Entwickeln sich deutsche Schulen zu rechtsfreien Räumen?

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 767
der Abgeordneten Markus Wagner und Carlo Clemens vom 16.11.2022

Entwickeln sich deutsche Schulen zu rechtsfreien Räumen?

„Aufgrund einer Vielzahl von Vorfällen an unserer Schule kann ich die Sicherheit sowie seelische und physische Gesundheit unseres Personals und der Schülerinnen und Schüler nicht mehr gewährleisten.“1

So dramatisch klingen die Worte eines Duisburger Schulleiters, der eine Gesamtschule in Duisburg-Marxloh leitet und sich bereits seit vielen Wochen mit schulfremden Krawallmachern konfrontiert sieht. Die Zwischenfälle haben sich besonders nach den Sommerferien dieses Jahres zugespitzt, sodass bis zu viermal die Woche die Polizei verständigt werden muss. Die Herbert-Grillo-Gesamtschule wird von jungen Männern regelmäßig aufgesucht, die die Schüler und das Schulpersonal bedrohen, beleidigen und körperlich attackieren. Diese schulfremden Personen dringen auch in das Schulgebäude ein, um dort Cannabis zu rauchen oder Glücksspiel mit Bargeld zu betreiben. Darüber hinaus laufen sie vulgär Fäkalsprache schreiend während der Unterrichtszeit über das Schulgelände und verdrecken dieses. Außerdem beklagt der Schulleiter einen zunehmenden Vandalismus, Brandstiftung und extreme Vermüllung. Allein in diesem Jahr wurde die Polizei 25-mal zu Einsätzen gerufen, unter anderem wegen Hilfeersuchen, Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung. Die Anzahl dieser Einsätze bezieht sich allerdings nur auf die Schulzeiten. Nächtliche Alarmauslösungen sind dabei noch gar nicht mitgerechnet.2

Die Lage ist derart prekär, dass die Lehrer nur gemeinschaftlich auf die Unruhestifter zugehen, um sich „gegenseitig abzusichern“.3 Die Schüler der Gesamtschule, von denen keinen nennenswerte Gewalt ausginge, hätten definitiv Angst vor den schulfremden Personen. Nicht nur deswegen fordert der Schulleiter, dass die Schule besser gesichert und überwacht wird. Aufgrund der baulichen Situation – eine öffentliche Straße führt mitten durch den Schulhof – bringen heranrasende Autos immer wieder Schüler in Gefahr. Im Gespräch seien deswegen Zäune und Tore sowie eine Ausstattung des Schulgeländes mit Videokameras. Außerdem wünsche er sich eine höhere Präsenz durch Polizei und Ordnungsamt. Darüber hinaus ist sogar die Hinzuziehung eines temporären Sicherheitsdienstes angedacht, um für eine schnelle Abhilfe zu sorgen.4

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Welche der oben genannten (und weiterer) Taten konnten aufgeklärt werden? (Bitte Vorstrafen der Täter, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften der Täter, seit wann die Täter im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft sind und sonstige polizeiliche Erkenntnisse über die Täter nennen.)
  2. In welchen der in Frage 1 genannten Fällen waren schulfremde Personen für einen Polizeieinsatz ursächlich?
  3. Zu wie vielen Straftaten kam es seit dem 1. Januar 2022 bis heute an den Schulen Nordrhein-Westfalens? (Bitte nach Delikten und Schulen aufschlüsseln, bei den Tatverdächtigen Geschlecht und Alter, Vorstrafen der Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften der Tatverdächtigen, seit wann die Tatverdächtigen im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft sind, Vornamen der deutschen Tatverdächtigen und sonstige polizeiliche Erkenntnisse über die Tatverdächtigen nennen.)
  4. Welche Maßnahmen plant die Landesregierung, um derartigen Konfliktsituationen vorzubeugen, wie sie an der Herbert-Grillo-Gesamtschule vorherrschen?
  5. Wie beabsichtigt die Landesregierung, gegebenenfalls in Kooperation mit dem Schulträger, der Bezirksregierung als zuständiger Aufsichtsbehörde, die Herbert-Grillo-Gesamtschule zu unterstützen, um der Probleme Herr zu werden?

Markus Wagner
Carlo Clemens

 

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1 Vgl. htt p s : / /rp- o n l in e .de/nrw/staedte/d u i s b u r g/duisburg-marxloh – herbert-grillo-g e s a m t s c h u l e -gewalt-und- v a n d a l i s m u s_aid – 789 439 13 .

2 Ebenda.

3 Ebenda.

4 Ebenda.


Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 767 mit Schreiben vom 16. Dezember 2022 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Schule und Bildung so­wie dem Minister der Justiz beantwortet.

  1. Welche der oben genannten (und weiterer) Taten konnten aufgeklärt werden? (Bitte Vorstrafen der Täter, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften der Täter, seit wann die Täter im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft sind und sonstige po­lizeiliche Erkenntnisse über die Täter nennen.)

