Einrichtung einer Enquete-Kommission „Parallelgesellschaften und drohende No-go-areas. Wie lässt sich die Zukunft des urbanen Raums in Nordrhein-Westfalen für alle Bürger sicherstellen?“

Antrag
vom 11.07.2018

Antragder AfD-Fraktion vom 03.07.2018

 

Einrichtung einer Enquete-Kommission „Parallelgesellschaften und drohende No-go-areas. Wie lässt sich die Zukunft des urbanen Raums in Nordrhein-Westfalen für alle Bürger sicherstellen?“

I. Ausganglage

Auf die Frage nach dem Zustand der Inneren Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland äußerte sich Angela Merkel in einem TV-Interview im Frühjahr 2018: „Das heißt, dass es zum Beispiel keine No-go-Areas gibt. Dass es keine Räume geben kann, wo sich niemand hin traut. Und solche Räume gibt es, und das muss man dann auch beim Namen nennen und man muss etwas dagegen tun“1. Regierungssprecher Steffen Seibert erläuterte zwei Tage später auf Nachfrage in der Bundespressekonferenz: „Die Worte der Kanzlerin stehen für sich. Sie stehen unter der Überschrift, dass es vielleicht die edelste Aufgabe des Staates ist, für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen“2. Bestätigung fand diese Problembeschreibung durch Minister Jens Spahn, der in einem Gespräch mit der Neuen Zürcher Zeitung am 4. April 2018 bekräftigte: „Schauen Sie sich doch Arbeiterviertel in Essen, Duisburg oder Berlin an. Da entsteht der Eindruck, dass der Staat gar nicht mehr willens oder in der Lage sei, Recht durchzusetzen“.

In der Tat haben sich die langfristigen Faktoren, welche die Entwicklung urbaner Räume in Nordrhein-Westfalen prägen, in den letzten Jahren stark gewandelt. Spätestens mit der unkontrollierten Zuwanderung und dem massenhaften Missbrauchs des Asylrechts in Deutschland fand und findet weiterhin eine merkliche Veränderung der Ballungsräume im bevölkerungsreichsten Bundesland statt. Eine bis dahin unter den Bedingungen des Strukturwandels lebende angestammte Bevölkerung wurde vielfach aus bestimmten, schon seit langem vernachlässigten Problemvierteln und Stadtteilen hinausgedrängt. Damit einher geht ein Rückzug des Rechtsstaates und seiner Amtswalter. Demgegenüber haben sich nicht nur islamische Parallelgesellschaften herausgebildet.3 Auch im Bereich der Banden- und Rockerkriminalität ist die Entwicklung solcher Parallelgesellschaften zu beobachten. Mehrfach gab es bereits von Rockergruppen das „Angebot“ an die Polizei, Konflikte zwischen den Banden komplett intern zu regeln und sich damit rechtsstaatlichen Verfahren zu entziehen.4 Dafür etwa sind die „Osmanen Germania“ mit überwiegend türkischen Angehörigen bei der Polizei bekannt.

Wie es die Bundeskanzlerin nicht verhehlen konnte, haben sich an zahlreiche Orten in Nordrhein-Westfalen Gefahrenzonen entwickelt, aus denen nach Einschätzung der Polizei bald sogenannte „No-go-areas“ hervorgehen könnten. Dieses Phänomen von Räumen, die durch hohe Gewalt- und Kriminalitätsraten wie durch eine weitreichende soziale Desintegration gekennzeichnet sind, hat sich mittlerweile in allen durch islamische Migranten veränderten westlichen Gesellschaften ergeben.5 Die ethnisch und religiös verursachte Fragmentarisierung der Mehrheitsgesellschaft führte auch zu einer Fragmentarisierung gesellschaftlicher und rechtsstaatlicher Normen. Und so erfahren wir von der Existenz bisher unbekannter Phänomene in unserem Staat: von „Zwangsheiraten“, von „Ehrenmorden“, von am islamischen Recht ausgerichteten „Friedensrichtern“ und von „Scharia-Polizisten“. Das staatliche Justiz- und Gewaltmonopol des Gaststaates wird also in der Parallelgesellschaft durchgehend nicht anerkannt und zielgerichtet unterlaufen. Denn sie selbst zieht ihre Legitimation aus religiös fundamentalistischen Prinzipien, in denen das freiheitlich-demokratische Staats- und Gesellschaftsmodell der Bundesrepublik Deutschland wie der westlichen Lebenswelt in ihrer gesamten Breite abgelehnt wird.

