Datenschutz vor Opferschutz?

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 191
des Abgeordneten Markus Wagner vom 22.07.2022

 

Datenschutz vor Opferschutz?

Wie die Berliner Zeitung am 17. Mai 2022 berichtete, hat der Datenschutzbeauftragte der Generalstaatsanwaltschaft es der Berliner Polizei untersagt, Daten wie Alter der Beteiligten, Tatort und Tathergang von judenfeindlichen, homophoben und rassistischen Übergriffen an Opfer- und Beratungsstellen zu übermitteln. Von den insgesamt 731 in Berlin im Jahre 2021 registrierten Fällen, unter anderem wegen Beleidigungen und Angriffen gegen Schwule, Lesben und Transsexuelle, konnte daher nur die Hälfte ausgewertet werden. Dies hat zur Folge, dass eine genaue Entwicklung nicht mehr dargestellt werden kann und dass Präventionsmaßnahmen behindert werden. Die Entscheidung, den Datenschutz derart zu ändern, sei ohne Rücksprache erfolgt und werde von allen Parteien bedauert.1

Ich frage die Landesregierung:

  1. In welcher Form findet eine arbeitstechnische Verzahnung (auch durch Weitergabe von statistischen Daten) zwischen den nordrhein-westfälischen Polizeibehörden und den Opferhilfe- und Beratungsstellen statt?
  2. Ist es den nordrhein-westfälischen Polizeibehörden ebenfalls untersagt, (teilweise) diverse Daten hinsichtlich eines Falles z. B. an Opferhilfestellen weiterzuleiten?
  3. Für wie sinnvoll erachtet die nordrhein-westfälische Landesregierung die geänderte Datenschutzrichtlinie in Berlin inhaltlich?
  4. Plant die nordrhein-westfälische Landesregierung ebenfalls eine solche (o. ä.) Änderung des bestehenden Datenschutzes zwecks Einschränkung von Datenübermittlungen an Opferhilfe- und Beratungsstellen?

Markus Wagner

 

Anfrage als PDF


Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 191 mit Schreiben vom 23. August 2022 im Einvernehmen mit dem Minister der Justiz namens der Landesregierung beantwortet.

Vorbemerkung der Landesregierung

Ausweislich des von der Kleinen Anfrage zitierten Presseberichts hat der behördliche Datenschutzbeauftragte der dortigen Generalstaatsanwaltschaft die Übermittlung von Vorgängen an Opferschutz-Beratungsstellen untersagt. Der Landesregierung sind weder die vorherige Behördenpraxis im Land Berlin noch die besagte Entscheidung des behördlichen Datenschutzbeauftragten im Detail bekannt.

  1. In welcher Form findet eine arbeitstechnische Verzahnung (auch durch Weitergabe von statistischen Daten) zwischen den nordrhein-westfälischen Polizeibehörden und den Opferhilfe- und Beratungsstellen statt?

Der Opferschutz leistet nicht nur in Nordrhein-Westfalen einen Beitrag für die Gesellschaft, sondern beugt – ebenso wie eine effektive Strafverfolgung und umfassende Kriminalprävention – Verunsicherungen und Ängsten von Bürgerinnen und Bürgern vor. Opferschutz umfasst alle Maßnahmen, um das Opfer einer Straftat oder eines schädigenden Ereignisses individuell zu unterstützen, indem der entstandene Schaden (physisch, psychisch, sozial und materiell) soweit wie möglich kompensiert und weiterem Schaden vorgebeugt wird.

Gemäß des Runderlasses des Ministeriums des Innern – Az. 62.02.01 vom 01. April 2019 – umfasst der Polizeiliche Opferschutz u. a. die Feststellung, ob weitere Unterstützung und Hilfe notwendig sind sowie die bedarfsgerechte Vermittlung von Angeboten der Opferhilfe und – unterstützung.

