilden vier Rassen und deren Kreuzun­gen 80 % des Gesamtbestandes.2 In der Geflügelwirtschaft liegen laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen nur vier Grundrassen allen kommerziell genutzten Hybridformen zu Grunde.

Mit der Konzentration der Züchterunternehmen wird die Anzahl der Zuchtlinien auf dem Markt drastisch reduziert und die Tiere werden sich genetisch immer ähnlicher. Die Vatertiere der industriell gezüchteten und genutzten Rassen erzeugen mehrere Millionen Nachkommen und sorgen für eine unumkehrbare Verarmung des Genpools. Beim Huhn gibt es nur noch zwei Dutzend Zuchtlinien in nur drei Weltmarktunternehmen.3 Ein Drittel der Weltproduktion von Schweinefleisch, die Hälfte der Eier, zwei Drittel der Milchproduktion und drei Viertel des Ge­flügelfleisches entstammen somit wenigen industriellen Rassen, die häufig als leistungsstarke, aber wenig resiliente Hybride vermehrt werden.

Die Tiergesundheit dieser Generation-1-Hybride ist gegenüber den ursprünglichen Rassen deutlich schlechter. Legehybride werden nach etwa einem Jahr geschlachtet, da sie dann aus­gelaugt sind und ihre Legeleistung sinkt. Zusätzlich erkranken sie häufig an den Legeorganen. Bei den Masthähnchen bedingen die unnatürlich hohen Wachstumsraten Probleme bei der Fortbewegung, Erkrankungen des Skeletts, der Muskeln und des Herz-Kreislauf-Systems.4 Eine theoretisch mögliche zweite Generation ist gar nicht mehr vorgesehen, weil die ge­wünschten Eigenschaften nicht mehr vorhanden sind oder diese Hybride sich zur Qualzucht entwickeln.

Bemerkenswert ist, dass auch im vermeintlich ökologischer arbeitenden Biobereich Hybride der Standard sind. Laut einer Studie aus Dänemark weisen 85 Prozent der Legehennen – unabhängig von der Haltungsform – Brustbeinbrüche auf.5

Auch wenn EU-Rechtsvorschriften für den Ökolandbau (Artikel 8 der Verordnung (EG) Nr. 889/2008) den bevorzugten Einsatz einheimischer Nutztierrassen fordern, so konnten bisher keine signifikanten Bestandssteigerungen bei alten und gefährdeten Nutztierrassen erreicht werden. In Nordrhein-Westfalen können lediglich die Zucht und Haltung von Rinder-, Schaf-, Schweine-, Pferde- und Ziegenrassen, die in ihrem Bestand bedroht sind, gefördert werden. Andere Nutztiere erhalten keine Förderung. Dabei sind laut Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung 56 der 80 einheimischen Nutztierrassen vom Aussterben bedroht.6

In Nordrhein-Westfalen gibt es nach wie vor große Lücken und unzureichende sowie veraltete Datenlage beim Erhalt und der Zucht alter Nutztierrassen. So gibt es keinerlei Erhaltungspro­gramme für Kleinvieh, von Hühnern über Gänse bis zu Hunden und Bienen. Des Weiteren gibt es ein länderspezifisches Monitoring der Bestände von alten und bedrohten Nutztierrassen. Dabei gibt es bei bedrohten Nutztieren sogar Rassen, deren Ursprungsregion in Nordrhein-Westfalen liegt.

So ist die ursprünglich aus Westfalen-Lippe stammende Lippegans nach wie vor extrem ge­fährdet (Kategorie I), da es laut letzter Bestandszählung im Jahr 2016 nur gut hundert Tiere gab.

Der Westfälische Totleger, eine wetterharte und robuste Hühnerrasse aus dem Ravensberger Hügelland in Ostwestfalen, wird mit rund 1000 Exemplaren als stark gefährdet eingestuft (Ka­tegorie II). Zwar gilt der Totleger vorerst als gesichert, aber die vielen örtlichen Bestände, etwa im Gütersloher Raum, sind nur spärlich erfasst. Systematische Bestandsaufnahmen fehlen.

Auch der Westerwälder und Siegerländer Kuhhund leidet darunter, dass er für seine ursprüng­liche Aufgabe nicht mehr gebraucht wird und kurz vor dem Aussterben steht. Die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e.V. (GEH) ernannte ihn daher im Jahr 2020 und 2021 zur gefährdeten Nutztierrasse des Jahres und setzte eine Rassebetreuerin ein.

Wie im Falle der Lippegans ist die Erhaltung auch beim Totleger und dem Kuhhund vor allem auf das Engagement privater Züchtervereinen zurückzuführen.