Die schon in der Vergangenheit zutage tretenden Schwierigkeiten der Integration von Migranten aus dem orientalischen Kulturraum haben sich unter der Maßgabe der aktuellen Tendenzen noch beträchtlich verstärkt. Umfrageergebnisse zeigen, dass die Werte und Normen der demokratischen Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland vor allem bei vielen Migranten aus islamischen Ländern wenig Akzeptanz finden. So geht aus der Studie „Integration und Religion aus der Sicht von Türkeistämmigen in Deutschland“ der Universität Münster hervor, dass islamisch-fundamentalistische Einstellungen unter Einwanderern aus der Türkei weit verbreitet sind. Der Aussage „Muslime sollten die Rückkehr zu einer Gesellschaftsordnung wie zu Zeiten des Propheten Mohammeds anstreben“ stimmen laut der durch das Excellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster erstellten Studie 32 Prozent der Befragten „stark“ oder „eher“ zu.6 Der Aussage „Die Befolgung der Gebote meiner Religion ist für mich wichtiger als die Gesetze des Staates, in dem ich lebe“, stimmen sogar 47 Prozent der Befragten zu.7 Die Bereitschaft, sich in die Mehrheitsgesellschaft zu integrieren, ist nach Erkenntnissen der Münsteraner Wissenschaftler in der zweiten Generation türkisch­stämmiger Migranten sogar noch geringer als bei ihren Eltern. 72 Prozent der älteren Generation halten diese für notwendig, allerdings nur 52 Prozent der jüngeren. 86 Prozent der Mitglieder der zweiten und dritten Generation denken, man solle selbstbewusst zur eigenen Herkunft stehen, aber nur 67 Prozent der ersten.8

In der Literatur zur Migrationsforschung finden sich Beschreibungen des dargestellten Phänomens. „Trotzdem sind die Strukturen noch lange nicht ausreichend analysiert worden, und teilweise werden Paralleljustiz und Parallelgesellschaften insgesamt geleugnet oder als Einzelphänomene beschrieben“, stellt der Jurist und Bundestagsabgeordnete Prof. Dr. Patrick Sensburg (CDU) fest.9 Noch stärker am Alltagsgeschehen orientiert sich der Siegener Soziologe Thomas Meyer, der feststellt „insoweit geht es zunächst nur um die exakte Abgrenzung des Begriffs der Parallelgesellschaft. Die Frage seiner gerechtfertigten Anwendung auf empirische Gegebenheiten in Deutschland oder anderswo bleibt dabei zunächst offen. Allerdings bin ich der empirisch zu begründenden Auffassung, dass sich hierzulande in Wohngebieten wie Duisburg-Marxloh …, Köln-Eigelstein oder Dortmund-Nordstadt kollektive Lebensformen entwickeln, die die begrifflichen Merkmale der Parallelgesellschaft weitgehend erfüllen. (…) Der laxe Hinweis, gerade die deutsche Arbeiterbewegung zeige doch, dass Parallelgesellschaften immer schon zum gesellschaftlichen Leben gehörten und daher auch heute keine besondere Beachtung verdienten, trägt daher zur Klärung der Sache nichts bei“.10

