Kleine Anfrage 2626
des Abgeordneten Markus Wagner AfD
Angegriffen – Gefahrenzone Öffentlicher Dienst: Was unternimmt die Landesregierung zum Schutz der Beschäftigten?
Der Umbau der Kfz-Zulassungsstelle am Höherweg ist abgeschlossen. Rund 1,5 Millionen Euro hat die Stadt Düsseldorf dafür investiert.1 Die Behörde wurde einer Modernisierung unterzogen, um dem hohen Kundenandrang gerecht zu werden und die Wartezeiten kürzer zu gestalten. Gegenüber der „Rheinischen Post“ beschreibt die Ordnungsdezernentin die Arbeit ihrer Behörde als „ein Massengeschäft“2. Überdies nennt sie als wichtigen Grund für den Umbau die Sicherheit der Beschäftigten. Um sie besser schützen zu können, würden die circa 60 Mitarbeiter nun in einem abgetrennten Bereich sitzen, welcher für Kunden unzugänglich sei. Der Ordnungsdezernentin zufolge sei diese Distanz wichtig, denn die Angriffe auf Düsseldorfer Behörden würden insgesamt zunehmen.3
Auch eine Umfrage der Deutschen Beamtenbund-Jugend NRW aus dem Jahr 2022 legt nahe, dass die Gewalt-Hemmschwelle gesunken ist. Rund 300 Beschäftigte aus unterschiedlichen Bereichen des Öffentlichen Diensts wurden gefragt: „Haben Übergriffe während der Pandemie zugenommen?“4 Das Ergebnis: 51 Prozent gaben an, dass die Zahl verbaler und körperlicher Übergriffe merklich zugenommen habe. 22 Prozent wollen zumindest einen leichten Anstieg bemerkt haben.5
Hierzu kommentiert die Vorsitzende der Deutschen Beamtenbund-Jugend NRW (dbb jugend nrw): Das Umfrageergebnis sei „weitaus schockierender als das, was die PKS [Polizeiliche Kriminalstatistik] dokumentiert“6. Denn häufig würden die Vorfälle nicht zur Strafanzeige gebracht, sodass die Polizeistatistik dementsprechend nur ein unvollständiges Bild zeichne. Es sei von einer großen Dunkelziffer auszugehen.7
In einem Online-Beitrag für „Gefahrenzone Öffentlicher Dienst“ gelangen die Autoren zur Einschätzung: Die gehäuften Übergriffe seien Ausdruck einer „grundsätzlich aggressiveren und angeheizten Stimmung der Menschen im Verlauf der Pandemie“8. Lockdown-Maßnahmen, Zugangsbeschränkungen für ungeimpfte Menschen sowie der Zwang zum Maskentragen hätten „möglicherweise zur Steigerung des Aggressionspotenzials“9 beigetragen. Durch Inflation und Energiekrise stünden viele Bürger zudem finanziell mit dem Rücken zur Wand.10
Die dbb jugend nrw fordert seit geraumer Zeit, die Zahl der Übergriffe auf Beschäftigte im Öffentlichen Dienst zentral über die PKS (Polizeiliche Kriminalstatistik) zu erheben. Sie moniert: Würden nicht einzelne Fachverbände die Übergriffe dokumentieren, gebe es keine Vorstellung von der Lage. Der Staat sei jedoch in der Pflicht gegenüber seinen Beschäftigten. Eine zentrale und verlässliche Erhebung müsse demnach eingeführt werden.11 Die dbb jugend werde das „so nicht stehen lassen“ – es sei wichtig, in den Statistiken „genau ablesen zu können, welche Bereiche besonders gefährdet sind“12. Nur auf diesem Wege könnten effektive Gegenmaßnahmen ergriffen werden.13 In der Stadt Wuppertal gebe es immerhin das Konzept des sogenannten „Blauen Briefs“: Bürger, die beim Besuch der Verwaltung durch unangemessenes Verhalten auffallen, werden mit diesen Briefen verwarnt.14 „Manche Bürger reflektieren ihr Fehlverhalten nach Erhalt der Briefe“15, erklärt die Vorsitzende der dbb jugend nrw. „Wir erleben, dass sogar einige dann bei den betroffenen Beschäftigten anrufen und sich entschuldigen.“16 In Köln wiederum gibt es ein zentrales Melde- und Auskunftssystem (ZeMAG), in dem Übergriffe erfasst und bearbeitet werden.17
Ich frage daher die Landesregierung:
- Angesichts der hohen Dunkelziffer: Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, damit Übergriffe auf Beschäftigte im Öffentlichen Dienst schnell, zentral und lückenlos erfasst sowie strafrechtlich verfolgt werden können?
