Brutalisierung im Amateurfußball erreicht neue Qualität

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 806
der Abgeordneten Markus Wagner und Andreas Keith vom 18.11.2022

Brutalisierung im Amateurfußball erreicht neue Qualität

„Erschreckender Trend: Spielabbrüche im Fußball steigen deutlich“1

„Immer wieder Gewalt auf Fußballplätzen“2 oder

„Alarmierende Zahlen: Mehr Spielabbrüche im Amateurfußball“3

Bei diesen Berichterstattungen handelt es sich nicht um solche, die über 20 Jahre zurücklie­gen. Sie entstammen einer Reihe von Presseberichten, die allesamt im letzten Jahr erschie­nen sind, und wirken daher umso erstaunlicher. So hat der Deutsche Fußball-Bund (DFB) für die Saison 2021/2022 insgesamt 911 Spielabbrüche aufgrund von Gewalt- oder Diskriminie­rungsvorfällen im Amateurfußballspiele in Deutschland verzeichnet. In der Saison 2018/2019 waren es noch 685 Spielabbrüche. Betrachtet man die bundesweit im Online-Spielbericht vermerkten 5.582 Vorfälle, die Schiedsrichter für besonders erwähnenswert hielten, fällt auf, dass 3.554 davon Gewalthandlungen waren. Rund 3.700 Spielende wurden einer Gewalt­oder Diskriminierungshandlung beschuldigt. 3.152 gelten als geschädigt.4

Auch im Ruhrgebiet kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen im Amateurfußball. Während einer zwischen dem BV Altenessen und Fatikspor Essen ausgetragenen Partie in der Kreisliga B flüchtete der Schiedsrichter vor einer Massenschlägerei zwischen Spielern und Zuschauern beider Mannschaften zur Halbzeit in seine Kabine und traute sich nicht mehr auf den Platz. Der Teammanager des BV Altenessen sagte später:

„Ich bin selbst ein Libanese und Migrant. Doch ich muss leider feststellen, dass sich die Migrantenvereine nicht benehmen können. Da wird mehr gepöbelt, geredet als Fußball gespielt.“5

„Je schwerwiegender der Straftatbestand, desto häufiger sind Spieler beteiligt, die nicht deutscher Abstammung sind.“6 Diese Aussage eines Sportwissenschaftlers von der Leibniz Universität Hannover stammt nicht etwa aus dem vergangenen Monat. Er tätigte sie bereits vor über 20 Jahren. Dabei bezieht er sich auf eine Analyse von 4.000 Akten und Urteilen des Niedersächsischen Fußballverbandes zur Saison 1998/1999. Ganz konkret haben seine Untersuchungen ergeben, dass zwei von drei vor Sportgerichten verhandelten Spielabbrüchen von nicht-deutschen Spielern, vor allem türkischen und kurdischen, verursacht werden.7

Ein am 16. November 2014 in der Frankfurter Allgemeinen veröffentlichter Artikel befasste sich mit der Gewalt im Amateurfußball, die es zwar schon immer gab, wobei sich aber brutale Fouls, Schlägereien und Spielabbrüche in den letzten Jahren stark gehäuft haben. Zu einem wegen einer Gelben Karte gegen einen Spieler ausgelösten Polizeieinsatz, an dem drei Mannschaftswagen beteiligt waren, äußerte sich H., damaliger Präsident von Eintracht Frankfurt und Vorsitzender des Frankfurter Sportgerichts mit den Worten:

„Der Spieler ist Türke. Ich befürchte, dass das kein Zufall ist.“8

Gleichzeitig ist aber auch festzuhalten, dass Spieler mit Migrationshintergrund auffallend häufig Opfer von Gewalt im Amateurfußball sind. Eine Tübinger Kriminologin und ein Sportwissenschaftler haben durch Studien herausgefunden, dass Spieler mit Migrationshintergrund für das gleiche Vergehen härter bestraft werden als Deutsche. Des Weiteren macht der Sportwissenschaftler nicht die kulturellen Eigenarten einiger Spieler für den Ärger auf dem Platz verantwortlich, sondern soziale, ethnische und weltpolitische Konflikte, die immer häufiger auf dem Rasen ausgetragen werden.9

Auch die Politik scheint die weiter zunehmende Gewalt im Amateurfußball erkannt zu haben und befasst sich mit ihr. Zumindest verweist die Landesregierung in ihrer Antwort vom 7. Januar 2020, Drs. 17/8372, auf die Kleine Anfrage vom 27. November 2019, Drs. 17/8046, auf die Innenministerkonferenz. Dort wurde mit Beschluss zum Tagesordnungspunkt 59 in der 211. Sitzung vom 4. bis 6. Dezember 2019 in Lübeck festgestellt,

