Die Landesregierung muss ein klares Zeichen setzen: Ja zu Bürgerrechten – nein zur Vorratsdatenspeicherung!

Antrag

Antrag
der Fraktion der AfD

Die Landesregierung muss ein klares Zeichen setzen: Ja zu Bürgerrechten nein zur Vorratsdatenspeicherung!

I. Ausgangslage

Der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Herbert Reul, hat sich zuletzt in der ZDF-Sendung Morgenmagazin am 09.01.2023 im Zuge der jüngsten Ermittlungen zu islamistischen Terror-anschlagsplänen erneut für eine Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen1. Dabei betonte er immer wieder die möglichen Erkenntnisse und Erfolge einer Datenüberwachung, erwähnte aber mit keiner Silbe den Konflikt mit dem grundgesetzlich verankerten Recht auf informatio­nelle Selbstbestimmung.

Innenminister Reul und viele seiner Amtskollegen beziehen sich in ihren aktuellen Forderun­gen nach einer neuen Vorratsdatenspeicherung zwar auf das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), möchten aber dennoch die dort gesetzten Freiräume maximal und auch in eigener Interpretation ausnutzen. Ein erneuter Konflikt der lernresistenten Verfechter der Vorratsdatenspeicherung mit den Grundrechten ist damit vorprogrammiert.

Mit Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sind die Prinzipien der Datenver­meidung und der Datensparsamkeit oberste gesetzliche Ziele des Datenschutzrechts der Mit­gliedsländer der Europäischen Union geworden. Diesen Zielen haben sich laut EU-Rechtspre­chung auch staatliche Ermittlungsbehörden zu unterwerfen.

Der Europäische Gerichtshof hat nach einer Reihe von Urteilen zu ähnlichen Fällen in den vergangenen Jahren zur Zulässigkeit der Vorratsdatenspeicherung am 20. September 2022 erklärt, dass die verdachtsunabhängige Speicherung personenbezogener Daten unvereinbar mit dem EU-Recht ist und damit die entsprechenden deutschen Normen in ihrer jetzigen Fas­sung rechtswidrig sind.

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) Professor Ul­rich Kelber begrüßte die Entscheidung des EuGH und betonte im Hinblick auf die Äußerungen von Bundesinnenministerin Nancy Faeser und verschiedener Innenpolitiker die Aussage des EuGH: „Die jeweilige nationale Anordnung zur Vornahme der Speicherung muss jedoch zeitlich befristet sein und einer wirksamen Überprüfung durch ein Gericht oder eine unabhän­gige Verwaltungsbehörde unterliegen“.2

Die Innenminister des Bundes und der Länder, allen voran der Innenminister von Nordrhein-Westfalen Herbert Reul, drängen trotz der eindeutigen Urteile auf eine Neuauflage der Vor-ratsdatenspeicherung. Schon im Zuge der Innenministerkonferenz im Juni 2020 haben er und auch der damalige Innenminister von Sachsen, Roland Wöller, mit Blick auf Fälle von Kindes­missbrauch und Rechtsextremismus eindringlich für Vorratsdatenspeicherung und Chatkon-trolle plädiert, obwohl zu diesem Zeitpunkt schon lange die Zeichen aus Luxemburg zur Un­vereinbarkeit der Vorratsdatenspeicherung mit der europäischen Rechtsprechung eindeutig erkennbar waren.3

Als Reaktion auf das Urteil des EuGH hat der Bundesjustizminister Ende Oktober einen Ent­wurf für das auch von Bündnis 90/Die Grünen unterstützte Quick-Freeze-Verfahren vorgelegt.4 Dieses Verfahren soll die Kompromisslösung zwischen Bürgerrechten zur informationellen Selbstbestimmung und der Notwendigkeit der Feststellung digitaler Spuren für die polizeiliche Ermittlungsarbeit darstellen.

Bei genauerer Betrachtung ist aber das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren in seiner jetzigen Ausgestaltung auch nur ein grün-gelb gefärbtes Trojanisches Pferd, dass am Ende mit allen möglichen rechtlichen Auslegungen einer Vorratsdatenspeicherung gleichkommt, vor allem wenn die rechtlichen Abfragehürden so weit gesenkt werden, dass nahezu ein Quick-Freeze-Automatismus herrscht – zumal sowohl die räumliche als auch die zeitliche Begrenzung der sog. Quick-Freeze-Anfragen sehr weit ausgedehnt werden können.

Die staatlichen Begehrlichkeiten nach vorhandenen Datenhalden, trotz aller Beteuerungen zum Datenschutz und dem Recht der informationellen Selbstbestimmung, haben sich in den letzten Jahren trotz Nichtanwendung der alten VDS-Regelungen massiv verstärkt. Allein 2021 wurde von über 100 staatlichen Stellen des Bundes und der Länder über das sogenannte automatisierte Auskunftsverfahren der Bundesnetzagentur 24 Millionen Mal eine Telefonnum­mernzuordnung abgefragt (2017 12 Mio. Mal).5 Wie oft Personendaten zu einzelnen IP-Adres-sen abgefragt wurden, kann nicht ermittelt werden, da sich bisher alle Bundesregierungen geweigert haben, bei der Bundesnetzagentur eine solche Schnittstelle zu etablieren – wohl aus nachvollziehbaren Gründen.

