Asylbewerber überschüttet Stadtmitarbeiterinnen mit Benzin

Kleine Anfrage
vom 26.01.2022

Kleine Anfrage 6351der Abgeordneten Markus Wagner und Andreas Keith vom 26.01.2022

 

Asylbewerber überschüttet Stadtmitarbeiterinnen mit Benzin

Nach Medienangaben kam es in der Stadtverwaltung Dormagen zu einem Vorfall, bei dem ein aus Aserbaidschan stammender 28-jähriger Asylbewerber Mitarbeiterinnen und sich selbst mit Benzin übergossen hat.

Er drohte damit, die Frauen anzuzünden, wenn seine Forderung einer Unterbringung in einem Einzelzimmer nicht erfüllt werde. Die Mitarbeiterinnen waren in der Lage, ihn zu überwältigen und der Polizei zu übergeben. Der Mann sei „bereits in der Vergangenheit wegen Delikten aufgefallen“. Ein Drogenvortest ergab Hinweise auf Cannabiskonsum.1

Wir fragen die Landesregierung:

  1. Wie ist der Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen? (Bitte Tatverdächtigen, Vorstrafen des Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaft des Tatverdächtigen und sonstige polizeilichen Erkenntnisse über den Tatverdächtigen nennen)
  2. Zu wie vielen Vorfällen kam es seit dem Jahre 2018, bei denen Mitarbeiter einer Behörde in Nordrhein-Westfalen bedroht oder gar verletzt wurden? (Bitte aufschlüsseln nach Ort, Behörde, Straftat, Straftatbeständen, Staatsbürgerschaft und Aufenthaltsstatus)
  3. Zu wie vielen und welchen Sanktionen kam es gegen die unter Frage 2 genannten (Verurteilungen, Bußgelder etc.)?

Markus Wagner
Andreas Keith

 

Anfrage als PDF

 

1 Vgl. https://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2022/asylbewerber-benzin/.


Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 6351 mit Schreiben vom 22. Februar 2022 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flücht­linge und Integration sowie mit dem Minister der Justiz beantwortet.

  1. Wie ist der Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlun­gen? (Bitte Tatverdächtigen, Vorstrafen des Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaft des Tatverdächtigen und sonstige polizeilichen Erkenntnisse über den Tatverdächtigen nennen)

Zur Beantwortung der Frage hat mir das Ministerium der Justiz (JM) mit Schreiben vom 09.02.2022 folgende Informationen zur Verfügung gestellt:

„Der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf hat dem Ministerium der Justiz am 03.02.2022 mitge­teilt, der Leitende Oberstaatsanwalt in Düsseldorf habe ihm Folgendes zu dem mit der Kleinen Anfrage angesprochenen Ermittlungsverfahren berichtet:

,I.

Der 28-jährige Beschuldigte des hier eingeleiteten Ermittlungsverfahrens 21 Js 80/22 ist aser-beidschanischer Staatsbürger. Er ist am 11. September 2015 nach Deutschland eingereist, seit dem 2. Dezember 2015 in Dormagen gemeldet und hat eine aktuell bis zum 8. November 2022 gültige Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 in Verbindung mit § 60 Abs. 7 des Auf­enthaltsgesetzes.

Er wurde am 14. März 2016 wegen Diebstahls geringwertiger Sachen zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen, am 30. Mai 2018 wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall zu einer Geldstrafe von 110 Tagessätzen und am 9. März 2021 wegen Hausfriedensbruchs zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt. Zwei weitere hier anhängig gewesene Ermitt­lungsverfahren wegen Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung aus dem Jahr 2017 sind gemäß § 170 Absatz 2 beziehungsweise § 154 Absatz 1 StPO eingestellt worden. Weitere Erkenntnisse zu Vorbelastungen liegen nicht vor.

II.

