Kleine Anfrage 5336der Abgeordneten Gabriele Walger-Demolsky vom 04.05.2021
Einbringung des Gesetzes zur Reform des Verbots missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen
Auf Initiative des Landes NRW wurde am 30. September 2020 der Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Verbots missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen in den Bundesrat eingebracht und ohne Aussprache an den Rechtsausschuss überwiesen.1 Am 26. Oktober 2020 hat der federführende Rechtsausschuss den Gesetzentwurf in einer geänderten Fassung erneut in den Bundesrat eingebracht.2 In der Bundesratssitzung vom 09. November 2020 wurde der entsprechende Tagesordnungspunkt dann aber kurzfristig von der Tagesordnung genommen.3 Seit dieser Zeit ruht der Vorgang. Der Rechtsausschuss bzw. das Land NRW müsste initiativ werden und den Gesetzentwurf erneut auf die Tagesordnung des Bundesrats bringen. Das ist bis heute nicht geschehen.
Wie aktuelle Recherchen im Jobcenter Bremen ergeben haben, gibt es Anhaltspunkte dafür, dass mit der wissentlich falschen Anerkennung einer Vaterschaft Menschenhandel verdeckt werden soll. Ein Mitarbeiter erklärte gegenüber der FAZ: „Da steht die nigerianische Mafia hinter.“4 Immer mehr schwangere Frauen aus außereuropäischen Ländern würden Sozialleistungen beantragen. Diese hätten sich vorher häufig über mehrere Jahre in anderen europäischen Staaten aufgehalten. Gegenüber den Behörden würden sie angeben, dass der jeweilige Kindsvater deutscher Staatsbürger sei. Das illegale Vorgehen zur Erlangung von Sozialleistungen wird von der FAZ folgendermaßen beschrieben:
„Die Frauen melden sich zunächst oft bei der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber, begehren dort aber kein Asyl. Stattdessen melden sie sich kurze Zeit später bei den deutschen Behörden mit einer notariellen Anerkennung der Vaterschaft für das ungeborene Kind. Bei den Männern handelt es sich häufig um deutsche Staatsbürger. Sobald die Behörden die Vaterschaft eines Deutschen anerkennen, ergibt sich daraus, dass auch das neugeborene Kind die deutsche Staatsbürgerschaft bekommt. Und die Mütter erhalten eine langfristige Aufenthaltserlaubnis sowie Zugang zu Sozialleistungen für sich und das Kind. Denn die Väter zahlen weder für die alleinerziehenden Mütter noch für die Kinder, da sie selbst in den allermeisten Fällen von staatlicher Hilfe leben.“
Nach Erkenntnissen des Bremer Jobcenters stammen die schwangeren Frauen in der Regel aus westafrikanischen Ländern wie Nigeria oder Ghana. Es handele sich bei ihnen meist um unverheiratete Frauen, die zuvor in Italien gelebt haben sollen. Die vorgeblichen Väter würden in der Regel nicht in Bremen leben, sondern oftmals in anderen Bundesländern, u.a. in Nordrhein-Westfalen. Wie ein Mitarbeiter des Jobcenters Bremen ausgesagt hat, liegt die Quote der Frauen aus Ghana und Nigeria unter den alleinerziehenden Jobcenter-Kunden in Bremen bei 12,74 Prozent. In absoluten Zahlen waren das, Stand Februar 2021, 374 Alleinerziehende aus Ghana und 485 aus Nigeria.
Dolmetscher berichteten, dass die Frauen vorher in Italien als Prostituierte gearbeitet hätten und nun auf Grund ihres höheren Alters nach Deutschland „weitergereicht“ würden. Vermutlich müssten die Frauen weiterhin „Schulden“ abzahlen. Eine Kinderärztin berichtet von traumatisierten Frauen, die in eine „sehr schwierige Situation“ geraten seien. Somit besteht der begründete Verdacht, dass es neben Sozialhilfebetrug auch um besonders verwerfliche Straftaten wie Zwangsprostitution und Menschenhandel geht.
Ermittlungsverfahren in Bremen haben u.a. ergeben, dass die Frauen für die Vermittlung der vorgeblichen Väter „ein Entgelt von 3500 bis 5000 Euro“ zahlen.
Gegenüber Tichys Einblick verwies eine Sprecherin des Innenministeriums in Niedersachsen auf eine neue Rechtslage, wonach zwar Ermittlungen nach missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennungen erlaubt seien – aber nicht mehr nach der Beurkundung.5
„Wenn die Urkundenaussteller keinen Verdacht schöpfen (oder nicht schöpfen wollen), und Urkunden einmal ausgestellt haben, ist nach aktueller Rechtslage „das Verfahren beendet“. Wer die Urkunde zur Vaterschaftsanerkennung ausstellt, hat das letzte Wort.“
Im Gesetzentwurf wird vorgeschlagen, das Problem der missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennung durch eine Änderung des § 1597a BGB sowie der §§ 85a, 95 und 98 des AufenthG nach Möglichkeit auszuschließen.
Ich frage daher die Landesregierung:
- Warum wurde die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses im Bundesrat am 09. November 2020 kurzfristig von der Tagesordnung genommen?
- Wann wird der Gesetzentwurf auf Initiative des federführenden Rechtsausschusses bzw. NRWs voraussichtlich erneut auf die Tagesordnung des Bundesrats gesetzt?
- Wie beurteilt die Landesregierung die im Rahmen der Beratungen im Rechtsausschuss des Bundesrats gegenüber dem ursprünglichen Entwurf erfolgten Änderungen im Hinblick auf eine möglichst effektive Bekämpfung missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen?
- Wie viele ähnlich gelagerte Fälle alleinerziehender Frauen sind der Landesregierung aus den Jahren von 2018 bis 2020 in NRW bekannt?