- Für wie zielführend hielte die Landesregierung den Einsatz von Schildern und Info-Displays (vgl. Waffenverbotszonen), welche die Besucher der Behörden zu mehr Diplomatie, Friedfertigkeit bzw. Entspannungsübungen anhalten?
- Welche Lehren und politischen Zielsetzungen ergeben sich für die Landesregierung aus den Ausführungen der dbb jugend nrw, dass das gestiegene Gewaltpotenzial auf Inflation, Energiekrise und nicht zuletzt die Corona-Maßnahmenpolitik zurückzuführen sei?
- Falls es erneut zu einer pandemischen Krisenlage kommen sollte: Inwiefern würde die Landesregierung die Infektionsschutzmaßnahmen künftig liberaler bzw. kulanter gestalten, um psychosoziale „Kollateralschäden“ sowie aggressive Stimmungen in der Bevölkerung möglichst niedrig zu halten?
- In Wuppertal erhalten Bürger einen „Blauen Brief“, wenn sie beim Besuch der Verwaltung aggressiv aufgefallen sind. Wiederum in Köln gibt es ein zentrales Melde-und Auskunftssystem (ZeMAG), in dem Übergriffe erfasst werden. Welche Konzepte dieser Art, die auch darauf abzielen, bei übergriffigen Personen einen Reflexionsprozess anzustoßen, können nach Ansicht der Landesregierung für ganz NRW etabliert werden? (Falls Entsprechendes geplant ist: Bitte die voraussichtlichen Starttermine angeben.)
Markus Wagner
1 Vgl. https://rp-online.de/nrw/staedte/duesseldorf/duesseldorf-kfz-zulassungsstelle-verspricht-termin-binnen-24-stunden_aid-97289459 (11.09.2023, abgerufen am 12.09.2023).
2 Ebenda.
3 Vgl. ebenda.
4 https://forum.dguv.de/ausgabe/3-2023/artikel/gewaltpraevention-im-oeffentlichen-dienst-in-nordrhein-westfalen (01.03.2023; abgerufen am 12.09.2023).
5 Vgl. https://www.angegriffen.info/weniger-straftaten-aber-mehr-uebergriffe-auf-beschaeftigte (28.11.2022; abgerufen am 12.09.2023).
6 Ebenda.
7 Vgl. https://forum.dguv.de/ausgabe/3-2023/artikel/gewaltpraevention-im-oeffentlichen-dienst-in-nordrhein-westfalen (01.03.2023; abgerufen am 12.09.2023).
8 https://www.angegriffen.info/weniger-straftaten-aber-mehr-uebergriffe-auf-beschaeftigte (28.11.2022; abgerufen am 12.09.2023).
9 Ebenda.
10 Vgl. ebenda.
11 Vgl. ebenda.
12 Ebenda.
13 Vgl. ebenda.
14 Vgl. https://www.angegriffen.info/sicher-im-dienst-will-praxisnahe-hilfe-in-sachen-sicherheit-liefern (24.01.2023; abgerufen am 12.09.2023).
