Kleine Anfrage 3886des Abgeordneten Helmut Seifen vom 24.06.2020
Ein Blick auf die Referenten des Programms „Demokratie leben!“
Der Comic-Zeichner und Autor Nils Oskamp hält seit einigen Jahren Vorträge an Schulen in ganz Deutschland zum Thema Rechtsextremismus. Diese Vorträge basieren auf Auseinandersetzungen Oskamps mit „Neonazis“, die der Autor als 13-jähriger Schüler im Jahr 1983 an der Wilhelm-Busch-Realschule in Dortmund-Dorstfeld selbst erlebt haben will.
So sollen gewaltbereite „Neonazis“ zwei „Mordanschläge“ auf Oskamp verübt haben, welche er angeblich nur knapp überlebt habe. Einmal sei mit einem „Wehrmachtskarabiner“ auf ihn geschossen worden, ein anderes Mal sei er auf dem Rückweg von der Schule überfallen und durch massive Stiefeltritte in Unterleib und Gesicht durch „Neonazis“ schwer verletzt worden. Oskamp berichtet, dass er von Seiten der Lehrer, der Polizei und auch von den eigenen Eltern in der Phase der Auseinandersetzungen, die sich über mehrere Monate hinzog, keine oder erst sehr spät Unterstützung erfahren habe.
Als Motiv für die gewaltsamen Übergriffe durch „Neonazis“ führt Oskamp an, dass er rechtsextremen Mitschülern, welche an der Dortmunder Wilhelm-Busch-Realschule die Auschwitzlüge und rechtsextremistische Parolen propagiert hätten, widersprochen habe.1
Oskamps Vortragstätigkeit wird im Rahmen des Programmes „Demokratie leben!“ durch das Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend mit öffentlichen Mitteln gefördert.2 Außerdem erhält der Autor breite Unterstützung von der ebenfalls öffentlich geförderten Amadeu Antonio Stiftung, die u a. seinen autobiografischen Graphik-Novel “Drei Steine“ als Schulbuch veröffentlicht hat und eine dazugehörige Webseite https://www.dreisteine.com/ verantwortet, auf der pädagogisches Begleitmaterial zu Oskamps Buch und seiner Ausstellung angeboten wird.
Die rechtsextremistische Szene in Dortmund-Dorstfeld gilt bis heute als ein Zentrum für derartige Gruppierungen in Nordrhein-Westfalen, deren Wurzeln bis in die 1980er Jahre zurückreichen. Die dargelegten autobiografischen Erlebnisse Oskamps sind grundsätzlich glaubwürdig; sein Engagement gegen Rechtsextremismus unterstützenswert. Allerdings sind die dargelegten Vorkommnisse (zwei „Mordanschläge“; rechtsextremistische Umtriebe an der Wilhelm-Busch-Realschule, Lehrer und Polizei, die angeblich weggesehen hätten) durch öffentlich zugängliche oder vom Autor selbst veröffentlichte amtliche Quellen nicht nachvollziehbar. Oskamp verweist in seinem Buch „Drei Steine“ lediglich auf eine von ihm gestellte Anzeige nach dem zweiten „Mordanschlag“ sowie auf ein späteres Gerichtsverfahren, bei dem zwei seiner Mitschüler zu jeweils 27 Sozialstunden verurteilt worden sein sollen; vor Gericht seien die gewaltsamen Auseinandersetzungen – so Oskamp – allerdings als „normale Schulhofsprügelei“ behandelt worden.3
Vor dem Hintergrund der umfangreichen, öffentlich geförderten Vortragstätigkeit Oskamps an staatlichen Schulen – nach eigenen Angaben hat der Autor inzwischen über 170 Lesungen vor über 28.500 Zuschauern gehalten –, wollen wir die Landesregierung bitten, die von Oskamp dargelegten Ereignisse und Vorkommnisse an der Dortmunder Wilhelm-Busch-Realschule und deren rechtliche Aufarbeitung darzulegen – nicht zuletzt auch –, um den Autor vor einer möglicherweise ungerechtfertigten Diskreditierung zu schützen.
