Einstufungen des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes und dienstrechtliche Konsequenzen

Kleine Anfrage
vom 11.03.2020

Kleine Anfrage 3454der Abgeordneten Markus Wagner und Andreas Keith vom 11.03.2020

 

Einstufungen des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes und dienstrechtliche Konsequenzen

Medienberichten zufolge beobachtet der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz gegenwärtig rund 1000 Mitglieder des Landesverbandes der Alternative für Deutschland, die mutmaßlich – so die Berichterstattung weiter – einer parteiinternen Strömung zugerechnet werden.1

Dem von etablierten Politikern und Medien absichtsvoll erzeugten Bedrohungsszenario, wonach eine Mitgliedschaft in der bedeutendsten Oppositionskraft und das Beamtentum unvereinbar seien, widersprach der Landesvorsitzende des Thüringer Beamtenbundes allerdings deutlich. Er wird von den Medien mit folgenden Worten zitiert:

„Die AfD-Mitgliedschaft alleine ist kein Hinderungsgrund, den Beamtenstatus nicht ausüben zu können, solange es sich um eine Partei handelt, die zugelassen ist und nicht verboten ist.“

Darüber hinaus heißt es in demselben Bericht über den Sachzusammenhang von Beobachtungsmaßnahmen durch Verfassungsschutzbehörden, einer Mitgliedschaft in der AfD beziehungsweise einer Funktionärstätigkeit für diese und dem Beamtenstatus:

„Auch das Bundesinnenministerium bestätigt MDR AKTUELL: Durch die bloße Beobachtung eines AfD-Funktionärs durch den Verfassungsschutz ändere sich mit Blick auf den Beamtenstatus nichts – das sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.“2

Wir fragen daher die Landesregierung:

1. Wie viele Mitglieder des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen der Alternative für Deutschland werden gegenwärtig von der nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzbehörde beobachtet? (Die Antwort bitte derart aufschlüsseln, dass deutlich wird, wie viele Mitglieder, im Rahmen welcher Beobachtungsstufe eines Personenzusammenschlusses oder einer Teilmenge davon betroffen sind).

2. Wird der Landesverband NRW der Jungen Alternative für Deutschland (JA NRW) durch die nordrhein-westfälische Verfassungsschutzbehörde als eigenständiger Verdachtsfall oder als eigenständiges Beobachtungsobjekt eingestuft, oder ist er ausschließlich als Teil des Bundesverbandes von Maßnahmen der Verfassungsschutzbehörden betroffen?

3. Handelt es sich bei den unter Ziffer 1. erfragten, unter Beobachtung stehenden Mitgliedern ausschließlich um jene, die zeitgleich der innerparteilichen Strömung „Der Flügel“ und/oder der Jungen Alternative für Deutschland zuzurechnen sind?

4. Welche in § 5 VSG NRW normierten (nachrichtendienstlichen) Befugnisse sind vor dem Hintergrund der aktuellen Beobachtungsstufe zur Gewinnung von Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen über Mitglieder und Strukturen der AfD NRW grundsätzlich anwendbar? (Hinweis: Es wird dezidiert keine Aussage über geheimhaltungsbedürftige konkrete Maßnahmen erwartet, sondern eine grundsätzliche und abstrakte verfassungsschutzrechtliche Einordnung erbeten).

5. Haben Mitglieder der AfD NRW, die zugleich Landesbeamte oder Landesangestellte im öffentlichen Dienst sind, ausschließlich aufgrund einer Kandidatur bei der nordrhein-westfälischen Kommunalwahl dienstrechtliche Konsequenzen zu befürchten?

Markus Wagner
Andreas Keith

 

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1 RP Online (2020): Verfassungsschutz beobachtet 1000 AfDler in NRW; online im Internet: https://rp-online.de/nrw/landespolitik/afd-in-nrw-verfassungsschutz-beobachtet-1000-mitglieder_aid-49093029#successLogin.

2 Beide direkten Zitate sind aus nachfolgender Quelle entnommen: MDR (2020): AfD-Mitgliedschaft kein Grund für Ausschluss; online im Internet: https://www.mdr.de/nachrichten/politik/inland/afd-funktionaere-im-oeffentlichen-dienst-100.html.


Nachfolgend die Antwort der Landesregierung, verfasst am 08.04.2020

 

Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 3454 mit Schreiben vom 8. Mai 2020 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen beantwortet.

Vorbemerkung der Landesregierung

Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen kann Informationen über verfassungsfeindliche Bestrebungen sammeln und auswerten, soweit tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht solcher Bestrebungen vorliegen. Eine Bestrebung bezeichnet dabei politisch bestimmte, ziel-und zweckgerichtete Verhaltensweisen, die sich gegen die Schutzgüter des § 3 Abs. 1 des Verfassungsschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen (VSG NRW) richten. Tatsächliche Anhaltspunkte sind konkrete Umstände und keine Vermutungen. Es kann sich um erste oder verdichtete Anhaltspunkte handeln. Ob und in welcher Weise eine Beobachtung verfassungsfeindlicher Bestrebungen durch den Verfassungsschutz erfolgt, ist jeweils im Einzelfall unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu entscheiden.

