Kleine Anfrage 3341
des Abgeordneten Markus Wagner AfD
Dortmund: Messerstecherei auf Weihnachtsmarkt – Nur ein Symptom generell ansteigender Gewaltdelikte?
Am Abend des 25. Dezember 2023 kam es auf dem Dortmunder Weihnachtsmarkt zu einer Messerstecherei zwischen zwei beteiligten Parteien, wobei insgesamt drei Männer verletzt wurden. Die Männer im Alter von 30 bis 42 Jahren wurden vor Ort von Notärzten behandelt. Zwei von ihnen mussten zur anschließenden Behandlung ins Krankenhaus gebracht werden, wobei ein 30-Jähriger auch über Nacht dort bleiben musste. Nach Eingang des Notrufs rückten mehrere Streifenwagen zum Tatort aus und kontrollierten mehrere Passanten. Dabei konnten sie die Tatwaffe sicherstellen. Allerdings wurden keine Festnahmen vollzogen. Die vor Ort eingesetzten Ermittler konnten des Weiteren Spuren der Auseinandersetzung sicherstellen, beispielsweise die zerbrochene Windschutzscheibe eines parkenden Audis. Im Anschluss an das Geschehen seien dann „mehrere besorgte Verwandte“1 des Verletzten zum Krankenhaus geeilt, wo die Polizei die Situation beruhigen musste. Zum jetzigen Zeitpunkt sei zwar noch nicht restlos geklärt, wieso es zu der Eskalation kam. Man gehe jedoch vorerst davon aus, dass eine „Banalität“2 innerhalb der Familie für Streit gesorgt habe. Nun ermittelt die Kriminalpolizei wegen gefährlicher Körperverletzung.
Insgesamt habe in den ersten zehn Monaten des Jahres 2023 die Anzahl der gefährlichen Körperverletzungen in Nordrhein-Westfalen deutlich zugenommen. So kam es zu insgesamt 15.718 Vorfällen von „gefährlicher Körperverletzung auf Straßen, Wegen und Plätzen“3. Das gesamte Jahr 2022 wies hingegen nur 14.348 solcher Fälle auf, und im Jahre 2021 waren es 12.256 Fälle. In Dortmund gab es bis zum November 2023 367 registrierte Delikte. Grundsätzlich dürfen nach § 42a Waffengesetz Hieb- und Stoßwaffen, Anscheinswaffen, Einhandmesser und Messer mit einer Klingenlänge von über 12 cm nicht in der Öffentlichkeit geführt werden. Darüber hinaus gibt es generell verbotene Waffen, nämlich Faustmesser, Fallmesser, Butterflymesser, Schlagringe, Totschläger und noch weitere, die weder geführt, erworben, eingeführt noch besessen werden dürfen. Messer sind dabei die Waffenart, die am häufigsten als Tatwaffe eingesetzt wird. Erst vor kurzem machte ein Serientäter, der mindestens vier Männer mit einem Messer verletzte, die Dortmunder Innenstadt unsicher. Die Polizei rät in Fällen, in denen man mit einem Messer bedroht wird, keine Konfrontation zu suchen und zu flüchten. Des Weiteren soll man umgehend den Notruf alarmieren, da selbst geringfügig erscheinende Verletzungen lebensbedrohlich sein können.4
Ich frage daher die Landesregierung:
- Wie ist der aktuelle Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu dem oben beschriebenen Vorfall? (Bitte Tathergang, Vorstrafen der Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften der Tatverdächtigen, seit wann die Tatverdächtigen im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft sind, Vornamen und Mehrfachstaatsangehörigkeit bei deutschen Tatverdächtigen und sonstige polizeiliche Erkenntnisse über die Tatverdächtigen nennen.)
- Was ist über die „Banalität“ bekannt, die den Messerangriff ausgelöst haben soll?
- Wie oft kam es seit 2015 bis heute pro Jahr auf nordrhein-westfälischen Weihnachtsmärkten zu Körperverletzungs- oder sonstigen Gewaltdelikten? (Bitte nach Ort, Delikt und ggf. Art der Tatwaffe aufschlüsseln sowie Tätermerkmalen wie Alter, Geschlecht und Nationalität aufschlüsseln und bei Deutschen eine Mehrfachstaatsangehörigkeit extra ausweisen.)
- Wie viele Verstöße gegen § 42a Waffengesetz gab es seit 2015 bis heute pro Jahr auf öffentlichen Plätzen in NRW? (Bitte nach Ort, Delikt und Art der Waffe sowie Tätermerkmalen wie Alter, Geschlecht und Nationalität aufschlüsseln und bei Deutschen eine Mehrfachstaatsangehörigkeit extra ausweisen.)
