Kleine Anfrage 3237der Abgeordneten Markus Wagner und Sven W. Tritschler vom 10.12.2019
Entführungen durch den türkischen Geheimdienst
Die Zeitung „Die Welt“ berichtet über Entführungen von Kritikern des Erdogan-Regimes durch den türkischen Geheimdienst MIT im Ausland1. Diese Operationen haben bereits in mehreren Ländern, zum Beispiel in Albanien, Moldawien, Malaysia und Kasachstan, der Ukraine, Pakistan stattgefunden. Es kam dabei wohl auch zu einer Zusammenarbeit mit ausländischen Sicherheitsdiensten. Allerdings scheinen Entführungen auch ohne Kenntnis des jeweils anderen Staates durchgeführt worden zu sein.
Der türkische Präsident Erdogan habe außerdem defundieren lassen, dass es auch in Europa weitere solcher Geheimaktionen geben werde.2
Bei diesen Entführungen kommen laut „Die Welt“ die Flugzeuge eines Unternehmens zum Einsatz, das seinen Sitz im abgeschlossenen Gebäudekomplex des türkischen Geheimdienstes MIT in Ankara hat. Bei den Aktionen sollen insbesondere die zwei Bombardier-CL-600 Flugzeuge mit der Kennung TC-KLE und TT4010 genutzt werden. Das Flugzeug mit der Kennung TC-KLE war anscheinend auch bei Erdogans letztem Besuch am 27. September 2018 in Berlin. Der Chef des türkischen Geheimdienstes MIT scheint dieses Flugzeug in der Vergangenheit höchstpersönlich genutzt haben. Die Kennung für dieses Flugzeug wurde von TC-KLE auf TC-BYR geändert.
Wir fragen daher die Landesregierung:
1. Welche Kenntnisse hat die Landesregierung über Geheimoperationen der türkischen Geheimdienste, beziehungsweise von ihnen beeinflussten Organisationen des türkischen Staates (Rockergruppierungen, DiTiB etc.) und deren Planung in NRW?
2. Wie viele Entführungsversuche hat es in NRW durch ausländische Geheimdienste in den letzten 5 Jahren gegeben? Bitte nach Land des Geheimdienstes, Ort, Zeitpunkt und kurzer Detailbeschreibung der Entführung aufschlüsseln.
3. Welche Kontakte gab es von Mitgliedern der Landesregierung und von Beamten des Landes Nordrhein-Westfalen zu türkischen Geheimdiensten und anderen türkischen Sicherheitsbehörden in den letzten fünf Jahren? Bitte nach Ort, Zeit, Sicherheitsbehörde, Personen und Inhalten der Gespräche aufschlüsseln.
4. Wie oft waren die im „Welt“-Artikel aufgeführten Flugzeuge der Firma aus Ankara, insbesondere die zwei mit den Kennungen TC-KLE/TC-BYR und TT4010, in den letzten 5 Jahren auf Flughäfen in NRW?
5. In welchem Umfang hat die Landesregierung (zusätzliche) Sicherungsmaßnahmen für in NRW lebende Regimekritiker aufgrund der Bedrohung durch das Erdogan-Regime, seine Geheimdienste und andere vom Regime beeinflusste Organisationen (z.B. Rocker) getroffen? Bitte nach Ort, Beschreibung der Maßnahme (z.B. Personenschutz) und Zeitpunkt aufschlüsseln.
Markus Wagner
Sven W. Tritschler
Nachfolgend die Antwort der Landesregierung, verfasst am 10.01.2020
Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 3237 mit Schreiben vom 10. Januar 2020 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Ministerpräsidenten sowie allen übrigen Mitgliedern der Landesregierung beantwortet.
1. Welche Kenntnisse hat die Landesregierung über Geheimoperationen der türkischen Geheimdienste, beziehungsweise von ihnen beeinflussten Organisationen des türkischen Staates (Rockergruppierungen, DiTiB etc.) und deren Planung in NRW?
