Kleine Anfrage 5014der Abgeordneten Markus Wagner, Nic Vogel und Andreas Keith vom 18.02.2021
Definierter Mindestabstand zwischen Geschwindigkeitsschild und zugehöriger Geschwindigkeitsmessstelle auch in Nordrhein-Westfalen
Alle Verkehrsteilnehmer haben ihre Geschwindigkeit grundsätzlich so einzurichten, dass sie bereits beim Passieren eines die Geschwindigkeit regelnden Verkehrszeichens die vorgeschriebene Geschwindigkeit einhalten können. Soweit die Theorie.1
Die Durchführung von Geschwindigkeitskontrollen hat jedes Bundesland in Deutschland allerdings für sich selbst geregelt. Dabei gestehen alle Bundesländer außer Nordrhein-Westfalen und Hamburg den Verkehrsteilnehmern eine begrenzte Strecke zu, die ihnen erlaubt, ihr Tempo durch Vom-Gas-Gehen oder moderates Bremsen auf das geforderte und erforderliche Maß zu reduzieren. Ohne dabei dort fürchten zu müssen, für eine Ordnungswidrigkeit zur Verantwortung gezogen zu werden.
Die den Verkehrsteilnehmern eingeräumte Strecke schwankt abhängig von Bundesland und Straßentyp zwischen 75 Metern (Berlin) und 250 Metern (Mecklenburg-Vorpommern).2 Diese Regelung ist praxisnah und hat sich in den anderen Bundesländern offenkundig bewährt.
Aus unserer Sicht wäre im Sinne der Rechtsgleichheit für alle Bürger eine bundesweit harmonisierte Lösung anzustreben. Es erscheint uns wenig plausibel, dass es innerhalb Deutschlands immer noch unterschiedliche Streckendefinitionen gibt. Für Nordrhein-Westfalen würden wir uns eine Strecke von 100 bis 150 Metern zwischen Verkehrsschild und zugehöriger Geschwindigkeitsmessstelle, wie in benachbarten Bundesländern, wünschen.
Als Negativbeispiel kann eine stationäre Geschwindigkeitsmesssäule an der B 236 im Bereich des Bahnübergangs Brüninghausen bei Werdohl dienen. Dort wird die Einhaltung der Höchstgeschwindigkeit in Fahrtrichtung Werdohl 60 Meter hinter dem 30 km/h-Geschwindigkeitsschild und fast unmittelbar vor der eigentlichen Gefahrenstelle Bahnübergang gemessen.3 Die Folgen sind klar: Zunächst werden die Fahrer durch das Tempo 30-Schild vom Verkehrsgeschehen abgelenkt, dann lenkt sie die Messsäule ab und verleitet zum reflexartigen Bremsen und kurz danach stoßen die Verkehrsteilnehmer dann auf die eigentliche Gefahrenstelle. Es steht zu befürchten, dass diese Einrichtung so ihren eigentlichen Zweck nicht oder nur begrenzt erfüllen kann.
Die derzeitige Rechtslage in Nordrhein-Westfalen, welche eine Errichtung der Messgeräte unmittelbar hinter dem Verkehrsschild erlaubt, begünstigt einen „digitalen“ Fahrstil mit plötzlichem Bremsen und einer größeren Gefahr von Auffahrunfällen bei gleichzeitig erhöhten Abgas- und Feinstaubemissionen durch Brems-, Reifen- und Fahrbahnabrieb sowie durch aufgewirbelte Feinstäube.4
Durch ein frühzeitigeres Herabsetzen der Geschwindigkeit vor Messstellen können sowohl das abrupte, verkehrsgefährdende Bremsen als auch die dabei entstehenden Emissionen reduziert werden.
Es gab in der letzten Legislaturperiode bereits eine Anfrage der CDU an die alte Landesregierung zu einem ähnlichen Thema. Wir hoffen, dass sich mit geänderten Mehrheitsverhältnissen eine bürgerfreundlichere, die Akzeptanz von faireren Geschwindigkeitsmessungen und die Verkehrssicherheit wirklich erhöhende Lösung finden lässt.