- Welche Gründe sieht die Landesregierung für den stetigen Anstieg an Fällen von „gefährlicher Körperverletzung auf Straßen, Wegen und Plätzen“ in NRW über die letzten Jahre?
Markus Wagner
2 Ebenda.
3 Ebenda.
4 Ebenda.
Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 3341 mit Schreiben vom 21. März 2024 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Justiz beantwortet.
Datenquelle für die Beantwortung von Fragen zur Kriminalitätsentwicklung ist die Polizeiliche Kriminalstatistik. Sie wird nach bundeseinheitlich jährlich festgelegten Richtlinien erstellt. Die Erfassung erfolgt nach Abschluss aller kriminalpolizeilichen Ermittlungen und führt häufig zu einem zeitlichen Versatz zwischen Bekanntwerden der Straftat und der statistischen Erfassung. Die Polizeiliche Kriminalstatistik ist eine Jahresstatistik, die zu Jahresbeginn eines Folgejahres für das Vorjahr veröffentlicht wird. Bis zur Veröffentlichung führt das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen umfangreiche und aufwändige Prüfroutinen im Rahmen eines Qualitätssicherungsprozesses durch. Insofern liegen die Daten zu Straftaten derzeit bis zum Berichtsjahr 2022 qualitätsgesichert vor.
- Wie ist der aktuelle Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu dem oben beschriebenen Vorfall? (Bitte Tathergang, Vorstrafen der Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften der Tatverdächtigen, seit wann die Tatverdächtigen im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft sind, Vornamen und Mehrfachstaatsangehörigkeit bei deutschen Tatverdächtigen und sonstige polizeiliche Erkenntnisse über die Tatverdächtigen nennen.)
„Der Leitende Oberstaatsanwalt in Dortmund hat dem Ministerium der Justiz unter dem 27.02.2024 u. a. berichtet, bei der Staatsanwaltschaft Dortmund werde gegen vier erwachsene türkische Beschuldigte ein Ermittlungsverfahren u. a. wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung geführt und zum derzeitigen Stand der Ermittlungen u. a. Folgendes ausgeführt:
,Am Abend des 25.12.2023 kam es in unmittelbarer Nähe zum Dortmunder Weihnachtsmarkt, der zur Tatzeit geschlossen war, zu einer körperlichen Auseinsetzung zwischen den verwandten Beschuldigten B 1 und B 2 auf der einen und den verwandten Beschuldigten B 3 und B 4 auf der anderen Seite.
[…]
Zwischen den Familien der Beschuldigten besteht nach den bisherigen Erkenntnissen seit geraumer Zeit zumindest eine bekanntschaftliche Beziehung.
Als der Beschuldigte B 1 zur Tatzeit am Tatort […] eintraf, warteten die Beschuldigten B 3 und B 4 bereits auf diesen.
Zwischen den Beschuldigten B 1, B 3 und B4 kam es sodann zu einer körperlichen Auseinandersetzung, an der sich im weiteren Verlauf auch der am Tatort ebenfalls erschienene Beschuldigte B 2 beteiligte. Im Rahmen dieser körperlichen Auseinandersetzung setzten die Beschuldigten eine Holzlatte, einen „Kubotan“, einen Schlagring und Messer ein. Das Fahrzeug des B 1 wurde durch stumpfe Gewalteinwirkung im Bereich der Windschutzscheibe und der linken Fahrzeugseite beschädigt.
Der Beschuldigte B 1 floh vom Tatort. Die Beschuldigten B 2, B 3 und B 4 wurden aufgrund im Rahmen der körperlichen Auseinandersetzung erlittener Verletzungen zur ärztlichen Behandlung in Krankenhäuser gebracht. Lebensgefährliche Verletzungen wurden bei keiner Person diagnostiziert; alle Beschuldigten wurden nach ambulanter Behandlung aus dem jeweiligen Krankenhaus entlassen.
Von wem die körperliche Auseinandersetzung ausging, ist bislang nicht ausreichend geklärt: Die widerstreitenden Angaben der Beschuldigten stehen sich unvereinbar gegenüber.
Als Hintergrund nannten die Beschuldigten B 3 und B 4, der Beschuldigte B 1 sei im Besitz – ihrer Meinung nach – ehrenrühriger Fotos oder Videoaufnahmen einer Familienangehörigen, mit deren Verbreitung der Beschuldigte B 1 gedroht habe. Sie hätten ihn zur Löschung der Dateien bewegen wollen. Dem Vorwurf der Beschuldigten B 3 und B 4, der B 1 habe während der körperlichen Auseinandersetzung beabsichtigt, eine Schusswaffe aus seinem Fahrzeug zu holen, wurde nachgegangen. Eine Schusswaffe wurde jedoch nicht gefunden.
