Antisemitismusprävention an Schulen

Kleine Anfrage
vom 28.05.2021

Kleine Anfrage 5516der Abgeordneten Helmut Seifen und Andreas Keith vom 28.05.2021

 

Antisemitismusprävention an Schulen

Immer wieder wird in den Medien über judenfeindliche Beleidigungen und Übergriffe an Schulen berichtet. Das Antisemitismus-Problem ist komplex: Es geht um Stereotype, den Nahost-Konflikt, Lücken im Lehrplan und überforderte Schüler und Lehrer. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung erklärte in einem Interview mit dem „Deutschlandfunk“: „Das Wort ‚du Jude‘ ist leider zu einem Schimpfwort auf vielen deutschen Schulhöfen verkommen. […] Lehrerinnen und Lehrer sind oftmals nicht in der Lage, mit diesen antisemitischen Dingen umzugehen.“

Deshalb fordert der Antisemitismusbeauftragte insbesondere, dass in der Lehrerausbildung bessere Kenntnisse zum Thema Israel und Antisemitismus vermittelt werden müssen. Vor allem im Geschichtsunterricht sei es nach seiner Auffassung wichtig, dass anders über jüdisches Leben in Deutschland und Antisemitismus nach 1945 gesprochen werden muss.1

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung sagt in einem Interview, dass Lehrer verpflichtet werden sollten, während ihrer Ausbildung bzw. während ihres Studiums eine Gedenkstätte zu besuchen, damit sie auch die Geschichte kennen. Damit eng verknüpft sei es wichtig, dass Lehrer die Entstehung des Staates Israels kennen, da der Antisemitismus, der heute auf Schulhöfen verbreitet wird, oftmals mit der Entstehungsgeschichte Israels zu tun hat.2 Inwiefern teilt die Landesregierung die Auffassung, dass sich Lehrer in ihrer Ausbildung bzw. ihres Studiums intensiver mit der Geschichte Israels und mit dem Holocaust befassen sollten?
  2. Inwieweit werden Lehrer durch das Schulministerium für das Thema Antisemitismus an Schulen sensibilisiert? (Bitte aufschlüsseln nach Art der Maßnahme der Sensibilisierung)
  3. Inwieweit werden Lehrer und Schulen durch die Antisemitismusbeauftragte der Landesregierung unterstützt? (Bitte aufschlüsseln nach Art der Unterstützung)
  4. Welche Präventionsmaßnahmen des Innenministerium werden zum Thema Antisemitismus an Schulen angeboten? (Bitte aufschlüsseln nach Art des Angebots)
  5. Inwieweit plant die Landesregierung, Lehrkräften Hilfestellungen im Umgang mit islamischen Antisemitismus zu bieten? (Bitte Aufschlüsseln nach Art der Unterstützung)

Helmut Seifen
Andreas Keith

 

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1 https://www.deutschlandfunk.de/antisemitismusbeauftragter-felix-klein-lehrer-oftmals-nicht.680.de.html?dram:article_id=487225

2 Ebd.


Die Ministerin für Schule und Bildung hat die Kleine Anfrage 5516 mit Schreiben vom 5. Juli 2021 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Fa­milie, Flüchtlinge und Integration, dem Minister des Innern und der Ministerin für Kultur und Wissenschaft beantwortet.

Vorbemerkung der Landesregierung

Nordrhein-Westfalen tritt allen Formen des Extremismus an Schulen mit einer klaren Haltung deutlich entgegen und fördert strukturell und konzeptionell schulische Prävention und Inter­vention. Dies gilt auch für alle Formen antisemitischer Haltungen, da antisemitische Stereo­type, Erzählungen und Verschwörungsmythen in allen gesellschaftlichen Gruppen, Milieus und Schichten vorkommen können. Ihnen sachkompetent zu begegnen, ist eine wichtige Auf­gabe, die sich für Lehrkräfte, aber auch für alle Mitglieder der Zivilgesellschaft, ergibt. Schule kann hierzu einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie zentrale Kompetenzen vermittelt, um menschenfeindlichen Haltungen entschlossen entgegenzuwirken.

