Kleine Anfrage 4158
des Abgeordneten Markus Wagner AfD
Bedrohung durch den Islamismus – Wie gefährdet ist Nordrhein-Westfalen?
„Der Islamismus ist weiter auf dem Vormarsch.“1
Als am 14. Mai 2024 das „Lagebild Islamismus in Nordrhein-Westfalen“ vorgestellt wurde, machte Innenminister Herbert Reul (CSU) deutlich, dass vom Islamismus eine immer größere Gefahr ausgehe. Das Personenpotential allein in Nordrhein-Westfalen liegt derzeit bei 2.600 extremistischen Salafisten, die nachrichtendienstlich bekannt sind. Davon gehören 2.000 dem politischen und 600 dem gewaltorientierten Spektrum an. Wie das Lagebild aufzeigt, sind die islamistisch motivierten Straftaten 2023 im Vergleich zum Vorjahr von 60 auf 305 Fälle angestiegen und haben sich damit mehr als verfünffacht. Selbst der Verfassungsschutz beschreibt die „abstrakte Gefahr für terroristische Anschläge“ als hoch. Gerade im Hinblick auf die bevorstehende Fußball-Europameisterschaft in Deutschland sollten die Sicherheitsbehörden im Sinne der Bürger äußerst alarmiert sein. Auch wenn es zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine konkrete Bedrohungslage gibt, wie Herbert Reul weiter ausführte, hat die Erfahrung gezeigt, dass „gerade im Islamismus […] aus Extremisten ganz schnell Terroristen werden“ können.2
Nach Ansicht der Behörden geht die größte Bedrohung zurzeit vom Islamischen Staat – Provinz Khorasan aus, einem IS-Ableger, der die Fähigkeiten besitzen soll, auch im Westen große, koordinierte Anschläge ausführen zu können. Der politische Salafismus kümmere sich insbesondere um die Missionierungsarbeit, den Gewinn neuer Anhänger und die Verbreitung eines extremistischen Islamverständnisses. In diesem Zusammenhang wies Herbert Reul auf Folgendes hin:
„Das Internet wird mehr und mehr zum Hochleistungsmotor für Radikalisierung. Extremistische Inhalte kommen innerhalb kürzester Zeit auf Knopfdruck rund um die Uhr in den Newsfeed unserer Kinder und Jugendlichen.“3
In den sozialen Netzwerken, vorrangig bei TikTok, werden geschickt statt religiöser Predigten vermeintlich lebensnahe Themen mit Hassbotschaften verknüpft, die dann umgangssprachlich kommuniziert werden. So werden manche Hasspredigten auf TikTok 10 Millionen Mal, Videos auf YouTube 15 Millionen Mal abgerufen. Ihre Inhalte ähneln sich permanent: antisemitische Botschaften, Lobpreisung des Jihads, Gewalt gegen Juden.4
Ich frage daher die Landesregierung:
- Werden islamistische Accounts in den sozialen Medien überwacht und ausgewertet?
- Was folgt aus diesen Auswertungen?
- Werden bei Einbürgerungen die politisch-religiösen Aktivitäten der Begehrer unserer Staatsbürgerschaft überprüft?
- Welche sozialen Medien und Messenger nutzen Islamisten?
- Hat die Landesregierung versucht, islamistische Accounts sperren zu lassen?
Markus Wagner
2 Ebenda.
3 Ebenda.
4 Ebenda.
Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 4158 mit Schreiben vom 23. August 2024 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration beantwortet.
- Werden islamistische Accounts in den sozialen Medien überwacht und ausgewertet?
Um insbesondere im virtuellen Raum stattfindende Radikalisierungsprozesse festzustellen und hieraus resultierende Gefahren abzuwehren, schöpfen die Sicherheitsbehörden alle technischen, personellen und rechtlich zulässigen Möglichkeiten und Handlungsspielräume konsequent aus. Insofern beobachtet und wertet die Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen islamistische Inhalte im Internet im Sinne der Anfrage sowohl aufgrund von konkreten Hinweisen als auch anlassunabhängig aus. Auch der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz hat islamistische Bestrebungen im Internet grundsätzlich und anlassbezogen im Blick.
- Was folgt aus diesen Auswertungen?
Die Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen fertigt bei einem festgestellten Anfangsverdacht auf strafbare Inhalte umgehend eine Strafanzeige und leitet ein entsprechendes Ermittlungsverfahren ein. Gleichzeitig erfolgt die Prüfung und erforderlichenfalls Veranlassung von lageangepassten polizeilichen Maßnahmen der Strafverfolgung und Gefahrenabwehr. Hierzu werden beweiserhebliche Informationen gesichert, um insbesondere Beweismittelverlusten vorzubeugen. Dies erfordert eine kontinuierliche Anpassung und Weiterentwicklung kriminalpolizeilicher Ermittlungen an die sich dynamisch fortentwickelnde Digitallandschaft. Zusätzlich können so potentielle Gefahren oder bevorstehende Straftaten erkannt und verhindert werden.
