Entschließungsantragder AfD-Fraktion vom 25.01.2022
Den Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus als Auftrag verstehen, sich immer wieder von neuem unermüdlich für die Ideale und Gebote der Humanität einzusetzen
zu dem Antrag „Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus – Erinnerung und Auftrag“
Antrag der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Drucksache 17/16269)
I. Ausgangslage
Der 27. Januar ist in Deutschland seit dem Jahre 1996 Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus’ und erinnert an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945. Die Initiative zur Einführung dieses nationalen Gedenktages ging vom damaligen Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, aus. Die endgültige Erklärung zum Gedenktag erfolgte am 3. Januar 1996 durch den damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog.
Am 19. Januar 1996 hielt Bundespräsident Herzog im Deutschen Bundestag die erste Rede anlässlich dieses Gedenktags.1 Dabei sagte er u.a.:
„Würden wir uns ein Auslöschen dieser Erinnerung wünschen, dann wären wir selbst die ersten Opfer einer Selbsttäuschung. Denn es ist vor allem unser Interesse, aus der Erinnerung zu lernen. Die Erinnerung gibt uns Kraft, weil sie Irrwege vermeiden hilft. […] Die Bürger unseres Landes sollen wenigstens einmal im Jahr über das Geschehene nachdenken und vor allem über die Folgerungen, die daraus zu ziehen sind. […] Überhaupt erscheint es mir sinnvoll, den 27. Januar nicht als Feiertag zu begehen, auch nicht im Sinne der Feiertagsgesetze, sondern als wirklichen Tag des Gedenkens, in einer nachdenklichen Stunde inmitten der Alltagsarbeit, auch der Alltagsarbeit eines Parlamentes. […] Wer Unfreiheit und Willkür kennt, der weiß Freiheit und Recht zu schätzen. Die Selbstverständlichkeit aber, mit der unser Volk Freiheit und Recht erleben darf, vermittelt mitunter zu wenig Gespür für die Gefahren von Willkür und Unfreiheit.“
Im Jahre 2022 gilt es schließlich auch an den 80. Jahrestag der Wannseekonferenz zu erinnern. Bei diesem Treffen hochrangiger nationalsozialistischer Funktionsträger im Südwesten Berlins wurde die zu diesem Zeitpunkt bereits laufende systematische und industrielle Ermordung der Juden in Deutschland und Europa „geordnet“ – insbesondere auch der zeitlichen Ablauf für die weiteren Massentötungen. Wie aus einem Dokument der Wannseekonfe-renz hervorgeht, war dabei der Mord an 11 Mio. Juden vorgesehen.
Im Vernichtungslager Auschwitz, das wie kaum ein anderer Ort für den industrialisierten Massenmord, für Menschenverachtung, Hass und Unmenschlichkeit sowie für Tod, Terror, Leid, Elend und Schrecken steht, wurden mehr als eine Millionen Menschen von den Nationalsozialisten ermordet. Auschwitz war nur eines von mehreren Vernichtungslagern, eines von vielen sog. Konzentrationslagern.
Allein in den Vernichtungslagern Belzec, Sobibor und Treblinka starben weitere zwei Millionen Menschen, sog. Einsatzgruppen ermordeten schätzungsweise weitere 750.000 Menschen. In den Ghettos, streng abgeschirmten Gebieten, in denen insbesondere Juden unter unvorstellbaren und menschenunwürdigen Bedingungen eingepfercht wurden und schwerste körperliche Arbeit verrichten mussten, starben weitere zwei Millionen Menschen.
Insgesamt wurden in den Jahren des nationalsozialistischen Terror-Regimes laut einer Studie des United States Holocaust Memorial Museums rund sechs Millionen Juden, fünf Millionen sowjetische Zivilisten, drei Millionen sowjetische Kriegsgefangene, 1,8 Millionen polnische Zivilisten, 312.000 serbische Zivilisten, 250.000 Menschen mit Behinderung, 250.000 Sinti und Roma, 1.900 Zeugen Jehovas und 70.000 „Kriminelle“ und als „Asoziale“ diffamierte Menschen getötet. Nicht erfasst sind in diesen unvorstellbaren Zahlen die Zahlen derer, die Opfer von politischer Verfolgung wurden oder die wegen ihrer sexuellen Identität verfolgt und ermordet wurden. Schätzungsweise zwischen 10.000 und 15.000 Männer wurden wegen ihrer Homosexualität in Konzentrationslagern inhaftiert, ihre Todesrate lag bei 60 Prozent.2
Die schier unvorstellbare Zahl der Getöteten und das schreckliche Leid der Überlebenden und Angehörigen ist auch 77 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 erschütternd. Es ist die Verantwortung und die Pflicht einer jeden Generation, das Andenken und die Erinnerung an jeden einzelnen Menschen und das Menschheitsverbrechen der Shoa zu bewahren.
