Bedrohung und Erpressung von Justizbeschäftigten

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 422
der Abgeordneten Markus Wagner und Klaus Esser vom 07.09.2022

 

Bedrohung und Erpressung von Justizbeschäftigten

Am 9. September 2021 berichtete die Bild-Zeitung, dass drei Juristinnen in Berlin wegen massiver Bedrohung, vermutlich durch den Remmo-Clan, unter Polizeischutz stünden. Die Richterinnen sollen zu der Zeit Prozesse gegen Mitglieder polizeibekannter Großfamilien geführt haben.1

Nach fast einem Jahr bestätigte die Senatsjustizverwaltung erstmals offiziell in einer Antwort auf eine AfD-Anfrage, dass tatsächlich drei Berliner Richterinnen unter Polizeischutz gestellt wurden, da es Drohungen aus dem organisierten Drogenhandel gab. Die Richterinnen führten einen Prozess wegen Rauschgifthandels gegen Mitglieder polizeibekannter Großfamilien. Darüber hinaus seien die bedrohten Berliner Juristinnen nicht die einzigen Personen, die massiv Bedrohungen ausgesetzt waren. Die Bild-Zeitung beruft sich auf den Senat, wonach seit Februar 2021 „29 sicherheitsrelevante Vorfälle“ in der Justiz gemeldet wurden.2

Fälle von Bedrohungen und Einschüchterungsversuchen gegen Schöffen, Richter, Staatsan­wälte und Zeugen sind nicht erst seit dem Berliner Vorfall in den Fokus der medialen Berichterstattung gelangt. So kam es Ende 2017 zu Drohungen eines türkischen Boxclubs in Baden-Württemberg gegen die Richter des ermittelnden Gerichts.3

Wir fragen die Landesregierung:

  1. Wie viele Fälle von (Be-)Drohungen, Einschüchterungsversuchen, Nötigungen, Erpressungen, verbalen und tätlichen Übergriffen sowie sonstigen Arten von Einwirkungsversuchen auf Schöffen, Richter, Staatsanwälte, Zeugen oder sonstiges Justizpersonal sind seit dem 01.01.2018 in Nordrhein-Westfalen bekannt?
  2. Sind seit dem 01.01.2018 Fälle bekannt, bei denen ein Schöffe, Richter, Staatsanwalt, Zeuge oder sonstiges Justizpersonal um Versetzung, Abzug vom konkreten Fall oder ähnliche Maßnahmen gebeten hatte, die zur Nichtbefassung geführt haben, aufgrund konkreter Drohungen, Einschüchterungen, Nötigungen oder sonstigen Einwirkungsversuchen? (Bitte nach Gerichtsbezirken, Art der Einwirkung und Milieu des Täterkreises aufschlüsseln.)
  3. Welche personellen und organisatorische Vorkehrungen bestehen in Nordrhein-West­falen, die es Richtern, Staatsanwälten und sonstigem Justizpersonal ermöglichen, sich unter Wahrung des Eigenschutzes vor Nötigungs-, Bedrohungs-, Erpressungs- oder Bestechungsversuchen zu schützen?

Markus Wagner
Klaus Esser

 

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1 Vgl. https://www.bild.de/bild-plus/regional/berlin/berlin-aktuell/von-clans-massiv-bedroht-polizeischutz-fuer-richterinnen-in-berlin-77600516.bild.html.

2 Vgl. https://www.bild.de/regional/berlin/berlin-aktuell/berliner-richterinnen-von-clan-mitgliedern-bedroht-polizeischutz-81196960.bild.html.

3 Vgl. https://www.epochtimes.de/politik/deutschland/prozess-gegen-osmanen-in-bawue-bedrohungen-gegen-richter-und-journalisten-sind-an-der-tagesordnung-a2230461.html?text=1.


Der Minister der Justiz hat die Kleine Anfrage 422 mit Schreiben vom 20. Oktober 2022 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister des Innern beantwortet.

