Deutsche Sprachförderung – frühzeitig und ganzheitlich! Lese- und Sprachkompetenz im vorschulischen Bereich und in der Primarstufe langfristig sichern

Antrag

Antrag
der Fraktion der AfD

Deutsche Sprachförderung frühzeitig und ganzheitlich! Lese- und Sprachkompetenz im vorschulischen Bereich und in der Primarstufe langfristig sichern

I. Ausgangslage

Die wissenschaftliche Studienlage weist seit Jahren einhellig auf alarmierende Defizite deut­scher Schüler im Bereich Lese- und Sprachkompetenz hin. Die letzten PISA-Studien haben aufgezeigt, dass ein Fünftel der jugendlichen Schüler beim Lesen nicht über Grundschulniveau hinauskommt. Deutschland ist damit weit von der OECD-Spitze abgeschlagen und ein Ende der Talfahrt ist nicht in Sicht: Der Anteil der Jugendlichen auf der untersten Lese-Kompetenz­stufe hat sich in der letzten PISA-Erhebung von 2018 weiter erhöht.1 Die Lesefreude unter deutschen Schülern ist im Vergleich zur Vorgänger-Studie (2009) erneut zurückgegangen und liegt signifikant unter dem OECD-Durchschnitt.2

Ohne Lesekompetenz keine Leselust – dieser Trend wird durch aktuelle Forschungsergeb­nisse bestätigt. So greift das jüngst veröffentlichte Gutachten der Kultusministerkonferenz die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends 2021 auf. Diese zeigen bei Grundschülern u. a. in den Bereichen Lesen, Zuhören und Orthografie „einen deutlichen Rückgang der durchschnittlich erreichten Kompetenzen seit 2016“. Dieser Rückgang entspreche „zwischen einem viertel und fast einem halben Schuljahr“, konstatieren die Gutachter.3 So haben beim Lesen im Bundes­durchschnitt 18,8 Prozent der Grundschüler den Mindeststandard verfehlt, was einem Anstieg um 6,3 Prozent zum Vergleichswert aus dem Jahr 2016 entspricht. In einigen Bundesländern verfügten mehr als 25 Prozent der Grundschüler beim Übergang in die weiterführenden Schu­len nicht über das erforderliche sprachliche Mindestniveau, so das Gutachten.4

Sprachvermögen und Lesekompetenz von Schülern hängen mit familiär-sozialen Faktoren, aber auch unmittelbar mit dem Leseverhalten und der Lesehäufigkeit zusammen. Wie eine Forschungsgruppe des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS) der TU Dortmund in ei­ner aktuellen Untersuchung zeigt, existieren bei Grundschülern in Deutschland erhebliche Un­terschiede im Wortschatz; teils äquivalent zum Lernzuwachs eines vollen Schuljahres.5 Die Hälfte der befragten Viertklässler gaben an, (fast) täglich Bücher zu lesen, während 22 Prozent angaben, nie oder nur einmal im Monat Bücher zu lesen. Kaum überraschend, dass Lesehäu­figkeit und Wortschatzumfang miteinander korrelieren: Je häufiger Kinder lesen, desto größer sind Wortschatz bzw. Sprachvermögen. Kinder, die weniger lesen, verfügen durchschnittlich über geringere Sprachfähigkeiten.

Die Zahlen der Studie belegen aber auch einen negativen Zusammenhang zwischen dem Wortschatz und dem Lesen an digitalen Geräten. Je häufiger Kinder auf digitalen Geräten lesen, desto geringer fiel der Wortschatz und umso höher der sprachliche Förderbedarf aus. Kinder, die nie an digitalen Geräten lasen, wiesen hingegen den größten Wortschatz auf. Das qualitative Gefälle zwischen gedruckten und digitalen Texten liege, so die Forschergruppe, u. a. an der geringen sprachlichen wie kontextuellen Tiefe sowie der oberflächliches Lesen begünstigenden Ablenkungsgefahr durch Konkurrenz-Aktivitäten auf digitalen Geräten.6

Studien wie die der Dortmunder Forschergruppe sind nach zwanzig Jahren wissenschaftlicher Aufdeckung der Bildungsmisere keine Alarmrufe mehr, sondern sie dokumentieren bereits den laufenden Niedergang der Bildung in Deutschland. Wo die Vermittlung basaler Sprachkompe­tenzen nicht gelingt, verfehlt der Staat eine wesentliche Funktion seines Bildungsauftrages.

Die Bundesländer Hessen und Hamburg haben vor geraumer Zeit einheitliche und verbindli­che Sprachförderkonzepte implementiert, die den vorschulischen und den Primarbereich um­fassen. Kinder werden vor ihrer Einschulung in ihrer Sprachfähigkeit einheitlich getestet. Wer Grundanforderungen an die deutsche Sprache nicht erfüllt, muss verpflichtend Vorlaufkurse bzw. Sprachfördergruppen besuchen, die in Grundschulen oder Kindertagesstätten stattfinden und zwölf Monate vor Einschulung beginnen. Im Rahmen des Schulaufnahmeverfahrens kön­nen Defizite frühzeitig festgestellt und individuelle Fördermaßnahmen eingeleitet werden. Grundschulen und Kindertagesstätten kooperieren eng miteinander. Eltern werden systema­tisch und kontinuierlich in Planung und Durchführung der Fördermaßnahmen eingebunden.