Am 13. Januar 2022 gegen 14:00 Uhr betrat der Beschuldigte den Flur des Fachbereichs In­tegration im ersten Obergeschoss des Rathauses der Stadt Dormagen. Dort übergab er einer Mitarbeiterin aus der Abteilung Soziales Wohnen, welche für die Belegung der von ihm be­wohnten Unterkunft zuständig und ihm seit mehreren Jahren bekannt war, ein gefaltetes Blatt Papier und forderte sie auf, das handschriftlich verfasste Schreiben zu lesen. In dem Schrei­ben hatte er zuvor mithilfe einer bislang unbekannten Person eine Beschwerde formuliert, in der er u.a. mitteilte, er sei nicht damit einverstanden, dass er sich sein Zimmer seit drei Mona­ten mit einen Mitbewohner teilen müsse. Er habe sich mehrmals beschwert, aber niemand habe ihm geholfen. Er halte es mit einem Mitbewohner nicht mehr aus und wolle alleine leben. Er sehe keine andere Lösung als sich umzubringen.

Die Mitarbeiterin las das Schreiben nicht, sondern wies den Beschuldigten auf die geltende 3G-Regelung hin und bat ihn, einen entsprechenden Nachweis vorzulegen. Als er diesen nicht vorlegen konnte, forderte die Mitarbeiterin ihn mehrfach auf, das Rathaus zu verlassen. Der Aufforderung kam er jedoch nicht nach.

Stattdessen nahm der Beschuldigte eine mit etwa einem Liter Benzin gefüllte Orangensaftfla-sche aus Kunststoff aus seinem Rucksack, öffnete sie und begann, sich selbst mit Benzin zu überschütten und es wahllos im Büroraum zu verteilen. Als die Mitarbeiterin ihn daraufhin auf­forderte, dies zu unterlassen, schüttete er Benzin in ihre Richtung und traf sie am Ärmel ihres Pullovers. Ferner schüttete er Benzin auch in Richtung zweier weiterer, ebenfalls anwesender Mitarbeiterinnen; bei einer von ihnen riefen die entstehenden Benzindämpfe eine Reizung der Augen sowie Kopfschmerzen hervor, der anderen Mitarbeiterin geriet ein Tropfen des Benzins ins Auge, wodurch sie ein Brennen verspürte. Der Beschuldigte nahm ein Feuerzeug aus der Tasche, hielt es hoch, betätigte es jedoch nicht. Verbal äußerte er sich ebenfalls nicht. Kurze Zeit später kamen zwei weitere Mitarbeiter des Ordnungs- und Ausländeramtes in den Raum und forderten ihn auf, das Feuerzeug wegzulegen, woraufhin er ihnen das Feuerzeug übergab oder es sich widerstandslos abnehmen ließ. Die Mitarbeiter legten ihm Handfesseln an und verbrachten ihn aus dem Gebäude. Anschließend wurde er durch Polizeibeamte auf die Poli­zeiwache Dormagen verbracht.

Das Ordnungsamt der Stadt Dormagen beantragte bei dem Amtsgericht Neuss die Unterbrin­gung des Beschuldigten nach den Bestimmungen des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaß­nahmen bei psychischen Krankheiten. Im Rahmen der richterlichen Anhörung äußerte der Be­schuldigte, dass er sich und die Mitarbeiter wieder mit Benzin übergießen und anzünden werde, falls er kein Einzelzimmer in einer Unterkunft erhalte. Das Amtsgericht Neuss ordnete am 14. Januar 2022 antragsgemäß die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatri­schen Krankenhaus bis zum 21. Januar 2022 an. Seit dem 22. Januar 2022 befindet sich Beschuldigte auf freiwilliger Basis weiter in einem psychiatrischen Krankenhaus; er wird dort – voraussichtlich noch bis zum 3. Februar 2022 – weiter behandelt. Bislang ist nicht erkennbar, dass der Beschuldigte an einer für die Tatbegehung relevanten psychiatrischen Grunderkran­kung leidet.