Begriffe wie „Prüffall“ und „Verdachtsfall“ sind keine Rechtsbegriffe im Sinne des VSG NRW. Sie geben lediglich eine Orientierung über den Grad des Verdachts auf eine verfassungsfeindliche Bestrebung. Der „Prüffall“ bezeichnet dabei, dass erste tatsächliche Anhaltspunkte für eine solche Bestrebung vorliegen. Der „Verdachtsfall“ bringt zum Ausdruck, dass sich die tatsächlichen Anhaltspunkte bereits verdichtet haben. Als dritte Fallgestaltung gibt es die „festgestellte Bestrebung“. Der Begriff „Beobachtungsobjekt“ stellt die übergeordnete Kategorie für den „Verdachtsfall“ und die „festgestellte Bestrebung“ dar.

1. Wie viele Mitglieder des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen der Alternative für Deutschland werden gegenwärtig von der nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzbehörde beobachtet? (Die Antwort bitte derart aufschlüsseln, dass deutlich wird, wie viele Mitglieder, im Rahmen welcher Beobachtungsstufe eines Personenzusammenschlusses oder einer Teilmenge davon betroffen sind).

Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz beobachtet die verfassungsfeindlichen Aktivitäten der Mitglieder des rechtsextremistischen innerparteilichen Personenzusammenschlusses „Der Flügel“. Diesem werden in Nordrhein-Westfalen ca. 1.000 Personen zugerechnet.

2. Wird der Landesverband NRW der Jungen Alternative für Deutschland (JA NRW) durch die nordrhein-westfälische Verfassungsschutzbehörde als eigenständiger Verdachtsfall oder als eigenständiges Beobachtungsobjekt eingestuft, oder ist er ausschließlich als Teil des Bundesverbandes von Maßnahmen der Verfassungsschutzbehörden betroffen?

Der Landesverband der Jungen Alternative für Deutschland (JA NRW) ist kein eigenständiges Beobachtungsobjekt des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes.

3. Handelt es sich bei den unter Ziffer 1. erfragten, unter Beobachtung stehenden Mitgliedern ausschließlich um jene, die zeitgleich der innerparteilichen Strömung „Der Flügel“ und/oder der Jungen Alternative für Deutschland zuzurechnen sind?

Die Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln seitens des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes betrifft den Personenzusammenschluss „Der Flügel“ (vgl. Antwort zu Frage 1).

4. Welche in § 5 VSG NRW normierten (nachrichtendienstlichen) Befugnisse sind vor dem Hintergrund der aktuellen Beobachtungsstufe zur Gewinnung von Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen über Mitglieder und Strukturen der AfD NRW grundsätzlich anwendbar? (Hinweis: Es wird dezidiert keine Aussage über geheimhaltungsbedürftige konkrete Maßnahmen erwartet, sondern eine grundsätzliche und abstrakte verfassungsschutzrechtliche Einordnung erbeten).

Gemäß § 5 Absatz 3 Verfassungsschutzgesetz Nordrhein-Westfalen (VSG NRW) darf die Verfassungsschutzbehörde zur Informationsbeschaffung nachrichtendienstliche Mittel im Sinne des § 5 Absatz 2 VSG NRW insbesondere dann einsetzen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass auf diese Weise Erkenntnisse über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach § 3 Absatz 1 VSG NRW gewonnen werden können. Das Gesetz macht den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel dabei nicht von bestimmten Beobachtungsstufen abhängig. Ob und welche nachrichtendienstlichen Mittel zum Einsatz kommen, ist vielmehr im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung der Ausprägung des Verdachts auf verfassungsfeindliche Bestrebungen, des konkreten nachrichtendienstlichen Mittels, der für dieses gegebenenfalls geltenden spezifischen Eingriffsvoraussetzungen und der Verhältnismäßigkeit zu entscheiden.

5. Haben Mitglieder der AfD NRW, die zugleich Landesbeamte oder Landesangestellte im öffentlichen Dienst sind, ausschließlich aufgrund einer Kandidatur bei der nordrhein-westfälischen Kommunalwahl dienstrechtliche Konsequenzen zu befürchten?

Entscheidend für dienstrechtliche Konsequenzen gegenüber Beamtinnen und Beamten ist ihr individuelles Verhalten unabhängig von der Mitgliedschaft oder der Übernahme von Ämtern innerhalb einer Partei. Allerdings können Aktivitäten für eine materiell verfassungsfeindliche, aber nicht verbotene Partei oder Organisation Zweifel an der Verfassungstreue (politische Treuepflicht) einer Beamtin oder eines Beamten begründen und Anlass zur Einleitung disziplinarischer Maßnahmen bieten. Ein Indiz für Zweifel an der Verfassungstreue können herausgehobene Funktionsämter oder Wahlkandidaturen darstellen, die eine Beamtin oder ein Beamter für eine Partei oder Organisation wahrnimmt, die vom Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich eingestuft wurde.

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst des Landes sind durch § 3 Absatz 1 Satz 2 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) verpflichtet, sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen. Diese Verpflichtung bezieht sich sowohl auf innerdienstliches als auch auf außerdienstliches Verhalten. Die Anforderungen richten sich nach der jeweiligen Funktion der Beschäftigten, ihrem Aufgabenbereich und dem Aufgabenbereich ihrer Dienststelle. Das Bundesarbeitsgericht hat in ständiger Rechtsprechung zu dieser sogenannten Funktionstheorie Kriterien entwickelt, wann arbeitsrechtliche Konsequenzen zulässig sind. Anhand dieser Kriterien wären vorliegend in jedem Einzelfall etwaige arbeitsrechtliche Konsequenzen zu prüfen.

 

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