Wie weit die Missachtung des Rechtes der informationellen Selbstbestimmung gehen konnte, zeigten die verbotenen Datenabfragen aus der Luca-App und anderen Formulardaten, die in­folge der Corona-Pandemiebekämpfungsmaßnahmen von 2020 bis 2021 erhoben worden.6

Ebenso sind Datensammlungen der Verbindungsdaten der Telekommunikationsunternehmen ein willkommenes Ziel für kriminelle Hacker und für Geheimdienste. Allein deshalb ermahnen Datenschützer und Verbraucherverbände die absolute Datensparsamkeit bei Telekommuni-kationsunternehmen und Internetprovidern an. Ginge es nach dem gemeinsamen Leitfaden der Bundesnetzagentur und des Bundesdatenschutzbeauftragten, dann müssten Verkehrsda­ten nach 7 Tagen gelöscht werden.

Den Landes- und Bundesinnenministern von Otto Schily über Horst Seehofer bis zu Nancy Faeser und Herbert Reul reichen und reichten diese Fristen nicht aus. Dass aber das 7-Tage Limit mit mehr Zeit- und Personaleffizienz ausreichend sein kann, beweisen nicht zuletzt die regelmäßig erfolgreichen Datenabfragen von Abmahn- und Medienanwälten, wenn Verdäch­tige ermittelt werden sollen.

Die Intention der Rechtsprechung ist eindeutig und seit Jahren erkennbar: Eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung ist weder mit europäischem Recht noch mit dem Grundgesetz ver­einbar. Nur in Phasen eines begründeten nationalen Notstandes ist eine zeitlich befristete flä­chendeckende Vorratsdatenspeicherung begründbar. Je nach gesetzlicher Ausgestaltung und Auslegung kann das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren sogar die unbefristete Vorratsda-tenspeicherung in der Einschränkung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung übertreffen.

Trotz der Erfolge bei temporären Grenzkontrollen wie z.B. 2017 anlässlich des G20-Gipfels in Deutschland7 ist in der deutschen Innenpolitik das Phänomen zu erkennen, dass nicht mehr allein das Internet als rechtsfreier und unkontrollierter Raum gilt, sondern – ganz analog – das Land innerhalb seiner unkontrollierten Grenzen als ein Paradies für Schwerkriminelle.

II. Der Landtag stellt fest:

  • Ein hemmungsloser Rückgriff der Behörden auf Instrumente staatlicher Überwachung, wie die Vorratsdatenspeicherung in all ihren Ausprägungen, unter Missachtung der Grundrechte, entspricht nicht den Prinzipien eines Rechtsstaats, sondern denen eines totalitären Staates.
  • Eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung ist mit dem deutschen Grundgesetz, der Charta der Grundrechte der EU und dem EU-Recht nicht vereinbar.
  • Das Grundrecht jedes Einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung und damit die Anwendung der Datenschutzprinzipien Datenvermeidung und Datensparsamkeit müs­sen wesentlicher Eckpunkt aller Gesetzgebungsverfahren sein.
  • Von Kriminellen regelmäßig genutzte Tools wie öffentliche Netzwerke, VPN, Proxies, TOR und Wegwerf-Sims konterkarieren die standardmäßige Speicherung von Internet-verkehrsdaten zur Aufklärung krimineller Handlungen.

III. Der Landtag beschließt:

  • Die Landesregierung wird beauftragt, sich auf Bundesebene vehement gegen jede Form einer anlasslosen Vorratsdatenspeicherung einzusetzen,
  • die Landesregierung wird beauftragt, sich auf Bundesebene für eine statistische Erfas­sung von Abfragen der IP-Adressdatensätze durch staatliche Stellen einzusetzen,
  • die Landesregierung wird beauftragt, die (Personal-) Ausstattung, Kommunikations­schnittstellen und Qualifikationen der Ermittlungsbehörden des Landes so zu ertüchti­gen, dass sie die notwendigen Abfragen bei Telekommunikationsunternehmen innerhalb der jetzt praktizierten und anerkannten Löschfrist von 7 Tagen bewerkstelligen können,
  • die Landesregierung wird beauftragt zu prüfen, ob es praktikable alternative Verfahren zu Vorratsdatenspeicherung und Quick-Freeze gibt. Beispielhaft sei der sogar im Koali­tionsvertrag der Ampelparteien erwähnte Vorschlag des SPD-nahen digitalpolitischen Vereins D64 mit seiner sogenannten Login-Falle genannt.

Sven W. Tritschler
Markus Wagner
Dr. Martin Vincentz
Andreas Keith

und Fraktion

 

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1 Htt ps:/ / w w w . z d f . d e / n a c h r i c h t e n / p o litik/terror-castrop-rauxel-reul-vorratsdatenspei-cherung-100.html

2 Htt ps:// w w w . b f d i . b u n d . d e / S h a r e d D o c s / P ressemitteilungen/DE/2020/24_Kritik-Pl%C3%A4ne-Vorratsdate n s p e i c h e r u n g . h tml

3 Htt ps:// w w w . r u h r n a c h r i c h t e n . d e / r e g i on a l e s / v o r ratsdatenspeicherung-nrw-innenminister-herbert-reul-w1759727-2000542293/

4 Htt ps:// w w w . l t o . d e / r e c h t / n a c h r ichten/n/buschmann-vorratsdatenspeicherung-quick-freeze-eugh-ressorts-reaktionen/

5 Htt ps:// n e t z p o l i t i k . o r g / 2 0 2 2 / b estandsdatenauskunft-2021-behoerden-fragen-jede-se-kunde-w e m – e i n e – t e l e f o n n u m mer-gehoert/

6 Htt ps:/ / w w w . s t u t t g a r t e r – z e i t u n g . d e / i n h alt.luca-app-und-co-polizei-nutzt-corona-kontaktdaten-fuer-ermittlungen.66aae04d-f419-4fb5-8d56- 5 a 5 a 9 7 e d 5 b 5 d . h tml

7 https://www.spiegel.de/panorama/justiz/g20-grenzkontrollen-hunderte-straftaeter-gefasst-wer-wie-warum-a-1157003.html