Bei einer Durchsuchung des Beschuldigten unmittelbar nach der Tat wurden in seinem Ruck­sack zwei mit Marihuana gefüllte Joints mit einem Nettogewicht von zwei Gramm aufgefunden. Bei einem Drogenvortest wurden Hinweise auf Cannabiskonsum festgestellt. Insoweit hat die ermittelnde Polizeibehörde zunächst ein gesondertes Verfahren eingeleitet.

III.

Für das Verfahren ist hier nach Bekanntwerden des Sachverhalts ein Sonderdezernent be­stimmt worden, der die Sach- und Rechtslage geprüft hat. Hiernach besteht derzeit der Ver­dacht der gefährlichen Körperverletzung, der versuchten Nötigung, der Bedrohung und des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Weitere, schwerwiegende Straftaten kommen aus Rechtsgründen nicht in Betracht. Für ein versuchtes Tötungsdelikt fehlt es an einem un­mittelbaren Ansetzen zur Tatbegehung. Die Annahme einer Geiselnahme (§ 239b StGB) scheitert an dem Erfordernis einer eigenständigen Bedeutung der verwirklichten Zwangslage. Ferner ist auch der für die Tatbestandsverwirklichung erforderliche funktionale und zeitliche Zusammenhang zwischen der Zwangslage und der abzunötigenden Handlung nicht gegeben.

Von der Beantragung eines Haft- oder Unterbringungsbefehls hat der Dezernent im Rahmen einer am 20. Januar 2022 vorgenommenen vorläufigen Bewertung zunächst abgesehen, da auf der Grundlage der vorstehenden Bewertung Haftgründe für ihn nicht ohne weiteres er­kennbar waren. Die Voraussetzungen für die Beantragung eines vorläufigen Unterbringungs­befehls gemäß § 126a StPO lagen nicht vor, da es mangels einschlägigem medizinischen Befund an dringenden Gründen für die Annahme fehlte, dass im Strafverfahren eine Unter­bringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet werden wird. Der Dezernent hat allerdings nach nochmaliger Überprüfung der Sach- und Rechtslage, na­mentlich unter Berücksichtigung der Vorbelastungen des Beschuldigten, am 1. Februar 2022 bei dem Amtsgericht – Ermittlungsrichter – Neuss wegen des dringenden Tatverdachts hin­sichtlich der eingangs genannten Delikte den Erlass eines Haftbefehls beantragt, da die Tat­umstände und das Nachtatverhalten des Beschuldigten den Haftgrund der Fluchtgefahr be­gründen.

Das Amtsgericht hat dem Antrag mit Beschluss vom selben Tage entsprochen und gegen den Beschuldigten die Untersuchungshaft angeordnet. Dem Dezernenten ist fernmündlich ergän­zend mitgeteilt worden, dass beabsichtigt sei, den Vollzug des Haftbefehls im Anschluss an die für den 3. Februar 2022 mit der Polizei abgestimmte Vorführung des Beschuldigten unter Auflagen – unter anderem dergestalt, dass der Beschuldigte sich dem Gebäude der Stadtver­waltung Dormagen nicht unangemeldet nähern darf – auszusetzen. Sobald eine entspre­chende Entscheidung ergeht, wird von hieraus Beschwerde gegen diese eingelegt und ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gemäß § 307 Abs. 2 StPO gestellt werden.

Nach hiesigem Kenntnistand ist durch die Stadt Dormagen eine Einzelunterbringung des Be­schuldigten im Anschluss an seine Entlassung aus dem psychiatrischen Krankenhaus gewähr­leistet.‘

Der Generalstaatsanwalt hat hinzugefügt, der Leitende Oberstaatsanwalt in Düsseldorf habe ergänzend berichtet, dass der unter Ziff. III seines Berichts geschilderte Vorwurf eines Versto­ßes gegen das Betäubungsmittelgesetz tatsächlich nicht Gegenstand des Haftbefehls sei. Er habe den Leitenden Oberstaatsanwalt gebeten, ihn kurzfristig fernmündlich über das Ergebnis des Vorführtermins zu unterrichten.