Daher fragen wir die Landesregierung:
- Wie viele geschwindigkeitsbedingte Unfälle gab es im Bereich des Bahnübergangs Brüninghausen jeweils in den fünf Jahren vor und nach der Einrichtung der dortigen, stationären Geschwindigkeitsmessstelle durch in Fahrtrichtung Werdohl fahrende Verkehrsteilnehmer? (Bitte die Unfälle tabellarisch mit Datum, Schadenshöhe, Anzahl der Leicht-und Schwerverletzten und der Unfalltoten getrennt ausweisen)
- Wie viele Bußgelder mit bzw. ohne Fahrverbote wurden an mobilen und an stationären Geschwindigkeitsmessstellen im Bereich dieses Bahnübergangs und in Fahrtrichtung Werdohl jeweils in den fünf Jahren vor und nach Errichtung der aktuellen Geschwindigkeitsmessstelle verhängt? (Bitte jedes Jahr getrennt ausweisen)
- Wie viele dieser betroffenen Verkehrsteilnehmer sind jeweils im Falle der Verhängung eines Bußgelds bzw. im Falle der Verhängung eines Fahrverbots wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung juristisch erfolgreich gegen die verhängten Strafen vorgegangen?
- Inwiefern plant die Landesregierung in absehbarer Zeit die Einführung eines solchen Min-
destabstands zwischen Höchstgeschwindigkeitsschild und Messstelle? (Bitte nennen Sie den dabei vorgesehenen Mindestabstand) - Inwiefern wird sich die Landesregierung beim Bundesverkehrsministerium für eine bundesweit harmonisierte Lösung einsetzen?
Markus Wagner
Nic Vogel
Andreas Keith
1 Vgl. https://rp-online.de/leben/auto/ratgeber/nrw-direkt-hinter-temposchild-darf-geblitzt-werden_aid-17824579#:~:text=Keine%20Grauzone%20NRW%20%2D%20direkt%20hinter%20Tem-poschild%20darf%20geblitzt%20werden&text=D%C3%BCsseldorf%20Radarfal-len%20k%C3%B6nnen%20in%20Nordrhein,Mindestabstand%20muss%20es%20nicht%20geben, abgerufen am 25.01.2021 um 15.45 Uhr.
2 Vgl. https://www.bussgeldkatalog.org/blitzer-aufstellen/, abgerufen am 25.01.2021 um 16.00 Uhr.
3 Vgl. https://www.come-on.de/lennetal/plettenberg/fuenf-spannende-fakten-ueber-blitzer-plettenberg-9547536.html, abgerufen am 25.01.2021 um 16.12 Uhr.
4 Vgl. https://www.sueddeutsche.de/auto/feinstaub-verkehr-bremsen-reifen-1.4427241, abgerufen am 25.01.2021 um 14.27 Uhr.
Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 5014 mit Schreiben vom 24. März 2021 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Justiz und dem Minister für Verkehr beantwortet.
Vorbemerkung der Landesregierung
In dem von den Fragestellern in Bezug genommenen Bereich des Märkischen Kreises, B236 Plettenberg, ist im Jahre 1997 eine stationäre Geschwindigkeitsüberwachungsanlage in enger Zusammenarbeit mit der Unfallkommission, der Kreispolizeibehörde Märkischer Kreis und dem Landesstraßenbauamt Hagen unter Verantwortung der dortigen Bußgeldstelle errichtet worden. Die Erforderlichkeit zur Einrichtung der Anlage wurde deshalb gesehen, weil sich in dem Zeitraum 01.10.1995 bis 30.09.1996 insgesamt elf Verkehrsunfälle aufgrund zu hoher Geschwindigkeiten vor dem Bahnübergang ereignet hatten. Da die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h in diesen Fällen nicht eingehalten worden war, war es zur Erhöhung der Verkehrssicherheit im Bereich des Bahnüberganges notwendig, die Geschwindigkeiten zu überwachen.