  1. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung sagt in einem Interview, dass Lehrer verpflichtet werden sollten, während ihrer Ausbildung bzw. während ihres Studiums eine Gedenkstätte zu besuchen, damit sie auch die Geschichte kennen. Damit eng verknüpft sei es wichtig, dass Lehrer die Entstehung des Staa­tes Israels kennen, da der Antisemitismus, der heute auf Schulhöfen verbreitet wird, oftmals mit der Entstehungsgeschichte Israels zu tun hat. Inwiefern teilt die Landesregierung die Auffassung, dass sich Lehrer in ihrer Ausbildung bzw. ihres Studiums intensiver mit der Geschichte Israels und mit dem Holocaust befassen sollten?

Die konkrete inhaltliche Ausgestaltung für die erste Ausbildungsphase in Lehramtsstudiengän­gen obliegt den einzelnen Universitäten im Rahmen der sog. Fachstandards der KMK. Dazu zählt auch die Beschäftigung mit der Geschichte Israels und dem Holocaust, die z.B. thema­tisch im Studium für das Unterrichtsfach Geschichte oder in den für alle Lehrämter verbindli­chen Bildungswissenschaften berücksichtigt werden kann. Die Konzeption und inhaltlich-fach­liche Gestaltung der Studiengänge sind Gegenstand von Akkreditierungs- und Reakkreditie-rungsprozessen, an denen das Land Nordrhein-Westfalen beteiligt ist. Dabei finden fachüber­greifend auch die Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16.12.2004 i. d. F. vom 16.05.2019) Anwendung, in denen aus­drücklich die interkulturellen Dimensionen bei der Gestaltung von Bildungs- und Erziehungs­prozessen und das Wissen und die Reflexion demokratischer Werte und Normen sowie ihre Vermittlung genannt sind. Das schließt die historische Dimension mit Verweisen auf die Ge­genwart ein.

Für die zweite Phase der Lehrerausbildung ist das Kerncurriculum maßgeblich, das die Aus­bildung im Vorbereitungsdienst konturiert und strukturiert. In der Neufassung des Kerncurricu­lums vom 25.03.2021 ist das Thema „Antisemitismus“ explizit in den gesellschaftlichen und schulpolitischen Bezügen des Handlungsfeldes E – Den Erziehungs- und Bildungsauftrag in Schule und Unterricht wahrnehmen aufgeführt. Somit wirkt das Thema Antisemitismus auf die verpflichtend zu behandelnden Konkretionen des Handlungsfeldes E.

Die Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung bieten zudem Seminare zur Extremis-musprävention mit unterschiedlichen Schwerpunkten an. Lehramtsanwärterinnen und Lehr­amtsanwärter werden in ihrer Schule mit den unterschiedlichen Programmen der Landesre­gierung konfrontiert und setzen sich mit dem Notfallordner für Schulen in Nordrhein-Westfalen auseinander. Ebenso ist der Aktionsplan „Gewaltprävention – für Demokratie und Respekt“ Bestandteil der Auseinandersetzung mit relevanten Themen innerhalb der Ausbildungsschule.

  1. Inwieweit werden Lehrer durch das Schulministerium für das Thema Antisemitis­mus an Schulen sensibilisiert? (Bitte aufschlüsseln nach Art der Maßnahme der Sensibilisierung)
  2. Inwieweit plant die Landesregierung, Lehrkräften Hilfestellungen im Umgang mit islamischen Antisemitismus zu bieten? (Bitte Aufschlüsseln nach Art der Unter­stützung)

Frage 2 und Frage 5 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.