II. Problembeschreibung

Im Januar 1984 veröffentlichte Ray Honeyford, Direktor einer Schule im britischen Bradford, einen Artikel in der Zeitschrift „The Salisbury Review“. Er informierte darin seine Leser über Erfahrungen an seiner Schule mit muslimischen Migranten, deren Schüleranteil 90 Prozent der Schülerschaft ausmachte. Väter seiner muslimischen Schülerinnen, so stellte Honeyford fest, hatten ihren Töchtern mitunter verboten, am Schauspielunterricht, am Tanzunterricht sowie am Schulsport teilzunehmen. Die Schulbehörden haben sich daran nicht gestört, auch nicht, dass diese Schüler in den Ferien von ihren Eltern nach Pakistan geschickt wurden, was Honeyford in seinem Artikel mit dem Rat eines erfahrenen Pädagogen begleitete, sie sollten in den Ferien die Landessprache besser erlernen und sich innerhalb des britischen Kulturraums bewegen, damit sie nicht in eine „Parallelgesellschaft“ („parallel society“) abgleiten.11 Seitdem haben sich geografisch und kulturell weit entfernte „Parallelwelten“ und die gesellschaftliche Realität in den Aufnahmeländern immer mehr angenähert, dass der Begriff einer „Parallelgesellschaft“ erstmals auch in Deutschland vom Bielefelder Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer verwendet wurde. In einem Beitrag für die Wochenzeitung DIE ZEIT erklärte Heitmeyer am 23. August 1996: „Es besteht die Gefahr, dass religiös-politische Gruppen eine schwer durchschaubare ‚Parallelgesellschaft‘ am Rande der Mehrheitsgesellschaft aufbauen könnten“12. Seither hat der Begriff in der Forschung wie in der politischen Arena aller von diesem Phänomen betroffenen westlichen Gesellschaften einen festen Platz gefunden. Eng verbunden mit diesem Begriff sind zudem Warnungen vor Räumen, die nicht mehr gefahrlos für den normalen Bürger zu betreten sind. Auch hier wurde dieses Phänomen bereits vor Jahren in Großbritannien mit dem Begriff der „No-go zones“ oder „No-go areas“ bezeichnet. Nach den Anschlägen 2015 in Paris kam der Brüsseler Stadtteil Molenbeek als eine solche „No-go area“ in Verruf, wo Bandenkriminalität und ein radikalisierter Islam dazu geführt haben, dass in dem Stadtteil eine gefährliche „Parallelgesellschaft“ entstanden ist. Auf Anfrage bestätigte der belgische Innenminister, dass die Regierung die Situation in Molenbeek nicht mehr unter Kontrolle habe und terroristische Verbindungen ein „gigantisches Problem“ darstellten.13 In Deutschland bemängelte die Gewerkschaft der Polizei (GdP) nicht nur stark ausgedünnte Wachen und Angriffe gegen Polizisten. Überdies warnte die GdP vor den daraus resultierenden Folgen: Die Entstehung von No-go-Areas in Essen, Dortmund und Duisburg. In einer internen Analyse des Duisburger Polizeipräsidiums ist nach einem Medienbericht des „Handelsblattes“ von einem drohenden „Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung“ die Rede, sollte sich die Lage weiter verschärfen14. Daraufhin kam es zu einer Verstärkung durch eine Polizeihundertschaft, um Marxloh abends sicherer zu machen. Auch durch diese vorübergehende Maßnahme hat sich die Situation nicht grundlegend gewandelt, wie der neue Vorsitzende der GdP, Michael Mertens, am 28. April 2018 in einem Interview mit der Rheinischen Post erkennen ließ. Auf die Frage „Gibt es in NRW No-go-Areas?“ antwortete er: „Es gibt Bereiche, in die Polizisten nicht alleine reingehen, sondern nur in größeren Teams. Solche Bereiche gibt es mittlerweile in fast allen NRW-Großstädten. Hier müssen wir klare Präsenz zeigen und deutlich machen, dass jeder, der in diesem Land wohnt, sich an Recht und Gesetz zu halten hat“.15

Nach Beobachtung der Polizei haben sich in diesen No-go-Areas genannten Bereichen oftmals Straßenkreuzungen zu „unsichtbaren Grenzen“ zwischen ethnischen Gruppen entwickelt, die ein erhebliches Gefahrenpotenzial mit sich führen. Anwohner sprechen von „der“ Straße der Kurden oder „der“ Straße der Rumänen. Eine Gruppe steht unter besonderer Beobachtung: Libanesische Großfamilien, denen kriminelle Machenschaften angelastet werden. Das Handelsblatt analysiert den Niedergang des Viertels wie folgt: „Bis in die 1970er Jahre war Marxloh eine beliebte Einkaufs- und Wohngegend. Deutsche und Gastarbeiter lebten hier und arbeiteten zusammen in den Werken. Dann kam es zu einschneidenden Veränderungen: Die Stahlindustrie brach ein, Tausende verloren ihre Jobs. Junge und besser ausgebildete Arbeitskräfte verließen das Viertel. Dies setzte eine urbane Abwärtsspirale in Gang: Durch den Massenabzug fielen die Immobilienpreise. Es blieben die weniger kaufkräftigen Bewohner und Migranten.“16 Seitdem entstanden Moscheen und islamische Kulturvereine, die einen Resonanzboden für radikalislamische Fundamentalisten bildeten. Dies ist umso bedenklicher, als nach Ansicht des Terrorismusexperten Peter Neumann Nordrhein-Westfalen von allen Bundesländern am meisten von der Gefahr des islamistischen Extremismus betroffen ist, da sich die meisten als „Gefährder“ eingestuften Islamisten in Nordrhein-Westfalen niedergelassen haben.17 So wohnt in Bochum der als ehemaliger Leibwächter Osama bin Ladens bekannte Tunesier Sami A., dem Kontakte zu den Attentätern des 11. Septembers nachgesagt werden und den Ermittler als „den Dreh- und Angelpunkt der islamistischen Terror-Szene an der Ruhr“ bezeichneten.18 Der Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, Anis Amri, griff auf diese Strukturen in Nordrhein-Westfalen zurück. Nach Medienberichten hielt er sich insbesondere viel in Dortmund auf, hatte den Schlüssel zu einer islamistischen „Madrasa“ und besuchte zwölf Moscheen.19

