Ausgrenzung und Diskriminierung russischer und russischsprachiger Künstler und Kulturschaffender

Kleine Anfrage
vom 22.03.2022

Kleine Anfrage 6502der Abgeordneten Gabriele Walger-Demolsky vom 22.03.2022

 

Ausgrenzung und Diskriminierung russischer und russischsprachiger Künstler und Kulturschaffender

Seit dem 24.Februar 2022 tobt der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine mit vielen Opfern, schweren Zerstörungen und der Flucht Hunderttausender in die Nachbarstaaten und andere Länder.

Vor dem Hintergrund all dieses menschlichen Leids und der Verwüstungen nimmt die Aggression gegen russische und russischstämmige Menschen in Deutschland zu und führt zu Angriffen, Ausgrenzung und Diskriminierung im Netz, bei Ärzten, in Restaurants, in Geschäften, in Schulen und auf der Straße.1,2

Der Krieg in der Ukraine hat auch Auswirkungen auf den kulturellen Bereich der westlichen Welt. Die Haltung von Künstlern und Kulturschaffenden zur russischen Regierung und Verbindungen zu dieser werden jetzt beleuchtet und Distanzierung von den Handlungen der russischen Regierung wird eingefordert.3,4

Bei zurückliegender Nähe zur russischen Regierung und/oder Ausbleiben von aktueller Distanzierung – zurückliegende Distanzierung genügt nicht – werden Engagements gekündigt, werden Termine abgesagt, oder russischsprachige Kulturschaffende kommen dem durch eigene Absagen zuvor.5,6

Sippenhaft für wen auch immer ist inakzeptabel, so auch für russische und russischsprachige Künstler und Kulturschaffende. Menschen mit russischem Pass, russischen Wurzeln, familiären Bindungen, Menschen die – wie auch viele Ukrainer – russisch sprechen, können nicht verantwortlich gemacht oder gar zur Rechenschaft gezogen werden für Handlungen des russischen Präsidenten und der russischen Regierung, was diese sogar stärkt.7

Ein Münchener Agent, der sich nach Kriegsbeginn vom einem bis vor kurzem in München tätigen Stardirigenten – einem Freund Putins – trennte, warnt vor einer „Form des Rassismus“, dass jeder Russe und jede Russin „von der Bühne muss“, ohne zu fragen, ob sie das Regime in Moskau unterstützten oder bewusst vor ihm in den Westen geflohen seien. „Solche Fälle haben wir inzwischen.“ Ein international tätiger russischstämmiger Agent, der anonym bleiben will berichtet: „Das geht Richtung Hexenjagd.“ Er empfinde es als zynisch, wenn demokratische Länder Putins Methoden anwendeten. „Was kann ein Russe, der seit zehn Jahren im Westen arbeitet, für eine Diktatur in Moskau? Kunst steht für Liebe und nicht für Hass.“8

Die Deutsche Oper in Bonn hatte dem Intendanten der Moskauer Helikon-Oper ein Angebot unterbreitet, Umberto Giordanos Revolutionsoper „Andrea Chenier“ zu dirigieren. Dieses Angebot wurde jetzt zurückgezogen mit der Begründung, wegen des Kriegs in der Ukraine sei dies „unumgänglich“.9

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. In welchem Umfang gab es im Vorfeld des zurückgezogenen Angebots der Deutschen Oper in Bonn Gespräche mit der Landesregierung?
  2. Wie bewertet die Landesregierung die Entscheidung der Deutschen Oper in Bonn in Bezug auf das zurückgezogene Angebot an einen russischen Dirigenten?
  3. Welche weiteren Fälle von Ausgrenzung und Diskriminierung russischer und russischsprachiger Künstler und Kulturschaffender in NRW im Bereich Kunst, Musik, Gesang, Film, Tanz, Theater und Literatur sind der Landesregierung bekannt?
  4. Welche weiteren Fälle von Ausgrenzung und Diskriminierung russischer und russischsprachiger Kulturschaffender in NRW im Bereich Medien sind der Landesregierung bekannt?
  5. In welchem Umfang hält die Landesregierung das Verlangen von Distanzierungen zur russischen Regierung als Bedingung für Engagements für angezeigt?

Gabriele Walger-Demolsky

 

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1 Vgl. „Niemand will Krieg“: Wie Russen in Deutschland diese Tage erleben, web.de 7.3.2022

2 Vgl. „Wir sind nicht Putin“ Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine nehmen Anfeindungen gegen die russischstämmige Community in Deutschland zu. taz 4.3.2022

3 Vgl. Thomas Schmoll, „Kunst steht für Liebe und nicht für Hass“ International werden Auftritte russischer Künstlerinnen und Künstler abgesagt – egal wie sie zu Putin stehen. In der Klassikszene führt das zu Empörung. Nun gibt es eine Gegenbewegung, spiegel.de 11.3.2022