Es ist unsere politische und gesellschaftliche Verpflichtung, alles zu tun, dass es nie wieder zu derartigen menschenverachtenden Taten, egal wo in der Welt, kommen darf und kann. Darum setzen wir uns gemeinsam ein für Frieden, Toleranz und Miteinander in Würde und Respekt. Wir setzen auf Solidarität und Miteinander zur Überwindung von Trennendem und machen uns stark, gegen Hass, gegen Antisemitismus, auch im Gewand der Israelkritik, und jede Form der Menschenfeindlichkeit.
Wir können und werden nicht akzeptieren, dass mehr als 75 Jahre nach der Befreiung von dem nationalsozialistischen menschenverachtenden Terror-Regime Hass und Menschenfeindlichkeit immer noch bzw. erneut in Teilen unserer Gesellschaft Anklang, Zustimmung und neuen Nährboden finden. Es besorgt uns, dass die Zahl der antisemitischen Straftaten im Jahr 2020 deutschlandweit um 15,7 Prozent angestiegen ist.
In einer Studie für die Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen zur Wahrnehmung und Erfahrung von Antisemitismus durch jüdische Menschen in Nordrhein-Westfalen äußerten 2020 rund ein Drittel der Befragten, dass für sie selbst und ihr Umfeld ein Wegzug aus Deutschland durchaus ein relevantes Thema sei. Solche Aussagen und Erkenntnisse müssen uns aufmerksam machen und sind Anlass, noch entschiedener gegen Antisemitismus vorzugehen.
Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem und in allen gesellschaftlichen Milieus zu finden. Dies erfüllt uns mit tiefer Sorge. Antisemitismus hat keinen Platz in unserer Gesellschaft. Das Vertreten antisemitischer Positionen ist auch ein Ausdruck von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und widerspricht somit den Werten unseres Grundgesetzes und unserer demokratischen Gesellschaft.
Es ist unsere Pflicht, gleichsam alle Formen des Antisemitismus zu bekämpfen. Dabei muss es unerheblich sein, von wem dieser Antisemitismus ausgeht. Dieser Grundsatz gilt auch für einen als Israel-Kritik getarnten und weit verbreiteten Antizionismus. Dazu zählen die Dämonisierung Israels, die Delegitimation Israels sowie die Verwendung doppelter Standards. Die deutsche Staatsraison in Bezug auf das jüdische Leben in Deutschland, aber insbesondere auch auf das Existenzrecht Israels, ist aus unserer Sicht nicht verhandelbar und darf nie zu einer bloßen Floskel verkümmern.
II. Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest, dass
- die Erinnerung an den Holocaust zu den Grundkonstanten unserer Gesellschaft und zu unserer Staatsräson gehört;
- der Schutz jüdischen Lebens in Nordrhein-Westfalen höchste Priorität hat;
- die Zunahme antisemitischer Straftaten Anlass zur Sorge sind und mit den Mitteln des Rechtsstaats konsequent geahndet werden müssen;
- die deutsche Staatsraison in Bezug auf das jüdische Leben in Deutschland und auf das Existenzrecht Israels nicht verhandelbar ist.
Der Landtag beauftragt die Landesregierung,
- das jüdische Leben in Nordrhein-Westfalen durch geeignete Maßnahmen weiter zu sichern und zu fördern;
- die Erinnerung an die Shoah, den Holocaust, aufrecht zu erhalten und die Arbeit der Gedenkstätten, Erinnerungsorte und Museen zu unterstützen und zeitgemäß weiterzuentwickeln;
- die Arbeit der Antisemitismusbeauftragten weiter zu unterstützen und zu stärken:
- im Bereich der politischen Bildung weiterhin einen Schwerpunkt auf die Zeit des Nationalsozialismus’ zu legen, um gerade auch jüngeren Generationen einen zeitgemäßen Zugang zu der Thematik zu vermitteln:
- im Bereich der politischen Bildung zudem einen Schwerpunkt auf die Geschichte Israels zu legen und somit antizionistischen Denkmustern entgegenzuwirken;
- die Auseinandersetzung mit antisemitischen Verschwörungsmythen in unserer Gesellschaft gezielt im Rahmen der politischen Bildung weiter zu stärken und derartigen Denkmustern deutlich entgegenzutreten;
- die Auseinandersetzung mit den Verbrechen der NS-Zeit in Aus-, Weiter- und Fortbildung in der Justiz, Sicherheitsbehörden, öffentlicher Verwaltung und im Bildungsbereich weiter voranzutreiben;
- den 27. Januar als Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus in geeigneter Form aufzuwerten.
Helmut Seifen
Markus Wagner
Andreas Keith
und Fraktion
1 Vgl. https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/RomanHerzog