In Nordrhein-Westfalen bestehen in Bezug auf antisemitische Vorfälle an Schulen klare recht­liche Regelungen. Der gemeinsame Runderlass des Ministeriums für Inneres und Kommuna­les, des Justizministeriums, des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter, des Ministeriums für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport sowie des Ministeriums für Schule und Weiterbildung in Überarbeitung vom 19.11.2019 „Zusammenarbeit bei der Verhü­tung und Bekämpfung der Jugendkriminalität“ (BASS 18 -03 Nr.1) gibt vor, dass soweit sich der Verdacht eines Vergehens ergibt, die Schulleitung zu prüfen hat, ob pädagogische/schul-psychologische Unterstützung, erzieherische Einwirkungen beziehungsweise Ordnungsmaß­nahmen ausreichen oder ob wegen der Schwere der Tat eine Benachrichtigung der Polizei oder der Staatsanwaltschaft erforderlich ist. Politisch motivierte Straftaten, unter die antisemi­tische Äußerungen und Delikte fallen, sind hier explizit genannt. Darüber hinaus hat das Mi­nisterium für Schule und Bildung auf Grundlage einer Schulmail vom 8. Mai 2018 Schulen dazu aufgefordert, Antisemitismus entschieden entgegenzutreten und antisemitische Strafta­ten bei der Polizei anzuzeigen.

In dem im Mai 2019 vorgestellten Aktionsplan zur Gewaltprävention „Für Demokratie und Res­pekt“ wird die zentrale Bedeutung, gegen Extremismus in seinen Anfängen und gegen offen ausgeprägte Diskriminierung vorzugehen, an mehreren Stellen explizit hervorgehoben. Die Schulen sollen diesen Tendenzen in jeder Form präventiv und interventiv entgegenwirken. Ein wichtiger Ansprechpartner für Schulen bei diesen Themen ist die Schulpsychologie. Hinzu kommen 54 Stellen für Beratungslehrkräfte oder sozialpädagogische Fachkräfte, die die Schu­len vor allem bei der Gewalt- und Extremismusprävention und daher auch zum Thema Antise­mitismus unterstützen.

Für ausgebildete Lehrkräfte hält die staatliche Lehrerfortbildung im Bereich der Antisemitis-musprävention bereits eine Vielzahl an Maßnahmen und Angeboten vor. Darüber hinaus wird zur Ergänzung und Bündelung gegenwärtig eine Arbeitsgruppe eingerichtet.

Im Rahmen des allgemeinen Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule sind grundsätzlich alle Kernlehrpläne so angelegt, dass sie die Entwicklung einer mündigen und sozial verant­wortlichen Persönlichkeit fördern und Beiträge zu fachübergreifenden Querschnittsaufgaben in Schule und Unterricht leisten. Zu diesen Querschnittsaufgaben zählen u.a. Menschen­rechtsbildung, Werteerziehung sowie politische Bildung und Demokratieerziehung. Die Anlage dieser fächerübergreifenden Querschnittsaufgaben als gemeinsame Grundlage aller Fächer hebt die besondere Bedeutung hervor und sensibilisiert somit gleichzeitig auch die Lehrkräfte für den Umgang damit eng verbundener Problematiken wie dem Antisemitismus.

Darüber hinaus wird das Thema Antisemitismus beispielsweise in den Fächern des Lernbe­reiches Gesellschaftslehre im Kernlehrplan Wirtschaft-Politik für die Sekundarstufe I und im Geschichtsunterricht der gymnasialen Oberstufe behandelt. Sehr klar formuliert der Lehrplan hier, dass die Frage nach der heutigen Verantwortung beim Umgang mit der NS-Vergangen­heit „von dauerhaftem Gegenwartsbezug“ bleibt.

Derzeit wird eine Überprüfung von Schulbüchern auf eine unangemessene Darstellung des Judentums und jüdischer Geschichte durchgeführt. Dazu wurde mit dem Georg-Eckert-Institut (Leibnitz-Institut für internationale Schulbuchforschung) ein umfangreicher Fragenkatalog ent­wickelt. Dieser Katalog wurde durch die Antisemitismus-Beauftragte des Landes, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sowie durch den Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland überprüft. Anhand des Katalogs überprüft das Georg-Eckert-Institut die Inhalte aller relevanten Schulbücher.

  1. Inwieweit werden Lehrer und Schulen durch die Antisemitismusbeauftragte der Landesregierung unterstützt? (Bitte aufschlüsseln nach Art der Unterstützung)

Die Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen steht von Antisemitismus Be­troffenen bspw. aus dem schulischen Raum als erste Ansprechpartnerin zur Verfügung. Bei antisemitischen Vorfällen erfolgt eine Verweisberatung. Bei Vorfällen in Schulen, die der Anti-semitismusbeauftragten zur Kenntnis gelangen, erfolgt zudem in Absprache mit der betroffe­nen Person eine Weitergabe des Vorfalls an das Ministerium für Schule und Bildung.