Um den gefährlichen Tendenzen entgegenzuwirken, die sich aus der Bildung außerstaatlicher Parallelstrukturen ergeben, wurde von NRW-Justizminister Peter Biesenbach die Einrichtung einer Sonderstaatsanwaltschaft „Bandenkriminalität“ angekündigt. „Die Clanstrukturen zeigen richtige Parallelstrukturen auf. Wir werden das nicht dulden“, erklärte Biesenbach gegenüber der Neuen Ruhr Zeitung vom 07. Februar 2018. „Wir haben es in Duisburg mit 70 relevanten kurdisch-, türkisch- und arabischstämmigen Familien mit mehr als 2800 Personen zu tun“. Vor allem deren männliche Mitglieder würden immer wieder auffällig mit Körperverletzung, Raub, Schutzgelderpressung und Drogenkriminalität. Das Projekt „Tür an Tür mit den Clans“ wird personell beschickt aus den in diesem Jahr genehmigten 1137 zusätzlichen Justizstellen. Da es in die Abteilung Organisierte Kriminalität eingebunden ist, können die beiden Staatsanwälte auch auf Verstärkung zurückgreifen.

Neben diesen spektakulären Vorfällen, die häufig von der Presse aufgegriffen werden, stehen weniger exponierte Vorgänge, die bereits zur Alltagserfahrung in diesen Gefahrenzonen gehören. Die Polizei oder Rettungskräfte gehen ihren Aufgaben nach und werden dabei von Anwohnern oder Passanten attackiert. Dies geschieht besonders häufig, wenn die Polizei Personen in Gewahrsam nehmen will, woraufhin sich dann Angehörige der Großfamilie sowie der Kulturfamilie dieser Personen zusammenrotten, um dies zu verhindern. Die Polizei spricht von sogenannten „Tumultdelikten“. „So etwas findet mittlerweile an fast jedem Wochenende statt“, erklärt Adi Plickert, Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), gegenüber der Neuen Ruhr Zeitung vom 17. April 2018. Plickert verweist dabei besonders auf bestimmte Stadtviertel in einigen Ruhrgebietsstädten und beschreibt die zugrunde liegende Problematik mit den Worten: „Diese Leute akzeptieren den Staat nicht“.20 Diese Aussage wird vom Justizminister bestätigt, der feststellte: „Wir erleben, dass wenige Menschen aus diesen Lebenskreisen deutsche Gerichte in Anspruch nehmen. So verhängen Imame zum Beispiel Geldstrafen.“21

Bei seinem NRW-Besuch am 12. März 2018 erkannte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Notwendigkeit, sich einen persönlichen Eindruck von der Lage in einer der bekanntesten Parallelgesellschaften der Bundesrepublik zu machen. Er besuchte unter anderem die Katholische Grundschule an der Henriettenstraße im Duisburger Stadtteil Marxloh, wo der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund bei 95 Prozent liegt. Ein großer Teil der Schüler hatte bei ihrer Einschulung keinerlei oder nur minimale Deutschkenntnisse. Auf seinem anschließenden Rundgang durch Marxloh nahm der Bundespräsident auch eine Reihe der berüchtigten Schrottimmobilien in Augenschein: „Verwahrloste und dramatisch überbelegte Häuser, in denen vor allem Rumänen leben, die von Kriminellen mit einer Kombination von Tagelöhner-Jobs und Abzocker-Mieten ausgenutzt werden“, wie es in einem Bericht der Rheinischen Post hieß.22