In diesem Kontext ist überdies zu konstatieren, dass polizeiliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr auch unabhängig von konkreten Strafverfahren durchgeführt werden können. Die im Zuge der Auswertung gewonnenen Erkenntnisse fließen zudem unter anderem in die Erstellung von Lagebildern der Politisch motivierten Kriminalität ein.
Im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags informiert der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz Öffentlichkeit und Politik über durch Auswertungen gewonnene Erkenntnisse zu extremistischen Bestrebungen und vermittelt diese unter anderem in Form von Berichten, Lagebildern und Vorträgen. Nach gesetzlicher Maßgabe und unter Einhaltung entsprechender Vorschriften übermittelt der Verfassungsschutz Auswertungsergebnisse auch an andere Behörden, insbesondere dann, wenn strafbare Handlungen und/oder Aussagen vorliegen oder die Abwehr unmittelbarer Gefahren tangiert ist.
- Werden bei Einbürgerungen die politisch-religiösen Aktivitäten der Begehrer unserer Staatsbürgerschaft überprüft?
Im Rahmen der Einbürgerung werden politisch-religiöse Aktivitäten überprüft, falls es sich um verfassungsfeindliche Bestrebungen im Sinne des § 11 S. 1 Nr. 1 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) handelt. Darüber hinaus haben antragstellende Personen spätestens vor der Aushändigung der Einbürgerungsurkunde sowohl die Bekenntnisse zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihre Folgen als auch die sog. Loyalitätserklärung abzugeben.
Die nordrhein-westfälische Verfassungsschutzbehörde unterrichtet im Rahmen der Einbürgerungsverfahren die Staatsangehörigkeitsbehörden nach Maßgabe der bestehenden Übermittlungsvorschriften über Erkenntnisse, die im Einzelfall einer Einbürgerung entgegenstehen.
- Welche sozialen Medien und Messenger nutzen Islamisten?
Islamistische Akteure nutzen nahezu alle Möglichkeiten der Indoktrina-tion ihrer Botschaften und zum Austausch mit Gleichgesinnten in Chatgruppen sozialer Netzwerke sowie über Mes-sengerdienste.
Die Gestaltung der Inhalte variiert dabei in Abhängigkeit von den jeweiligen Netzwerken und reicht von einfachen Textbotschaften bis hin zu aufwändig gestalteten audiovisuellen Formaten. Aufgrund der Vielzahl und Unterschiedlichkeit der Angebote reagieren islamistische Akteure entsprechend schnell auf neue technische Möglichkeiten und richten ihre Kommunikation dahingehend aus.
Insofern ist eine abschließende Aufzählung von sozialen Netzwerken und Plattformen im Sinne der Anfrage aufgrund der dynamischen Angebotserweiterung im Internet und dem agilen Nutzungsverhalten islamistischer Akteure nicht möglich.
- Hat die Landesregierung versucht, islamistische Accounts sperren zu lassen?
Am 28. April 2021 wurde innerhalb der Europäischen Union (EU) im Hinblick auf eine einheitliche Regelung im Umgang mit terroristischen Online-Inhalten, die Terrorist Content Online-Verordnung (TCO-VO) beschlossen. Die TCO-VO muss seit dem 07. Juni 2022 von allen EU-Mitgliedstaaten angewendet werden. Ziel der Verordnung ist das Bekämpfen, Eindämmen und zeitnahe Entfernen entsprechender Inhalte aus dem Internet.
Das Bundeskriminalamt (BKA) übernimmt in Deutschland die zentrale Rolle bei der Umsetzung der Verordnung und ist alleinbevollmächtigte Behörde für den Erlass von Entfernungsanordnungen. Die Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen kann insofern lediglich die Sperrung islamistischer Accounts und Websites im Sinne der Anfrage anregen; dies erfolgt regelmäßig.
Darüber hinaus haben vom nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz übermittelte Informationen auch schon vor Inkrafttreten der TCO-VO in vielen Fällen die Einleitung straf- oder vereinsrechtlicher Maßnahmen ermöglicht. In der Konsequenz konnten auch hierdurch islamistisch-extremistische Inhalte, die aus entsprechenden extremistischen Strukturen hervorgehen, aus dem Internet entfernt werden. Islamistische Propaganda im Internet bewegt sich aber vielfach im Vorfeld von Aussagen bzw. Positionierungen, welche auf rechtlicher Ebene hinreichende Grundlage für die Initiierung unmittelbarer repressiver Maßnahmen bieten, so dass zudem die Betreiber entsprechender Internetplattformen gefragt sind, wenn es um die Löschung betreffender Inhalte geht.