- Wie viele geschwindigkeitsbedingte Unfälle gab es im Bereich des Bahnübergangs Brüninghausen jeweils in den fünf Jahren vor und nach der Einrichtung der dortigen, stationären Geschwindigkeitsmessstelle durch in Fahrtrichtung Werdohl fahrende Verkehrsteilnehmer? (Bitte die Unfälle tabellarisch mit Datum, Schadenshöhe, Anzahl der Leicht- und Schwerverletzten und der Unfalltoten getrennt ausweisen)
Nach der Errichtung der Anlage hat das Unfallgeschehen deutlich abgenommen. Der zuständigen Bezirksregierung sowie der Kreispolizeibehörde Märkischer Kreis liegen jedoch keine weiteren Daten nach Errichtung der Anlage zur Typisierung der Unfälle vor. Seitens der Polizei wurden jedoch die Jahre 2007 bis 2020 bezüglich aller Verkehrsunfälle mit den Unfallursachen „Unangepasste Geschwindigkeit mit Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit“ und „nicht angepasste Geschwindigkeit in anderen Fällen“, die in Fahrtrichtung Werdohl auf einer Länge von 100 m im Bereich des Bahnüberganges polizeilich aufgenommen worden sind, ausgewertet.
Das Ergebnis dieser Auswertung stellt sich wie folgt dar:
Tag | Datum | Zeit | Getötete | Schwerverletzte | Leichtverletzte | Sachschaden |
Mi | 21.05.2008 | 22:05 |
0 |
0 |
0 |
4.000 € |
Mi | 22.02.2010 | 17:36 |
0 |
0 |
1 |
3.000 € |
Mo | 01.03.2013 | 16:30 |
0 |
0 |
0 |
unbekannt |
Fr | 16.11.2018 | 19:45 |
0 |
0 |
0 |
5.000 € |
Tabelle 1: VU-Auswertung 2007-2020; Quelle: KPB Märkischer Kreis (24.02.2021)
- Wie viele Bußgelder mit bzw. ohne Fahrverbote wurden an mobilen und an stationären Geschwindigkeitsmessstellen im Bereich dieses Bahnübergangs und in Fahrtrichtung Werdohl jeweils in den fünf Jahren vor und nach Errichtung der aktuellen Geschwindigkeitsmessstelle verhängt? (Bitte jedes Jahr getrennt ausweisen)
Vor Errichtung der Anlage wurden seitens der Kommune in diesem Bereich keine Geschwindigkeitsmessungen durchgeführt. In den fünf Jahren nach Inbetriebnahme der Anlage ist keine statistische Erfassung der verhängten Bußgelder und Fahrverbote erfolgt.
Die Kreispolizeibehörde Märkischer Kreis hat in diesem Bereich keine Geschwindigkeitsmessungen durchgeführt.
- Wie viele dieser betroffenen Verkehrsteilnehmer sind jeweils im Falle der Verhängung eines Bußgelds bzw. im Falle der Verhängung eines Fahrverbots wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung juristisch erfolgreich gegen die verhängten Strafen vorgegangen?
Hinsichtlich polizeilich oder kommunal festgestellter Verkehrsordnungswidrigkeiten wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen.
Auch dem Ministerium der Justiz liegen keine statistischen Daten zur Beantwortung der Frage vor. Im Rahmen der Anordnung über die Erhebung von statistischen Daten in Straf- und Bußgeldverfahren (StP/OWi-Statistik) wird lediglich die Zahl der Einsprüche gegen Bußgeldbescheide statistisch erfasst. Eine weitergehende Differenzierung findet nicht statt.
Insbesondere werden keine Einsprüche betreffend bestimmter Geschwindigkeitsmessstellen erfasst. Für eine Erhebung bedürfte es daher einer händischen Auswertung sämtlicher in Betracht kommender Einzelvorgänge. Dies ist innerhalb der zur Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit einem für die Strafrechtspflege vertretbaren Aufwand nicht leistbar.
- Inwiefern plant die Landesregierung in absehbarer Zeit die Einführung eines solchen Mindestabstands zwischen Höchstgeschwindigkeitsschild und Messstelle? (Bitte nennen Sie den dabei vorgesehenen Mindestabstand)
Es ist durch die Landesregierung nicht beabsichtigt, die aktuelle Regelung zu verändern, da weder ein verkehrsfachlicher noch ein verkehrsrechtlicher Bedarf dazu gesehen wird.
- Inwiefern wird sich die Landesregierung beim Bundesverkehrsministerium für eine bundesweit harmonisierte Lösung einsetzen?
Weil die aktuelle Verfahrensweise in Nordrhein-Westfalen den Bedarf einer Modifikation nicht aufweist, sieht die Landesregierung auch nicht den Bedarf, eine solche Harmonisierung auf Bundesebene zu initiieren.