Am 04.02.2022 hat der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf dem Ministerium der Justiz mitge­teilt, der Leitende Oberstaatsanwalt in Düsseldorf habe ihm Folgendes ergänzend berichtet:

,Der Ermittlungsrichter hat den Untersuchungshaftbefehl durch Beschluss vom 03.02.2022 au­ßer Vollzug gesetzt.

Gegen den Außervollzugsetzungsbeschluss hat die Staatsanwaltschaft Beschwerde eingelegt und beantragt, die Vollziehung des Außervollzugsetzungsbeschlusses gemäß § 307 Abs. 2 StPO auszusetzen. Der Ermittlungsrichter hat der Beschwerde nicht abgeholfen, aber die Aus­setzung der Vollziehung des Außervollzugsetzungsbeschlusses bis zu einer Entscheidung des Beschwerdegerichts angeordnet.

Der Beschuldigte befindet sich also aktuell in der Justizvollzugsanstalt.‘

Der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf hat unter dem 03. und 04.02.2022 berichtet, gegen die staatsanwaltschaftliche Sachbehandlung keine Bedenken zu haben.“

  1. Zu wie vielen Vorfällen kam es seit dem Jahre 2018, bei denen Mitarbeiter einer Behörde in Nordrhein-Westfalen bedroht oder gar verletzt wurden? (Bitte auf­schlüsseln nach Ort, Behörde, Straftat, Straftatbeständen, Staatsbürgerschaft und Aufenthaltsstatus)
  2. Zu wie vielen und welchen Sanktionen kam es gegen die unter Frage 2 genannten (Verurteilungen, Bußgelder etc.)?

Die Fragen 2 und 3 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.

Hierzu hat mir das JM mit Schreiben vom 09.02.2022 folgende Informationen zur Verfügung gestellt:

„1.

Vorbemerkungen:

a)

Dem Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen liegen valide Informationen zu der Anzahl der Verfahren, in denen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einer Behörde in Nord­rhein-Westfalen bedroht oder gar verletzt wurden, nicht vor.

Es führt keine Statistik zu sämtlichen Vorfällen, bei denen Behördenmitarbeiterinnen und – mitarbeiter, insbesondere Justizangehörige, bedroht oder verletzt wurden oder in denen Jus­tizangehörige und/oder ihre dienstvorgesetzten Stellen Strafanzeige wegen verbalen und/oder körperlichen Übergriffen erstatten haben. Erhoben werden allein Daten zu Übergriffen auf Ge­richtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher (zu vgl. hierzu die nachfolgende Ziff. 2) sowie Jus-tizvollzugsbedienstete (zu vgl. hierzu die nachfolgende Ziff. 3).

b)

Derartige Daten ergeben sich insbesondere auch nicht aus der Strafverfolgungsstatistik, da nähere Angaben zur Zahl und Art der Opfer (mit Ausnahme von Tabelle 9, in der Kinder als Opfer ausgewiesen werden) sowie über Tatumstände (z. B. ob das Opfer zum Tatzeitpunkt Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter einer Behörde war) nicht erfasst werden.

Sie können auch nicht den bundesweit abgestimmten Justizgeschäftsstatistiken entnommen werden, weil die Anordnungen über die Erhebung von statistischen Daten bei den Staats- und Amtsanwaltschaften (StA-Statistik) und über die Erhebung von statistischen Daten in Straf-und Bußgeldverfahren (StP/OWi-Statistik) allein verfahrensbezogene und keine personenbe­zogenen Merkmale beinhalten.

Die Datenerhebung würde daher eine händische Durchsicht und Auswertung sämtlicher hier­für in Betracht zu ziehender Verfahrensakten erforderlich machen, die mit einem für die Rechtspflege vertretbaren Aufwand innerhalb der für eine Kleine Anfrage zur Verfügung ste­henden Zeit nicht zu leisten ist.

2.