Zur Erkenntnislage der Landesregierung über Geheimoperationen des türkischen Geheimdienstes bzw. von ihm beeinflusster Organisationen des türkischen Staates und deren Planung in Nordrhein-Westfalen wird auf die Ausführungen im Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen für das Jahr 2018 S. 286f. verwiesen.
Darüber hinaus wurde im Dezember 2016 bekannt, dass verschiedene Generalkonsulate der türkischen Republik Informationen über in Deutschland lebende mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung gesammelt und in die Türkei weitergeleitet haben. Die Informationssammlung erfolgte auf Anweisung der türkischen Religionsbehörde DIYANET u. a. von Imamen des türkisch-islamischen Dachverbandes DITIB. Der Generalbundesanwalt hat ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit geführt. Die Ermittlungen gegen die in DITIB-Moscheen tätigen islamischen Geistlichen wurden jedoch im Dezember 2017 eingestellt. Zu einer unmittelbaren Zusammenarbeit in dieser Angelegenheit zwischen DITIB und dem türkischen Nachrichtendienst MIT liegen keine Erkenntnisse vor.
2. Wie viele Entführungsversuche hat es in NRW durch ausländische Geheimdienste in den letzten 5 Jahren gegeben? Bitte nach Land des Geheimdienstes, Ort, Zeitpunkt und kurzer Detailbeschreibung der Entführung aufschlüsseln.
In den letzten 5 Jahren sind in Nordrhein-Westfalen keine Entführungsversuche durch einen ausländischen Geheimdienst bekannt geworden.
3. Welche Kontakte gab es von Mitgliedern der Landesregierung und von Beamten des Landes Nordrhein-Westfalen zu türkischen Geheimdiensten und anderen türkischen Sicherheitsbehörden in den letzten fünf Jahren? Bitte nach Ort, Zeit, Sicherheitsbehörde, Personen und Inhalten der Gespräche aufschlüsseln.
Zur aufgeführten Frage liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. Im Übrigen führen grundsätzlich das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt den erforderlichen Dienstverkehr mit Nachrichtendiensten anderer Staaten.
4. Wie oft waren die im „Welt“-Artikel aufgeführten Flugzeuge der Firma aus Ankara, insbesondere die zwei mit den Kennungen TC-KLE/TC-BYR und TT4010, in den letzten 5 Jahren auf Flughäfen in NRW?
Hierzu liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor.
5. In welchem Umfang hat die Landesregierung (zusätzliche) Sicherungsmaßnahmen für in NRW lebende Regimekritiker aufgrund der Bedrohung durch das Erdogan-Regime, seine Geheimdienste und andere vom Regime beeinflusste Organisationen (z.B. Rocker) getroffen? Bitte nach Ort, Beschreibung der Maßnahme (z.B. Personenschutz) und Zeitpunkt aufschlüsseln.
Im Rahmen der Aufnahme von Asylsuchenden in Nordrhein-Westfalen wird geprüft, ob im Hinblick auf diese Personen besondere Maßnahmen erforderlich sind. Dieses Vorgehen ist in örtlicher und zeitlicher Hinsicht nicht beschränkt.
Die Sicherheitsbehörden des Landes Nordrhein-Westfalen gewinnen darüber hinaus fortwährend sicherheitsrelevante Erkenntnisse. Diese sind Grundlage der Beurteilung der Gefährdungslage und darauf basierender Schutzmaßnahmen. Die Beurteilung der Gefährdungslage wird von den Kreispolizeibehörden vorgenommen. Hierin fließt neben den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden der Länder und des Bundes auch die regionale Sicherheitslage ein. Polizeiliche Maßnahmen des Personen- und Objektschutzes werden auf der Grundlage der bundeseinheitlichen Regelungen der Polizeidienstvorschrift „Personen- und Objektschutz“ PDV 129 (VS-NfD) durchgeführt. Danach umfasst der Personen- und Objektschutz alle Maßnahmen, die zur Verhinderung oder Abwehr von Angriffen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, Willens- und Handlungsfreiheit von gefährdeten Personen bzw. gegen gefährdete Objekte getroffen werden.