Entwicklung und Lebensräume von Zugvögeln in Nordrhein-Westfalen

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 1887

der Abgeordneten Andreas Keith und Zacharias Schalley AfD

Entwicklung und Lebensräume von Zugvögeln in Nordrhein-Westfalen

Zu Beginn des meteorologischen Frühlings, also ab dem 1. März, kehrten die Zugvögel, die im Herbst ihr Winterquartier im Süden Europas bis hin nach Südafrika aufgesucht hatten, zurück. Nach Angaben des Naturschutzbundes Deutschland e.V. (NABU) sind von den 250 in Deutschland brütenden Vogelarten 80 Langstreckenzieher, das heißt Zugvögel, deren Überwinterungsquartier mehr als 4000 km vom Brutgebiet entfernt ist. Zu den 40 Kurzstreckenziehern gehören beispielsweise Rotkehlchen, Kraniche und Stare, die im Winter nur bis Südeuropa, den Mittelmeerraum oder teilweise bis in den Norden Afrikas reisen.

Laut NABU verlassen also über 200 Millionen Zugvögel ihre Brutgebiete in Deutschland von Ende des Sommers bis November. Dabei handelt es sich nicht nur um Sing- und Greifvögel, sondern auch um verschiedene Enten- und Gänsearten, die in der Regel im Mittelmeerraum überwintern. Kraniche sollen dabei eine Anzahl von über 200.000 Tieren ausmachen, die auch Nordrhein-Westfalen während ihres Flugs überqueren.1 Experten schätzen, dass allein zu Hauptflugzeiten Anfang Oktober etwa 50 Millionen Vögel gen Süden fliegen.2 Der NABU zufolge werden „noch größere Zahlen Deutschland und somit auch Nordrhein-Westfalen überqueren“.3 Außerdem bilden einige Arten wie Stare zu Abflugzeiten Schwärme mit mehreren Tausend Artgenossen.

Auf der anderen Seite gibt es neben den wegzugbereiten Vögeln auch Arten wie den Raufußbussard oder Saatgänse, die aus dem Norden und Nordosten Europas nach Deutschland ziehen und hier überwintern, um der Kälte und der Nahrungsknappheit in ihrer Heimat zu entkommen. Daher ist im kommenden Herbst mit großen Flugscharen von Zugvögeln zu rechnen.

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Wie viele Zugvogelarten leben nach Kenntnis der Landesregierung in NRW? (Bitte aufschlüsseln nach Zeitpunkt des Kenntnisstands, Vogelart, Gattung, sowie der Zeitraum des Flugs von ihrem Brutgebiet in Nordrhein-Westfalen zu ihrem Winterquartier und der entsprechenden Rückkehr)
  2. Was sind die Hauptflugrouten der jeweiligen in NRW lebenden Zugvögel beim Flug in ihre Winterquartiere bzw. bei entsprechender Rückkehr?
  3. Welche wissenschaftlichen Studien oder Monitoring-Programme werden in Nordrhein-Westfalen durchgeführt, um Informationen über Zugvögel, Flugrouten, Lebensräume und ihre Population zu sammeln?
  4. Wie hat sich die Situation von Zugvögeln in NRW in den letzten 25 Jahren verändert? (Bitte auf die Population einzelner Zugvogelarten, Veränderung von Brut- und Lebensräumen und Veränderung von Flugrouten in der Antwort eingehen.)
  5. Welche Schutzmaßnahmen ergreift die Landesregierung, um die Lebensräume der Zugvögel in Nordrhein-Westfalen zu erhalten bzw. zu verbessern?

Andreas Keith
Zacharias Schalley

 

Anfrage als PDF

 

1 https:// nrw .nabu.de/tiere-und-pflanzen/voegel/vogelzug/14200.html

2 https:// nrw .nabu.de/tiere-und-pflanzen/voegel/vogelzug/16183.html

3 https:// nrw .nabu.de/tiere-und-pflanzen/voegel/vogelzug/index.html


Der Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr hat die Kleine Anfrage 1887 mit Schrei­ben vom 29. Juni 2023 namens der Landesregierung beantwortet.

