Ascheberg: Bewohner von Flüchtlingsunterkunft attackiert Rettungsdienst – Wie hoch ist die Gefahr für Ersthelfer in NRW?

Kleine Anfrage
vom 27.11.2023

Kleine Anfrage 2959

des Abgeordneten Markus Wagner AfD

Ascheberg: Bewohner von Flüchtlingsunterkunft attackiert Rettungsdienst Wie hoch ist die Gefahr für Ersthelfer in NRW?

Am 10. November 2023 kam es in Ascheberg im Kreis Coesfeld zu einem Angriff auf Rettungssanitäter des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Die Ersthelfer waren aufgrund eines vierjährigen Kindes alarmiert worden, welches sich mit einer Martinslaterne schwer am Auge verletzt hatte. Ein Bewohner der anliegenden Flüchtlingsunterkunft soll sich dann von dem Geschrei des verletzten Kindes so sehr gestört gefühlt haben, dass er begann, die helfenden Sanitäter zu bedrängen. Als ihm dann die Erstversorgung immer noch zu lange dauerte, beleidigte er die Sanitäter. Kurz darauf schlug auf den Mitarbeiter des Rettungsdienstes, der sich schützend vor seine Kollegin stellte, ein. Feuerwehrleuten, die ebenfalls herbeigerufen worden waren, soll es möglich gewesen sein, die Situation zu beruhigen. Das Kind konnte dann „mit schwerster Augenverletzung“1 zum Universitätsklinikum Münster gefahren werden.

Der attackierte Sanitäter erlitt ein Schädeltrauma und Prellungen und konnte ebenso wie seine Kollegin den Dienst nicht fortführen. Beide seien darüber hinaus vorerst auch nicht mehr dienstfähig. Rettungskräfte seien zwar darauf angewiesen, aus Gründen des Eigenschutzes in „schwierigen Situationen“2 die Polizei herbeizurufen, da dies aber in diesem Fall dazu geführt hätte, dass der junge Patient noch länger auf die Versorgung hätte warten müssen, wurde das Kind zunächst ins Krankenhaus gebracht. Laut Polizei sei der Aggressor alkoholisiert gewesen und ihm stehen nun Ermittlungen bevor. Der Leiter des DRK-Rettungsdienstes im Kreis Coesfeld berichtet außerdem von tendenziell immer häufiger auftretenden Fällen, bei denen Sanitäter bei Einsätzen angegriffen werden.3

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Wie ist der aktuelle Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu dem oben beschriebenen Vorfall? (Bitte Tathergang, Vorstrafen des Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften des Tatverdächtigen, seit wann der Tatverdächtige im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft ist, Vornamen und Mehrfachstaatsangehörigkeit bei einem deutschen Tatverdächtigen und sonstige polizeiliche Erkenntnisse über den Tatverdächtigen nennen.)
  2. Wie oft kam es seit 2015 bis heute pro Jahr in NRW zu Angriffen auf Mitarbeiter der Feuerwehr und des Rettungsdienstes? (Bitte nach Ort, Art der Verletzung sowie nach Tätermerkmalen wie Alter, Geschlecht und Nationalität aufschlüsseln und bei Deutschen die Mehrfachstaatsangehörigkeit extra ausweisen.)
  3. Wie viele dieser Angriffe wurden in der Nähe von Flüchtlingsunterkünften bzw. von einem Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft begangen? (Bitte nach Jahr, Ort, Art der Verletzung sowie nach Tätermerkmalen wie Alter, Geschlecht und Nationalität aufschlüsseln und bei Deutschen die Mehrfachstaatsangehörigkeit extra ausweisen.)
  4. Wie viele dieser Angriffe verursachten eine Verzögerung des Einsatzes oder hatte anderweitig massive Auswirkungen auf den Verlauf des Einsatzes? (Bitte nach Jahr, Ort, Art der Auswirkung auf den Einsatz sowie sonstigen wichtigen Aspekten über den Verlauf des Einsatzes aufschlüsseln.)
  5. Wie viele dieser Auswirkungen hatten Einfluss auf den Gesundheitszustand des Patienten, wie bspw. durch eine verspätete Ankunft im Krankenhaus oder durch andere durch den Angriff entstandenen Widrigkeiten? (Bitte nach Jahr, Ort, Art der Auswirkung auf den Patienten sowie sonstigen wichtigen Aspekten über den Verlauf des Einsatzes aufschlüsseln.)

Markus Wagner

 

MMD18-7000

 

1 https://www1.wdr.de/nachrichten/westfalen-lippe/angriff-auf-rettungskraefte-in-ascheberg-100.html.

2 Ebenda.

3 Ebenda.


Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 2959 mit Schreiben vom 4. Januar 2024 na­mens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration, dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie dem Minister der Justiz beantwortet.

Vorbemerkung der Landesregierung

Als Datenbasis für die Beantwortung von Fragen zur Kriminalitätsentwicklung dient die Poli­zeiliche Kriminalstatistik. Sie wird nach bundeseinheitlich festgelegten Richtlinien erstellt. Die Erfassung erfolgt nach Abschluss aller kriminalpolizeilichen Ermittlungen und führt häufig zu einem zeitlichen Versatz zwischen Bekanntwerden der Straftat und der statistischen Erfas­sung.