Neben den daraus resultierenden Problemen hat sich die Anzahl antisemitischer Vorfälle in der Öffentlichkeit wie an den Schulen in Nordrhein-Westfalen erhöht. Nach Angaben der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei gab es in NRW im Jahr 2017 240 gemeldete antisemitische Straftaten, wobei die Dunkelziffer weitaus höher liegen dürfte. Die sich häufenden Berichte über Anfeindungen gegenüber jüdischen Schülern bezeichnete Ministerpräsident Armin Laschet als „Alarmsignal“ und fügte hinzu: „Wir werden die Schulgemeinden dabei unterstützen, jeglicher Form von Antisemitismus entgegenzutreten“.23 Dass es selbst in den Einwandererorganisationen Strömungen gibt, die eine Herausbildung von Parallelgesellschaften im Gastland fördern und sogar einfordern, sollte nicht verschwiegen werden. So verbreitete das islamische „Ansar-Service Dialog Forum“ aus Nürnberg die Aufforderung: „Es ist an der Zeit, dass wir uns dazu bekennen, dass wir zu unserem Schutz und zum Schutz unserer Kinder in dem Maße eine Parallelgesellschaft bilden, in dem diese Gesellschaft in moralischer Hinsicht degeneriert“. 24

III.       Zielsetzung

Mit der vom Landtag einzurichtenden Enquete-Kommission „Parallelgesellschaften und drohende No-go-areas. Wie lässt sich die Zukunft des urbanen Raums in Nordrhein-Westfalen für alle Bürger sicherstellen?“ wird das grundsätzliche Ziel verfolgt, die oben beschriebene Entstehung von Parallelgesellschaften und Gefahrenzonen zu analysieren und für die Auflösung derartiger Strukturen geeignete Mittel und Maßnahmen vorzuschlagen. Dabei sind insbesondere Erfahrungen aus anderen Ländern zu berücksichtigen, die schon seit längerer Zeit Erfahrungen mit der Entwicklung sich abschließender Parallelgesellschaften gemacht haben. Während Islamkritiker wie der Politologe Hamed Abdel-Samad grundsätzliche Zweifel an der Integrationsbereitschaft islamistischer Migranten äußern („Es ist eine Illusion, zu glauben, dass man zwei völlig unterschiedliche, sich in bedeutenden Teilen sogar ausschließende Wertesysteme konfliktfrei zur Deckungsgleichheit bringen könnte“25) gibt es Erfahrungen aus anderen Ländern, die in diesem Anliegen zumindest vorübergehende Erfolge aufzuweisen haben.

Die Stadt Mechelen hat die meisten islamischen Zuwanderer in Belgien. In der Stadt leben überdies Migranten mit 138 unterschiedlichen Nationalitäten. Aktuell hat ein Drittel von Mechelens Einwohnern Migrationshintergrund, bei den Kindern ist es gar die Hälfte. Lange Zeit belegte die Stadt in der belgischen Kriminalitätsstatistik die vordersten Plätze. Mit einer Mischung aus Null-Toleranz-Politik und Durchsetzung der staatlichen Autorität sowie ihres Gewaltmonopols, verbunden mit einer massiven Stärkung der Polizeikräfte, einer interkulturell angelegten Stärkung der Integrationsbereitschaft sowie einer baulichen Aufwertung bestehender Problemviertel gilt Mechelen mittlerweile in Belgien als Musterbeispiel gelungener Integration. Aufgrund dessen wurde der seit 2001 amtierende Bürgermeister Bart Somers 2016 von der internationalen Denkfabrik City Mayors Foundation mit der Auszeichnung „World Mayor“ geehrt. Über seine Erfahrungen hat Somers ein vielbeachtetes Buch geschrieben, das 2018 in deutscher Übersetzung erschienen ist. In einem Spiegel-Interview beschrieb Somers seinen Grundansatz folgendermaßen: „Parallelgesellschaften verhindert man auch, indem man dafür sorgt, dass sich die Bewohner armer Viertel als gleichwertige Bürger fühlen. Wer Teil einer Gemeinschaft ist, greift sie nicht an. Wir haben als erstes in Problemvierteln aufgeräumt, die Straßen gereinigt, Spielplätze angelegt und Parks aufgehübscht. Dann bekam die Polizei die besten Autos und die Straßenreinigung moderne Reinigungsgeräte. (…) Als die belgische Regierung irgendwann entschieden hat, weniger Geld für Erziehungsanstalten auszugeben, habe ich gesagt: Dann bezahlen wir das. Die Leute haben mich für verrückt erklärt, weil die Stadt dafür gar nicht zuständig ist, aber Mechelen brauchte das dringend. Denn wenn Kriminelle die Kontrolle im Viertel übernehmen, lassen die Extremisten nicht lange auf sich warten“.26

