Kleine Anfrage 3980
des Abgeordneten Dr. Hartmut Beucker AfD
Die Entwicklung der Musikschulen und des Musikunterrichts in Nordrhein-Westfalen nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts zur Scheinselbständigkeit.
Schon bei den Beratungen zum Kulturrechtsneuordnungsgesetz und bei Anhörungen im Ausschuss für Kultur und Medien war die Art der Beschäftigung von Musiklehrern ein strittiges Thema.
Auch der Bundesverband und Landesverband der Musikschulen sowie Sachverständige waren sich in Bezug auf verpflichtende sozialversicherte Anstellung nicht einig.
Forderten die einen zwingend vorgeschriebene sozialversicherte Beschäftigung, um die Musiklehrer abzusichern, befürworteten die anderen informellen Musikunterricht mit Praktikern als Selbständige mit Honorarvertrag, um den Mangel an Unterrichtern zu beheben.
Ein Argument gegen die Sozialversicherungspflicht war, dass sich viele Träger von Musikschulen, insbesondere kommunale, aus Mangel an finanziellen Mitteln eine sozialversicherte Beschäftigung von Musiklehrern einfach nicht würden leisten können, so dass deren verpflichtende Einführung vielfach zum Ausfall von Musikunterricht führen würde.
Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom 30.06.2022 gegen die Stadt Herrenberg in Baden-Württemberg, deshalb auch Herrenberg-Urteil genannt, entschieden, dass eine mit „Honorarvertrag“ beschäftigte Musikschullehrerin nicht tatsächlich selbständig, sondern abhängig beschäftigt ist und der Arbeitgeber Sozialbeiträge zahlen muss.1
In aktuellen Artikeln werden die Auswirkungen der Entscheidung des Bundessozialgerichts als negativ dargestellt.2 Es wird auf die fehlenden Mittel der Gemeinden hingewiesen:
„Das ‚Herrenberg‘-Urteil des Bundessozialgerichts verpflichtet sie nämlich, bisherige Honorarkräfte (die bis zu 70 Prozent aller Unterrichtsstunden bestreiten) sozialversichert anzustellen. Und eigentlich ist das natürlich gut so: Lehrkräfte sind abgesichert, die Gefahr der Altersarmut unter Musikpädagogen wird geringer, Gemeinden müssen nicht irgendwann Millionen in die Sozialkassen nachzahlen, was sie – wie Herrenberg nach dem Sozialgerichtsurteil – tun müssen. Davor, dass aus der deutschen Musikschullandschaft kein idyllischer Ort werden würde, hatten Beteiligte gleich nach dem Urteil gewarnt. Die Nachzahlungen der Sozialbeiträge bringt die ohnehin klammen Gemeinden in Bedrängnis (Musikschulen finanzieren sich in der Regel zu einem Drittel aus Beiträgen und aus Zuschüssen von Gemeinde und Land). Die meisten können es sich nicht leisten, Honorarkräfte ohne Beitragserhöhungen festanzustellen.“3
Es gebe keine ausreichende finanzielle Ausstattung der Musikschulen von den Gemeinden, nicht einmal in klassischen Musikstädten wie Dresden. Neue Honorarverträge für Musikschullehrer könnten deshalb nicht angeschlossen, keine neuen Schüler aufgenommen werden.
„Allen, die sich gerade hervortun, von deutscher Leitkultur zu quatschen, ohne wirklich zu wissen, was es mit deutscher Kultur auf sich hat, interessiert das nicht sehr. Es gibt keinen Plan, es gibt keine Etats (das „Herrenberg“-Urteil ist zwei Jahre alt). Es ist den Chialos, den Merzens, den Kanzlern und Ministerpräsidenten egal. In ein paar Jahren soll aber keiner sagen, dass in deutschen Orchestern keine Musiker mehr sitzen, die in Musikschulen zwischen Flensburg und Garmisch angefangen haben. Soll auch keiner sich mehr wundern, dass, wenn die Musikschulen in diesem Land gestorben sein werden, die Ausbildung an klassischen Musikinstrumenten, die Fortsetzung einer grandiosen jahrhundertelangen Tradition, wenn die klassische Musik in diesem Land endgültig eine Sache für Besserverdiener, für Bildungsbürger geworden ist. Alle anderen können sich den Instrumentalunterricht bei Privatpädagogen nicht leisten. Und selbst wer ihn sich leisten könnte, findet jetzt schon nur unter großen Schwierigkeiten einen Lehrer für Gitarre, Oboe oder Trompete.“4
Es ist daher von großem Interesse zu erfahren, ob das oben Beschriebene auch auf Nordrhein-Westfalen zutrifft, in welcher Lage sich die Musikschulen, der Musikunterricht in Nordrhein-Westfalen befinden, wieviel Unterricht überhaupt erteilt wird, wo der größte Mangel besteht und was dagegen getan werden kann.