  1. Wie viele Zugvogelarten leben nach Kenntnis der Landesregierung in NRW? (Bitte aufschlüsseln nach Zeitpunkt des Kenntnisstands, Vogelart, Gattung, sowie der Zeitraum des Flugs von ihrem Brutgebiet in Nordrhein-Westfalen zu ihrem Winter­quartier und der entsprechenden Rückkehr)

In Nordrhein-Westfalen beträgt die Zahl der regelmäßig brütenden einheimischen Brutvogel­arten 166 (Stand 2019, Zeitpunkt des letzten nationalen Vogelschutzberichts nach EU-Vogel-schutzrichtlinie). Davon sind 128 Arten als Zugvögel einzustufen, und zwar 50 Arten als Teil-zieher und 78 Arten als Zugvögel im engeren Sinne. Teilzieher sind Arten, bei denen ein Teil der Populationen Zugverhalten zeigt und ein anderer Teil nicht. 38 Vogelarten zeigen keine oder nur lokale Wanderungen (Standvögel).

  1. Was sind die Hauptflugrouten der jeweiligen in NRW lebenden Zugvögel beim Flug in ihre Winterquartiere bzw. bei entsprechender Rückkehr?

Die Mehrzahl der in Nordrhein-Westfalen brütenden Zugvögel zieht im Herbst in eine südwest­liche Richtung ab. Die Rast- und/oder Überwinterungsgebiete befinden sich im südlichen Frankreich, auf der Iberischen Halbinsel und Nordwestafrika bis nach Westafrika. Viele Zug­vögel ziehen auch nach Westen, in die Niederlande und auf die Britischen Inseln. Wenige Arten, z.B. der Neuntöter, ziehen in eine südöstliche Richtung in den östlichen Mittelmeerraum und ggf. weiter ins östliche und südliche Afrika.

  1. Welche wissenschaftlichen Studien oder Monitoring-Programme werden in Nord­rhein-Westfalen durchgeführt, um Informationen über Zugvögel, Flugrouten, Le­bensräume und ihre Population zu sammeln?

Der Erforschung des Vogelzugs dienen insbesondere die Aktivitäten der deutschen Vogelwar­ten (Wilhelmshaven, Hiddensee, Radolfzell). Dabei ist die beim Institut für Vogelforschung in Wilhelmshaven ansässige Vogelwarte u.a. für Nordrhein-Westfalen zuständig. Die Vogelwarte koordiniert die wissenschaftliche Beringung von Vögeln, die auch in Nordrhein-Westfalen von zahlreichen ehrenamtlich tätigen Beringerinnen und Beringern durchgeführt wird. Die Ergeb­nisse der wissenschaftlichen Vogelberingung haben wesentlich zur Erforschung des Zugver­haltens der Zugvögel beigetragen, einschließlich der Zugrouten und Überwinterungsgebiete. Detaillierte Art-für-Art-Ergebnisse für Deutschland sind im „Atlas des Vogelzugs – Ringfunde deutscher Brut- und Rastvögel“ (Bairlein et al. 2014) dargestellt.

Darüber hinaus werden in Nordrhein-Westfalen Informationen über alle regelmäßig auftreten­den Vogelarten gesammelt. Hier sind insbesondere die folgenden Programme zu nennen:

  • Ökologische Flächenstichprobe des Landesamts für Natur-, Umwelt- und Verbraucher­schutz (LANUV), bei der die Bestände der regelmäßigen Brutvogelarten auf Stichpro-benflächen in ganz Nordrhein-Westfalen erfasst werden.
  • Erfassung seltener Brutvogelarten durch das LANUV in Zusammenarbeit mit dem Netz­werk der Biologischen Stationen und der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesell-schaft.
  • In Nordrhein-Westfalen durchziehende und/oder überwinternde Vogelarten werden durch verschiedenen Programme der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft und des Dachverbandes Deutscher Avifaunisten gezählt, da­runter nordische Gänse und Wasservögel.
  1. Wie hat sich die Situation von Zugvögeln in NRW in den letzten 25 Jahren verän­dert? (Bitte auf die Population einzelner Zugvogelarten, Veränderung von Brut-und Lebensräumen und Veränderung von Flugrouten in der Antwort eingehen.)