Gerichtsvollzieherinnen und -vollzieher:

In Bezug auf Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher ist gemäß der RV d. JM vom 8. Februar 2017 (2344 – Z. 247) eine jahrgangsweise statistische Erfassung von Beleidigungen, Bedrohungen und Angriffen vorgesehen. Danach stellt sich die Entwicklung der An- und Über­griffe auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses Dienstzweigs in den Jahren 2018 bis 2021 wie folgt dar:

 

  018 019 020 021
  Beleidigung, versuchte Nötigung                    01 7 0 5  
  Bedrohung ohne Waffe (mit einfacher körper-4 licher Gewalt aber auch mit Gegenständen des Alltags, Werkzeugen, Sportgeräten pp.) 8 9 6  
  Bedrohung mit Hieb- und Stoßwaffe (Messer, 2 Schlagstock pp.) oder einem scharfen Hund        
  Bedrohung mit Schusswaffe (auch Anscheins-waffe)        
  insgesamt:                                                     88   62 23 5

 

Eine Aufschlüsselung der An- und Übergriffe nach Ort und Behörde war aufgrund der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich.

Die Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher sind zudem nicht gehalten, jeden in die Statistik aufzunehmenden Sachverhalt gegenüber ihrer Dienststelle schriftlich darzustellen. Vor diesem Hintergrund kann auch zu den in diesem Zusammenhang gewünschten weiteren Informationen ohne einen für die Rechtspflege vertretbaren Aufwand nicht abschließend be­richtet werden, da alle betroffenen Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher zu jedem entsprechenden Sachverhalt – sofern die gewünschten Informationen dort überhaupt vorlie­gen – ggfls. nachträglich berichten müssten.

Welche der oben geschilderten An- bzw. Übergriffe auf Gerichtsvollzieherinnen und Gerichts­vollzieher Sanktionen nach sich zogen, müsste überdies zunächst – auch unter Beteiligung des Ministeriums des Innern und sämtlicher Polizeidienststellen, die bei einem derartigen Vorfall hinzugezogen wurden, sowie der Generalstaatsanwaltschaften und Staatsanwaltschaf­ten – aufwändig recherchiert werden. Dies ist mit einem für die Rechtspflege vertretbaren Ver­waltungsaufwand nicht leistbar.

3.

Justizvollzugsbedienstete:

Im Justizvollzug werden Übergriffe und Gewaltdelikte gegen Bedienstete in berichtspflichtige und nicht berichtspflichtige Vorkommnisse unterschieden.

a)

Unter einem gewalttätigen Übergriff eines Gefangenen auf einen Bediensteten, der einer be­sonderen Berichtspflicht von Ziff. 2. 3. der RV des JM vom 26. Mai 2004 (4434 – IV. 5) i. V. m. Anlage 2 der „Richtlinien für das Melde- und Berichtswesen bei besonderen Vorkommnissen“ unterliegt, ist jeder zielgerichtete Angriff eines Inhaftierten auf Leib oder Leben eines Bediens­teten mit erheblichen Verletzungsfolgen zu verstehen. Zielgerichtet ist der Angriff dann, wenn er von dem Inhaftierten getätigt wird, um eines der Rechtsgüter des Bediensteten zu verletzen (direkter Vorsatz).

b)

Als nicht zielgerichtet und damit nicht berichtspflichtige Übergriffe gelten solche Tätlichkeiten Inhaftierter, durch die der Gefangene nicht bzw. nicht zuvorderst die Verletzung des Bediens­teten beabsichtigt, sondern die „nur“ bei Gelegenheit der Durchführung vollzuglicher Zwangs­maßnahmen, z. B. infolge Gegenwehr, erfolgen. Viele Verletzungen von Bediensteten resul­tieren aus der Anwendung unmittelbaren Zwangs, sind also gerade nicht Folge eines von vorn­herein geplanten, mithin gezielten Angriffs.

