Kleine Anfrage 4626
des Abgeordneten Markus Wagner AfD
Essen und Köln: Beamte versäumen, Tat sofort an das Ministerium zu melden – Welche Konsequenzen zieht die Landesregierung daraus?
Am Montagabend, den 5. August 2024, gegen 21:00 Uhr fuhr ein 44-jähriger Mann, der sowohl die jordanische als auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, in Essen eine 50-jährige Frau auf einem Zebrastreifen an. Diese wollte die Straße überqueren, als sie von dem Taxi erfasst wurde. Laut Videoaufnahmen drehte der Täter absichtlich um und versuchte die Frau ein zweites Mal zu überfahren. Sie erlitt lebensgefährliche Verletzungen und wurde in ein Krankenhaus gebracht. Nach dem Angriff floh der Täter vom Tatort. Er fuhr weiter nach Köln und setzte seine Angriffe dort fort. In der Altstadt fuhr er zwei junge Frauen (22 und 27 Jahre) an, die vom Kölner Dom kommend auf dem Weg zum Alten Markt waren. Beide wurden schwer verletzt und mussten ins Krankenhaus gebracht werden. Wenige Minuten später raste er in der nahegelegenen Mühlengasse in eine Gruppe von drei weiteren Frauen (23 und 25 Jahre), von denen eine rechtzeitig ausweichen konnte. Die beiden anderen Frauen wurden leicht verletzt.1 Ein Kellner, der den Vorfall beobachtete, verfolgte das Taxi und stellte sich ihm auf der Großen Neugasse entgegen. Der Fahrer sei ohne zu Bremsen auf ihn zugefahren und habe ihn trotz eines Sprungs zur Seite mit dem Außenspiegel touchiert. Polizeibeamten gelang es schließlich, den Jordanier festzunehmen.2
Der mutmaßliche Täter, der 1980 in Jordanien geboren wurde, wurde nach den Angriffen von der Polizei festgenommen. Er fuhr einen VW Passat, der als Taxi eingesetzt wurde. Die Beamten beschlagnahmten das Fahrzeug, abgebrochene Teile, den Führerschein sowie seinen Fahrgastbeförderungsschein. Bei einer Durchsuchung des Taxis fanden sie Kokain und es bestand der Verdacht, dass der Mann unter dem Einfluss von Drogen stand, insbesondere Kokain und Cannabis. Es wurde eine Blutprobe entnommen, um dies zu überprüfen. Auf Anordnung des Notarztes, der ihn am Tatort untersucht hatte, wurde der Täter in ein psychiatrisches Krankenhaus eingeliefert. Dies deutet darauf hin, dass er möglicherweise in einem psychischen Ausnahmezustand gehandelt hat.3
Zunächst gab es von der Staatsanwaltschaft keine Hinweise auf ein terroristisches Motiv. Einen Tag nach den Vorfällen wurde jedoch die Möglichkeit eines politischen oder religiösen Motivs nicht ausgeschlossen. Auch ein islamistisches Motiv wird in Betracht gezogen, da der Täter gezielt Frauen anfuhr und dies möglicherweise auf einen religiös-politischen Tathintergrund hindeuten könnte. Allerdings gibt es keine konkreten Hinweise darauf, dass der Täter in der Vergangenheit durch extremistische Aktivitäten aufgefallen war. Zeugen berichteten, dass der Mann in Essen und Köln gezielt und ungebremst in Menschengruppen fuhr. Insbesondere in der Bechergasse in Köln raste er ungebremst auf eine Gruppe zu. Trotz dieser Hinweise behandelte die Polizei die Vorfälle zunächst als Verkehrsunfall und führte entsprechende Unfallaufnahmen durch. Erst nach der Analyse der Beweise und der Zeugenaussagen wurde ein Strafverfahren eingeleitet. Das Taxi sowie das Videomaterial wurden als Beweismittel sichergestellt. Die Polizei informierte dabei nicht sofort die zuständigen Behörden durch eine sogenannte „WE-Meldung“ (Meldung wichtiger Ereignisse), die