Ausweislich der Jahresberichte für 2019 sowie für 2020 führt die Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen kontinuierliche Gespräche mit Lehrkräften, Lehrerverbänden und -ge-werkschaften über Möglichkeiten der Vernetzung von Präventionsprojekten sowie neue Formate für die Präventionsarbeit. Ebenso werden verschiedene Forschungs- und Prä-ventionsprojekte durch die Antisemitismusbeauftragte unterstützt. Darüber hinaus hat die Bund-Länder-Kommission der Antisemitismusbeauftragten, in der auch die Antisemitismusbe-auftragte des Landes Nordrhein-Westfalen mitwirkt, eine gemeinsame Empfehlung mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland und der Kultusministerkonferenz zum Umgang mit Anti­semitismus in der Schule gefasst.

Um an Schulen und Bildungseinrichtungen die unterschiedlichen Erscheinungsformen des An­tisemitismus zu thematisieren und zielgruppengerechte Präventionsmaßnahmen zu initiieren, bietet die Antisemitismusbeauftragte die Durchführung von Workshops in Kooperation mit dem Mideast Freedom Forum e.V. sowie dem Projekt „Die Blickwandler“ mit Burak Yilmaz an.

Weitere konkretere Informationen sind dem jeweiligen Jahresbericht der Antisemitismusbeauf-tragten zu entnehmen.

  1. Welche Präventionsmaßnahmen des Innenministeriums werden zum Thema Anti­semitismus an Schulen angeboten? (Bitte aufschlüsseln nach Art des Angebots)

Auf Einladung von Schulen und Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung führt der nord­rhein-westfälische Verfassungsschutz regelmäßig Sensibilisierungsveranstaltungen für Schü­lerinnen und Schüler sowie für Lehrkräfte zu ideologischen Mustern, Erscheinungsformen und Strategien des Rechtsextremismus durch. Antisemitismus ist nach wie vor ein Kernelement rechtsextremistischer Ideologie, insbesondere der neonazistischen Szene. Daher wird die Ju­denfeindschaft in ihren unterschiedlichen Ausprägungen in allen Veranstaltungen eingehend thematisiert.

Zudem bietet der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz im Bereich Islamismus Sensibili-sierungsveranstaltungen für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren an, in dem auch Antisemi­tismus als ideologisches Kernelement des Islamismus thematisiert wird.

Darüber hinaus koordiniert und finanziert das Ministerium des Innern das Landespräventions-programm „Wegweiser – gemeinsam gegen gewaltbereiten Salafismus“. Die 25 zivilgesell­schaftlichen oder kommunalen Wegweiser-Beratungsstellen behandeln vor Ort im Rahmen von Sensibilisierungsveranstaltungen und Workshops für Schülerinnen und Schüler sowie für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren (z.B. Lehrkräfte) verschiedene ideologische Aspekte im Islamismus wie den Antisemitismus.

Zudem finden im Rahmen der institutionalisierten Zusammenarbeit zwischen der nordrhein-westfälischen Polizei, dem Ministerium des Innern, den Mobilen Beratungsstellen gegen Rechtsextremismus NRW und den Opferberatungsstellen NRW (Opferberatung Rheinland und BackUp) seit Jahren regelmäßige Besprechungen statt. Im Rahmen dieser Zusammen­künfte teilten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Mobilen Beratung mit, dass sie aufgrund antisemitischer Vorfälle an Schulen angefragt wurden. Als Auslöser der Vorfälle bestätigten sich in Einzelfällen rechtsextremistisches Gedankengut sowie ethnische, islamistische oder religiöse Motive. Bei Bedarf wurden und werden die örtlich zuständigen Kreispolizeibehörden mit ihren Präventions- und/oder Staatsschutzdienststellen durch die Mitarbeiterinnen und Mit­arbeiter der Mobilen Beratung eingebunden, um gemeinsam Lehrkräfte an den betroffenen Schulen zu dieser Thematik zu beraten.

 

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