Kleine Anfrage 3426des Abgeordneten Markus Wagner vom 27.02.2020
Eine Gelsenkirchener Polizistin hat laut Landesregierung keinen Anspruch auf die Auszahlung ihrer 1200 Überstunden – Wie viel sind der Landesregierung Einsatz und Lebensleistung von Polizeibeamten wert?
Eine Erste Kriminalhauptkommissarin aus Gelsenkirchen, die am 1. März pensioniert werden soll, war zuletzt von 2015 bis 2018 beim polizeilichen Staatsschutz im Kampf gegen den Islamismus eingesetzt. Allein in dieser Zeit häufte die Beamtin in verantwortungsvoller Position über 1700 Überstunden an. Derzeit ist es allerdings lediglich möglich, sich pro Jahr 480 Überstunden auszahlen zu lassen, was dazu führen wird, dass insgesamt 1200 noch nicht abgegoltene Überstunden mit dem Eintritt in die Pension ersatzlos verfallen werden. Die Beamtin wandte sich daher mit einem Brief an Innenminister Herbert Reul und bat darin um eine Verlängerung ihrer Lebensarbeitszeit oder aber eine Auszahlung der geleisteten Mehrarbeit. Reul ließ den Vorgang zunächst prüfen und antwortete der Polizistin sodann, dass ein Entgegenkommen rechtlich nicht möglich sei. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter1 und der Fraktionsvorsitzende der AfD-Landtagsfraktion, Markus Wagner, haben die Entscheidung des Innenministeriums scharf kritisiert.
Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:
1. Was ist die rechtliche Begründung dafür, dass den Bitten der Polizistin nicht entsprochen worden ist?
2. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, um der Polizistin eine Auszahlung ihrer Überstunden nachträglich zu ermöglichen?
3. Wie viele nordrhein-westfälische Polizeivollzugsbeamte, die voraussichtlich 2020 unterjährig aus dem Dienst ausscheiden werden und bereits eine Mehrarbeit von über 480 Stunden geleistet haben, sind ebenfalls von der Situation betroffen, dass Überstunden vor Eintritt in die Pension nicht abgegolten oder ausgezahlt werden können?
4. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung vor dem Hintergrund des aktuellen Sachverhaltes, damit die Lebensleistung von Polizeibeamten angemessener gewürdigt wird und geleistete Mehrheit ausnahmslos vor Pensionseinritt abgegolten werden kann?
Markus Wagner
1 Vgl. Der Tagesspiegel (2020): 1200 Überstunden einer Polizistin werden wohl verfallen; online im Internet: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/ohne-ausgleich-in-pension-1200-ueberstunden-einer-polizistin-werden-wohl-verfallen/25579372.html.
Nachfolgend die Antwort der Landesregierung, verfasst am 07.04.2020
Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 3426 mit Schreiben vom 7. April 2020 namens der Landesregierung beantwortet.
1. Was ist die rechtliche Begründung dafür, dass den Bitten der Polizistin nicht entsprochen worden ist?
Die Beamtin führte an, dass sie infolge der Geburt ihres Sohnes sowohl Elternzeiten als auch Zeiten von Teilzeitbeschäftigung in Anspruch genommen habe. Dies sei ursächlich dafür, dass sie die für den vollen Pensionsanspruch erforderlichen 40 Dienstjahre zum Zeitpunkt des gesetzlichen Ruhestandseinstritts nicht erreicht habe. Insoweit sei es für sie von Vorteil, wenn die aufgeführten Stunden auf ihre Lebensarbeitszeit angerechnet würden.
Konkret hätte dies bedeuten sollen, dass Zeiträume, in denen die Beamtin in Elternzeit gewesen ist oder einer Teilzeitbeschäftigung nachgegangen war mit den noch vorhandenen Stunden hätten angereichert werden sollen, sodass die Fiktion einer Vollzeitbeschäftigung über den maximal möglichen Zeitraum hätte eintreten sollen. Dies würde aber nicht den Tatsachen entsprechen und daher einen Rechtsstand implizieren, der zum jeweiligen Zeitpunkt faktisch nicht vorgelegen hat und aus diesem Umstand gesetzeswidrig wäre. Denkbar wären zudem auch noch besoldungs- und oder versorgungsrechtliche Auswirkungen, die sich auf die anteilige Besoldung der Teilzeitbeschäftigung erstrecken könnten.
Gesetzliche Grundlage für die Mehrarbeit und die Möglichkeiten der finanziellen Vergütung stellt der § 61 Absatz 2 Landesbeamtengesetz -LBG- NRW dar. Hierin ist geregelt, dass – sollte ein Freizeitausgleich von geleisteter Mehrarbeit innerhalb Jahresfrist aufgrund zwingender dienstlicher Gründe nicht möglich sein – eine Mehrarbeitsvergütung von insgesamt 480 Stunden pro Jahr zulässig ist.
Mit Erlass meines Hauses vom 21.03.2016 wurde klargestellt, dass sich die Begrenzung auf das Entstehungsjahr, und nicht auf das Auszahlungsjahr der Stunden bezieht. Stundenkontingente aus unterschiedlichen Entstehungsjahren können somit gleichzeitig finanziell abgegolten werden.