Die Ermittlungen dauern ebenso an wie die Prüfung des Vorwurfs nach § 201a StGB und des erforderlichen besonderen öffentlichen Interesses. Der für eine etwaige Straftat nach § 33 KunstUrhG erforderliche Strafantrag wurde nicht gestellt.
Der Beschuldigte B 2 ist vorbestraft: Die gegen ihn unter anderem wegen eines Straßenverkehrsdelikts und Straftaten gegen die persönliche Freiheit und körperliche Unversehrtheit in den Jahren 2012 und 2013 verhängten und zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen wurden allerdings inzwischen erlassen.
Die übrigen Beschuldigten sind nicht vorbestraft.‘“
- Was ist über die „Banalität“ bekannt, die den Messerangriff ausgelöst haben soll? Auf die Antwort auf die Frage 1 wird Bezug genommen.
- Wie oft kam es seit 2015 bis heute pro Jahr auf nordrhein-westfälischen Weihnachtsmärkten zu Körperverletzungs- oder sonstigen Gewaltdelikten? (Bitte nach Ort, Delikt und ggf. Art der Tatwaffe aufschlüsseln sowie Tätermerkmalen wie Alter, Geschlecht und Nationalität aufschlüsseln und bei Deutschen eine Mehrfachstaatsangehörigkeit extra ausweisen.)
Die Erfassungsrichtlinien der Polizeilichen Kriminalstatistik sehen keine differenzierte Darstellung der Örtlichkeit oder des Ereignisses „Weihnachtsmarkt“ vor. Die Beantwortung der Frage wäre nur durch eine umfangreiche Sonderauswertung des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen möglich, die in der für die Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht möglich ist.
- Wie viele Verstöße gegen § 42a Waffengesetz gab es seit 2015 bis heute pro Jahr auf öffentlichen Plätzen in NRW? (Bitte nach Ort, Delikt und Art der Waffe sowie Tätermerkmalen wie Alter, Geschlecht und Nationalität aufschlüsseln und bei Deutschen eine Mehrfachstaatsangehörigkeit extra ausweisen.)
Die Erfassungsrichtlinien der Polizeilichen Kriminalstatistik sehen keine Erfassung von Ordnungswidrigkeiten vor. Die angefragten Daten zu Verstößen gegen § 42a Waffengesetz liegen der Landesregierung automatisiert nicht vor. Eine händische Auswertung aller Einzelsachverhalte ist nur mit erheblichem Zeitaufwand realisierbar und in der für die Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht möglich.
- Welche Gründe sieht die Landesregierung für den stetigen Anstieg an Fällen von „gefährlicher Körperverletzung auf Straßen, Wegen und Plätzen“ in NRW über die letzten Jahre?
Kriminalität ist nicht monokausal zu erklären, sondern wird als komplexes gesellschaftliches Phänomen durch unterschiedliche Faktoren beeinflusst.
Erklärungsansätze könnten sich aus den Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pande-mie ergeben, welche seit dem Jahr 2019 bis in das Jahr 2022 hinein die Durchführung von (Groß-)Veranstaltungen erschwert haben. Aufgrund der damit einhergehenden Einschränkungen des gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens fanden weniger (Groß)Ver-anstaltungen, auch aufgrund von Planungsunsicherheit, statt bzw. waren diese Veranstaltungen aufgrund von Kontaktängsten in der Bevölkerung schlechter besucht. Infolgedessen hielten sich die Bürgerinnen und Bürger seltener in (halb-)öffentlichen Räumen auf und es ergaben sich insoweit weniger Tatgelegenheiten.
Neben den Effekten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie können auch die gesellschaftlichen Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Ausbruch des russischen Angriffskrieges und die Inflation unter anderem als Folge der Energiekrise Stress auslösen. Ein solcher Stress könne, zahlreicher kriminologischer Theorien zufolge, unter anderem zu zunehmender Gewalt und anderen Kriminalitätsformen führen.
Fallzahlenanstiege im Bereich der Gewaltkriminalität können darüber hinaus auf eine erhöhte Anzeigebereitschaft in der Bevölkerung aufgrund zunehmender Missbilligung und verstärkter Wahrnehmung von Gewalt in der Bevölkerung zurückgeführt werden.
Ferner sind generelle Tendenzen einer gesellschaftlichen Verrohung feststellbar, die sich z.B. durch vermehrte Hasskommentare im Internet, durch Beleidigungen, aber auch durch vermehrte körperliche Aggressionen ausdrücken können. Hier könnte eine verringerte Sozialkontrolle – gerade bei jüngeren Tatverdächtigen – mitursächlich sein.