  1. Wie viele Fälle von (Be-)Drohungen, Einschüchterungsversuchen, Nötigungen, Er­pressungen, verbalen und tätlichen Übergriffen sowie sonstigen Arten von Einwir­kungsversuchen auf Schöffen, Richter, Staatsanwälte, Zeugen oder sonstiges Justizpersonal sind seit dem 01.01.2018 in Nordrhein-Westfalen bekannt?

a)
Da für die bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften tätigen Dienstzweige jenseits des Ge­richtsvollzieherdienstes keine Regelungen bestehen, die eine statistische Erfassung entspre­chender Daten vorsehen, kann keine valide Aussage dazu getroffen werden, in wie vielen Fällen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jenseits dieses Dienstzweiges sowie Schöffen seit dem Jahr 2018 bedroht wurden oder sich sonstigen Übergriffen im Sinne der Fragestellung zu Num­mer 1 ausgesetzt sahen.

Die Leitungen der jeweils betroffenen Gerichte und Staatsanwaltschaften sind gemäß der RV d. JM NRW vom 25. März 2014 (3130 – I. 6) in der Fassung vom 24. Mai 2019 („Sicherheit und Ordnung bei Gerichten und Staatsanwaltschaften, Berichtspflicht bei besonderen Vorkomm­nissen“) gehalten, unter anderem solche Sachverhalte zu berichten, die die Sicherheitslage von Justizbehörden oder Justizbediensteten erheblich beeinträchtigen und insbesondere für die Bewertung dienstrechtlicher oder personalrechtlicher Maßnahmen von besonderer Bedeu­tung sein können. Erfasst sind auch gewalttätige Aktionen gegen Personen außerhalb des Justizpersonals. Einer Berichtspflicht unterliegen danach gleichwohl nur solche Ereignisse, die die besonderen qualifizierenden Voraussetzungen der vorbenannten RV erfüllen, wobei die dahingehende Beurteilung im pflichtgemäßen Ermessen der jeweiligen Gerichts- bzw. Behör­denleitung liegt. Infolgedessen lassen die auf der Grundlage der vorbenannten RV im Einzelfall erstatteten Berichte keine lückenlose Auswertung zu.

Die dem Ministerium der Justiz in dem Zeitraum vom 01.01.2018 bis heute (Stand: 15.09.2022) unter Personenschutzgesichtspunkten berichteten Gefährdungssachverhalte von Justizperso­nal – mit Ausnahme des Justizvollzugs und der Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher – sowie Schöffen stellen sich wie folgt dar:

 

2018 2019 2020 2021 2022
31 59 30 27 18

 

Soweit sich eine ausgesprochene Bedrohung einer Person gegen mehrere Beschäftigte rich­tet, erfolgte eine Erfassung als ein Fall.

b)
Die erfragten Daten werden auch für Zeugen in Strafsachen statistisch nicht erfasst. Insoweit wäre eine händische Auswertung aller einschlägigen Ermittlungs- und Strafverfahren notwen­dig, die mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht zu leisten ist.

  1. Sind seit dem 01.01.2018 Fälle bekannt, bei denen ein Schöffe, Richter, Staatsan­walt, Zeuge oder sonstiges Justizpersonal um Versetzung, Abzug vom konkreten Fall oder ähnliche Maßnahmen gebeten hatte, die zur Nichtbefassung geführt ha­ben, aufgrund konkreter Drohungen, Einschüchterungen, Nötigungen oder sons­tigen Einwirkungsversuchen? (Bitte nach Gerichtsbezirken, Art der Einwirkung und Milieu des Täterkreises aufschlüsseln.)

Für die berufsmäßig und ehrenamtlich mit einer Rechtssache befassten Richterinnen und Richter setzen bereits die jeweiligen Prozessordnungen (vgl. u.a. § 22 StPO), die den in Art.

101 Abs. 1 S. 2 GG verbürgten Anspruch auf den gesetzlichen Richter näher ausgestalten, dem in der Fragestellung angelegten „Abzug vom konkreten Fall“ rechtliche Grenzen.

Eine Auswertung der nach der o.g. RV eingegangenen Berichte im Zeitraum 01.01.2018 bis 15.09.2022 hat ergeben, dass dem Ministerium der Justiz keine Fälle bekannt sind, in denen es in Folge einer Drohung, Einschüchterung, Nötigung oder aufgrund von sonstigen Einwir­kungsversuchen zu einer Nichtbefassung von Justizpersonal mit dem konkreten Fall gekom­men ist.

  1. Welche personellen und organisatorische Vorkehrungen bestehen in Nordrhein-Westfalen, die es Richtern, Staatsanwälten und sonstigem Justizpersonal ermög­lichen, sich unter Wahrung des Eigenschutzes vor Nötigungs-, Bedrohungs-, Er-pressungs- oder Bestechungsversuchen zu schützen?

