Kleine Anfrage 2171des Abgeordneten Markus Wagner vom 06.03.2019
Anwärtergewinnung im Justizvollzug NRW – Nur schöne Online-Bilder und nichts dahinter?
Seit Jahren bemüht sich die NRW-Justiz im Bereich des Allgemeinen Vollzugsdienstes (AVD) um geeignete Bewerber – mit mäßigem Erfolg. Der Grund dafür könnte neben einer dezentralen Einstellungspraxis – schließlich stellt jede JVA nach einem ihr zugewiesenen Stellenplan jeweils im Laufe eines Jahres zu unterschiedlichen Zeiten selbst ein – auch in einer intransparenten Stellenbeschreibung liegen.
Insbesondere im Bereich der Vergütung und Besoldung während der Ausbildung fehlt es an der erforderlichen Transparenz, um potentielle Bewerber für einen Beruf im Justizvollzug zu begeistern. Ein besonderes Augenmerk wird auf lebensältere Bewerber mit möglichst abgeschlossener Berufsausbildung gelegt.
Die Ausbildung richtet sich nach der Verordnung über die Ausbildung und Prüfung für die Laufbahn des Allgemeinen Vollzugsdienstes bei Justizvollzugseinrichtungen des Landes Nordrhein-Westfalen1.
Da aber gerade potentielle Bewerber in einem entsprechenden Alter mit Berufsausbildung oftmals schon in einem eigenen Familienleben stehen, erscheint Ihnen eine Bewerbung unter Zugrundelegung von reinen Anwärterbezügen von 1.199,78 Euro in den Besoldungsgruppen A5 – A 8 möglicherweise weniger erstrebenswert.
§76 LBesG NRW, Besoldungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen, Anwärtersonderzuschläge, sagt aus2: (1) Besteht ein erheblicher Mangel an qualifizierten Bewerberinnen und Bewerbern, kann das Finanzministerium oder die von ihm bestimmte Stelle Anwärtersonderzuschläge gewähren. Diese „Anwärtersonderzuschläge“ werden nun bereits seit Jahren aufgrund „eines erheblichen Mangels an qualifizierten Bewerbern“ geleistet. Leider tauchen diese „Anwärtersonderzuschläge“ in keiner Bewerbungs- oder Informationsplattform des Ministeriums auf, sind nicht rechtsverbindlich und müssen jährlichmit dem Minister der Finanzen neu verhandelt werden. Auch in offiziellen „Stellenausschreibungen“3 sind diese Informationen nicht auffindbar.
Ich frage daher die Landesregierung:
1. Wie viele Bewerber für den Allgemeinen Vollzugsdienst (AVD) standen wie vielen offenen Stellen gegenüber? (Bitte aufschlüsseln für die Jahre 2016 bis 2018 und für 2019)
2. Warum führt die Justiz NRW kein einheitliches Bewerbungs- und Auswahlverfahren, ähnlich der Polizei NRW, durch?
3. Warum werden Anwärtersonderzuschläge für den Bereich des Allgemeinen Vollzugsdienstes (AVD) nicht grundsätzlich gewährt und unterliegen einer jährlichen Überprüfung durch das Finanzministerium?
4. Warum wird auf die Gewährung von Anwärtersonderzuschlägen nicht in offiziellen Internetauftritten des Ministeriums für Justiz aufmerksam gemacht, um so einen größeren Bewerberkreis anzusprechen?
5. Wie stellt sich die Personalentwicklung anhand des zu erwartenden Bedarfs an Justizvollzugsbeamten von 2019 bis 2030 dar? (Bitte aufschlüsseln nach Anzahl jährlich erforderlicher Ausbildungszahlen und entgegenstehender Ausbildungskapazitäten sowohl in den JVA´en als auch in der Justizvollzugsschule Nordrhein-Westfalen (JVS))
Markus Wagner
1 Vgl. die Ausbildungsordnung allgemeiner Vollzugsdienst APOaVollzD
2 Vgl. https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_text_anzeigen?v_id=63520160805093234355.
Nachfolgend die Antwort der Landesregierung, verfasst am 17.04.2019
Der Minister der Justiz hat die Kleine Anfrage 2171 mit Schreiben vom 17. April 2019 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen beantwortet.