4 Vgl. Norma Schneider, „Schweigt jetzt nicht“, Viele russische Künstlerinnen sprechen sich gegen den Krieg in der Ukraine aus – und zeigen damit, dass ein Boykott russischer Kultur verheerende Folgen hätte, nd-aktuell.de 13.3.2022

5 Vgl. Russische Künstler und der Krieg in der Ukraine, dw.com 1.3.2022

6 Vgl. Kolja Zydatiss, Ausgestoßene der Woche: Russische Katzen und Künstler, Tichys Einblick 11.03.2022

7 Vgl. Vladimir Balzer, Boykotte gegen Russland / Russische Bürger auszuschließen, wird Putin stärken, deutschlandfunk.de 4.3.2022

8 Vgl. Thomas Schmoll, „Kunst steht für Liebe und nicht für Hass“ International werden Auftritte russischer Künstlerinnen und Künstler abgesagt – egal wie sie zu Putin stehen. In der Klassikszene führt das zu Empörung. Nun gibt es eine Gegenbewegung, spiegel.de 11.3.2022

9 Vgl. Thomas Thiel, Cancel Culture gegen Russen, faz.net 4.3.2022


Die Ministerin für Kultur und Wissenschaft hat die Kleine Anfrage 6502 mit Schreiben vom 21. April 2022 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Ministerpräsidenten sowie dem Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales beantwor­tet.

Vorbemerkung der Landesregierung

Die Kulturministerkonferenz hat gemeinsam mit der Staatsministerin des Bundes für Kultur und Medien, der Staatsministerin im Auswärtigen Amt sowie den kommunalen Spitzenverbän­den am 9. März 2022 eine Erklärung verabschiedet, deren Aussagen auch den Horizont der in der Kleinen Anfrage artikulierten Fragestellungen betreffen und aus denen ich hier zitiere:

„Wir setzen uns in der Tradition eines intensiven interkulturellen Austauschs mit der Ukraine im Sinne der Völkerverständigung dafür ein, dem ukrainischen Volk sowie ukrainischen Künst­lerinnen und Künstlern und Kultureinrichtungen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Der jahr­zehntelange Kulturaustausch mit der Ukraine, mit ukrainischen Künstlerinnen und Künstlern, aber auch die Zusammenarbeit mit mutigen russischen Künstlerinnen und Künstlern, von de­nen sich viele gegen das Putin-Regime stellen, muss fortgesetzt werden. Gerade jetzt braucht es den kulturbasierten zivilgesellschaftlichen Austausch.

Zugleich sprechen wir uns für eine klare Haltung gegenüber der russischen Führung aus. Des­halb empfehlen wir den Kultureinrichtungen, bestehende Kooperationen mit staatlichen russi­schen Einrichtungen zu prüfen und wo es angezeigt ist, diese auszusetzen.

Wir wenden uns gegen Tendenzen eines Boykotts russischer Kunst und Kultur oder einen Generalverdacht gegenüber russischen Künstlerinnen und Künstlern und auch allgemein gegenüber Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die aus Russland stammen. Wir setzen uns für den Schutz der in der Ukraine liegenden sieben UNESCO-Welterbestätten und der Museen, Ar­chive und Bibliotheken sowie zahlreicher historischer Sakralbauten ein, die für die Menschheit erhalten werden müssen, insbesondere auch der Gedenkstätte Babyn Jar.“

  1. In welchem Umfang gab es im Vorfeld des zurückgezogenen Angebots der Deut­schen Oper in Bonn Gespräche mit der Landesregierung?
  2. Wie bewertet die Landesregierung die Entscheidung der Deutschen Oper in Bonn in Bezug auf das zurückgezogene Angebot an einen russischen Dirigenten?

Die Fragen 1 und 2 werden aufgrund des Sachzusammenhanges gemeinsam beantwortet. Personalentscheidungen fallen in den Verantwortungsbereich der jeweiligen Kommune.

  1. Welche weiteren Fälle von Ausgrenzung und Diskriminierung russischer und rus­sischsprachiger Künstler und Kulturschaffender in NRW im Bereich Kunst, Musik, Gesang, Film, Tanz, Theater und Literatur sind der Landesregierung bekannt?
  2. Welche weiteren Fälle von Ausgrenzung und Diskriminierung russischer und rus­sischsprachiger Kulturschaffender in NRW im Bereich Medien sind der Landesre­gierung bekannt?

Die Fragen 3 und 4 werden aufgrund des Sachzusammenhanges gemeinsam beantwortet.

Erkenntnisse zu etwaigen „weiteren Fällen“ von Ausgrenzung und Diskriminierung russischer bzw. russischsprachiger Künstlerinnen und Künstler bzw. Kulturschaffender in Nordrhein-Westfalen in den dort angesprochenen Bereichen liegen nicht vor.

  1. In welchem Umfang hält die Landesregierung das Verlangen von Distanzierungen zur russischen Regierung als Bedingung für Engagements für angezeigt?

Zur Beantwortung dieser Frage wird auf die Vorbemerkung verwiesen.

 

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