II. Der Landtag stellt fest

  • Die Ergebnisse des institutionenübergreifenden Bildungsmonitorings belegen seit Jah­ren den akuten bildungspolitischen Handlungsbedarf bei der Förderung von basalen Sprach- und Lesekompetenzen in der Primarstufe.
  • Die Entwicklung basaler Sprach- und Lesekompetenzen in der Primarstufe ist Voraus­setzung für einen erfolgreichen Bildungs- und Lebensweg, für die Entwicklung einer selbstbestimmten Persönlichkeit und die umfassende Teilhabe an der Gesellschaft.
  • Die frühe schulische und vorschulische Förderung genannter Kompetenzen ist ein Schlüssel, um familiär und sozioökonomisch bedingte Unterschiede im Sprachvermögen abzubauen.
  • Die Nutzung digitaler Endgeräte zu Unterrichtszwecken ist der kindlichen Sprachent­wicklung tendenziell abträglich. Dem ist in den bestehenden konzeptionellen Richtlinien zur Unterrichtsgestaltung Rechnung zu tragen.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  • ein Gesamtsprachförderkonzept auf Basis von einheitlichen und verbindlichen Sprachstandserhebungen im vorschulischen Bereich vorzulegen, um die frühkindliche Sprach­diagnostik und -förderung langfristig sicherzustellen und kontinuierlich eine lückenlose Datengrundlage in diesem Bereich zu schaffen;
  • nach dem Vorbild der Länder Hessen und Hamburg verpflichtende Vorlaufkurse für alle Kinder im Vorschulalter mit Deutschförderbedarf unter Einbeziehung von Kindertages­stätten, Grundschulen und Eltern einzurichten und die hierfür notwendigen Änderungen im Schulgesetz NRW vorzunehmen;
  • eine turnusmäßige Sprachstandsprüfung zur Identifizierung von individuellem sprachli­chem Förderbedarf in der Primarstufe einzuführen und diese mit verpflichtenden Förder­angeboten unter Einbeziehung von Eltern zu verknüpfen;
  • Aus- und Fortbildung von pädagogischen Fachkräften für die gezielte vorschulische Sprachförderung weiterzuentwickeln;
  • laufende Projekte und Initiativen zur Leseförderung auf Landesebene zu prüfen und die Schulträger über Fördermöglichkeiten intensiver zu informieren;
  • lese- und sprachbezogene Klassenausflüge (z.B. zu Lesungen, Büchermessen, Bücher­flohmärkten etc.) zu fördern und die Schulträger über diese Fördermöglichkeit entspre­chend zu informieren;
  • ausreichend Mittel bereitzustellen, um Schulträgern der Primarstufe die Anschaffung qualitativer Kinderliteratur, den Aufbau von Bücherschränken bzw. die Einrichtung und den Betrieb von Schulbibliotheken zu ermöglichen;
  • Kooperationen zwischen Grundschulen und Kinderzeitschriften zu fördern, um mehr lernstandgerechtes Lesematerial und ein Medium zur Veröffentlichung für von Grund­schulkindern selbstproduzierten Texten anzubieten;
  • auf Bundesebene eine „Bundeslesekonferenz“ unter Beteiligung der Bildungsressorts der Länder zu initiieren, um eine Auswahl der in der Praxis erfolgreichsten Projekte zur Lese- und Sprachförderung zusammenzustellen und eine bessere länderübergreifende Vergleichbarkeit zu schaffen;
  • die in der „Digitalstrategie Schule NRW“ enthaltenen Passagen zum angestrebten Ein­satz digitaler Endgeräte in Grundschulen mit einem Ausstattungsverhältnis von 1:1 (Ge­räte pro Schüler) zu überarbeiten und die Nutzung solcher Geräte in der Primarstufe auf ein Mindestmaß zu begrenzen.

Carlo Clemens
Zacharias Schalley
Andreas Keith
Dr. Martin Vincentz

und Fraktion

 

Antrag als PDF

 

1 PISA 2018. Grundbildung im internationalen Vergleich. Eine Zusammenfassung. S. 6. Abrufbar: h t t p s : / / w w w . p i s a . t u m . d e / fileadmin/w00bgi/www/Berichtsbaende_und_Zusammenfassun-gungen/Zusammenfassung_PISA2018.pdf.

2 OECD-Sonderauswertung PISA-Studie. Lesen im 21. Jahrhundert. Lesekompetenzen in einer digita­len Welt. Deutschlandspezifische Ergebnisse des PISA-Berichts „21st-century readers“. S. 7, 8. Abruf­bar: h t t p s : / / w w w . o e c d . o r g / pisa/PISA2018_Lesen_DEUTSCHLAND.pdf.

3 Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz 2022. Basale Kompetenzen vermitteln – Bildungschancen sichern. Perspektiven für die Grundschule. S. 12. Abruf­bar: h t t p s : / / w w w . k m k . o r g / fileadmin/Dateien/pdf/KMK/SWK/2022/SWK-2022-Gutach-ten_Grundschule.pdf.

4 Ebd., S. 62.

5 Institut für Schulentwicklungsforschung (TU Dortmund) 2022. Zum Stand von Wortschatz und Lese­verhalten bei Viertklässler:innen in Deutschland – Daten einer repräsentativen bundesweiten Studie. S. 11. Abrufbar: h t t p s : / / i f s . e p . t u – d o r t m u n d . d e / storages/ifs-ep/r/Downloads_allge-mein/ Ludewig_et_al._2022_Zum_Stand_von_Wortschatz_und_Leseverhalten.pdf.

6 Ebd., S. 8.