Ebenfalls um Lösungen in der Frage von Parallelgesellschaften, No-go-Areas und bis dahin gescheiterter gesellschaftlicher Integration bemüht ist die dänische Regierung. So wurde aktuell in Kopenhagen ein Aktionsprogramm beschlossen, das den Titel „Ein Dänemark ohne Parallelgesellschaften – keine Ghettos im Jahr 2030“ trägt. Dem Programm werden von der dänischen Regierung fünf Charakteristika zugrunde gelegt, die Parallelgesellschaften kennzeichnen: eine Mehrheit an Personen mit nichtwestlichem Hintergrund, ein niedriges Ausbildungsniveau, ein niedriges Einkommensniveau, hohe Arbeitslosigkeit und eine hohe Kriminalitätsrate. Erfüllt ein Wohngebiet drei der genannten Kriterien, gilt es für die dänische Regierung als Parallelgesellschaft. Auf Grundlage dieser Kriterien hat die konservativ-liberale Regierung in Kopenhagen 22 Problembezirke in Dänemark benannt, in denen Parallelgesellschaften entstanden sind, welche die Politik beschäftigen.

Wie die dänische Regierung bereits angekündigt hat, zielen die Maßnahmen ihres Aktionsprogramms von der auf die bauliche Umgestaltung von Wohnkomplexen bis zum vollständigen Abriss, um verfestigte Strukturen von Parallelgesellschaften aufzulösen. Zudem sollen Sozialleistungen für Leistungsempfänger, die in die benannten Problemviertel ziehen, gekürzt werden. Kriminellen soll der Umzug dorthin gänzlich untersagt werden und sie sollen leichter aus betroffenen Wohngebieten verwiesen werden können. Derartige Beispiele sind von der Enquete-Kommission „Parallelgesellschaften und drohende No-go-areas“ auf einen möglichen positiven wie negativen Vorbildcharakter für Nordrhein-Westfalen zu überprüfen.

IV .Fragenkomplexe

Wie gesehen beschäftigt die Formierung und Entwicklung von überwiegend „nicht-westlich“ geprägten Parallelgesellschaften die wissenschaftliche und politische Debatte nicht nur in Deutschland allein. Die Migrationsforschung hat eine Reihe von Modellen entwickelt, welche die Integration von Zuwanderern beschreiben sollen. Ob in der Migrationsforschung von „vollständigen“ oder „unvollständigen“ Parallelgesellschaften gesprochen wird, unstrittig ist die Prämisse, dass Parallelgesellschaften massive Hemmnisse auf dem Weg einer gelungenen Integration darstellen. Neben der Bosbach-Kommission, die von der Landesregierung den Auftrag erhalten hat, die interne Sicherheitsarchitektur zu überprüfen und Verbesserungsvorschläge zur unmittelbaren Verbesserung der Gefahrenlage vorzulegen, sollen in der Enquete-Kommission darüber hinaus gehende langfristige Fragestellungen mit Expertenhilfe durchdrungen und Handlungsempfehlungen ausgearbeitet werden.

1. Gibt es in Nordrhein-Westfalen eine Entwicklung hin zu Parallelgesellschaften oder weg von ihr?

2. Welche Faktoren begünstigen die siedlungsräumliche Segregation in Stadtteilen, in denen Migranten eine prägende Mehrheit ausmachen, die eine gemeinsame nationale, kulturelle oder regionale Herkunft verbindet bzw. eine gemeinsame religiöse Identität von der sie umgebenden Mehrheitsgesellschaft unterscheidet?

3. Welchen Einfluss könnten institutionelle Rahmenbedingungen wie stadtplanerische, sozialstaatliche wie rechtliche Entscheidungen auf die Konstituierung von Parallelgesellschaften nehmen?

4. Welche weiteren Instrumente stehen der Landespolitik zur Verfügung, um Segregation und ethnische Quartiersbildung zu verhindern bzw. stark abzumildern?

5. Ab welcher Entwicklungsstufe gefährden Parallelgesellschaften den sozialen Zusammenhalt in einem größeren Gebilde?

6. Welche Erfahrungen aus dem Ausland in der Unterbindung von Parallelgesellschaften und drohenden No-go-areas lassen sich nutzbringend auf Nordrhein-Westfalen übertragen?

7. Welche Erfahrungen einer gelingenden Integration lassen sich auf die aktuelle Situation in Nordrhein-Westfalen übertragen?

8. Inwieweit sind unterschiedliche Religionszugehörigkeiten Katalysatoren oder Hemmnis der Integration und welche Integrationsperspektiven lassen sich daraus ableiten?

9. Welche Wirkung hat ein starkes migrantisches Kollektiv auf die Integration des Einzelnen in der Mehrheitsgesellschaft?