Da der Umgang mit Bedrohungen durch Gefangene keiner landeseinheitlichen Regelung un­terliegt, erscheint eine Abfrage bei den Justizvollzugsanstalten diesbezüglich im Übrigen we­nig zielführend. Jeder Justizvollzugsbedienstete geht unterschiedlich sensibel mit verbalen Angriffen, zu denen unter anderem Bedrohungen zählen, um. Hieraus ergibt sich zwangsläufig eine unterschiedliche Meldelage vor Ort.

c)

Daten über nicht berichtspflichtige Übergriffe von Gefangenen auf Bedienstete werden eben­falls nicht durch die Aufsichtsbehörde erhoben. Ausweislich einer auf Grund dieser Kleinen Anfrage erfolgten eiligen Sondererhebung im Geschäftsbereich kann für die Jahre 2018 bis 2021 folgendes Zahlenwerk übermittelt werden:

Jahr Anzahl von nicht berichtspflichtigen besonderen Vorkommnissen
2018 106
2019 88
2020 95
2021 97

 

d)

Eine tabellarische Aufschlüsselung der berichtspflichtigen Übergriffe nach Ort, Behörde, Straf­tat, Straftatbeständen, Staatsbürgerschaft und Aufenthaltsstatus bietet sich für den Justizvoll­zug lediglich für die Kategorien „Justizvollzugsanstalt“, „Staatsbürgerschaft“ und „strafrechtli­che Sanktion“ an.

Bei den vorliegenden Delikten handelt es sich ausschließlich um Köperverletzungsdelikte (§§ 223 ff. StGB). Daher entfällt im Folgenden die Kategorisierung nach Straftat oder Straftatbe­stand. Informationen über den Aufenthaltsstatuts der Gefangenen liegen dem Ministerium der Justiz zudem nicht vor.

Zusätzlich zu den strafrechtlichen Sanktionen werden in der Regel Disziplinarverfahren einge­leitet, in deren Rahmen das Verhalten der Gefangenen auf Grundlage ihres bisherigen Voll­zugsverhaltens und des Spiegelungsgrundsatzes vollzugsrechtlich sanktioniert wird (z. B. Ar­rest).

Insofern ergibt eine Auswertung der berichtspflichtigen Übergriffe im Justizvollzug folgendes Bild:

2018: 6 berichtspflichtige Übergriffe

JVA Iserlohn deutsch Unterbringung gem. § 63 StGB
JVA Gelsenkirchen deutsch Einstellung gem. § 153 StPO
JVA Köln indisch Einstellung gem. § 154 StPO
JVA Düsseldorf nigerianisch Geldstrafe i.H.v. 700€
JVA Essen marokkanisch Einstellung gem. § 154b III StPO
JVA Wuppertal-Ronsdorf marokkanisch Einheitsjugendstrafe   4     Jahre und 6 Monate

 

2019: 9 berichtspflichtige Übergriffe

JVA Aachen deutsch Unterbringung gem. § 63 StGB
JVA Remscheid deutsch Gesamtfreiheitsstrafe 8 Monate (Bewährung)
JVA Essen syrisch Einstellung gem. § 154 II StPO
JVA Wuppertal-Ronsdorf marokkanisch Einstellung gem. § 154 f StPO
JVA Köln deutsch Freiheitsstrafe 1 Jahr und 2 Mo­nate
JVA Herford deutsch Gesamtfreiheitsstrafe    2     Jahre und 8 Monate
JVA Bielefeld-Senne deutsch Einstellung gem. § 154 II StPO
JVA Wuppertal- Vohwinkel syrisch Anklage erhoben
JVA Bielefeld-Senne deutsch Ermittlungen dauern an

 

2020: 6 berichtspflichtige Übergriffe

JVA Bochum deutsch Freiheitsstrafe  7    Monate   (Be-

währung)

JVA Herford somalisch Einstellung gem. § 154 II StPO
JVA Wuppertal-Ronsdorf rumänisch Jugendstrafe 4 Jahre
JVK Fröndenberg deutsch Freiheitsstrafe 9 Monate
JVK Fröndenberg deutsch Ermittlungen dauern an
JVA Heinsberg syrisch Jugendstrafe 2 Jahre; Entschei­dung über die Aussetzung zur Bewährung nach § 57 JGG

 

2021: 8 berichtspflichtige Übergriffe

JVA Herford deutsch Ermittlungen dauern an
JVA Köln deutsch Einstellung gem. § 154 II StPO
JVA Aachen rumänisch Anklage erhoben
JVA Werl deutsch Anklage erhoben
JVA Iserlohn deutsch Ermittlungen dauern an
JVA Heinsberg deutsch Ermittlungen dauern an
JVA Düsseldorf deutsch Ermittlungen dauern an
JVA Aachen deutsch Ermittlungen dauern an

 

4.