erforderlich ist, wenn die öffentliche Sicherheit erheblich beeinträchtigt sein könnte. Erst am Morgen des 6. August wurde die Tat in einer Lagebesprechung der Polizei ausführlich diskutiert. Dieser Verzug in der Berichterstattung führte intern zu Kritik und soll nachträglich untersucht werden. WE-Meldungen sind für die Koordinierung von Sicherheitsmaßnahmen und die strategische Bewertung von Situationen durch die Sicherheitsbehörden unerlässlich, insbesondere bei Taten, die eine potenzielle Nachahmungsgefahr bergen, wie beispielsweise islamistisch motivierte Anschläge.4
Die Ermittler stufen die Taten bisher als „Amoktat“ ein, da es keine Hinweise auf langfristige politische oder ideologische Ziele gibt, wie sie bei Terroranschlägen typischerweise vorliegen. Amoktaten sind oft das Resultat von individuellen psychischen Krisen, wobei der Täter seine Wut oder Verzweiflung durch plötzliche und extreme Gewalt ausdrückt. Trotz dieser Einstufung bleibt das genaue Motiv des Täters unklar. Der Vorfall wird derzeit umfassend untersucht. Die Kombination einer gezielten Auswahl der Opfer, die ausschließlich Frauen waren, und des wiederholten Versuchs, Menschen mit dem Auto zu überfahren, lässt Raum für Spekulationen über das Motiv des Täters, das sowohl politisch, religiös als auch psychisch bedingt sein könnte. Bislang gibt es jedoch keine klaren Beweise, die auf eine terroristische Motivation hindeuten würden.5
Ich frage daher die Landesregierung:
- Wie ist der Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu dem oben beschriebenen Vorfall? (Bitte Tatverdächtigen, Tathergang, Vorstrafen des Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften des Tatverdächtigen, seit wann der Tatverdächtige im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft ist, Vornamen und Mehrfachstaatsangehörigkeit bei einem deutschen Tatverdächtigen nennen.)
- Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über die Gründe, warum die Polizei die Tat nicht sofort an das Ministerium gemeldet hat?
- Welche Maßnahmen werden ergriffen, um sicherzustellen, dass solche Kommunikationsfehler zwischen Polizei und Ministerium in Zukunft vermieden werden?
- Inwiefern plant die Landesregierung, die internen Abläufe und Kommunikationswege bei polizeilichen Einsätzen zu überprüfen und zu optimieren?
- Welche Konsequenzen zieht die Landesregierung aus diesem Vorfall für die Schulung und Sensibilisierung der Polizeikräfte in Bezug auf die zeitnahe Meldung schwerwiegender Vorfälle?
2 Vgl. https://www.nius.de/news/auto-anschlag-taxifahrer-drehte-in-essen-um-und-wollte-opfer-zweites-mal-ueberfahren/8c42ffe8-f34e-4bd2-9b62-fb31b788c76a.
3 Vgl. https://www.nius.de/news/nius-liegt-polizeibericht-zu-auto-anschlag-vor-beamte-versaeumten-die-tat-sofort-an-ministerium-zu-melden/e01c215a-39d9-479b-8abe-7ea4d22a1e9b.
4 Ebd.
5 Ebd.
Die Ministerin des Innern hat die Kleine Anfrage 4626 mit Schreiben vom 27. November 2024 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Justiz beantwortet.
- Wie ist der Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu dem oben beschriebenen Vorfall? (Bitte Tatverdächtigen, Tathergang, Vorstrafen des Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften des Tatverdächtigen, seit wann der Tatverdächtige im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft ist, Vornamen und Mehrfachstaatsangehörigkeit bei einem deutschen Tatverdächtigen nennen.)