Das Bentheimer Landschaf, vermutlich zu Beginn des 19. Jahrhunderts aus einer Kreuzung einheimischer Schläge entlang der deutschen und niederländischen Grenze im Nordwest-münsterland, der Grafschaft Bentheim und in Overijssel und Drenthe entstanden, kommt mit seiner Kombination aus Genügsamkeit und robuster Physis als der ideale Landschaftspfleger von Moor- und Heidegebieten in Frage. Doch auch diese Schafsrasse mit vergleichsweise besserem Bestandszahlen ist von genetischer Verarmung der Zuchtlinien und fehlender Wirt­schaftlichkeit bedroht.7

In NRW lassen sich durch den Einsatz einer solchen einheimischen Rasse gerade alte Kultur­landschaften wie die Dingdener Heide oder das Stemweder Moor ideal bewirtschaften, die auch zum ursprünglichen Verbreitungsgebiet dieser Rasse zählen und somit der Stärkung der Agrobiodiversität, des Naturschutzes und der lokalen Identität dienen.8

II. Lösungswege

Das Bewahren des kulturellen Erbes ist wichtig, da es uns hilft, unsere Identität und Geschichte zu verstehen und zu schätzen. Sobald unser Kulturgut einmal verloren gegangen ist, kann es nicht mehr zurückgebracht werden. Die Überlieferung von materiellen wie immateriellen Gü­tern ist ein wesentlicher Bestandteil unserer kulturellen Identität und unseres kollektiven Ge­dächtnisses als Gesellschaft und damit höchst schützenswert.

In diesem Sinne stellen alte Nutztierrassen nicht nur ein äußerst vielfältiges und schützens-wertes Kulturgut mit wirtschaftlichem Potenzial dar. Weil sie an spezifische Standortbedingun­gen angepasst sind, verfügen sie oft über einzigartige Merkmale, sind nützlich in der Land­schaftspflege und erhalten die lokale Identität. Seit Beginn der modernen Tierzucht hat sich die Nutztierhaltung stark verändert, und wenige spezialisierte Hochleistungsrassen haben viele der über Generationen gezüchteten alten Rassen verdrängt. Während in der heutigen Tierhaltung oftmals allein die Fleisch- oder Milchmenge sowie eine gewisse Stressresistenz der Tiere von Bedeutung sind, weisen alte Nutztierrassen individuelle und wertvolle Eigen­schaften wie Standortangepasstheit, Genügsamkeit, Langlebigkeit und Widerstandsfähigkeit gegenüber Krankheiten auf. Um in Zukunft auf sich ändernde Umweltverhältnisse, Bewirt­schaftungsmethoden und Verbrauchererwartungen reagieren zu können, ist die Erhaltung der Vielfalt bei Nutztieren unerlässlich, da sie eine notwendige genetische Reserve zur Sicherung des Genpools unseres Nutzviehs bilden.

Die genetische Diversität und die tiergenetischen Ressourcen stellen auch sicher, dass stets auf einen Pool an Resistenzgenen zurückgegriffen werden kann. Darüber verfügen neue Zuchtrassen nicht mehr. Bei sich schlagartig ändernden Naturbedingungen ist gerade das schlummernde Potenzial jener Resistenzgene von entscheidender Bedeutung.

Daher ist es nötig, den Erhalt alter und gefährdeter Nutztierrassen unter ganzheitlichen As­pekten zu betrachten.

Eine Überarbeitung der Biodiversitätsstrategie im Sinne der Stärkung der Agrobiodiversität muss daher den Aspekt des Naturschutzes, der Kulturlandschaftspflege und der lokalen Iden­tität zusammenführen. Die Bewahrung und Förderung der Agrobiodiversität beinhaltet dabei den Schutz alter Nutztierrassen, aber auch die Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten zum Erhalt dieses kulturellen Erbes und Maßnahmen, um die Zucht und die Verwendung alter Nutzviehrassen auch wirtschaftlich attraktiv zu machen und sie in den Konsum einzuspeisen.

Mit der Orientierung an bestehenden Beispielen, wie „Biosphärenprodukten“, können hoch­wertige Produkte im Lebensmittelbereich durch regionale Landwirtschaft, Handwerk und Le­bensmitteleinzelhandel sowie Gastgewerbe einen wichtigen Beitrag zur Steigerung der regio­nalen Wertschöpfung und der wirtschaftlichen Attraktivität von altem Nutzvieh leisten. Auch Umfragen unter Verbrauchern zeigen, dass diese sehr großen Wert auf Regionalität bei Le­bensmitteln legen, um die regionale Landwirtschaft, aber auch Nachhaltigkeit im Allgemeinen zu unterstützen.9 Ohne wirtschaftliche Attraktivität und Einbringen von Produkten bedrohter Haustierrassen in den Konsumkreislauf ist der langfristige Erhalt alter Nutzviehrassen jedoch nicht möglich.