1. Wie viele Bewerber für den Allgemeinen Vollzugsdienst (AVD) standen wie vielen offenen Stellen gegenüber? (Bitte aufschlüsseln für die Jahre 2016 bis 2018 und für 2019)
Den freien Planstellen für die Laufbahn des Allgemeinen Vollzugsdienstes standen in den Jahren 2016 bis 2019 folgende Zahlen an Bewerberinnen und Bewerber gegenüber:
Zahl der Bewerber/innen | Freie Stellen
(Vergleich |
||
Bewerber/innen | Stichtag | zum Stichtag 01.01. | |
2016 | 4821 | ganzjährig | 183,25 |
2017 | 5462 | ganzjährig | 242,9 |
2018 | 3697 | 01.06.2018 | 404,48 |
2019 | 315,29 |
Es ist darauf hinzuweisen, dass der Anstieg der Zahl der freien Planstellen in den Jahren 2018/2019 gegenüber den Jahren 2016/2017 auf der Einrichtung neuer Planstellen in den Jahren 2018 (189) und 2019 (63) beruht. Diese neuen Stellen waren am 01.01. des Jahres verständlicherweise noch nicht besetzt.
Die Anzahl der in den Justizvollzugseinrichtungen ab 01.06.2018 eingegangenen Bewerbungsgesuche werden im Rahmen der jährlichen Abfrage in den Justizvollzugseinrichtungen im Juni 2019 ermittelt.
2. Warum führt die Justiz NRW kein einheitliches Bewerbungs- und Auswahlverfahren, ähnlich der Polizei NRW, durch?
Die Durchführung des Auswahlverfahrens bei Bewerberinnen und Bewerbern für die Laufbahnen des Allgemeinen Vollzugsdienstes und des Werkdienstes bei Justizvollzugseinrichtungen des Landes Nordrhein-Westfalen wird durch die AV vom 20.08.1984 (2400 – IV A. 1) sowie die Verordnung zur Neuregelung der Ausbildung und Prüfung für die Laufbahnen des Allgemeinen Vollzugsdienstes und des Werkdienstes bei Justizvollzugseinrichtungen des Landes Nordrhein-Westfalen vom 04.06.2013 (APOaVollzD und WD) geregelt. Die in der AV vom 20.08.1984 getroffenen Regelungen werden derzeit unter anderem mit Blick auf die Umsetzung eines zentralisierten Auswahlverfahrens für die Laufbahnen des Allgemeinen Vollzugsdienstes und des Werkdienstes überprüft. Eine Umsetzung wird aus folgenden Gründen bislang als problematisch angesehen:
In den Justizvollzugseinrichtungen sind freie Stellen zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten im Jahr zu besetzen. Um jeweils eine zeitnahe Nachbesetzung zu gewährleisten, werden in den Justizvollzugsanstalten die Auswahlverfahren bislang flexibel nach Bedarf durchgeführt.
In Einzelgesprächen stellen sich die Bewerberinnen und Bewerber der Leitung des Allgemeinen Vollzugsdienstes, der Ausbildungsleitung und dem Psychologischen Dienst vor, die neben dem durchzuführenden Schulleistungstest, dem Sporttest und dem psychologischen Test einen unmittelbaren Eindruck über die Persönlichkeit gewinnen können. Durch den direkten Kontakt mit den Bewerberinnen und Bewerbern kann verlässlich eingeschätzt werden, ob diese geeignet sind, um künftig in der jeweiligen Justizvollzugsanstalt unter Berücksichtigung der dortigen Vollzugsform und Konzeption ihren Dienst erfolgreich verrichten zu können.
3. Warum werden Anwärtersonderzuschläge für den Bereich des Allgemeinen Vollzugsdienstes (AVD) nicht grundsätzlich gewährt und unterliegen einer jährlichen Überprüfung durch das Finanzministerium?
Gemäß § 76 Abs. 1 S. 1 LBesG NRW kann nur bei Bestehen eines erheblichen Mangels an qualifizierten Bewerbern ein sog. Anwärtersonderzuschlag durch das Ministerium der Finanzen gewährt werden.
Den Anwärterinnen und Anwärtern im Allgemeinen Vollzugsdienst ist in den vergangenen Jahren jeweils ein Sonderzuschlag in Höhe von 50 Prozent des Anwärtergrundbetrags gewährt worden. Zuletzt hat das Ministerium der Finanzen den Anwärtersonderzuschlag über den 31.12.2018 hinaus für die bereits vorhandenen Anwärterinnen und Anwärter sowie für diejenigen des Einstellungsjahrgangs 2019 für die Lehrgänge bis einschließlich des Jahres 2019 bewilligt. Die Gewährung sowie die Prüfung über die Höhe des Anwärtersonderzuschlags erfolgen grundsätzlich für jeden neuen Einstellungsjahrgang. Dem Ministerium der Finanzen ist dabei der eventuelle Bedarf für die Weiterzahlung des Anwärtersonderzuschlags anhand der aktuellen Bewerber- und Bedarfszahlen darzulegen.
4. Warum wird auf die Gewährung von Anwärtersonderzuschlägen nicht in offiziellen Internetauftritten des Ministeriums für Justiz aufmerksam gemacht, um so einen größeren Bewerberkreis anzusprechen?
