Kleine Anfrage 3378des Abgeordneten Markus Wagner vom 05.02.2020
Entgrenzungsdynamiken im Phänomenbereich des Linksextremismus und linksgrün-linksextreme Mischszenen im Jahr 2019
Für das Berichtsjahr 2018 konnte der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz feststellen, dass es linksextremen Bestrebungen, wie der Interventionistischen Linken (IL), erneut gelungen ist, in demokratisch-linke (Protest-)Milieus hineinzuwirken:
„Als ein Ergebnis der massenhaften Mobilisierung bürgerlicher Klimaschützer im Anschluss an die Baumhausräumungen im Hambacher Forst ist es bei der Großaktion gelungen, viele dieser Akteure zu radikalisieren und zu rechtswidrigen Taten zu verleiten. Ein Beispiel ist die rund 36-stündige Gleisblockade der Hambachbahn durch mehr als 1.500 Personen.“1
Linksextremisten haben es im Jahr 2018 in Nordrhein-Westfalen vermocht, Teile des demokratisch-linken Spektrums zu beeinflussen, zu instrumentalisieren oder zu radikalisieren.2
Derartige die Phänomenbereiche des politischen Extremismus übergreifende Entgrenzungsdynamiken kann auch das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachten. Extremisten fiele es demnach zunehmend leichter auf demokratische Milieus einzuwirken.3
Für den Bereich des Linksextremismus stellt der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, fest:
„Auch Linksextremisten versuchen, Anschluss an die Mitte der Gesellschaft zu finden. Das tun sie, indem sie gesellschaftliche Themen aufgreifen, die kontrovers diskutiert werden. Diese sollen um linksextremistische Inhalte erweitert und radikalisiert werden.“4
Ich frage daher die Landesregierung:
1. Wie haben sich Entgrenzungen zwischen dem Linksextremismus und demokratisch-linksgrünen Milieus im Jahr 2019 in Nordrhein-Westfalen entwickelt?
2. Welche Mischszenen aus Linksextremisten und demokratisch-linken Milieus haben sich im Jahr 2019 entwickelt?
3. Welche nicht-extremistischen Parteien und Organisationen sind linksextremen Beeinflussungsversuchen ausgesetzt? (Bitte ebenso konkret benennen und darstellen wie auf den Seiten 67ff. des Verfassungsschutzberichts des Landes Nordrhein-Westfalen 2018.)
4. An welchen Demonstrationen und Aktionen haben nicht-extremistische und linksextreme Akteure gleichzeitig teilgenommen? (Bitte die Akteure und Demonstrationen ebenso konkret benennen und darstellen wie auf den Seiten 67ff. des Verfassungsschutzberichts des Landes Nordrhein-Westfalen 2018.)
Markus Wagner
1 Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) (2019): Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2018, Düsseldorf, S. 159.
2 Vgl. ebd., S. 160.
3 Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung (2020): „Bei Linksextremisten sinkt die Hemmschwelle“. Verfassungsschutzpräsident Haldenwang im Gespräch, Nr. 23, S. 2.d., S. 160.
4 Haldenwang, Thomas zitiert nach: siehe FN 3.
Nachfolgend die Antwort der Landesregierung, verfasst am 03.03.2020
Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 3378 mit Schreiben vom 3. März 2020 namens der Landesregierung beantwortet.
1. Wie haben sich Entgrenzungen zwischen dem Linksextremismus und demokratisch-linksgrünen Milieus im Jahr 2019 in Nordrhein-Westfalen entwickelt?
Im Jahr 2019 versuchten Linksextremisten, im Themenfeld Antigentrifizierung für demokratische Proteste als Bündnispartner aufzutreten und so eigene Deutungen und politische Ziele in diese einzubringen. So besetzten linksextremistische Akteure des „Antikapitalistischen Fingers“ im Vorfeld einer Großdemonstration der Bewegung „Fridays for Future“ (FfF) am 21. Juni 2019 kurzzeitig ein leerstehendes Gebäude in der Innenstadt Aachens. Dabei blieben diese Akteure jedoch unter sich.
Punktuell ist zudem eine organisatorische Unterstützung der FfF-Bewegung durch Linksextremisten zu beobachten. Die versuchte Einflussnahme ist jedoch bislang ohne nennenswerte Relevanz für Ziele, Forderungen und Aktionsformen von FfF geblieben.
