Antrag
der Fraktion der AfD
Die Grundschullehrerausbildung attraktiv und praxisnah gestalten – Nordrhein-Westfalen braucht eine Pädagogische Hochschule!
I. Ausgangslage
Die Lehrkräfteausbildung ist ein neuralgischer Punkt im Bildungssystem. Fehlender Lehrernachwuchs und eine zunehmende Besetzungslücke gefährden die Unterrichtsversorgung. Die daraus resultierende Bildungskrise befeuert den Fachkräftemangel und gefährdet die Zukunft Nordrhein-Westfalens als Standort für Wissenschaft, Technologie und Innovation.
In NRW sind gegenwärtig ca. 6.700 Lehrerstellen unbesetzt. Diese Zahl droht in den kommenden Jahren weiter zu steigen. Dies liegt neben Verrentungen u.a. an hohen Teilzeitquoten, (Früh-)pensionierungen und zunehmenden Burnouts infolge von Überstunden und einer generellen Überfrachtung des Lehrerberufs.
Eine Hauptursache ist jedoch der fehlende Nachwuchs. Immer weniger Personen schließen das Lehramtsstudium erfolgreich ab. Laut aktueller Daten des Statistischen Bundesamtes ist die Zahl der Lehramtsabsolventen mit Master- oder Staatsexamensabschluss rückläufig und sank im Zehnjahresvergleich um 10,5 Prozent.1 In NRW haben im vergangenen Jahr sieben Prozent mehr Lehramtsstudenten ihr Referendariat abgebrochen, als noch im Jahr zuvor.2 Zudem ist die Zahl der Studienanfänger im Lehramtsstudium insgesamt in den vergangenen Jahren spürbar rückläufig.
Laut dem jüngst veröffentlichten „Lehrkräftetrichter“ des Stifterverbands steigen nur gut die Hälfe aller Lehramtsstudienanfänger später auch in den Lehrerberuf ein. Von deutschlandweit 52.500 Studienanfängern absolvieren nur 28.300 das Referendariat.3 Somit ist selbst die initial nicht bedarfsdeckende Zahl der Studienanfänger noch einem erheblichen Schwund ausgesetzt – insbesondere in den MINT-Fächern. Der Grund dafür liegt, wie auch der Stifterverband anmerkt, in einer unattraktiven und praxisfernen Struktur des Lehramtsstudiums. So erschwerten etwa die im Lehramt obligatorischen zwei Fächer einen Wechsel aus Nicht-Lehramtsstudiengängen. Die Zugänge für Seiteneinstiege im Referendariat und den Lehrerberuf insgesamt seien ungenügend.
Vom Lehrermangel sind alle Schulformen betroffen – am stärksten die Grundschulen. Dort fehlten in NRW zum Schuljahresbeginn 2022/23 rund 3.400 Lehrer. Mangelnde Lehrer- bzw. Unterrichtsversorgung hat in der Primarstufe besonders nachteilige Auswirkungen für den weiteren Bildungsweg und die zukünftigen Bildungschancen der Schüler. Nachlassende Lese-und Schreibkompetenzen von Grundschülern sind seit Jahren Thema in der Forschung – regelmäßig verbunden mit dringenden Appellen an die Politik.
Die politischen Bemühungen zur Behebung des Lehrermangels gehen in NRW bis heute an der Wurzel des Problems vorbei. Die Misere der Lehrerausbildung bzw. Vorschläge, diese attraktiver zu gestalten, kommen auch im häufig angeführten „Handlungskonzept Unterrichtsversorgung“ der Landesregierung nicht vor.
Dabei ist eine effiziente und attraktive, d.h. vor allem praxisorientierte Lehrerausbildung ein zentraler Schlüssel zur Behebung des Lehrermangels. Ein fachlich überladenes und praxisfernes Lehramtsstudium mindert hingegen das Bewerberinteresse und fördert hohe Abbre-cherquoten. Gerade Grundschullehramtsstudenten werden im Studium mit Inhalten belastet, die für die Alltagspraxis im Primarbereich keine Relevanz haben, besonders im Bereich Mathematik. Eine falsche Gewichtung der Ausbildungsinhalte bereitet nicht qualifiziert auf den späteren Beruf vor.