Als Datenbasis für die Beantwortung der Kleinen Anfrage dient die Polizeiliche Kriminalstatistik Nordrhein-Westfalen (PKS NRW). Sie wird nach bundeseinheitlich festgelegten Richtlinien er­stellt. Die Erfassung erfolgt nach Abschluss der kriminalpolizeilichen Ermittlungen und führt regelmäßig zu einem zeitlichen Versatz zwischen dem Bekanntwerden einer Straftat und de­ren statistischer Erfassung. Die PKS NRW ist eine Jahresstatistik. Die Darstellung unterjähri­ger Entwicklungen besitzt lediglich eine eingeschränkte Validität und Aussagekraft.

Die in der PKS NRW als aufgeklärt erfassten Straftaten für den Zeitraum 01.01.2022 bis 31.10.2022 mit dem Tatort Diesterwegstraße 6 in 47169 Duisburg bitte ich der anliegenden Tabelle zu entnehmen.

  1. In welchen der in Frage 1 genannten Fällen waren schulfremde Personen für einen Polizeieinsatz ursächlich?

Berufsbezogene Daten von Tatverdächtigen werden nicht in der PKS NRW abgebildet und können somit zur Auswertung und Beantwortung der Frage nicht herangezogen werden.

  1. Zu wie vielen Straftaten kam es seit dem 1. Januar 2022 bis heute an den Schulen Nordrhein-Westfalens? (Bitte nach Delikten und Schulen aufschlüsseln, bei den Tatverdächtigen Geschlecht und Alter, Vorstrafen der Tatverdächtigen, Straftatbe­stände, Staatsbürgerschaften der Tatverdächtigen, seit wann die Tatverdächtigen im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft sind, Vornamen der deutschen Tat­verdächtigen und sonstige polizeiliche Erkenntnisse über die Tatverdächtigen nennen.)

Datenbasis für die Beantwortung auch der Frage 3 ist die PKS NRW.

Ergänzend zu den einleitenden Ausführungen zur Beantwortung der Frage 1 weise ich darauf hin, dass im Folgenden Straftaten dargestellt werden, die unter der Tatörtlichkeit „Schule“ er­fasst wurden.

Die Tatörtlichkeit „Schule“ ist entsprechend der Richtlinien bei allen Straftaten zu erfassen, die innerhalb eines Schulgebäudes, dem umfriedeten Gelände einer Schule oder im unmittelbaren Umfeld einer Schule begangen wurden. Örtlichkeiten außerhalb des Schulgeländes, an denen schulische Veranstaltungen stattfinden (Klassenfahrt, Schulsport), sowie der Schulweg gehören demnach unter räumlicher Betrachtung nicht zu einer Schule. Die Tatörtlichkeit „Schule“ wird ferner unabhängig von schulischen Veranstaltungen und Unterrichts- bzw. Öff­nungszeiten der Schulen erfasst. Straftaten auf dem Schulgelände oder im Schulgebäude wer­den auch außerhalb des Schulbetriebs unter der Tatörtlichkeit „Schule“ erfasst. Der Begriff „Schule“ umfasst Grundschulen und weiterführende Schulen für die 1. bis 13. Klasse.

Unter der Tatörtlichkeit „Schule“ wurden in der PKS NRW im Zeitraum vom 01.01.2022 bis zum 31.10.2022 landesweit insgesamt 20.194 Straftaten erfasst.

  1. Welche Maßnahmen plant die Landesregierung, um derartigen Konfliktsituationen vorzubeugen, wie sie an der Herbert-Grillo-Gesamtschule vorherrschen?

Ziel polizeilicher, kriminalpräventiver Maßnahmen ist es, Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaft, Verbände, öffentliche Verwaltung und andere Aufgabenträger zu sicherheitsbewusstem Ver­halten zu veranlassen sowie potenzielle Täterinnen und Täter von der Begehung von Strafta­ten abzuhalten und so die Anzahl von Straftaten und Opfern zu verringern.

Die Polizei informiert insbesondere über Erscheinungsformen der Kriminalität, polizeiliche Be­kämpfungsziele, Gefährdungseinschätzungen, Opferrisiken sowie tatbegünstigendes Verhal­ten. Sie gibt Empfehlungen zu tatreduzierenden Verhaltensweisen und verdeutlicht potenziel­len Täterinnen und Tätern, zum Beispiel im Rahmen von Gefährderansprachen, rechtliche und tatsächliche Konsequenzen ihres Handelns. Sie informiert Bedarfsträger, wie zum Beispiel Schulen, über Aspekte der Gewalt- und Amokprävention und berät über die Möglichkeiten technischer bzw. verhaltenspräventiver Maßnahmen.