Auf der offiziellen Internetseite https://www.justiz.nrw.de/Karriere/ sind sowohl umfassende Informationen über die verschiedenen Berufsbilder als auch aktuelle Stellenausschreibungen in der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen abrufbar. Für die Laufbahn des Allgemeinen Vollzugsdienstes wird im Abschnitt „Einstiegsgehalt“ auf die Gewährung von Zuschlägen wie den Anwärtersonderzuschlag hingewiesen, vgl. https://www.justiz.nrw.de/Karriere/ausbildung/berufe/avd vollzug/portrait/index.php.
Von den Internetseiten der jeweiligen Justizvollzugseinrichtungen werden die interessierten Bewerberinnen und Bewerber unter dem Reiter „Ausbildung und Stellen“ sowohl über den Bereich „Wir bilden aus!“ als auch über „Berufsbilder in der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen“ auf unsere aktuelle Kampagnenseite Menschen im Sinn (www.menschen-im-sinn.justiz.nrw) weitergeleitet. Hier wird darüber informiert, dass Anwärterbezüge nach dem Landesbesoldungsgesetz NRW gewährt werden. Über die Schaltfläche „weitere Informationen“ im Bereich „Bewerben Sie sich jetzt!“ werden die Interessenten sodann auf die Internetseite https://www.justiz.nrw/Karriere/berufsbilder/justizvollzug/avd vollzug/index.php weitergeleitet. Hier sind weitere Informationen, u.a. über die Gewährung des Anwärtersonderzuschlags einsehbar.
Im Übrigen können sich die Bewerberinnen und Bewerber jederzeit an die Ausbildungsleiter/innen der Justizvollzugseinrichtungen oder an die bei der Justizvollzugsschule des Landes Nordrhein-Westfalen eingerichtete Zentrale Beratungsstelle Nachwuchsgewinnung für den Justizvollzug wenden, um weitere Informationen zu erhalten.
5. Wie stellt sich die Personalentwicklung anhand des zu erwartenden Bedarfs an Justizvollzugsbeamten von 2019 bis 2030 dar? (Bitte aufschlüsseln nach Anzahl jährlich erforderlicher Ausbildungszahlen und entgegenstehender Ausbildungskapazitäten sowohl in den JVA´en als auch in der Justizvollzugsschule Nordrhein-Westfalen (JVS))
In der Justizvollzugsschule NRW werden neben den Anwärterinnen und Anwärtern des Allgemeinen Vollzugsdienstes auch die Anwärterinnen und Anwärter des Werkdienstes und des Verwaltungsdienstes der Laufbahngruppe 1.2 ausgebildet. Die unten angegebenen Zahlen zum Ausbildungsbedarf beinhalten daher die ordentlichen und außerordentlichen Abgänge für alle drei vorgenannten Laufbahnen. Von den angegebenen Ausbildungskapazitäten werden nach dem derzeitigen Planungsstand bis zu 80 Ausbildungsplätze an einem 2. Standort der Justizvollzugsschule Nordrhein-Westfalen in Hamm bereitgestellt.
2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | 2024 | |
Ersatzbedarf (= Ordentliche und außerordentliche Abgänge in der Laufbahngruppe 1.2 im Jahr der Prüfung der Anwärter) |
216,5 | 255,5 | 285,5 | 304 | 334,5 | 340,5 |
Ausbildungs- kapazitäten in den beiden Standorten der Justizvollzugsschule NRW |
350 | 350 | 350 | 350 | 350 | 350 |
2025 | 2026 | 2027 | 2028 | 2029 | 2030 | |
Ersatzbedarf (= Ordentliche und außerordentliche Abgänge in der Laufbahngruppe 1.2 im Jahr der Prüfung der Anwärter) |
314,5 | 310,5 | 300,5 | 297,5 | 284,23 | 270,5 |
Ausbildungs- kapazitäten in den beiden Standorten der Justizvollzugsschule NRW |
350 | 350 | 350 | 350 | 350 | 350 |
Die den Ersatzbedarf übersteigenden „freien“ Ausbildungskapazitäten werden dazu genutzt, die gegenwärtig bereits vorhandenen Tarifbeschäftigten und die auf den unbefristet freien Planstellen sowie einem Teil der befristet freien Planstellen noch einzustellenden Tarifbeschäftigten zur Beamtin/zum Beamten auszubilden. Die Ausbildungskapazitäten der Justizvollzugsschule NRW werden dadurch vollständig ausgeschöpft. Die praktische Ausbildung der jährlich 350 Anwärterinnen und Anwärter wird in den Justizvollzugsanstalten sichergestellt. Eine konkrete Kapazitätsgrenze besteht insoweit nicht.