15 Ebenda.
16 Ebenda.
17 Vgl. https://www.angegriffen.info/sicher-im-dienst-will-praxisnahe-hilfe-in-sachen-sicherheit-liefern (24.01.2023; abgerufen am 12.09.2023).
Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 2626 mit Schreiben vom 6. November 2023 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Ministerpräsidenten sowie allen übrigen Mitgliedern der Landesregierung beantwortet.
- Angesichts der hohen Dunkelziffer: Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, damit Übergriffe auf Beschäftigte im Öffentlichen Dienst schnell, zentral und lückenlos erfasst sowie strafrechtlich verfolgt werden können?
Die Polizei Nordrhein-Westfalen erfasst Sachverhalte in ihrem Vorgangsbearbeitungssystem und nimmt dabei eine erste rechtliche Bewertung vor. Nach Abgabe des Vorgangs an die sachleitende Staatsanwaltschaft wird dort über die weitere justizielle Einordnung und Bearbeitung entschieden. Die Strafverfolgungsbehörden sind nach der Strafprozessordnung grundsätzlich verpflichtet, bei Verdacht einer Straftat von Amts wegen zu ermitteln.
Die statistische Erfassung von Straftaten erfolgt nach Abschluss aller Ermittlungen in der Polizeilichen Kriminalstatistik Nordrhein-Westfalen. Sie wird nach bundeseinheitlich festgelegten Richtlinien erstellt.
Über die Aufnahme von Berufs- bzw. Tätigkeitsgruppen in die Polizeiliche Kriminalstatistik wird bundeseinheitlich in Gremien entschieden. Derzeit werden unter anderem „Lehrkräfte“, „Vollzugsbeamte“, „Rettungsdienste“, „Vollstreckungsbeamten Gleichstehende ohne Rettung“ und „sonstige Berufe“ erfasst. Beschäftigte im öffentlichen Dienst werden aufgrund der verschiedenen denkbaren Konstellationen regelmäßig unter „sonstige Berufe“ erfasst.
- Für wie zielführend hielte die Landesregierung den Einsatz von Schildern und Info-Displays (vgl. Waffenverbotszonen), welche die Besucher der Behörden zu mehr Diplomatie, Friedfertigkeit bzw. Entspannungsübungen anhalten?
Der sensiblen Kommunikation und fachlich fundierten Information aller Beteiligten kommt vor einem bzw. im Konfliktfall stets eine besondere Bedeutung zu.
Eine Aussage darüber, inwieweit der spezielle Einsatz von Schildern und Info-Displays zielführend und geeignet ist, mögliche Konfliktfälle zu mindern oder zu verhindern, ist der Landesregierung aufgrund fehlender Erfahrungswerte und wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht möglich.
- Welche Lehren und politischen Zielsetzungen ergeben sich für die Landesregierung aus den Ausführungen der dbb jugend nrw, dass das gestiegene Gewaltpotenzial auf Inflation, Energiekrise und nicht zuletzt die Corona-Maßnahmenpolitik zurückzuführen sei?
Der Landesregierung liegen keine belastbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber vor, ob das gestiegene Gewaltpotenzial auf Inflation, Energiekrise oder die Corona-Maßnahmenpolitik zurückzuführen ist.
Gewaltprävention hat für die Landesregierung einen hohen Stellenwert. Maßnahmen zur Gewaltprävention werden regelmäßig überprüft und mit anderen Verantwortungsträgern abgestimmt. So handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die vernetzt, interdisziplinär, als ressort- und institutionenübergreifende Kooperation auf mehreren Ebenen umgesetzt werden muss. Dementsprechend lässt die Polizei Nordrhein-Westfalen nicht in ihren Bemühungen nach, auch der Gewaltkriminalität zum Nachteil der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes vorzubeugen.
- Falls es erneut zu einer pandemischen Krisenlage kommen sollte: Inwiefern würde die Landesregierung die Infektionsschutzmaßnahmen künftig liberaler bzw. kulanter gestalten, um psychosoziale „Kollateralschäden“ sowie aggressive Stimmungen in der Bevölkerung möglichst niedrig zu halten?
