Das Kentler-Experiment – Ein bundesweites Netzwerk des Kindesmissbrauchs

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 1067
des Abgeordneten Zacharias Schalley

Das Kentler-Experiment Ein bundesweites Netzwerk des Kindesmissbrauchs

Der Sexualpädagoge und Sexualwissenschaftler Helmut Kentler ließ seit den 1970er Jahren über mehrere Jahrzehnte Kinder und Jugendliche aus Berlin von Jugendämtern gezielt an pädosexuelle Männer zur Pflege vermitteln.1 Die Pflegekinder sollten in diesem Experiment durch die Zuwendung der Männer profitieren.2 Die Universität Hildesheim wurde von der Berliner Senatsbildungsverwaltung mit zwei Forschungsprojekten zur Aufarbeitung des Experiments beauftragt.3

Am 19.12.2022 hat ein Projektteam der Universität Hildesheim den dritten Zwischenbericht der Aufarbeitungsarbeiten zum Kentler-Experiment auf einer Pressekonferenz vorgestellt.4 In dem Zwischenbericht beschreiben die Forscher, „dass es ein Netzwerk von Akteur*innen gab, durch das pädophile Positionen geduldet, gestärkt und legitimiert wurden sowie pädophile Übergriffe in unterschiedlichsten Konstellationen nicht nur geduldet, sondern auch arrangiert und gerechtfertigt wurden“.5

Die Forscher sichteten im Rahmen ihres Projekts ungefähr 1150 personenbezogene Akten der Fürsorgeerziehung (FE) bzw. der Freiwilligen Erziehungshilfe (FEH). 6 In der Aktenanalyse ergab sich die Erkenntnis, „dass sich alleinstehende Männer aus West-Deutschland junge Menschen aus Berlin, insbesondere aus dem Haus Tegeler See, ‚ausgesucht‘ haben, die sie bei sich in Pflege oder Sonderpflege genommen haben“. 7 Das Netzwerk rund um Helmut Kentler ging laut Zwischenfazit des Berichts, „deutlich über Berlin bis in verschiedene Regionen West-Deutschlands hinaus und konnte an unterschiedliche Infrastrukturen der Kinder- und Jugendhilfe, Hochschulen oder der evangelischen Kirche anknüpfen und sich durch diese auch öffentlich normalisieren oder gegenüber Anfragen immunisieren“. 8

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

  1. Sind der Landesregierung Kinder und Jugendliche bekannt, welche aus Berlin nach NRW in Pflege gegeben wurden? (Bitte aufschlüsseln nach Kindern aus Berlin und Kindern aus dem Haus Tegeler See)
  2. In welchen Landkreisen und in welchen kreisfreien Städten wurden diese Kinder und Jugendliche in Pflege gegeben? (Bitte nennen Sie jeweils die für die Kinder und Jugendlichen zuständigen Jugendämter)
  3. Sind der Landesregierung zu diesen Kindern eingegangene KWG-Meldungen bekannt? (Bitte aufschlüsseln nach akuter Kindeswohlgefährdung, latenter Kindeswohlgefährdung, keiner Kindeswohlgefährdung mit Hilfebedarf und keiner Kindeswohlgefährdung)
  4. Sind der Landesregierung Institutionen in Nordrhein-Westfalen bekannt, welche mit Helmut Kentler in Verbindung standen? Falls ja, bitten wir um Nennung der Namen der Institutionen.
  5. Was plant die Landesregierung zur Aufklärung von eventuellen Involvierungen eigener Behörden im Missbrauchsnetzwerk des Helmut Kentlers?

Zacharias Schalley

 

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1 Htt p s : / / www. T a g e s s p i e g e l .de/berlin/b e r l i n e r -kentler-experiment-wird-b u n d e s w e i t -auf ge ar beitet -4 2 4 8 5 5 3 .h t m l (abgerufen am 27.12.2022)

2 Htt p s : / /www. B e r l i n e r-zeitung.de/ne ws/sexueller-missbrauch-k e n t l e r-e x p e r i m e n t-wird-bundes weit -aufgearbeitet-li. 1 5 7 4 3 9 (abgerufen am 28.12.2022)

3 Htt p s : / / www. t a g e s s p i e g e l .de/berlin/ be rl in er-kentler-ex per i ment -wird-bundesweit-aufgearbeitet-42 48 55 3.h t m l (abgerufen am 27.12.2022)