Die Gewährleistung der Sicherheit der nordrhein-westfälischen Justizangehörigen ist der Lan­desregierung ein besonders dringliches Anliegen und allgemeine Aufgabe aller Verantwor­tungsträger, vor Ort und auch auf allen Verwaltungsebenen. Sie wird erkennbar auch unter Einbeziehung der örtlichen Polizeidienststellen tagtäglich engagiert wahrgenommen. Dort, wo es vor Ort im Vorfeld justizieller Handlungen sicherheitsrelevante Erkenntnisse gibt, wird die­sen daher regelmäßig in Zusammenarbeit auch mit den Polizeidienststellen begegnet. Gewalt gegenüber Menschen, die dem Staat dienen, verurteilt die Landesregierung daher entschie­den. Ihr ist im Allgemeinen und insbesondere im konkreten Interesse aller Beschäftigten mit geeigneten Mitteln vorbeugend entgegenzuwirken. Das Land Nordrhein-Westfalen nimmt seine Fürsorgepflicht als Dienstherr auch insoweit wahr.

Zur Bewältigung bestehender Gefährdungslagen steht den Dienststellen vor Ort ein umfang­reiches Instrumentarium zur Verfügung, von dem regelmäßig – ggf. auch in Abstimmung mit dem Ministerium der Justiz – im erforderlichen Umfang Gebrauch gemacht wird.

Hierunter fallen zum Beispiel:

  • die Anonymisierung von Dienstzimmern,
  • die Gewährleistung eines sicheren Zugangs zum Dienstgebäude für bedrohte Bediens­tete,
  • die Verhängung von Begleitanordnungen für etwaige Gefährder, so dass diese keinen unbegleiteten Zutritt zum Dienstgebäude mehr erhalten,
  • die Erteilung von Hausverboten,
  • die Erstattung von Strafanzeigen und Strafanträgen,
  • die Beantragung von Auskunfts- und Übermittlungssperren beim jeweils zuständigen Einwohnermeldeamt bzw. Straßenverkehrsamt sowie
  • die Erstellung einer Beurteilung der Gefährdungslage für bedrohte Bedienstete durch die zuständige Kreispolizeibehörde, die Durchführung polizeilicher Gefährderansprachen, ggf. die Durchführung polizeilicher Personen- und/oder Objektschutzmaßnahmen an den Wohnanschriften bedrohter Bediensteter, ggf. die Erarbeitung baulich-techni­scher Sicherungsempfehlungen an den Wohnanschriften bedrohter Bediensteter.

Ein besonderes Augenmerk legt die Justiz auch auf hinreichende Aus- und Fortbildung. So bietet die Justizakademie für alle Dienstzweige Seminare zum Umgang mit konfliktträchtigen Situationen an. Denn es ist wesentlich, Konfliktsituationen rechtzeitig zu erkennen, zu ent­spannen und zu überwinden.

Auch wenn es oberstes Ziel der Landesregierung ist, Bedienstete vor etwaigen Übergriffen zu schützen, ist es dennoch unerlässlich, auch Regelungen und Maßnahmen für einen etwaigen Fall der Verletzung, Gefährdung oder Traumatisierung zu treffen. Daher hat das Ministerium der Justiz schon vor geraumer Zeit die Handlungshilfe „Umgang mit Traumatisierungen“ her­ausgegeben. Diese richtet sich an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gerichte, Staats­anwaltschaften und Aus- und Fortbildungseinrichtungen der Justiz Nordrhein-Westfalens, die sich durch ein schockierendes dienstliches Ereignis psychisch stark belastet fühlen oder die erleben, dass Kolleginnen oder Kollegen in eine solche Belastungssituation geraten sind. Die Handlungshilfe umfasst Hinweise zum richtigen Umgang mit einem gravierenden Ereignis o­der Notfall sowie dazu, welche Unterstützung betroffene Personen innerhalb oder außerhalb des Dienstes erhalten können. Insbesondere eröffnet sie die Möglichkeit der Inanspruch­nahme einer fachlich fundierten, telefonischen Beratung durch psychologisch geschulte Trauma-Fachleute des Zentrums für Trauma- und Konfliktmanagement (ZTK) in Köln. Hier­durch können im besten Fall posttraumatische Belastungsstörungen und evtl. folgende Erkran­kungen und Zurruhesetzungen vermieden werden.

 

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