Für die Landesregierung waren während der gesamten Corona-Pandemie insbesondere die auf wissenschaftlicher Expertise basierenden Empfehlungen des Robert Koch-Instituts zum Infektionsschutz sowie darüber hinausgehende wissenschaftliche Erkenntnisse und Empfehlungen des Expertenrates Corona der Landesregierung handlungsleitend. Die von der Landesregierung ergriffenen einschränkenden Maßnahmen wie z.B. Testpflichten, Isolation, Maskenpflichten, Besuchs- bzw. Betre-tungsverbote sind grundsätzlich geeignet, um ein durch luftgetragene Erreger (wie z.B. Corona, Influenza, RSV, Rhinoviren) hervorgerufenes Infektionsgeschehen einzudämmen. Die Entscheidungen hinsichtlich jeglicher Maßnahmen und Vorkehrungen wurden von der Landesregierung dabei stets unter Berücksichtigung verschiedener Gesichtspunkte sowie der zu erwartenden Auswirkungen auf die Bevölkerung und der entsprechenden Datenlage gründlich abgewogen. Es erfolgte eine fortlaufende Überprüfung aller Maßnahmen hinsichtlich der Erforderlichkeit und Angemessenheit sowie bei Bedarf eine Anpassung auf Basis neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Dieses situations- und erregerangepasste Vorgehen wird die Landesregierung auch in Zukunft verfolgen.
- In Wuppertal erhalten Bürger einen „Blauen Brief“, wenn sie beim Besuch der Verwaltung aggressiv aufgefallen sind. Wiederum in Köln gibt es ein zentrales Melde und Auskunftssystem (ZeMAG), in dem Übergriffe erfasst werden. Welche Konzepte dieser Art, die auch darauf abzielen, bei übergriffigen Personen einen Reflexionsprozess anzustoßen, können nach Ansicht der Landesregierung für ganz NRW etabliert werden? (Falls Entsprechendes geplant ist: Bitte die voraussichtlichen Starttermine angeben.)
Im Rahmen der NRW-Initiative „Mehr Schutz und Sicherheit von Beschäftigten im öffentlichen Dienst“ hat das Land berufsgruppenübergreifende Handlungsempfehlungen zusammengestellt. Diese enthalten eine Vielzahl an hilfreichen Aktivitäten und Maßnahmen, die einen Reflexionsprozess unterstützen können. In den Handlungsempfehlungen wird beispielsweise eine „Grundsatzerklärung gegen Gewalt“ empfohlen, durch die Behörden, Einrichtungen und Organisationen ein deutliches Signal an die Beschäftigten senden und gleichzeitig nach außen einen Reflexionsprozess anstoßen können. Die Stadt Bonn hat für Einsatzkräfte des Kommunalen Ordnungsdiensts Bodycams mit Spiegelfunktion eingeführt, die den aggressiven Personen ihr Verhalten widerspiegeln und somit zur erfolgreichen Deeskalation beitragen. Eine weitere Handlungsempfehlung ist die konsequente Verfolgung von Gewaltvorfällen durch die Erstattung von Strafanzeigen und in diesem Kontext die Stellung von Strafanträgen durch Behördenleitungen. Dieses einheitliche Vorgehen verdeutlicht sowohl nach innen als auch außen die gelebte Sicherheitskultur innerhalb der Organisation. Auch die darüber hinaus mögliche Speicherung in Melde- und Auskunftsregistern kann bei den Personen eine weitergehende Reflexion nach Gewalthandlungen bewirken. Des Weiteren bietet das Netzwerk #sicherim-Dienst die Möglichkeit zum berufsgruppenübergreifenden Austausch weiterer hilfreicher Maßnahmen. In diesem Kontext sind beispielsweise die „Blauen Briefe“ des Sozialamts der Stadt Wuppertal sichtbar gemacht worden.