Sog. besondere Vorkommnisse:

Die Leitungen der jeweils betroffenen Gerichte und Staatsanwaltschaften sind im Übrigen ge­mäß der RV d. JM NRW vom 25. März 2014 (3130 – I. 6) in der Fassung vom 24. Mai 2019 („Sicherheit und Ordnung bei Gerichten und Staatsanwaltschaften, Berichtspflicht bei beson­deren Vorkommnissen“) gehalten, unter anderem solche Sachverhalte zu berichten, die die Sicherheitslage von Justizbediensteten erheblich beeinträchtigen und insbesondere für die Bewertung dienstrechtlicher oder personalrechtlicher Maßnahmen von besonderer Bedeutung sein können. Einer Berichtspflicht unterliegen danach nur solche Ereignisse, die die besonde­ren qualifizierenden Voraussetzungen der vorbenannten RV erfüllen, wobei die dahingehende Beurteilung im pflichtgemäßen Ermessen der jeweiligen Gerichts- bzw. Behördenleitung liegt. Infolgedessen lassen die auf der Grundlage der vorbenannten RV im Einzelfall erstatteten Berichte keine lückenlose Auswertung zu, wie sich die Zahl der An- und Übergriffe zum Nach­teil von den bei Gerichten und Staatsanwaltschaften tätigen Justizangehörigen in den vergan­genen Jahren insgesamt oder in Teilen entwickelt hat.

Ungeachtet dessen lässt die – nicht repräsentative – Anzahl der dem Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen in den vergangenen elf Jahren unter Personenschutzge-sichtspunkten berichteten besonderen Vorkommnisse keinen Rückschluss auf eine grundsätz­liche Zunahme von Gefährdungssachverhalten erkennen. Die Zahl der in den Jahren 2018 bis 2021 – mit Ausnahme des Justizvollzugs (vgl. hierzu oben Ziff. 3.) – berichteten Gefährdungs­sachverhalte stellt sich wie folgt dar:

 

2018 2019 2020 2021
31 59 30 27

 

5.

Berichte der gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Praxis:

Der dem Ministerium der Justiz nachgeordnete Geschäftsbereich war mangels gesonderter statistischer Erfassung und geeigneter Abfragemöglichkeiten ebenfalls weitestgehend nicht in der Lage, Angaben zu einzelnen konkreten Sachverhalten zu machen. Übereinstimmend be­richten die Präsidentin und die Präsidenten der Oberlandesgerichte sowie die Generalstaats­anwältin und die Generalstaatsanwälte des Landes Nordrhein-Westfalen dem Ministerium der Justiz, dass für einen verlässlichen Überblick eine innerhalb der Kürze der zur Verfügung ste­henden Zeit nicht mögliche händische Auswertung einer erheblichen Anzahl einzelner Verfah­rensakten erforderlich sei.

Soweit die Praxis dennoch in Einzelfällen Angaben zu entsprechenden Sachverhalten zu über­mitteln vermochte, wird auf die beigefügten tabellarischen Übersichten der Oberlandesge­richte Düsseldorf, Hamm und Köln (Anlagen 1, 2 und 3) sowie des Leitenden Oberstaatsan­walts in Detmold (Anlage 4) für den abgefragten Zeitraum Bezug genommen.