Ich frage daher die Landesregierung:
- An welchen staatlichen oder unter staatlicher Aufsicht stehenden Schulen Nordrhein-Westfalens hat der Autor Nils Oskamp Vorträge, Workshops oder Fortbildungen zum Thema Rechtsextremismus gehalten oder seine Ausstellung „Drei Steine“ veröffentlicht?
- Welche Erkenntnisse hat das Ministerium für Schule und Bildung über rechtsextremistische Umtriebe an der Wilhelm-Busch-Realschule in Dortmund-Dorstfeld im Jahr 1983?
- Inwieweit haben das Ministerium für Schule und Bildung oder einzelne Schulen die Authentizität der von Oskamp geschilderten drastischen Ereignisse und Anschuldigungen an der und gegen die Wilhelm-Busch-Realschule in Dortmund-Dorstfeld („zwei Mordanschläge“, neonazistische Schüler, rechtsextremistische Parolen, Lehrer, die wegsehen) an Hand welcher Quellen, wann und durch welche Gremien überprüft?
- Welche Förderanträge wurden vom Autor Oskamp oder von der Amadeu-Antonio-Stiftung an öffentliche Institutionen des Landes Nordrhein-Westfalen im Kontext der Vortragstätigkeit von Herrn Oskamp gestellt und inwieweit wurden Fördermittel in welcher Höhe bislang genehmigt und ausgezahlt?
- Welche Erkenntnisse hat das Ministerium für Schule und Bildung über rechtsextremistische Umtriebe an nordrhein-westfälischen Schulen zum gegenwärtigen Zeitpunkt?
Helmut Seifen
1 https://www.dreisteine.com/ (abgerufen am 17.03.2020); ferner: https://taz.de/!5447928/ (abgerufen am 17.03.2020).
2 https://www.herten.de/presse/p/news/veranstaltungen-im-rahmen-von-demokratie-
leben.html?cHash=5fd5440ea4a4c2311a6744f90741e7f8&type=98 (abgerufen am 18.03.2020).
3 https://taz.de/!5447928/ (abgerufen am 17.03.2020).
Die Ministerin für Schule und Bildung hat die Kleine Anfrage 3886 mit Schreiben vom 23. Juli 2020 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister des Innern und der Ministerin für Kultur und Wissenschaft beantwortet.
Vorbemerkung der Landesregierung
Nordrhein-Westfalen ist ein weltoffenes und vielfältiges Land. Die „NRW-Koalition“ hat sich in ihrem Koalitionsvertrag im Juni 2017 darauf verständigt, Rechtsextremismus und Rassismus entschieden entgegenzutreten. In unserer offenen Gesellschaft ist kein Platz für jede Form von Extremismus. Daher unterstützt die Landesregierung die Auseinandersetzung mit der Thematik an Schulen in Nordrhein-Westfalen und setzt auf eine umfangreiche Aufklärung über extremistische Tendenzen. Die Landesregierung hat hierfür u.a. 54 Abordnungsstellen geschaffen, die als „Systemberater Extremismusprävention“ Kontakte zu Schulen aufnehmen, diese beraten und ihnen bei der Netzwerkbildung zur Seite stehen. Darüber hinaus ist die Zusammenarbeit mit weiteren außerschulischen Partnern wie z.B. Polizei oder „Wegweiser“ für eine erfolgreiche Präventionsarbeit wichtig.
- An welchen staatlichen oder unter staatlicher Aufsicht stehenden Schulen Nordrhein-Westfalens hat der Autor Nils Oskamp Vorträge, Workshops oder Fortbildungen zum Thema Rechtsextremismus gehalten oder seine Ausstellung „Drei Steine“ veröffentlicht?
In Nordrhein-Westfalen handeln Schulen in eigener Verantwortung. Dieses betrifft alle Formate der Fort- und Weiterbildung wie Vorträge, Workshops oder Ausstellungen. Daher liegen der Landesregierung hierzu keine Informationen vor.
- Welche Erkenntnisse hat das Ministerium für Schule und Bildung über rechtsextremistische Umtriebe an der Wilhelm-Busch-Realschule in Dortmund-Dorstfeld im Jahr 1983?