Soweit in der Vorbemerkung der Kleinen Anfrage der Eindruck erweckt wird, die Beamtin habe in den Jahren 2015 bis 2018 über 1700 Überstunden angesammelt, von denen nur einmalig 480 Überstunden ausgezahlt worden seien, ist dies unzutreffend. Vielmehr wurden der Beamtin über mehrere Jahre in höchstmöglichen Umfang Mehrarbeitsstunden im Rahmen der Erlass- und gesetzlichen Regelungen ausgezahlt. Die Auszahlungsmodalitäten der Mehrarbeitsstunden stellen sich über die Jahre betrachtet wie folgt dar:
- 2014:
24 Stunden aus Dezember 2012
480 Stunden aus dem Jahr 2013
- 2015:
464 Stunden aus dem Jahr 2014
- 2016:
210 Stunden aus dem Jahr 2015 (Januar bis August)
- 2017:
66 Stunden aus dem Jahr 2015 (Oktober und November)
346 Stunden aus dem Jahr 2016 (Januar bis August)
- 2018:
73 Stunden aus dem Jahr 2016 (September bis Dezember)
480 Stunden aus dem Jahr 2017
- 2019
480 Stunden aus 2018
Des Weiteren handelt es sich bei den in Rede stehenden rund 1200 „Überstunden“ nicht ausschließlich um Mehrarbeitsstunden, sondern in nicht unerheblichem Umfang um Zeitguthaben im Rahmen der Flexiblen Arbeitszeit. Derartige Zeitguthaben können ausschließlich in Freizeit ausgeglichen werden. Ein finanzieller Ausgleich kann schon mit Blick auf eine hierdurch eintretende Doppelalimentation nicht erfolgen.
2. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, um der Polizistin eine Auszahlung ihrer Überstunden nachträglich zu ermöglichen?
Wie in Beantwortung der Frage 1 bereits ausgeführt, ist eine Auszahlung nicht möglich.
3. Wie viele nordrhein-westfälische Polizeivollzugsbeamte, die voraussichtlich 2020 unterjährig aus dem Dienst ausscheiden werden und bereits eine Mehrarbeit von über 480 Stunden geleistet haben, sind ebenfalls von der Situation betroffen, dass Überstunden vor Eintritt in die Pension nicht abgegolten oder ausgezahlt werden können?
Höhere Vorgesetzte haben in den Polizeibehörden des Landes NRW grundsätzlich keinen Zugriff auf die individuellen Arbeitszeitkonten der Bediensteten. Dies ist nur in besonders gelagerten Einzelfällen und unter Beteiligung der örtlichen Personalvertretung zulässig.
Dem Ministerium des Innern liegen keine personenspezifischen Stundenstände vor.
4. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung vor dem Hintergrund des aktuellen Sachverhaltes, damit die Lebensleistung von Polizeibeamten angemessener gewürdigt wird und geleistete Mehrarbeit ausnahmslos vor Pensionseintritt abgegolten werden kann?
Um auch zukünftig den zu erwartenden Anforderungen gerecht zu werden, hat die Landesregierung beschlossen, die Anzahl der Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten (PVB) im Land Nordrhein-Westfalen zu erhöhen. Deshalb wurde direkt mit der Übernahme der Regierungsverantwortung die Anzahl der Einstellungsermächtigungen für Kommissaranwärterinnen und Kommissaranwärter (KA) auf 2.300 und ab dem Einstellungsjahrgang 2019 auf 2.500 erhöht. Für 2020 wurde auch diese Anzahl noch einmal erhöht, so dass nunmehr 2.560 Einstellungsermächtigungen zur Verfügung stehen. Das Niveau der Einstellungsermächtigungen soll bis zum Jahr 2022 gehalten werden, so dass sich die Anzahl der PVB sukzessive in den nächsten Jahren, voraussichtlich bis 2024, von derzeit rund 40.000 PVB auf über 41.000 PVB erhöhen wird.
Darüber hinaus werden den Kreispolizeibehörden zur Entlastung der bereits vorhandenen PVB bis zum Jahr 2022 jährlich 500, insgesamt also 2.500 Stellen für Regierungsbeschäftigte (RB) bereitgestellt. Durch die damit einhergehende Entlastung von administrativen Aufgaben und allgemeinen Verwaltungstätigkeiten können sich die PVB verstärkt auf ihre Kernaufgaben konzentrieren. Die Polizei in Nordrhein-Westfalen wird also insgesamt eine deutliche personelle Stärkung erfahren.
Im Koalitionsvertrag (2017-2022) wurde vereinbart, notwendige dienstrechtliche Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung des öffentlichen Dienstes zu ergreifen. Ziel ist es, den öffentlichen Dienst noch moderner, flexibler und attraktiver zu gestalten. Zur Umsetzung erarbeitet die Landesregierung derzeit einen Entwurf zur Änderung der Arbeitszeitverordnung zur Einführung von Langzeitarbeitskonten auf freiwilliger Basis. Ergänzend zu den bereits bestehenden Möglichkeiten für Beamtinnen und Beamte, sich vorübergehend unter bestimmten Voraussetzungen von der Dienstleistungspflicht freistellen zu lassen, soll mit der Einführung von Langzeitarbeitskonten die Möglichkeit bestehen, den Beamtinnen und Beamten im Einklang mit den dienstlichen Interessen lebensphasengerecht mehr Souveränität bei der Gestaltung der Arbeitszeit einzuräumen.