Ich frage daher die Landesregierung:
- Wie beurteilt die Landesregierung die Situation der (öffentlichen, halböffentlichen bzw. privaten) Musikschulen in Nordrhein-Westfalen fast zwei Jahre nach dem Urteil des Bundessozialgerichts?
- Inwiefern hatte das Urteil Einfluss auf die Häufigkeit der Erteilung von Musikunterricht in Nordrhein-Westfalen?
- Bei welchen Instrumenten ist der Mangel an Unterrichtern am stärksten?
- Welche Auswirkungen hat das Urteil auf das Programm JeKits?
- Mit welchen Maßnahmen kann ggf. Fehlentwicklungen begegnet werden?
Dr. Hartmut Beucker
1 Bundessozialgericht, Urteil vom 28.06.2022, Az.: B 12 R 3/20 R
2 Elmar Krekeler, So verspielt Deutschland sein Musikerbe, welt.de, 2.5.2024; Elmar Krekeler, Die Musikschulen-Katastrophe, welt.de, 26.5.2024
3 Elmar Krekeler, So verspielt Deutschland sein Musikerbe, welt.de, 2.5.2024
4 Elmar Krekeler, Die Musikschulen-Katastrophe, welt.de, 26.5.2024
Die Ministerin für Kultur und Wissenschaft hat die Kleine Anfrage 3980 mit Schreiben vom 11. Juli 2024 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Schule und Bildung und der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung beantwortet.
Vorbemerkung der Landesregierung
Die Landesregierung verfolgt mit der Musikschuloffensive eine Stärkung der musikalischen Bildungsangebote in Nordrhein-Westfalen, insbesondere im Bereich der versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse an Musikschulen. Dabei arbeitet sie eng mit dem zuständigen Fachverband und den kommunalen Spitzenverbänden zusammen. Gemeinsames Ziel ist es, möglichst vielen Kindern und Jugendlichen ein vielfältiges Musikschulangebot mit attraktiven und rechtskonformen Arbeitsverhältnissen für die Lehrkräfte zu machen.
- Wie beurteilt die Landesregierung die Situation der (öffentlichen, halböffentlichen bzw. privaten) Musikschulen in Nordrhein-Westfalen fast zwei Jahre nach dem Urteil des Bundessozialgerichts?
Da die Umwandlung von Honorarverträgen in feste Anstellungsverhältnisse sukzessive ab dem neuen Schuljahr beginnt, hat das Urteil des Bundessozialgerichts bislang keine konkreten Auswirkungen. Um sich ein umfassendes Bild von der Situation in Nordrhein-Westfalen zu verschaffen, führt die Landesregierung aktuell Gespräche mit Kommunen und Musikschulträ-gern.
- Inwiefern hatte das Urteil Einfluss auf die Häufigkeit der Erteilung von Musikunterricht in Nordrhein-Westfalen?
Der Landesregierung ist bislang nicht bekannt, dass ein solcher Einfluss besteht.
- Bei welchen Instrumenten ist der Mangel an Unterrichtern am stärksten?
Ein instrumentenspezifischer Mangel an Musikschullehrkräften ist nicht erkennbar; im Übrigen wird auf die Antwort auf Frage 2 verwiesen.
- Welche Auswirkungen hat das Urteil auf das Programm JeKits? Eine Gefahr für das Programm Jekits besteht durch das Urteil nicht.
Zu Beginn des Schuljahrs 2023/24 wurden bereits 70 Prozent des JeKits-Unterrichts von sozialversicherungspflichtig-beschäftigten Lehrkräften erteilt. Aktuell ist davon auszugehen, dass sich dieser Wert noch einmal deutlich erhöhen wird. Die Landesregierung steht hierzu in engem Kontakt mit den Kommunalen Spitzenverbänden und dem Landesverband der Musikschulen (LVdM).
- Mit welchen Maßnahmen kann ggf. Fehlentwicklungen begegnet werden?
Für die Beschäftigungsverhältnisse sind grundsätzlich die Musikschulträger zuständig, nicht das Land. Die Landesregierung hat mit der Musikschuloffensive bereits entsprechende Akzente gesetzt.