Diese Erkenntnis dringt auf politischer Ebene zunehmend ins Bewusstsein. So spricht sich die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Katharina Günther-Wünsch, für eine schlanke und zielgerichtete Lehrerausbildung aus. Denkbar sei die Lehrbefähigung für Ein-Fach-Lehrkräfte und die Zusammenlegung von Referendariat und Masterstudiengang.4 Ein in diese Richtung weisendes Modell startet ab dem Wintersemester 2023/24 in Baden-Württemberg. Dort können MINT-Absolventen nach dem Bachelor einen dualen Masterstudiengang wählen. Kürzere Studiendauer, Praxisnähe und Vergütung sollen die Lehrerausbildung attraktiver gestalten.5
Eine Steigerung der Attraktivität des Lehramtsstudiums will der vorliegende Antrag über die (Wieder-)Einrichtung einer Pädagogischen Hochschule (PH) mit Ausrichtung auf das Grundschullehramt erreichen. Hierzu sind an die Bedürfnisse der Unterrichtsversorgung orientierte Lehramtsstudiengänge zu entwickeln, die fachlich möglichst kompakt und erheblich praxisbezogener sein sollen. Die Curricula sollen auf die tatsächlichen grundschulrelevanten Erfordernisse hin maßgeschneidert werden. Der Master soll eng mit dem Referendariat verknüpft werden sowie eine Zusammenlegung von Master und Referendariat geprüft werden. Dadurch würde die Ausbildungsdauer gestrafft und der Praxisbezug gestärkt. Die PH soll auch eine Anlaufstelle für die Qualifizierung und Weiterbildung von Seiteneinsteigern und Absolventen von Nicht-Lehramtsstudiengängen sein.
Das Konzept der Pädagogischen Hochschule würde nicht in Konkurrenz, sondern in einem komplementären Verhältnis zur bestehenden universitären Lehrerausbildung stehen. Die PH hat Modell- und Laborcharakter. Von der Entwicklung effizienterer Studienabläufe und der optimierten Integration von Seiten- bzw. Quereinsteigern könnten mittelfristig auch die Universitäten profitieren. Daraus resultierende Reformvorschläge wären dann nicht „am Reißbrett entworfen“, wie so häufig in der Vergangenheit, sondern an der Wirklichkeit erprobt.
II. Der Landtag stellt fest:
- Der Lehrermangel ist die größte Herausforderung für Schule und Bildung in NRW. Er hat besonders an Grundschulen schwerwiegende Folgen für den weiteren Bildungsweg und zukünftige Bildungschancen von Schülern.
- Zur Absicherung der Unterrichtsversorgung kommt der Ausbildung von Lehrern erstrangige Bedeutung zu. Der Lehrerausbildung wird politisch aber nicht der Stellenwert beigemessen, den sie aufgrund ihrer herausragenden gesellschaftlichen Bedeutung verdient hat.
- Das Lehramtsstudium ist in seiner derzeitigen Gestaltung nicht geeignet, ausreichend qualifizierten Lehrernachwuchs hervorzubringen. Von den ohnehin zu wenigen Lehramtsstudenten brechen zu viele ihr Studium ab oder wechseln in einen anderen Studiengang.
- Der Wechsel von Nicht-Lehramtsstudenten bzw. Seiteneinsteigern in die Lehrerausbildung birgt zu viele Hürden.
- Angesichts des Personalnotstandes und der alarmierenden Prognosen bedarf es neuer Wege, um die Lehrerausbildung attraktiver und effizienter zu gestalten. Bisherige Maßnahmen wie die jüngst beschlossene und zweifellos richtige Anhebung der Eingangsbesoldung von Grundschullehrern gehen jedoch am Kernproblem der defizitären Nachwuchsausbildung vorbei.
III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
- ein Konzept zur Einrichtung einer Pädagogischen Hochschule als Ausbildungsstätte für angehende Grundschullehrer zu entwickeln, deren Lehramtsstudiengänge inhaltlich-methodisch strikt an der konkreten Schulpraxis orientiert sind. Die neu zu konzipierenden Curricula sind von sachfremden Lerninhalten freizuhalten und mit regelmäßigen schulischen Praxisanteilen zu verknüpfen;
- dass innerhalb dieses Konzepts auch Studiengangwechsler und Seiteneinsteiger gezielt angesprochen und qualifiziert werden können;
- geeignete Standorte für die Pädagogische Hochschule zu evaluieren und diese konzeptionell dem Landtag vorzustellen, wobei die Standorte der Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) in Nordrhein-Westfalen besonders in Erwägung gezogen werden;
- zwecks Informations- und Erfahrungsaustausch in Kontakt mit den Pädagogischen Hochschulen in Baden-Württemberg, aber auch weiteren dezidiert praxisnahen Einrichtungen zur Lehrerausbildung, wie z.B. der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU), zu treten.
Carlo Clemens
Prof. Dr. Daniel Zerbin
Dr. Martin Vincentz
Andreas Keith
und Fraktion
1 Vgl. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/10/PD23_N053_21.html.
2 Vgl. https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/lehramt-abbrecher-schule-100.html.
3 Vgl. https://www.stifterverband.org/lehrkraeftetrichter.
5 Vgl. https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/lehrermangel-bw-dualer-studiengang-100.html.