In den 47 Kreispolizeibehörden der Polizei Nordrhein-Westfalen (Polizei NRW) arbeiten die kriminalpräventiven Gremien sowie Netzwerke mit den staatlichen und nichtstaatlichen Beratungs- und Hilfestellen eng zusammen. Bei der Vermittlung der Opfer an Beratungs- und Hilfestellen gestaltet die Polizei NRW diese möglichst proaktiv. Ist das Opfer einer Straftat mit der Übermittlung seiner personenbezogenen Daten einverstanden, so werden diese von der Polizei an die Beratungs- und Hilfeeinrichtungen übermittelt, deren Vertreterinnen oder Vertreter dann auf das Opfer zugehen.

Statistische Daten aus der Polizeilichen Kriminalstatistik Nordrhein-Westfalen (PKS NRW) werden in Form von Lagebildern nach Genehmigung des Ministeriums des Innern veröffentlicht und stehen u. a. den Beratungs- und Hilfestellen öffentlich zur Verfügung.

  1. Ist es den nordrhein-westfälischen Polizeibehörden ebenfalls untersagt, (teilweise) diverse Daten hinsichtlich eines Falles z. B. an Opferhilfestellen weiterzuleiten?

Datenschutz und Opferschutz stehen nicht etwa in einem Gegensatz, sondern bedingen einander. Ein sachgerechter Opferschutz erfordert auch einen angemessenen und sensiblen Umgang mit den personenbezogenen Daten der Betroffenen.

Grundlage der Datenübermittlung zwischen Ermittlungsbehörden und Opferhilfestellen sind in Nordrhein-Westfalen die Artikel 6 und 7 der EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). In aller Regel erfolgt der Datenaustausch auf Grundlage einer Einwilligung der betroffenen Person (Art. 6 Abs. 1 a DSGVO), ansonsten auf gesetzlicher Grundlage (Art. 6 Abs. 1 e DSGVO).

Nach § 3 Abs. 1 und 3 des Gesetzes über die Beauftragte oder den Beauftragten des Landes Nordrhein-Westfalen für den Opferschutz (GV. NRW. 2022, S. 521) kann die Beauftragte für den Opferschutz proaktiv an Betroffene herantreten, um Opfer von Straftaten und ihnen nahestehende Personen über ihre Rechte und über psychosoziale, finanzielle und sonstige Hilfsmöglichkeiten zu informieren. Polizeibehörden dürfen auf Ersuchen die dazu erforderlichen personenbezogenen Daten [Name und Vorname, Geburtsdatum, Geschlecht, Anschrift und E-Mail-Adresse, Telefonnummer sowie die Art der Betroffenheit von einem Ereignis (verletzte, ersthelfende, vermissende oder sonstige nahestehende Person)] zum Zwecke der Kontaktaufnahme an die Opferschutzbeauftragte und ihr Team übermitteln. Die Verarbeitung weiterer personenbezogener Daten und deren Weitergabe an Hilfseinrichtungen bedarf dann wiederum der Einwilligung der betroffenen Person.

Die Übermittlung personenbezogener Daten an Opferberatungsstellen in privater Trägerschaft durch die Polizei richtet sich nach § 27 Abs. 3 des Polizeigesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (PolG NRW), soweit es um statistische und/oder wissenschaftliche Zwecke geht in Verbindung mit den §§ 24 Abs. 2, 24a PolG NRW und § 40 des Datenschutzgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen.

  1. Für wie sinnvoll erachtet die nordrhein-westfälische Landesregierung die geänderte Datenschutzrichtlinie in Berlin inhaltlich?

Die Landesregierung bewertet die datenschutzrechtliche Praxis anderer Bundesländer nicht.

  1. Plant die nordrhein-westfälische Landesregierung ebenfalls eine solche (o. ä.) Änderung des bestehenden Datenschutzes zwecks Einschränkung von Datenübermittlungen an Opferhilfe- und Beratungsstellen?

Nein.

 

Antwort als PDF

Beteiligte:
Markus Wagner