Dem Ministerium für Schule und Bildung liegen keine Kenntnisse über rechtsextremistische Umtriebe an der Wilhelm-Busch-Realschule in Dortmund-Dorstfeld aus dem Jahr 1983 vor.
- Inwieweit haben das Ministerium für Schule und Bildung oder einzelne Schulen die Authentizität der von Oskamp geschilderten drastischen Ereignisse und Anschuldigungen an der und gegen die Wilhelm-Busch-Realschule in Dortmund-Dorstfeld („zwei Mordanschläge“, neonazistische Schüler, rechtsextremistische Parolen, Lehrer, die wegsehen) an Hand welcher Quellen, wann und durch welche Gremien überprüft?
Das Ministerium für Schule und Bildung kann keine 37 Jahre zurückliegenden Vorgänge prüfen, zu denen kein Datenmaterial mehr zur Verfügung steht.
- Welche Förderanträge wurden vom Autor Oskamp oder von der Amadeu-Antonio-Stiftung an öffentliche Institutionen des Landes Nordrhein-Westfalen im Kontext der Vortragstätigkeit von Herrn Oskamp gestellt und inwieweit wurden Fördermittel in welcher Höhe bislang genehmigt und ausgezahlt?
An die Landeszentrale für politische Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen wurden weder von Herrn Nils Oskamp noch von der Amadeu-Antonio-Stiftung Förderanträge im Kontext der Vortragstätigkeit von Herrn Oskamp gestellt und somit auch keine Fördermittel genehmigt und ausbezahlt.
Über Förderanträge der skizzierten Art an andere öffentliche Institutionen des Landes Nordrhein-Westfalen liegen dem Ministerium für Schule und Bildung keine Kenntnisse vor.
- Welche Erkenntnisse hat das Ministerium für Schule und Bildung über rechtsextremistische Umtriebe an nordrhein-westfälischen Schulen zum gegenwärtigen Zeitpunkt?
Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes in NRW verfolgen Rechtsextremisten die Strategie ihre Angebote, wie Musik, Online-Videos, Freizeitaktivitäten, Konzerte oder Druckerzeugnisse insbesondere auf junge Menschen auszurichten und für sie attraktiv zu machen. So wird versucht, auch Schülerinnen und Schüler zielgerichtet mit rechtsextremistischer Propaganda zu erreichen. Dafür wurde in der Vergangenheit gezielt Propagandamaterial in oder vor Schulen verteilt.
Die NPD produzierte seit den 2000er Jahren mehrfach sogenannte „Schulhof-CDs“. Diese enthielten rechtsextremistische Musik und einen Propagandatext. Die CDs wurden vor Schulen verteilt.
Im März 2010 hat der NRW-Landesverband der NPD nach eigenen Angaben an fast 3.000 Schülervertretungen ein islamfeindliches Schreiben versandt.
Pro Köln produzierte Mitte bis Ende der 2000er Jahre mehrere Ausgaben der Zeitschrift „Objektiv“, die sich insbesondere an Schülerinnen und Schüler richten sollte. Auch diese Zeitschrift wurde vor Schulen verteilt.
Die Partei „Die Rechte“ produzierte 2018 die Zeitschrift „Heute Jung“, die zu Beginn des Schuljahres an einigen Dortmunder Schulen verteilt und an einige Schülervertretungen versandt wurde. Der Name der Zeitschrift wurde mutmaßlich gewählt, um mit den Initialen der Zeitung „HJ“ auf die Hitlerjugend anzuspielen.
Über diese Strategie informiert und sensibilisiert der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz Lehrerinnen und Lehrer sowie Schülerinnen und Schüler mit Präventionsveranstaltungen. Durch eine intensive Auseinandersetzung sollen die Schülerinnen und Schüler wachsamer gegenüber der „Erlebniswelt Rechtsextremismus“ werden und die menschenfeindlichen Botschaften hinter der modernisierten Fassade erkennen.
Zusätzlich werden die Informationen über solche Verteilaktionen den zuständigen Behörden vor Ort in den Kommunen und dem Ministerium für Schule und Bildung mitgeteilt.