Es wird zunächst auf den schriftlichen öffentlichen Bericht des Ministers des Innern für die Sitzung des Innenausschusses am 05.09.2024 (Vorlage 18/2931) Bezug genommen. Ergänzend hat der Leitende Oberstaatsanwalt in Köln dem Ministerium der Justiz unter dem 29.10.2024 u. a. berichtet, es bestünden dringende Gründe für die Annahme, dass der Beschuldigte im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt habe und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet werde. Die Staatsanwaltschaft Köln habe daher unter dem 11.10.2024 eine Antragsschrift beim Landgericht Köln eingereicht und die Eröffnung des Sicherungsverfahrens beantragt. In der Vergangenheit sei der Beschuldigte wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Nötigung zu einer Geldstrafe verurteilt worden.
- Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über die Gründe, warum die Polizei die Tat nicht sofort an das Ministerium gemeldet hat?
Die Sachverhalte wurden von den zuständigen Polizeipräsidien (PP) Essen und Köln polizeifachlich zunächst jeweils als Verkehrsunfall eingeordnet. Hinzu kommt, dass zum Zeitpunkt der Verkehrsunfallaufnahme in Köln die zeitlich vorgelagerten Vorkommnisse in Essen den in Köln tätigen Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten nicht bekannt waren. Eine Berichterstattung an das Ministerium des Innern im Zusammenhang mit Verkehrsunfällen als wichtiges Ereignis (WE-Meldung) ist durch den sog. WE-Meldeerlass (RdErl. des Ministeriums des Innern vom 02.11.2018, 412-60.23.02) geregelt und zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt für die hier in Rede stehenden Sachverhalte bei der vorgenommenen Einordnung grundsätzlich nicht vorgesehen.
Eine deliktische Einordnung u. a. als Verdacht eines versuchten Tötungsdeliktes erfolgte zu einem späteren Zeitpunkt. Beide betroffenen Kreispolizeibehörden kamen sodann den damit einhergehenden Meldeerfordernissen nach.
- Welche Maßnahmen werden ergriffen, um sicherzustellen, dass solche Kommunikationsfehler zwischen Polizei und Ministerium in Zukunft vermieden werden?
- Inwiefern plant die Landesregierung, die internen Abläufe und Kommunikationswege bei polizeilichen Einsätzen zu überprüfen und zu optimieren?
- Welche Konsequenzen zieht die Landesregierung aus diesem Vorfall für die Schulung und Sensibilisierung der Polizeikräfte in Bezug auf die zeitnahe Meldung schwerwiegender Vorfälle?
Die Fragen 3 bis 5 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.
Die Meldungen wichtiger Ereignisse sind auf Grundlage des oben genannten WE-Meldeerlasses umfassend geregelt und bedürfen, auch nach Betrachtung dieses Einzelfalls, keiner Anpassung.
Darüber hinaus werden polizeiliche Einsätze grundsätzlich nachbereitet. Die in diesem Rahmen gewonnen Erfahrungen werden unter anderem hinsichtlich einer Relevanz für die Optimierung bestehender Prozesse geprüft. Insoweit Bedarfe zur Anpassung von Prozessen, zur Ergänzung von Fortbildungen oder der Sensibilisierung von Polizeikräften erkannt werden, erfolgt eine Umsetzung durch die zuständigen Stellen.
In dem konkreten Fall ergab die durchgeführte Einsatznachbereitung, dass bereits zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der Unfallaufnahme in Köln, auch ohne Kenntnis des vorausgegangenen Sachverhalts in Essen, eine Einordnung als Amoktat hätte erfolgen müssen. Hieraus hätte sich eine unverzügliche Berichterstattung mittels WE-Meldung ergeben. Der zeitlich vorgelagerte Geschehensablauf in Essen hat bei isolierter Betrachtung hierzu keine Veranlassung gegeben.
Eine solche Einordnung als Amoktat durch das PP Köln wäre gleichwohl für die tatsächliche Einleitung von gefahrenabwehrenden Maßnahmen unerheblich gewesen, da der Tatverdächtige unmittelbar vor Ort gesichert werden konnte.