Die Präsidentin des Oberlandesgerichts Hamm und der Präsident des Oberlandesgerichts Köln haben berichtet, Grundlage der von ihnen übermittelten Aufstellungen seien die in den abgefragten Jahren dem Ministerium der Justiz nach der in Abschnitt 4. genannten RV d. JM NRW vom 25. März 2014 (3130 – I. 6) berichteten Sachverhalte. Weitergehende Angaben vermochten sie mangels Erhebung im Rahmen der entsprechenden Berichtsvorgänge nicht zu machen. Der Präsident des Oberlandesgerichts Köln weist zudem darauf hin, dass die Be­zeichnung einzelner Vorkommnisse als „Beleidigung“ „Bedrohung“ o. ä. als bloße Umschrei­bung und nicht als Subsumtion unter konkrete Strafvorschriften zu verstehen sei.

Die Generalstaatsanwältin in Hamm hat ferner darauf hingewiesen, dass die Aufstellung allein aus der Erinnerung des zuständigen Dezernenten der Staatsanwaltschaft Detmold erstellt wor­den sei und keine vollständige Auflistung der erfragten Verfahren darstelle. Zu einer weiterge­henden Beantwortung der Frage sehe sich der Leitende Oberstaatsanwalt in Detmold außer Stande, da die hierfür erforderliche händische Auswertung mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden sei.

Der Leitende Oberstaatsanwalt in Wuppertal hat zu etwaigen weiteren Vorfällen und deren strafrechtlichen Konsequenzen zudem Folgendes berichtet:

,Am 28. April 2021 wurde eine Wuppertaler Staatsanwältin von einer deutschen Staatsbürgerin in einem Schreiben mit einem gegen sie gerichteten Verbrechen im Sinne von § 241 StGB bedroht. Die Angeklagte wurde zu einer Geldstrafe verurteilt.

Am 3. Mai 2020 wurde ein Solinger Polizeibeamter durch einen deutschen Staatsbürger an der Hand leicht verletzt. Der Angeklagte wurde zu einer Freiheitstrafe verurteilt.

Am 15. August 2021 verletzte ein deutscher Staatsangehöriger einen Wuppertaler Polizeibe­amten durch einen Biss in den Finger. Der Täter wurde angeklagt. Die Hauptverhandlung steht noch aus.

Ferner gab es ein Verfahren wegen der Bedrohung einer Richterin durch eine Person, die den ′Reichsbürgern′ zuzuordnen ist, sowie einen tätlichen Angriff in den Räumen des Jobcenters. Zu beiden Vorfällen konnten in der Kürze der Zeit keine weiteren Einzelheiten festgestellt werden.“‘

Soweit der Geschäftsbereich des Ministeriums des Innern betroffen ist, stelle ich folgende In­formationen zur Verfügung:

Die der Polizei bekannt gewordenen Straftaten (Hellfeld) werden nach Abschluss der polizei­lichen Ermittlungen in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfasst und abgebildet. Bei der Erfassung in der PKS ist bei Geschädigten eine generelle Zuordnung als Mitarbeitende einer Behörde nicht möglich.

In den Vorgangsbearbeitungssystemen (VBS) der Polizei Nordrhein-Westfalen kann der Beruf einer geschädigten Person zwar freitextlich erfasst werden, ist aber mangels Katalogisierung nicht valide auswertbar. Zudem unterliegen personenbezogene Daten in den VBS gesetzlich vorgeschriebenen Löschfristen und sind einer laufenden Aktualisierung und darin begründeten Veränderungen im Zuge der Ermittlungen ausgesetzt. Deshalb sind diese Daten für statisti­sche Betrachtungen nicht geeignet.

Eine Auswertung zu polizeilich erfassten Sachverhalten, die Straftaten zum Nachteil von Mit­arbeitenden bzw. Bediensteten in Behörden oder Rathäusern während ihrer Dienstausübung abbilden, könnte nur durch Einzelfallsichtung der Datensätze in den VBS und gegebenenfalls vertiefte Fallrecherchen erfolgen. Der damit verbundene erhebliche Aufwand ist in der zur Ver­fügung stehenden Zeit nicht leistbar.

 

Antwort samt Anlage als PDF