Kleine Anfrage 2736
des Abgeordneten Carlo Clemens AfD
Einschulung mit fünf – wie viele Kinder und Familien sind seit Verschiebung des Einschulungsstichtages betroffen?
Seit 2011 ist der Einschulungsstichtag in Nordrhein-Westfalen der 30. September. Gemäß § 35 Abs. 1 SchulG NRW werden Kinder, die bis zum 30. September ihr sechstes Lebensjahr vollendet haben, zum 1. August desselben Kalenderjahres schulpflichtig. Laut § 35 Abs. 3 S. 1 SchulG NRW ist eine Zurückstellung von Kindern nur möglich, wenn erhebliche gesundheitliche Einschränkungen beim einzuschulenden Kind vorlägen.
Wurde das Kind aber zwischen dem 2. August und dem 30. September geboren, kann es zu einer Einschulung noch im fünften Lebensjahr kommen. Die Einschulung erfolgt dabei unabhängig davon, ob eine tatsächliche Reife vorliegt oder nicht. Die Eltern des Kindes haben hier kein Mitspracherecht. Da August und September zu den geburtenstärksten Monaten zählen, steht zu vermuten, dass seit Jahren unzählige Kinder und ihre Familien von einer vorzeitigen Einschulung gegen ihren Willen betroffen sind.1
Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:
- Wie viele Kinder sind im Schuljahreszeitraum von 2011 bis 2023 aufgrund der bestehenden Stichtagsregelung vor Vollendung des sechsten Lebensjahres eingeschult worden (bitte aufschlüsseln nach Geburtsjahr und Geburtsmonat, Schulstandort und Zeitpunkt der Einschulung)?
- Wie viele der in Frage 1 umfassten Kinder mussten im Primarbereich ein Schuljahr wiederholen (bitte aufschlüsseln nach Schulklasse, die wiederholt werden musste)?
- Sind der Landesregierung kritische Rückmeldungen und Probleme von Schulen und Lehrkräften bzgl. der schulisch-kognitiven bzw. psychisch-emotionalen Fähigkeiten von Kindern, die aufgrund der Stichtagsregelung vor dem sechsten Lebensjahr eingeschult werden, bekannt?
- Sind der Landesregierung kritische Rückmeldungen und Probleme von betroffenen Eltern bzgl. der schulisch-kognitiven bzw. psychisch-emotionalen Fähigkeiten von Kindern, die aufgrund der Stichtagsregelung vor dem sechsten Lebensjahr eingeschult werden, bekannt?
- Besteht innerhalb der Landesregierung die Überlegung, den Einschulungsstichtag vorzuschieben bzw. einen Einschulungskorridor einführen, um eine Einschulung vor Vollendung des sechsten Lebensjahres lediglich auf freiwilliger Basis zu ermöglichen?
Carlo Clemens
1 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/880791/umfrage/anzahl-der-geburten-in-deutschland-nach-monaten/.
Die Ministerin für Schule und Bildung hat die Kleine Anfrage 2736 mit Schreiben vom 30.November 2023 namens der Landesregierung beantwortet.
- Wie viele Kinder sind im Schuljahreszeitraum von 2011 bis 2023 aufgrund der bestehenden Stichtagsregelung vor Vollendung des sechsten Lebensjahres eingeschult worden (bitte aufschlüsseln nach Geburtsjahr und Geburtsmonat, Schulstandort und Zeitpunkt der Einschulung)?
Nachdem der Einschulungsstichtag im Jahr 2011 auf den 30. September festgesetzt und von einem weiteren Vorziehen abgesehen wurde, wurde in den Schuljahren 2011/2012 bis 2014/2015 das Einschulungsalter mittels Geburtsmonat und Geburtsjahr der Schülerinnen und Schüler mit den Amtlichen Schuldaten erhoben. Dadurch lässt sich für diese Schuljahre feststellen, wie viele Kinder im August und September des jeweiligen Schuljahres noch fünf Jahre alt waren. Mit dem Schuljahr 2015/2016 wurde diese Erhebung durch die damalige Landesregierung eingestellt. Die Daten zu den Schuljahren 2011/2012 bis 2014/2015 finden Sie in der Anlage.
- Wie viele der in Frage 1 umfassten Kinder mussten im Primarbereich ein Schuljahr wiederholen (bitte aufschlüsseln nach Schulklasse, die wiederholt werden musste)?
Da mit den Amtlichen Schuldaten nur Summendaten der Schülerinnen und Schüler erhoben werden, für die Beantwortung der Frage aber schuljahresübergreifende Individualdaten notwendig wären, liegen dem Ministerium für Schule und Bildung keine geeigneten Daten zur Beantwortung der Frage vor.
- Sind der Landesregierung kritische Rückmeldungen und Probleme von Schulen und Lehrkräften bzgl. der schulisch-kognitiven bzw. psychisch-emotionalen Fähigkeiten von Kindern, die aufgrund der Stichtagsregelung vor dem sechsten Lebensjahr eingeschult werden, bekannt?
Mit der Möglichkeit einer Zurückstellung gem. § 35 Absatz 3 Schulgesetz NRW kann aus erheblichen gesundheitlichen Gründen der Schulbesuch zunächst ausgesetzt werden. In diesem Rahmen werden die individuellen Bedürfnisse und Lernentwicklungsvoraussetzungen der Kinder berücksichtigt. Bei der Entscheidung über eine Zurückstellung vom Besuch der Grundschule sind auch eventuelle weitere, von den Eltern beigebrachte fachärztliche oder fachtherapeutische Stellungnahmen, die erhebliche Anhaltspunkte mit einem belegten gesundheitlichen Bezug für eine Zurückstellung enthalten, zu berücksichtigen. Dabei können auch präventive Gesichtspunkte mit einbezogen werden.
Die Rückmeldungen von Schulen und Lehrkräften fallen positiv aus. Auch weiterhin wird dieses Themenfeld von der Schulaufsicht im engen Austausch begleitet und erfolgreich gemeinsam gestaltet.
- Sind der Landesregierung kritische Rückmeldungen und Probleme von betroffenen Eltern bzgl. der schulisch-kognitiven bzw. psychisch-emotionalen Fähigkeiten von Kindern, die aufgrund der Stichtagsregelung vor dem sechsten Lebensjahr eingeschult werden, bekannt?
Das Ministerium erreichen hierzu in geringem Umfang Eingaben von Eltern. Im Regelfall erfolgen diese Eingaben im Vorfeld der Anmeldung an Grundschulen, also noch vor Durchführung eines eventuellen Verfahrens zur Zurückstellung vom Schulbesuch.
Die Eltern werden im Verfahrensgang einer Zurückstellung gemäß § 35 Absatz 3 Satz 3 Schulgesetz NRW angehört und können darüber hinaus selbst einen Antrag auf Zurückstellung einreichen. Im Falle der Ablehnung eines Antrags stehen den Eltern das Rechtsmittel des Widerspruchs und ggf. der Verwaltungsrechtsweg zur Verfügung.
Über 97 Prozent der Verfahren werden zugunsten der Zurückstellung entschieden.
- Besteht innerhalb der Landesregierung die Überlegung, den Einschulungsstich-tag vorzuschieben bzw. einen Einschulungskorridor einführen, um eine Einschulung vor Vollendung des sechsten Lebensjahres lediglich auf freiwilliger Basis zu ermöglichen?
Jegliche Veränderung des Einschulungsstichtages würde eine Änderung des Schulgesetzes NRW (§ 35 Absatz 1) erfordern. Ein entsprechender Gesetzentwurf der Landesregierung ist derzeit nicht beabsichtigt.