Es gilt bestehende Förderlücken zu schließen und für alle bedrohten Haustierrassen eine an­gemessene Förderung für Erhalt und Zucht bereitzustellen.

Das Bewahren unseres heimischen Nutzviehs kann dabei nur gelingen, wenn Wirtschaft, Er-halterorganisationen und Wissenschaft in die Ausweitung der Biodiversitätsstrategie auf be­drohte, heimische Nutztierrassen und Integration in bestehende Schutzkonzepte eng einge­bunden werden.

Dabei ist die Haltung alter Nutzviehrassen in das Schutzkonzept der Großschutzgebiete, die als Schutzziel den Erhalt der Kulturlandschaft haben, einzupflegen. Analog zu den Arten nati­onaler Verantwortlichkeit in der bundesweit gültigen Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt sollten insbesondere Nutztierrassen, die in NRW entstanden oder ursprünglich hei­misch sind oder deren Hauptbestand in NRW gehalten wird, zu Landes-Verantwortungsarten ernannt und besonders gefördert werden.

So wird das Land seiner Verantwortung gerecht, die landestypischen Haustierrassen als Aus­druck der lokalen Identität und Gestalter der örtlichen Kulturlandschaft im regional geprägten NRW zu bewahren.

III. Der Landtag stellt fest,

  • dass unsere alten Nutztierrassen ein wichtiger Teil unserer Identität und damit schüt-zenswert sind;
  • dass Subventionen und Preisdruck die Erzeuger zwingen, auf industrielle Rassen zu setzen;
  • dass die Verbraucher ein großes Interesse an der Vielfalt von Lebensmitteln zeigen;
  • dass alte Nutztierrassen besondere Eigenschaften haben, welche unverzichtbar für eine nachhaltige Ernährungssicherheit sind;
  • dass alte Nutztierrassen bisher nicht in allen Bereichen gefördert werden.

IV. Der Landtag fordert daher die Landesregierung auf:

  1. den Erhalt alter Nutztierrassen in die Biodiversitätsstrategie aufzunehmen;
  2. ein regelmäßiges landesspezifisches Monitoring über den Erhaltungszustand alter und bedrohter Nutztierrassen zu erstellen;
  3. NRW-typische alte und bedrohte Nutztierrassen zu Landesverantwortungsarten zu er­klären;
  4. Im Rahmen der Großschutzgebiete die Haltung alter Nutztierrassen in den durch sie mitgeprägten Kulturlandschaften zu fördern;
  5. ein Pilotprojekt über die Regionalvermarktung eines aus alten Nutztierrassen entstande­nen NRW-Biosphärenproduktes ins Leben zu rufen, das die Stärkung der landwirtschaft­lichen Wertschöpfung sowie seiner vor- und nachgelagerten Gewerbe in der Region zum Ziel hat und die Verbraucher darin einbindet;
  6. Förderungslücken bei Nutztieren zu schließen und auch Kleinvieh in den Förderungska­talog aufzunehmen;
  7. Wissenschaft, Wirtschaft und Erhalterorganisationen bei der Erforschung, Erprobung und Steigerung der Agrobiodiversität durch alte und bedrohte Haustierrassen finanziell stärker zu unterstützen.

Zacharias Schalley

Andreas Keith

Dr. Martin Vincentz

und Fraktion

 

MMD18-6372

 

1 https://www.publiceye.ch/fileadmin/doc/Agrarrohstoffe/2014_PublicEye_Agropoly_Themenheft.pdf

2 https://www.bmel-statistik.de/landwirtschaft/tierhaltung/rinderhaltung#:~:text=Rinderbe-stand%20in%20Deutschland&text=Der%20Milchkuhbe-stand%20liegt%20bei%20etwa,etwa%202%2C3%20Millionen%20Tieren.

3 https://www.publiceye.ch/fileadmin/doc/Agrarrohstoffe/2014_PublicEye_Agropoly_Themenheft.pdf

4 https://www.oe24.at/tierschutz/qualzucht-und-ihre-auswirkungen-auf-masthuehner/543835981

5 https://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/wirtschaft_nt/article235629876/Oezdemir-besorgt-ueber-Brustbeinbrueche-von-Legehennen.html

6 https://www.ble.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/220106_RoteListe.html

7 https://www.bentheimer-landschaf.de/das-bentheimer-landschaf/

8 Vgl. https://www.arche-warder.de/tiere/bentheimer-landschaf/, abgerufen a, 6.9.2023.

9 https://www.vzbv.de/sites/default/files/2022-03/22-03-02_Onlinebefragung_Regionale%20Lebens-mittel.pdf