„dass eine Zunahme von Vorfällen gewaltsamen Verhaltens im Amateurfußball beobachtet werden kann. Zur Verifizierung dieser Wahrnehmung wurde der Arbeitskreis II (AK II) beauftragt, für einen noch festzulegenden Zeitraum eine Rechtstatsachensammlung zu Straftaten im Zusammenhang mit Fußball unterhalb der 4. Liga zu erstellen und der IMK zur Entscheidung, ob im bundesweiten Maßstab Handlungsbedarf besteht, vorzulegen.“10

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Wie viele Spielabbrüche hat es seit 2015 bis heute in Nordrhein-Westfalen gegeben? (Bitte nach Jahr, Liga und Grund aufschlüsseln.)
  2. Wie viele Straftaten wurden im Zuge eines ausgetragenen Fußballspiels seit 2015 bis heute in Nordrhein-Westfalen durch Teile der Mannschaft, wie z. B. Spieler, Trainer, Zeugwart etc., begangen? (Bitte nach Jahr, Liga und Straftatbestand aufschlüsseln.)
  3. Wie viele Straftaten wurden im Zuge eines ausgetragenen Fußballspiels seit 2015 bis heute in Nordrhein-Westfalen durch das nähere Umfeld, wie z. B. Zuschauer, Unterstützer oder Fans, begangen? (Bitte nach Jahr, Liga und Straftatbestand aufschlüsseln.)
  4. In welchem Umfang hat der AK II eine Rechtstatsachensammlung zu Straftaten im Zusammenhang mit Fußball unterhalb der 4. Liga der Innenministerkonferenz mittlerweile vorgelegt?

Markus Wagner
Andreas Keith

 

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1 Vgl. htt ps://www.express.d e/nrw/fussball-verband-mittel rhein-spielabbrueche-deutlich-gestiegen-341885?cb=1667472156760.

2 Vgl. htt ps://www1.wdr.d e/nachrichten/ruhrge biet/gewalt-im-amateurfussball-nimmt-zu100.html.

3 Vgl. htt ps://www.n-tv.d e/sport/fussball/Brutalis ierung-im-Amateurfussball-erreicht-neue-Qualitaet-article23533566.html.

4 Vgl. htt ps://www.waz.d e/sport/fus sball/alarmierende-zahlen-mehr-spielabbrueche-im-amateurfussball-id236707155.html.

5 Ebd.

6 Vgl. htt ps://www.faz.n et/aktuell/spo rt/fussball/krawalle-im-amateur-fussball-oft-durch-migranten-verursacht-13269445.html#void.

7 Ebd.

8 Vgl. htt ps://www.faz.n et/aktuell/spo rt/fussball/krawalle-im-amateur-fussball-oft-durch-migranten-verursacht-13269445.html#void.

9 Ebd.

10 Vgl. Drs. 17/8372, S. 2.


Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 806 mit Schreiben vom 22. Dezember 2022 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Ministerpräsidenten und dem Minis­ter der Justiz beantwortet.

  1. Wie viele Spielabbrüche hat es seit 2015 bis heute in Nordrhein-Westfalen gege­ben? (Bitte nach Jahr, Liga und Grund aufschlüsseln)

Hierzu liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. Diese sind ggf. über die zuständi­gen Fußballverbände zu erlangen.

  1. Wie viele Straftaten wurden im Zuge eines ausgetragenen Fußballspiels seit 2015 bis heute in Nordrhein-Westfalen durch Teile der Mannschaft, wie z. B. Spieler, Trainer, Zeugwart etc., begangen? (Bitte nach Jahr, Liga und Straftatbestand auf­schlüsseln)
  2. Wie viele Straftaten wurden im Zuge eines ausgetragenen Fußballspiels seit 2015 bis heute in Nordrhein-Westfalen durch das nähere Umfeld, wie z. B. Zuschauer, Unterstützer oder Fans begangen? (Bitte nach Jahr, Liga und Straftatbestand auf­schlüsseln)

Die Fragen 2 und 3 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.

Zur Beantwortung wird auf die Antwort der Landesregierung vom 7. Januar 2020, LT-Drs. 17/8372 verwiesen.

  1. In welchem Umfang hat der AK II eine Rechtstatsachensammlung zu Straftaten im Zusammenhang mit Fußball unterhalb der 4. Liga der Innenministerkonferenz mitt­lerweile vorgelegt?

Aufgrund der Corona-Pandemie und des dadurch in den Spielzeiten 2020/21 und 2021/22 eingeschränkten sowie zum Teil vollständig abgebrochenen Spielbetriebs im Amateurfußball ist die Vorlage des Berichtes mit einer validen Datengrundlage erst nach Abschluss der aktu­ellen Saison 2022/23 vorgesehen.

 

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