Die Polizeiliche Kriminalstatistik ist eine Jahresstatistik, die zu Jahresbeginn eines Folgejahres für das Vorjahr veröffentlicht wird. Bis zur Veröffentlichung führt das Landeskriminalamt Nord­rhein-Westfalen umfangreiche und aufwendige Prüfroutinen im Rahmen eines Qualitätssicherungsprozesses durch. Insofern liegen die Daten zu Straftaten für das Jahr 2023 derzeit noch nicht qualitätsgesichert vor.

Eine Opfererfassung erfolgt in der Polizeilichen Kriminalstatistik grundsätzlich bei Straftaten gegen höchstpersönliche Rechtsgüter (Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, Ehre, se­xuelle Selbstbestimmung), soweit diese im Straftatenkatalog zur Opfererfassung gekennzeich­net sind. Zur Beantwortung der Fragen 2 und 3 wurden für die angefragten „Angriffe auf Feu­erwehr und Rettungsdienst“ die Straftaten „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ und „Wider­stand gegen und tätlicher Angriff auf die Staatsgewalt“ herangezogen.

Eine Erfassung unter der Opferspezifik „Feuerwehr“ und „sonstige Rettungsdienste“ erfolgt in der Polizeilichen Kriminalstatistik nur, wenn die Tatmotivation in den personen-, berufs- bzw. verhaltensbezogenen Merkmalen des Opfers begründet ist oder in Beziehung dazu steht. Das Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen muss erkennen lassen, dass die Tathandlung unter anderem oder allein durch das im Einzelfall vorliegende Merkmal veranlasst war.

Aufgrund einer Änderung des Strafgesetzbuches zur Stärkung des Schutzes von Vollstre­ckungsbeamten und Rettungskräften wurden in der Polizeilichen Kriminalstatistik zum 01.01.2018 Anpassungen vorgenommen. Seit diesem Zeitpunkt ist neben dem Widerstand gegen auch der tätliche Angriff auf Vollstreckungsbeamte und gleichstehende Personen in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfass- und auswertbar. Daher sind die Fallzahlen der Jahre 2015 bis 2017 und die Fallzahlen ab 2018 nicht miteinander vergleichbar.

  1. Wie ist der aktuelle Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Er­mittlungen zu dem oben beschriebenen Vorfall? (Bitte Tathergang, Vorstrafen des Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften des Tatverdächtigen, seit wann der Tatverdächtige im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft ist, Vor­namen und Mehrfachstaatsangehörigkeit bei einem deutschen Tatverdächtigen und sonstige polizeiliche Erkenntnisse über den Tatverdächtigen nennen.)

Der Leitende Oberstaatsanwalt in Münster hat dem Ministerium der Justiz unter dem 29.11. und 05.12.2023 unter anderem berichtet, seine Behörde führe wegen des in der Kleinen An­frage angesprochenen Vorfalls ein Ermittlungsverfahren gegen einen pakistanischen Staats­angehörigen wegen Beleidigung und tätlichen Angriffs auf Personen, die Vollstreckungsbe­amten gleichstehen, worunter auch Rettungskräfte fallen. Nach dem bisherigen Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen sei der Beschuldigte in den Abendstunden des 10.11.2023 in der kommunalen Unterbringungseinrichtung in Ascheberg gegenüber einer Rettungssanitäterin und einem Rettungssanitäter übergriffig geworden, die dort die Augenverletzung eines vier­jährigen Kindes erstversorgt und es anschließend ins Krankenhaus gebracht hätten. Der al­koholisierte Beschuldigte habe zunächst die Rettungskräfte lautstark und aggressiv aufgefor­dert, ihre Tätigkeiten zu beschleunigen. Sodann sei er zweimal in bedrohlicher Haltung auf die Sanitäterin zugegangen, woraufhin ihr Kollege sich dem Beschuldigten in den Weg gestellt und ihn zuletzt aus dem Raum geschoben habe. Dabei habe der Beschuldigte den Sanitäter durch einen Faustschlag gegen die Rumpfseite ins Straucheln gebracht und gegen den Tür­rahmen gestoßen. Zudem habe der Beschuldigte die Rettungskräfte fortwährend „wüst“ be­leidigt.

Der Beschuldigte sei zuvor bereits mehrfach strafrechtlich – im Wesentlichen im Bereich der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und mit einem Gewaltdelikt – in Erscheinung getreten.

Von einer detaillierten Aufschlüsselung der Vorstrafen wird unter Abwägung des parlamenta­rischen Informationsinteresses mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten, insbesondere auch dem Resozialisierungsgebot abgesehen. Dabei ist auch zu berücksichti­gen, dass wegen der zeitlichen und örtlichen Eingrenzung der Tat und weiterer, auch presse­öffentlicher Angaben zu dem Verfahren eine Identifizierbarkeit wahrscheinlich oder jedenfalls möglich erscheint.