- In welcher Form wird die Landesregierung straf- und ggf. aufenthaltsrechtlich mit „Altfällen“ aus den Jahren 2018 bis 2020 umgehen?
Gabriele Walger-Demolsky
1 Vgl. http://dipbt.bundestag.de/dip21/brd/2020/0586-20.pdf
2 Vgl. https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2020/0501-0600/586-1-
20.pdf?__blob=publicationFile&v=1
3 Vgl. http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP19/2678/267898.html
4 Vgl. https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/bremen-perfides-geschaeft-mit-schwangeren-frauen-aufgedeckt-17293292.html?premium
5 Vgl. https://www.tichyseinblick.de/kolumnen/alexander-wallasch-
heute/vaterschaftsanerkennung/?fbclid=IwAR1-qF5dDDAj0I7AAsG8rZsCt6LB4pYc5J6iK8O9xrobAa7MyL8QQ Pplpw
Der Minister der Justiz hat die Kleine Anfrage 5336 mit Schreiben vom 1. Juni 2021 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration, dem Minister der Finanzen, dem Minister des Innern, dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales und der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung beantwortet.
- Warum wurde die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses im Bundesrat am 9. November 2020 kurzfristig von der Tagesordnung genommen?
Eine Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses wurde nicht von der Tagesordnung des Bundesrats genommen. Von der Tagesordnung genommen wurde die Gesetzesinitiative des Landes Nordrhein-Westfalen samt aller zugehörigen Empfehlungen der beteiligten Fachausschüsse (R – AIS – FJ – FS – In), wie sie in der Strichdrucksache 586/1/20 zu finden sind. Dies erfolgte vor dem Hintergrund, dass nach Maßgabe eines internen Austauschs vor dem Bundesratsplenum neben Nordrhein-Westfalen nur zwei weitere Länder signalisiert hatten, dem Gesetzentwurf zuzustimmen, so dass im Bundesrat derzeit keine Mehrheit zu erwarten ist.
- Wann wird der Gesetzentwurf auf Initiative des federführenden Rechtsausschusses bzw. NRWs voraussichtlich erneut auf die Tagesordnung des Bundesrats gesetzt?
Die Abstimmung über den Gesetzentwurf kann bei Bedarf jederzeit neu aufgerufen werden. Die Landesregierung beobachtet die Entwicklungen dazu fortlaufend und wird entsprechende Schritte einleiten, sobald sich Aussichten für eine Abstimmungsmehrheit ergeben.
- Wie beurteilt die Landesregierung die im Rahmen der Beratungen im Rechtsausschuss des Bundesrats gegenüber dem ursprünglichen Entwurf erfolgten Änderungen im Hinblick auf eine möglichst effektive Bekämpfung missbräuchlicher Va-terschaftsanerkennungen?
Im Rechtsausschuss wurde, wie sich aus der o.g. Strichdrucksache, dort Ziffer 4, ergibt, nur ein einziger Änderungsantrag angenommen, der die Streichung des im Gesetzentwurf neu vorgesehenen Bußgeldtatbestandes des § 98 Absatz 2a Nummer 5 des Aufenthaltsgesetzes samt der zugehörigen Gesetzesbegründung zum Ziel hatte. Die Empfehlung zur Streichung dieser von der Landesregierung selbst im Gesetzentwurf vorgesehenen und daher für eine möglichst effektive Bekämpfung missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen als sinnvoll bewerteten Vorschrift wurde nicht befürwortet.
- Wie viele ähnlich gelagerte Fälle alleinerziehender Frauen sind der Landesregierung aus den Jahren von 2018 bis 2020 in NRW bekannt?
Im Land erfolgt keine gesonderte Erfassung von Fällen alleinerziehender Frauen aus außereuropäischen Staaten, die sich zunächst in einem anderen europäischen Land aufgehalten haben und deren Kinder durch einen deutschen Staatsangehörigen anerkannt wurden, wobei aufgrund der Umstände des Einzelfalls der Verdacht einer missbräuchlichen Anerkennung der Vaterschaft besteht. Eine Antwort ist daher innerhalb der zur Beantwortung Kleiner Anfragen zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich.
- In welcher Form wird die Landesregierung straf- und ggf. aufenthaltsrechtlich mit „Altfällen“ aus den Jahren 2018 bis 2020 umgehen?
Der strafrechtliche Umgang im Sinne der Fragestellung obliegt nicht der Landesregierung, sondern allein den unabhängigen Gerichten und den Strafverfolgungsbehörden.
Letztere sind, soweit nicht gesetzlich ein anderes bestimmt ist, zum Einschreiten verpflichtet, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat vorliegen
(§ 152 Absatz 2 der Strafprozessordnung). Zudem bestehen Mitteilungspflichten gegenüber den Ausländerbehörden (Nr. 42 der Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen), denen wiederum die Prüfung obliegt, ob gegebenenfalls aufenthaltsrechtliche Maßnahmen angezeigt sind.
Sofern die Frage auf eine künftige Änderung der Rechtslage durch den eingebrachten Gesetzentwurf der Landesregierung abzielt, liegen derzeit keine konkreten Planungen vor, da ein zeitnahes Inkrafttreten dieses Entwurfs mit Blick auf die vorgehend beschriebene Situation aktuell nicht zu erwarten steht. Allgemein kann für die Frage einer rückwirkenden Anwendung künftig in Kraft tretender gesetzlicher Regelungen allerdings auf die verfassungsrechtlich vorgegebenen Grundsätze des Vertrauensschutzes und des grundsätzlichen Verbots einer echten Rückwirkung, das im Bereich des Strafrechts absolut gilt (vgl. Artikel 103 Absatz 2 des Grundgesetzes), hingewiesen werden.