Bei den Standvögeln und Teilziehern zeigen sich insgesamt mehr zu- als abnehmende Vogel­arten. Bei den Zugvögeln im engeren Sinne, und besonders bei den Langstreckenziehern, finden sich mehr Ab- als Zunahmen. Zunehmende Standvögel sind etwa Arten, die von ver­besserten Lebensbedingungen im Wald profitieren, wie Buntspecht, Gimpel, Kleiber und Gar-tenbaumläufer. Bei einigen dieser Arten dürfte zusätzlich zu verbesserten Lebensräumen die Klimaerwärmung eine Rolle spielen, z.B. beim Grünspecht, insbesondere durch eine verrin­gerte Wintersterblichkeit infolge milderer Winter.

Bei den Langstreckenziehern zeigt sich ein uneinheitliches Bild. Einige Arten zeigen sehr starke Abnahmen wie die Turteltaube, Flussregenpfeifer und Uferschnepfe. Die Gründe dafür liegen je nach Art in den sich verschlechternden Bedingungen in den Brutgebieten (z.B. Ufer­schnepfe, Turteltaube) wie auch in ungünstigen Lebensraumverhältnissen oder der Bejagung in Rast- und Überwinterungsgebieten (z.B. wiederum die Turteltaube). Es gibt jedoch auch Zugvogelarten mit deutlichen Bestandszunahmen, etwa Dorngrasmücke und Schafstelze.

An den Hauptzugrouten hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht viel geändert. Bei manchen Arten überwintert jedoch eine größere Anzahl von Vögeln inzwischen in Mitteleuropa, z.B. Weißstorch, Singdrossel und Bachstelze. Manche Arten zeigen eine Verkürzung der Zugroute. So überwintern inzwischen mehr Weißstörche als noch vor Jahrzehnten in Südwesteuropa, anstatt weiter nach Westafrika zu ziehen.

Gemeinsam mit der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft hat das LANUV eine Rote Liste der gefährdeten wandernden Vogelarten Nordrhein-Westfalens herausgegeben (Charadrius 52, 2016, S. 67 ff.).

  1. Welche Schutzmaßnahmen ergreift die Landesregierung, um die Lebensräume der Zugvögel in Nordrhein-Westfalen zu erhalten bzw. zu verbessern?

Die EU-Vogelschutzrichtlinie verpflichtet in Artikel 4 Absatz 2 die Mitgliedstaaten zu Schutz­maßnahmen für die „regelmäßig auftretenden Zugvogelarten hinsichtlich ihrer Vermehrungs-, Mauser- und Überwinterungsgebiete sowie der Rastplätze in ihren Wanderungsgebieten“.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat 28 EU-Vogelschutzgebiete ausgewiesen, mit denen die Lebensräume nicht zuletzt einer Vielzahl von Zugvogelarten geschützt werden. Auch die über 3000 Naturschutzgebiete in Nordrhein-Westfalen unterstützen den Zugvogelschutz. Wesent­lich ist hier u.a. die vom Land geförderte Schutzgebietsbetreuung durch das fast flächende­ckende Netzwerk der Biologischen Stationen.

Im Rahmen des Übereinkommens über Feuchtgebiete von internationaler Bedeutung (Ramsar-Konvention) hat Nordrhein-Westfalen mit dem Unteren Niederrhein, den Rieselfel­dern Münster und der Weserstaustufe Schlüsselburg drei Feuchtgebiete internationaler Be­deutung wesentlich zum Schutz der dort auftretenden Zugvögel ausgewiesen.

Das Land fördert eine Reihe von Projekten, die dem Schutz gefährdeter Zugvögel dienen. Exemplarisch sei auf die EU-LIFE-Projekte „Grünland für Wiesenvögel“ im Kreis Kleve und das LIFE-Projekt „Wiesenvögel NRW“ mit Projektgebieten in acht Vogelschutzgebieten im Tiefland von Nordrhein-Westfalen verwiesen.

In der Agrarlandschaft kommen viele Agrarumweltmaßnahmen und der Vertragsnaturschutz auch dem Schutz von Zugvögeln wie Wachtel, Wachtelkönig, Kiebitz und Schafstelze zugute. Im Wald spielen das Waldbaukonzept Nordrhein-Westfalen von 2017 und das Wiederbewal-dungskonzept von 2020 eine wichtige Rolle auch für den Zugvogelschutz.

 

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