4 Htt p s : / / www. T a g e ss p i e g e l.de/berlin/es-hat-ein-n e t z w e r k-gegeben-miss brauch-durch-k e n t l e r-ex peri ment e-reichte-weit-uber-berlin-hinaus-90 59 77 0.h t m l (abgerufen am 27.12.2022)

5 Baader et al. 2022, S. 3, htt p s : / / www. U n i-hil des heim .de /media /f b 1/ sozialpaedagogik / For schung / Auf a r beitung_-Jugendhilfe_Berlin-_Kentler/Zwischen bericht_Kentler.p d f (abgerufen am 27.12.2022)

6 Vgl. ebenda. S. 13

7 Ebenda. S. 15

8 Ebenda. S. 20


Die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration hat die Kleine Anfrage 1067 mit Schreiben vom 13. Februar 2023 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister des Innern beantwortet.

Vorbemerkung der Landesregierung

Die Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesjugend- und Familienbehörden (AGJF) hat sich in ihrer Sitzung am 24./25. September 2020 mit dem mündlichen Bericht des Landes Berlin zur Studie „Helmut Kentlers Wirken in der Berliner Kinder- und Jugendhilfe“ der Universität Hildesheim befasst. Die AGJF hat diesen mündlichen Bericht des Landes Berlin einstimmig zur Kenntnis genommen.

In der Sitzung der AGJF am 18. März 2021 wurde der weitere Umgang mit den Ergebnissen des Forschungsberichts beraten. In der Folge befasste sich auch die Jugend- und Familien­ministerkonferenz (JFMK) mit diesem Thema. Sie beschloss im Mai 2021, „die Weiterführung des Aufarbeitungsprozesses mit dem Fokus der Untersuchung von über Berlin hinausgehen­den pädophilen Netzwerkstrukturen, die sexuelle Gewalt gegen Kinder sowie pädophile Posi­tionen akzeptiert und unterstützt haben“ zu unterstützen und in diesen Aufarbeitungsprozess auch weitere Bundesländer mit einzubeziehen. Die Länder haben dazu ihre Bereitschaft er­klärt.

Die Universität Hildesheim ist im Zuge des weiteren Aufarbeitungsverfahrens bisher nicht an das Land NRW herangetreten.

Derzeit läuft dort mit einer Laufzeit vom 01. April 2021 bis zum 31. März 2023 die Forschung „Helmut Kentlers Wirken in der Berliner Kinder- und Jugendhilfe – Aufarbeitung der organisa-tionalen Verfahren und Verantwortung des Berliner Landesjugendamtes“.

Zudem sind seitens der Universität aktuell ehemalige Mitarbeiter/innen bzw. Zeitzeuginnen und Zeitzeugen des „Haus Tegeler See“, die Einblicke in die Strukturen, Verfahren und alltäg­liche Arbeit geben können, aufgerufen, sich zu melden.

  1. Sind der Landesregierung Kinder und Jugendliche bekannt, welche aus Berlin nach NRW in Pflege gegeben wurden? (Bitte aufschlüsseln nach Kindern aus Ber­lin und Kindern aus dem Haus Tegeler See)
  2. In welchen Landkreisen und in welchen kreisfreien Städten wurden diese Kinder und Jugendliche in Pflege gegeben? (Bitte nennen Sie jeweils die für die Kinder und Jugendlichen zuständigen Jugendämter)
  3. Sind der Landesregierung zu diesen Kindern eingegangene KWG-Meldungen be­kannt? (Bitte aufschlüsseln nach akuter Kindeswohlgefährdung, latenter Kindeswohlgefährdung, keiner Kindeswohlgefährdung mit Hilfebedarf und keiner Kindeswohlgefährdung)

Aus Gründen des Sachzusammenhangs werden die Fragen 1 bis 3 zusammen beantwor-tet.Der Landesregierung liegen hierzu keine Informationen vor.

  1. Sind der Landesregierung Institutionen in Nordrhein-Westfalen bekannt, welche mit Helmut Kentler in Verbindung standen? Falls ja, bitten wir um Nennung der Namen der Institutionen.

Der Landesregierung sind keine Institutionen in Nordrhein-Westfalen bekannt, die mit Helmut Kentler in Verbindung standen.

  1. Was plant die Landesregierung zur Aufklärung von eventuellen Involvierungen ei­gener Behörden im Missbrauchsnetzwerk des Helmut Kentlers?

Die Landesregierung hat keine Kenntnis davon, dass „eigene Behörden“ in die Aktivitäten von Helmut Kentler einbezogen gewesen sind. Auf die Vorbemerkung wird verwiesen.

 

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