Das anschlussfähige Themenfeld „Ökologie“ war im Jahr 2019 auch Gegenstand eigener Aktionen von Linksextremisten. So kam es im Juni 2019 erneut zu „Massenaktionstagen“ des linksextremistisch beeinflussten Bündnisses „Ende Gelände“ gegen den Tagebau im Rheinischen Braunkohlerevier. Im Rahmen dieser Aktionstage drangen Personengruppen rechtswidrig auf das Betriebsgelände des Betreibers ein.
2. Welche Mischszenen aus Linksextremisten und demokratisch-linken Milieus haben sich im Jahr 2019 entwickelt?
Der Verfassungsschutz spricht von Mischszenen, wenn Gruppierungen durch ein heterogenes, nicht durchgängig extremistisches Personenpotenzial gekennzeichnet sind, aber extremistische Positionen dominieren. Derartige Mischszenen beobachtet der Verfassungsschutz im Rechtsextremismus. Sie setzen sich in der Regel aus Angehörigen der Hooligan- und Rockerszene, mutmaßlichen „Wutbürgern“ und Rechtsextremisten zusammen.
Im Bereich des Linksextremismus beobachtet der Verfassungsschutz demgegenüber partielle thematisch orientierte Kooperationen von Linksextremisten mit Angehörigen oder Gruppierungen aus dem demokratischen Spektrum, die aber bislang jeweils auf nichtextremistischen inhaltlichen Gemeinsamkeiten beruhen und bei denen extremistische Positionen gerade nicht geteilt bzw. übernommen werden. Vielmehr wurden im Jahr 2019 mehrfach linksextremistische Gruppen, die klimabezogene Versammlungen des bürgerlichen Spektrums zur Verbreitung ihrer extremistischen Positionen nutzen wollten, durch die Versammlungsleitungen ausgeschlossen.
3. Welche nicht-extremistischen Parteien und Organisationen sind linksextremen Beeinflussungsversuchen ausgesetzt? (Bitte ebenso konkret benennen und darstellen wie auf den Seiten 67ff. des Verfassungsschutzberichts des Landes Nordrhein-Westfalen 2018.)
Zur Durchsetzung ihrer Ziele versuchen Linksextremisten, sich umfassend in Gesellschaft und Politik einzubringen. Sie arbeiten dabei vorübergehend und anlassbezogen mit allen linksorientierten gesellschaftspolitischen Strömungen zusammen, mit denen sie thematische und inhaltliche Schnittmengen erkennen. Dazu übernehmen sie nach Möglichkeit Funktionen in Bündnissen und Kampagnen, um diese in ihrem Sinne zu beeinflussen. Im Fokus von Linksextremisten stehen vor allem die Politikfelder Antifaschismus, Antigentrifizierung und Klimagerechtigkeit. Insofern sind ökologische Bewegungen, Mietrechtsinitiativen und Bündnisse „gegen Rechts“ auf lokaler Ebene häufig Beeinflussungsversuchen ausgesetzt. Im letzten Jahr waren davon FfF, das Bündnis „Ende Gelände“ und weitere Kampagnen der Umweltbewegung sowie lokale Bündnisse (z. B. gegen „#Mietenwahnsinn“ und „… gegen Rechts“) betroffen.
4. An welchen Demonstrationen und Aktionen haben nicht-extremistische und linksextreme Akteure gleichzeitig teilgenommen? (Bitte die Akteure und Demonstrationen ebenso konkret benennen und darstellen wie auf den Seiten 67ff. des Verfassungsschutzberichts des Landes Nordrhein-Westfalen 2018.)
Im Phänomenbereich Linksextremismus werden demonstrative Ereignisse und Aktionen vom Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen unter der Voraussetzung beobachtet, dass diese maßgeblich durch die linksextremistische Szene gesteuert bzw. beeinflusst werden oder sich Linksextremisten in wesentlichem Ausmaß daran beteiligen und gegebenenfalls Gewalt ausüben. Die reine, mitunter vom Veranstalter sogar unerwünschte Teilnahme von Linksextremisten an Demonstrationen des zivildemokratischen Spektrums stellt für sich genommen noch keinen Anhaltspunkt für eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung dar und gehört insofern nicht zum Beobachtungsfeld des Verfassungsschutzes. Eine Ausweitung der Beobachtung auf jegliche Form linksmotivierter, gesellschaftskritischer Aktivitäten entspricht nicht dem gesetzlichen Auftrag des Verfassungsschutzes.
Im Übrigen würde die Beantwortung dieser Frage eine manuelle Auswertung der zurückliegenden Versammlungsanmeldungen – auch unter Inanspruchnahme der zuständigen Versammlungsbehörden – erforderlich machen und ist im zur Verfügung stehenden Zeitraum nicht leistbar.