10. Welche generationsspezifischen Merkmale prägen die aktuelle Migrationssituation in Nordrhein-Westfalen?

11. Wieso sind die einen Migrantengruppen (etwa Spätaussiedler) besser integriert als andere?

12. Wie lassen sich verfestigte antisemitische Stereotypen auflösen, damit jüdische Gemeinden nicht länger mit der Gefahr einer wachsender Ausgrenzung und Bedrohung ihrer Mitglieder in NRW konfrontiert sind?

13. Welche Wirkung hat die soziale Kontrolle auf die Moral und Integrationswilligkeit der Zugewanderten?

14. Gibt es Tendenzen im Islam, die eine Integration von Muslimen in die europäische Gesellschafts-und Staatsordnung ausschließen, sodass Muslime vor einem Dilemma stehen, sich für das eine oder das andere Lebensmodell entscheiden zu müssen?

15. Welche Wirkung haben mühelos zu erhaltende staatliche Leistungen auf die Unzufriedenheit und Integrationsverweigerung von Zugewanderten?

16. Wie lässt sich die Integrationswilligkeit bei denen stärken, die berechtigt sind, in Deutschland zu bleiben?

17. Welche Mindestanforderungen müssen an die zu erwartenden Integrationsleistungen gerichtet sein, dass die Entstehung von Parallelgesellschaften bereits im Ansatz verhindert werden kann?

18. Ist das sozialstaatliche Verhältnis von Fördern und Fordern für Bewohner von problematischen Stadtteilen zu verändern, die einerseits von Transferleistungen der Gemeinschaft leben, anderseits aber nicht bereit sind, sich in diese Gesellschaft zu integrieren?

19. Welche Maßnahmen lassen sich präventiv treffen, um zu verhindern dass Duisburg-Marxloh, die Dortmunder Nordstadt oder weitere problematische Stadtteile in Nordrhein-Westfalen zu einem zweiten Molenbeek werden?

20. Wie ist der Staat wieder in die Lage zu versetzen, seiner „edelsten Aufgabe“, für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen, vollumfänglich, überall und jederzeit nachzukommen?

V. Der Landtag beschließt:

Der Landtag setzt mit Wirkung zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine Enquete-Kommission nach § 61 der Geschäftsordnung des Landtages ein, in der die Fraktionen nach Maßgabe von § 61 Abs. 2 Geschäftsordnung vertreten sind.

Der Kommission werden für die Dauer ihrer Tätigkeit sowie für ihre angemessenen vor- und nachbereitende Arbeiten je ein Mitarbeiter des höheren und des gehobenen Dienstes sowie eine Schreibkraft zur Verfügung gestellt. Wahlweise ist eine Abrechnung des tatsächlichen entstehenden Personalaufwandes oder die Gewährung eines Pauschbetrages je angefangenen Monat der Tätigkeit der Kommission möglich. Den Fraktionen werden die Kosten für einen Mitarbeiter des höheren Dienstes und die Kosten in halber Höhe für eine Schreibkraft erstattet und entsprechende technische Ausstattung und Büroräume zur Verfügung gestellt.

Die Enquete-Kommission soll die unter III. beschriebene Zielsetzung verfolgen und dabei die unter IV. genannten Fragekomplexe gezielt berücksichtigen.

Die Enquete-Kommission hört Expertinnen und Experten an, kann Forschungsaufträge erteilen und Studienfahrten bzw. Ortsbesichtigungen durchführen. Die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen sind im Haushalt zu schaffen.

Helmut Seifen
Markus Wagner
Andreas Keith
und Fraktion

 

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1 RTL am 26.02.2018 online unter https://www.rtl.de/cms/angela-merkel-uebernehmen-regierungsarbeit-aus-voller-ueberzeugung-4144320.html (abgerufen am 23.05.2018)

2 https://www.youtube.com/watch?v=MLlZLpMzquw (abgerufen am 24.05.2018)

3 Vgl. Thomas Meyer, Parallelgesellschaft und Demokratie, in: ders./Reinhard Weil (Hrsg.), Die Bürgergesellschaft. Perspektiven für Bürgerbeteiligung und Bürgerkommunikation, Bonn 2002, S. 343-372. Vgl. auch Robert Kecskes, Die starken Gründe unter sich zu bleiben. Zur Begründung und Entstehung ethnisch homogener sozialer Netzwerke unter türkischen Jugendliche, in: Zeitschrift für Türkeistudien, 2001, S. 180.