An der Herbert-Grillo-Gesamtschule wurden Vorträge im Rahmen von Projektwochen unter anderem zu den Themen „Drogen- und Gewaltprävention“, und „Prävention von Cybercrime“ von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Kriminalkommissariats Kriminalprävention/ Opfer­schutz des Polizeipräsidiums Duisburg gehalten.

Die Schulleitung wurde zudem auf die konsequente Nutzung des Polizeinotrufs bei Akutsitua-tionen zur schnellen Einsatzreaktion sowie auf die konsequente Anzeigenerstattung bei jegli­chen Ordnungswidrigkeiten und Straftaten hingewiesen.

Im Rahmen einer gemeinsamen Besprechung am 26.09.2022 mit Vertreterinnen und Vertre­tern der Stadt Duisburg, der Polizei Duisburg und Vertretern eines Sicherheitsdienstes wurden bauliche Maßnahmen, eine Videoüberwachung und technische Sicherungen aus polizeilicher Sicht, ebenso wie der Einsatz von Sicherheitspersonal und Streetworkern, als Lösungsmög­lichkeiten diskutiert. Eine Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen wird derzeit durch die zuständigen Stellen geprüft.

Einmal wöchentlich finden Besprechungen der Polizei Duisburg mit der Schulleitung der Her-bert-Grillo-Gesamtschule statt, um Maßnahmen, wie zum Beispiel verstärkte Polizeipräsenz, mit dem Ordnungsamt und dem vorgesehenen Sicherheitsdienst abzustimmen.

Runde Tische unter Beteiligung der Polizei dienen der Überprüfung und Anpassung erforder­licher Maßnahmen zur Beruhigung der Situation an der Herbert-Grillo-Gesamtschule.

  1. Wie beabsichtigt die Landesregierung, gegebenenfalls in Kooperation mit dem Schulträger, der Bezirksregierung als zuständiger Aufsichtsbehörde, die Herbert-Grillo-Gesamtschule zu unterstützen, um der Probleme Herr zu werden?

Zur Beantwortung der Frage hat mir das Ministerium für Schule und Bildung mit Schreiben vom 22.11.2022 folgende Informationen zur Verfügung gestellt:

„Die Vorfälle an der Herbert-Grillo-Gesamtschule werden von externen Personen verursacht, nicht von der eigenen Schülerschaft, die sehr verantwortungsvoll durch die Lehrerschaft und die Schulleitung auf ihrem schulischen Bildungsweg begleitet wird.

Zur Verbesserung der Situation an der Schule fanden bereits zwei Runde Tische mit Teilneh­menden aus der Schulaufsicht, dem Amt für schulische Bildung, dem Immobilienmanagement der Stadt Duisburg, der Schulbaugesellschaft, der Polizei, dem Ordnungsamt, dem Jugendamt sowie dem Kommunalen Integrationszentrum statt, die über unterschiedliche Maßnahmen, wie u.a. auch Anpassungen des Schulgeländes beraten.

Vor dem Hintergrund der Ereignisse achtet die Bezirksregierung Düsseldorf auf eine gute Per­sonalausstattung der Herbert-Grillo-Gesamtschule, d.h. ausgeschriebene Stellen für Lehr­kräfte oder für das Schulleitungsteam werden prioritär bearbeitet und schnellstmöglich besetzt.

Darüber hinaus leisten das Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-West­falen, die Stadt Duisburg und die Wübben Stiftung mit dem im Februar 2020 gestarteten Pro­jekt „Bildungsfairbunt.Marxloh“ gemeinsam einen Beitrag zur schulischen und damit auch so­zialräumlichen Förderung der Kinder und Jugendlichen in Marxloh. Das Projekt verfolgt das Ziel, die Marxloher Schulen dabei zu unterstützen, die Talente und Potentiale eines jeden Kin­des in Marxloh zu entdecken und zu fördern und die Schülerinnen und Schüler zu den ihren Möglichkeiten entsprechenden schulischen Leistungen und Abschlüssen zu führen. Zu den teilnehmenden Schulen gehören die Gemeinschaftsgrundschule Sandstraße, die Gemein­schaftsgrundschule Regenbogenschule, die Städt.-Kath. Grundschule Henriettenstraße, die Herbert-Grillo-Gesamtschule sowie das Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium.

Für das Projekt werden ein Leitbild, Ziele und Meilensteine sowie Indikatoren zur Zielerrei­chung entwickelt. Alle schulischen und sozialräumlichen Entwicklungsprozesse stellen eine erfolgreiche Bildungshistorie der Marxloher Kinder und Jugendlichen sicher. Diesem Leitge­danken folgend, ergeben sich sechs Handlungsfelder, die u.a. die Entwicklung eines Zentrums für Familie, Integration und Soziales, eine Weiterentwicklung des Ganztagsangebots und auch die bedarfsorientierte Weiterentwicklung des Schulraums betreffen.“

 

Antwort samt Anlage als PDF