  1. Wie oft kam es seit 2015 bis heute pro Jahr in NRW zu Angriffen auf Mitarbeiter der Feuerwehr und des Rettungsdienstes? (Bitte nach Ort, Art der Verletzung so­wie nach Tätermerkmalen wie Alter, Geschlecht und Nationalität aufschlüsseln und bei Deutschen die Mehrfachstaatsangehörigkeit extra ausweisen.)

Der Erlass „Meldungen an die Aufsichtsbehörden über außergewöhnliche Ereignisse im Brand- und Katastrophenschutz“ »Meldeerlass«, nach dem Gewaltanwendung gegen Einsatz­kräfte, Einsatzfahrzeuge oder Geräte gemeldet werden müssen, ist erst am 16. Mai 2018 in Kraft getreten. Auswertbare Daten, zu den angefragten Zahlen können daher erst ab dem Jahr 2019 vollständig geliefert werden. Unter diesen Voraussetzungen ergeben sich folgende Da­ten:

 

Kalenderjahr Vorliegende Meldungen „Gewalt gegen Einsatzkräfte“ Verletzte   nach „Gewalt gegen Einsatzkräfte“ – Gesamt
Feuerwehr Rettungsdienst Gesamt
2019 22 300 322 213
2020 19 218 237 96
2021 11 277 288 127
2022 21 321 342 111

 

Die Anzahl der bekannt gewordenen Fälle für die Straftaten „Widerstand gegen die Staatsge­walt“ (2015-2017) sowie für „Widerstand gegen und tätlicher Angriff auf die Staatsgewalt“ (2018-2022) mit mindestens einem Opfer mit der Opferspezifik „Feuerwehr“ oder „sonstige Rettungsdienste“ bitte ich der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen:

 

Anzahl Fälle für die Straftaten „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ und „Widerstand gegen und tätlicher Angriff auf die Staatsgewalt“ mit min­destens einem Opfer mit der Opferspezifik „Feuerwehr“ oder „sonstige Rettungsdienste“
Jahr bekannt gewordene Fälle
2015 47
2016 69
2017 112
2018 191
2019 372
2020 231
2021 248
2022 309

 

  1. Wie viele dieser Angriffe wurden in der Nähe von Flüchtlingsunterkünften bzw. von einem Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft begangen? (Bitte nach Jahr, Ort, Art der Verletzung sowie nach Tätermerkmalen wie Alter, Geschlecht und Natio­nalität aufschlüsseln und bei Deutschen die Mehrfachstaatsangehörigkeit extra ausweisen.)

Die Tatörtlichkeit erläutert den Ort, an dem der Tatverdächtige gehandelt hat. Eine weitere Ausdifferenzierung in das unmittelbare Umfeld einer „Asylunterkunft“ oder „Flüchtlingsunter­kunft“ findet nicht statt. Ob es sich bei Tatverdächtigen um Bewohnerinnen oder Bewohner von Flüchtlingsunterkünften handelt, wird in der Polizeilichen Kriminalstatistik nicht erfasst. Die Tatörtlichkeit kann erst seit dem Berichtsjahr 2018 in der Polizeilichen Kriminalstatistik Nordrhein-Westfalen differenziert ausgewiesen werden.

Von den ausgewiesenen Fällen der Beantwortung der Frage 2 werden in der nachfolgenden Tabelle die Anzahl der Fälle an der Tatörtlichkeit „Asylunterkunft“ oder „Flüchtlingsunterkunft“ dargestellt:

Anzahl Fälle für die Straftaten „Widerstand gegen und tätlicher Angriff auf die Staatsgewalt“ mit mindestens einem Opfer mit der Opferspezifik „Feuerwehr“ oder „sonstige Rettungsdienste“ an der Tatörtlichkeit „Asylunterkunft“ oder „Flüchtlingsunterkunft“
Jahr bekannt gewordene Fälle
2018 2
2019 1
2020 2
2021 1
2022 0

 

4. Wie viele dieser Angriffe verursachten eine Verzögerung des Einsatzes oder hatte anderweitig massive Auswirkungen auf den Verlauf des Einsatzes? (Bitte nach Jahr, Ort, Art der Auswirkung auf den Einsatz sowie sonstigen wichtigen Aspekten über den Verlauf des Einsatzes aufschlüsseln.)

5. Wie viele dieser Auswirkungen hatten Einfluss auf den Gesundheitszustand des Patienten, wie bspw. durch eine verspätete Ankunft im Krankenhaus oder durch andere durch den Angriff entstandenen Widrigkeiten? (Bitte nach Jahr, Ort, Art der Auswirkung auf den Patienten sowie sonstigen wichtigen Aspekten über den Verlauf des Einsatzes aufschlüsseln.)

Die Fragen 4 und 5 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Die angeforderten Informationen zum Rettungsdienst werden durch das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales nicht regelhaft erhoben. Eine Erhebung war in der zur Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht realisierbar.

 

MMD18-7608

Beteiligte:
Markus Wagner