4 https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.hoechste-sicherheit-in-stuttgart-stammheim-osmanen-prozess-orgien-der-gewalt.95e66d6a-3320-4905-85e0-1b8603766bb2.html

5 Douglas Murray, Der Selbstmord Europas: Immigration, Identität, Islam, München 2018. Vgl. auch Regina Mönch, Saat der Gewalt? Integrations- und Erziehungsprobleme in Parallelgesellschaften, Akademie für Politische Bildung Tutzing, München 2008.

6 Detlef Pollack (Hrsg.), Integration und Religion aus der Sicht von Türkeistämmigen in Deutschland. Repräsentative Erhebung von TNS Emnid im Auftrag des Exzellensclusters „Religion und Politik“ der Universität Münster, Münster 2016, S. 14.

7 Ebd. Siehe auch Hamed Abdel-Samad, Integration. Ein Protokoll des Scheitern, München 2018, S.28.

8 Ebd., S.11. Zur zunehmenden Religiosität im Zeitverlauf von Migrantengenerationen siehe auch Dirk Halm/Martina Sauer, Parallelgesellschaft und ethnische Schichtung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 2006, Nr. 1-2, S. 21f.

9 Patrick Ernst Sensburg, Neue Kriminalitätsphänomene oder Zeichen von Parallelgesellschaften?, Deutsche Richterzeitung Februar 2016, S. 49.

10 Thomas Meyer, Parallelgesellschaft und Demokratie, in: ders./Reinhard Weil (Hrsg.), Die Bürgergesellschaft, Bonn 2002, S. 345f.

11 Murray, Der Selbstmord Europas, München 2018, S.28. Der auf die Problembeschreibung folgende landesweite Proteststurm, der vor allem von Migrantenorganisationen angeführt wurde, zeitigte, dass Honeyford die Leitung seiner Schule entzogen wurde und er für immer aus dem Schuldienst ausscheiden musste.

12 Wilhelm Heitmeyer, Für türkische Jugendliche in Deutschland spielt der Islam eine wichtige Rolle. Erste empirische Studien: 27 Prozent befürworten Gewalt zur Durchsetzung religiöser Ziele, in: DIE ZEIT v. 23.08.1996.

13 Paris Attacks: The Violence, Its Victims and How the Investigation Unfolded, in: New York Times v. 20.11.2015.

14 http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/no-go-area-duisburg-marxloh-polizei-warnt-vor-zusammenbruch-der-oeffentlichen-ordnung/12207662-2.html (abgerufen am 30.05.2018)

15 Interview Michael Mertens „Es gibt Bereiche, in die Polizisten nicht alleine gehen“. Der neue Chef der Gewerkschaft der Polizei in NR fordert robustere Auftritte, mehr Stellen und klare Präsenz in No-go-Areas, in: Rheinische Post v. 25.04.2018.

16 http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/no-go-area-duisburg-marxloh-polizei-warnt-vor-zusammenbruch-der-oeffentlichen-ordnung/12207662-2.html (abgerufen am 30.05.2018)

17 Siehe Aachener Nachrichten v. 24.04.2018 „Terrorforscher: Radikale Moscheen konsequent schließen. Peter Neumann sieht NRW vom Jihadismus „überproportional betroffen“.

18 So erhält der Gefährder monatliche Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Höhe von 1.167 Euro wie die Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Helmut Seifen und Nic Peter Vogel, AfD (Drucksache 17/221) ergeben hat.

19 https://ruhrnachrichten.atavist.com/die-gruppe-um-anis-amri-in-dortmund (abgerufen am 30.05.2018)

20 Neue Ruhr Zeitung v. 17.04.2018.

21 https://www1.wdr.de/nachrichten/ruhrgebiet/justizzentrum-gegen-extremismus-eroeffnet-in-essen-100.html (abgerufen am 30.05.2018)

22 http://www.rp-online.de/politik/deutschland/besuch-in-nrw-frank-walter-steinmeier-will-auch-die-problemviertel-sehen-aid-1.7449474 (abgerufen am 30.05.2018)

23 Kölnische Rundschau v. 12.04.2018, S.1.

24 Zitiert nach Kerstin E. Finkelstein, Eingewandert. Deutschlands „Parallelgesellschaften“, Berlin 2006, S. 197.

25 Hamed Abdel-Samad, Integration. Ein Protokoll des Scheitern, München 2018, S. 23. Vgl. auch Bart Somers, Zusammenleben, München 2018.

26 http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/mechelen-wie-bart-somers-die-dreckigste-stadt-belgiens-gerettet-hat-a-1191163.html (abgerufen am 30.05.2018)